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Die Demokratie – das Volk regiert

Zwischen den zahlreichen Demokratien in der Welt bestehen große Unterschiede. So haben die USA ein Präsidialsystem, und die Briten leben in einer parlamentarischen Monarchie. Gemeinsam ist allen demokratischen Staaten, dass die Regierung und das Parlament durch allgemeine, freie und geheime Wahlen vom Volk gewählt werden. In regelmäßigen Abständen können die Regierungen abgelöst werden, wenn ihre Politik nicht den Vorstellungen der Mehrheit der Wahlberechtigten entspricht.

Die Wurzeln der Demokratie (wörtlich: Herrschaft des Volkes) liegen in der Antike. Athen besaß schon 509 v. Chr. eine Verfassung mit demokratischen Elementen. Eineinhalb Jahrhunderte später stellte Aristoteles die Demokratie bereits gleichberechtigt neben die Oligarchie (Herrschaft weniger Menschen) und die Monarchie (Einzelherrschaft). Die kurze Blütezeit der Volksherrschaft endete 338 v. Chr., als Alexander der Große (356–323 v. Chr.) Athen unterwarf.

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit war der Durchbruch demokratischer Elemente mit dem Erstarken des Adels und des Bürgertums verbunden: In der Schweiz z. B. setzten sich ab dem 12. Jahrhundert selbstverwaltete Körperschaften durch. Auch die Gewaltenteilung nahm erste Formen an, als die schweizerischen Urkantone Schwyz, Unterwalden und Uri 1291 eine gewählte Gerichtsbarkeit schufen. Im Zuge der Reformation verbreitete sich die Idee von der Gleichheit der Menschen – vor Gott wie vor dem Gesetz. Das mittelalterliche Ständesystem geriet ins Wanken.

Unsere modernen Demokratien entstanden in den letzten ca. 250 Jahren. Politische Hauptströmungen sind Liberalismus, Konservativismus und die aus der Arbeiterbewegung erwachsene Sozialdemokratie.

Von Antike bis Mittelalter: Die Geburt der Demokratie

Haben die Griechen die Demokratie erfunden?

Sicher keine Demokratie im heutigen Sinne – aber doch eine Form der Staatsführung, in der nicht mehr ein Adelsmann in eine Machtposition hineingeboren wurde, sondern eine größere Zahl Bürger ihre Herrscher wählen und auch wieder entmachten konnte.

Jedoch war die Demokratie in der griechischen Staatenwelt neben Aristokratie (Herrschaft weniger Adliger) und Monarchie (Königsherrschaft) nur eine weitere Regierungsform. Phasen der Demokratie wechselten mit Phasen z. B. der Königsherrschaft.

Übrigens: Auch das Wort »Demokratie« (wörtlich Volksherrschaft) stammt aus dem Griechischen.

Wer herrschte in Athen vor Entstehen der Demokratie?

Die herrschende Schicht war nach Abschaffung der Monarchie zunächst die Aristokratie. Die politischen Akteure stammten aus vielen Familien, die miteinander um die Sicherung bzw. Erhöhung ihres Ranges wetteiferten.

Nach der Eingemeindung des Umlands und des Hafens von Piräus im 9. Jahrhundert v. Chr. stieg die Stadt Athen, gelegen auf der Ägäishalbinsel Attika, mit ihren reichen Bodenschätzen zu einer der Führungsmächte in Griechenland auf.

An der Spitze des Stadtstaates, der Polis, standen die Archonten. Dieses Amt wurde ursprünglich auf Lebenszeit vergeben, später auf zehn Jahre. Im 7. Jahrhundert v. Chr. ging man zur jährlichen Wahl über. Nach dem höchsten Archon wurde das jeweilige Jahr benannt, der zweite Archon führte das Heer, der dritte war für religiöse Belange zuständig. Sechs weitere übten höchstrichterliche Gewalt aus. Nach Ablauf ihrer Amtszeit konnten die Archonten in den Areopag aufrücken, der die neuen Archonten wählte und zugleich Gerichtshof war.

Warum kam es in Athen zur Krise?

Auslöser waren im 7. Jahrhundert v. Chr. Veränderungen in der Kriegsführung: Das adelige Reiterheer wurde durch schwer bewaffnete Fußsoldaten ersetzt. Viele Kleinbauern konnten die militärischen Verpflichtungen nur tragen, indem sie sich bei den aristokratischen Großgrundbesitzern verschuldeten.

Viele verloren ihren Grund und Boden oder wurden in die Sklaverei verkauft. Unterdessen steigerten die Großgrundbesitzer durch Exporte ihren Reichtum. In der Stadt entstand eine wohlhabende Schicht aus Handwerkern und Kaufleuten, die mangels Grundbesitz keine politischen Rechte hatten. Sie forderten Mitbestimmung.

Wie wurden die Missstände beseitigt?

Einen ersten Versuch, die Missstände zu beseitigen, unternahm Drakon (etwa 624 v. Chr.), indem er Gewohnheitsrecht in Gesetze fasste. Diese schufen zwar Rechtssicherheit, konnten die Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung jedoch nicht beheben. Die Interessengruppen standen sich unversöhnlich gegenüber, so dass der Archon Solon 594 v. Chr. mit umfassenden Vollmachten ausgestattet wurde, um den athenischen Staat zu reformieren.

War Solon der erste Demokrat?

Nein, er führte vielmehr die »Timokratie« ein, die Herrschaft der Besitzenden. Er stufte die Bürger in vier Klassen ein – von den Großgrundbesitzern und Großkaufleuten bis zu den Kleinbauern und Lohnarbeitern –, befreite die Bauern aus der Leibeigenschaft und hob ihre Grundschulden auf.

Anders als in der Aristokratie waren die politischen Rechte nun von der veränderlichen Größe des Vermögens abhängig. Auch ärmere Bürger hatten eine Stimme in der von Solon eingesetzten Volksversammlung. Diese entschied über außenpolitische Fragen wie Kriege oder Bündnisse und wählte (aus den ersten drei Klassen) den Rat der 400, der die Regierungsgeschäfte führte und gerichtliche Berufungsinstanz war.

Wer führte die Demokratie ein?

Die Athener wollten nach dem Zwischenspiel der Tyrannenherrschaft nicht wieder von Aristokraten regiert werden und bevollmächtigten den Archon Kleisthenes (um 570–um 507 v. Chr.) mit Verfassungsreformen. Diese begründeten die Demokratie, die Herrschaft des Volkes.

Kleisthenes sorgte dafür, dass in der Volksversammlung Stadt-, Land- und Küstenbewohner, also alle Gesellschaftsgruppen, repräsentiert waren. Die Volksversammlung wählte das Geschworenengericht, die Heeresführer und die Archonten. Neu war auch das Scherbengericht: Einmal im Jahr wurde gefragt, welche Bürger dem Staat gefährlich werden könnten. Jeder der 10 000 Stimmberechtigten ritzte einen Namen in eine Tonscherbe. Wer mindestens 6 000-mal genannt wurde, musste ins Exil gehen. Die Politiker waren also gezwungen, sich die Unterstützung des Volkes zu sichern.

Warum wählten die Römer zwei Konsuln?

Um einen Rückfall in die Herrschaft eines Einzelnen zu verhindern. Die Zeit der römischen Republik (lat. res publica ...) begann 500 v. Chr. durch Vertreibung des letzten Königs. Fortan wurde jedes Amt mindestens doppelt besetzt (Prinzip der Kollegialität). Nur in Phasen äußerster Bedrohung konnte für sechs Monate ein Diktator gewählt werden.

Außerdem erfolgte die Wahl in fast alle Ämter nur für ein Jahr. Die Wahl der Regierungsbeamten, an deren Spitze zwei Konsuln standen, erfolgte durch die römische Volksversammlung. In die Regierungsämter (Magistrate) und den Ältestenrat (Senat) wurden nur Patrizier gewählt, also die männlichen Nachkommen reicher, alter Familien.

Warum begehrten die Plebejer auf?

Weil das Volk zwar frei, aber rechtlos war. Die einfachen Menschen, Plebejer genannt, durften keine Rechtsgeschäfte tätigen und sich vor Gericht nicht selbst verteidigen. Sie mussten sich unter den Oberhäuptern der Patrizierfamilien einen »Patron« suchen, der sie vor Gericht vertrat und dem sie dafür Gefolgschaft schuldeten.

Da sie aber wie die Patrizier Heeresdienst leisteten, warfen sie ihr politisches Gewicht in die Waagschale, und ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. wurde in der Volksversammlung nicht mehr nach den alten Geschlechterverbänden, sondern nach Heeresformationen (Zenturien) abgestimmt. Ein weiterer Erfolg war die Einführung der Volkstribunen, die Plebejer vor Übergriffen der Patrizier und Magistrate schützen konnten. Außerdem konnten sie mit ihrem Veto (veto: »ich verbiete«) Entscheidungen des Senats und Amtshandlungen der Magistrate verhindern.

War das Volk in Rom so mächtig wie in Athen?

Nein. In Rom entwickelte sich die Teilhabe aller an der politischen Macht langsamer. Dafür war die Demokratie aber stabiler und hatte über Jahrhunderte Bestand.

Nach und nach durften auch Plebejer höhere Ämter bis hin zum Konsulat bekleiden. Die endgültige Gleichberechtigung brachte die lex Hortensia (287 v. Chr.), ein Gesetz, das den Beschlüssen der plebejischen Volksversammlung den Status von Gesetzen zubilligte. Da aber alle Ämter Ehrenämter waren, blieben sie der wohlhabenden Oberschicht vorbehalten, zu der neben Patriziern nun gleichberechtigt auch reiche Plebejer zählten.

Wie bereitete das städtische Leben die Demokratie vor?

In den Städten des Mittelalters förderte das Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Regionen und Berufe die Entwicklung und den Austausch von Ideen. Als Europa im 11. Jahrhundert durch die Zunahme der Bevölkerung und des Handels eine Blütezeit erlebte, gewann auch nördlich der Alpen die städtische Lebensform an Gewicht. Städte entstanden etwa durch Zusammenwachsen einer Burg mit einer Siedlung, aus Marktsiedlungen sowie um Klöster und Kirchen.

Worauf basierte die zunehmende Macht des Bürgertums?

Das aufsteigende städtische Bürgertum schöpfte sein Selbstbewusstsein weder aus Ämtern noch aus hoher Geburt, sondern aus erworbenem Reichtum. In vielen Städten gelang es den Bürgern, ein Stadtrecht durchzusetzen, das die Macht der Stadtherrn begrenzte.

Das Stadtrecht begünstigte ab dem 12. Jahrhundert die Herausbildung der Zünfte. Diese Zusammenschlüsse von Personen, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe ausübten, hatten eine eigene Gerichtsbarkeit.

In vielen Städten traf ein kleiner Kreis von Kaufmannsfamilien die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen. Sie nannten sich in Anlehnung an die Adligen in Rom Patrizier. Gegen ihre Herrschaft begehrten im 14. und 15. Jahrhundert in zahlreichen Städten die Zünfte auf, die am Stadtregiment beteiligt werden wollten.

Führten Bürger auch Krieg gegen den Adel?

Ja, vor allem in Oberitalien (Lombardei). Hier gewannen die Städte schon früh politische Eigenständigkeit. Ab und zu zog jedoch ein römisch-deutscher Herrscher über die Alpen und versuchte seine Hoheitsrechte in Oberitalien durchzusetzen. Ihre Unabhängigkeit erkämpften die Städte an der Seite des Papstes gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Nach zwei Niederlagen musste dieser im Frieden von Konstanz (1183) die Autonomie der im Lombardischen Bund zusammengeschlossenen Städte anerkennen.

Gab es »gute« Tyrannen?

Nicht jeder Tyrann war ein Schreckensherrscher. Ein Beispiel ist der Athener Peisistratos (um 600–527 v. Chr.).

Als die neue Ordnung um 560 v. Chr. durch Machtkämpfe zwischen den wichtigsten Familien in Gefahr geriet, konnte er die Landbevölkerung hinter sich bringen und die alleinige Macht erringen. Er war zwar ein sog. Tyrann, aber seine Macht war nicht absolut, denn er musste die Gunst des Volkes erhalten. Unter seiner Herrschaft erlebte Athen einen Aufschwung, die sozialen Verhältnisse stabilisierten sich. Peisistratos gewährte den Kleinbauern Kredite, ließ Prachtbauten errichten und förderte die Künste – darunter die ersten Tragödien.

Was ist ein Demagoge?

Wörtlich ein »Volksführer«. Meist wird der Begriff jedoch abwertend gebraucht und bezeichnet einen Aufwiegler und Volksverführer.

Die Anfälligkeit der jungen Athener Demokratie wurde ihr im Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) zum Verhängnis: Die aufgepeitschte Volksversammlung war zu keiner umsichtigen Politik fähig und ließ sich von Demagogen zu immer neuen militärischen Abenteuern hinreißen. So wurde 410 v. Chr. in schon kritischer Lage ein Friedensangebot des Kriegsgegners Sparta ausgeschlagen. Der Krieg endete schließlich mit der totalen Niederlage Athens.

Was tat der römische Senat?

Der Senat wurde mit der Zeit zur zentralen politischen Einrichtung der römischen Republik. Er konnte sich zwar nicht selbst einberufen und hatte lediglich beratende Funktion, genoss aber hohes Ansehen. Ohne seine Zustimmung erhielt keine Amtshandlung der Magistrate und kein Beschluss der Volksversammlung Gültigkeit. Später, im römischen Kaiserreich, verlor der Senat seinen politischen Einfluss.

Hatten alle Bürger einer Stadt gleich viel zu sagen?

Mitnichten! Der Machtzuwachs der Städte führte sogar zu einer Einschränkung des Personenkreises, der politisch Einfluss nahm.

Venedig begrenzte 1297 seinen Großen Rat auf einige wenige Familien. In Mailand und Pisa trat die Herrschaft eines Einzelnen (Signorie) an die Stelle eines autonomen Gemeinwesens (Kommune). Wichtige Familien mit der Macht von Fürsten wie die Visconti in Mailand (1278) und die Medici in Florenz (seit 1434) dominierten nun die Politik der Stadt.

Parlamentarismus: Von der Magna Charta bis zum Grundgesetz

Wie entstand der britische Parlamentarismus?

In Großbritannien wurde die Macht des Königs bereits 1215 durch einen Vertrag, die Magna Charta libertatum, zugunsten der Barone eingeschränkt. Teile des Adels besaßen fortan als Mitglieder des Allgemeinen Rats das Recht, dem König die Zustimmung zu Gesetzen zu verweigern.

Diese Urform eines Parlaments spaltete sich später in das Oberhaus (Adelsvertretung) und das immer einflussreicher werdende Unterhaus, das von Kaufleuten und Bürgern dominiert war.

Wie hängen Aufklärung und Demokratie zusammen?

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung etablierte 1776 einen demokratischen Verfassungsstaat, der die Freiheit und Gleichheit der Bürger garantiert. Die Verfassung der USA war vom Geist der Aufklärung getragen: Das Individuum galt nicht länger als rechtloses Wesen, sondern als vernunftgesteuert und daher selbstbestimmt.

Der Staat sollte fortan die Rechte des Volkes als höchstem Souverän verteidigen. Die Bürger sollten eine Vertretung wählen, diese wiederum eine jederzeit absetzbare Regierung berufen.

Was verlangten die Aufklärer?

Der französische Staatstheoretiker Baron de Montesquieu (1689–1755) erweiterte den demokratischen Forderungskatalog um die Gewaltenteilung: Neben Parlament und Regierung sollte die Rechtsprechung als dritte Macht über die Einhaltung der Gesetze wachen.

Sein Landsmann Jean-Jacques Rousseau (1712–78) griff den griechischen Begriff »Demokratie« wieder auf und stellte die Freiheit des Menschen über alle anderen Prinzipien: Erst sie mache es möglich, dass sich der Einzelne an der staatlichen Herrschaft beteiligen könne.

Wie kam es zur Französischen Revolution?

Die Umsetzung der Demokratie ließ in Frankreich auf sich warten. Als der absolutistisch herrschende König Ludwig XVI. (1754–93, Reg. 1774–92) die Forderungen des Bürgertums und der Generalstände nach Bürgerrechten ablehnte, kam es 1789 zur Revolution. Nach dem Vorbild der US-amerikanischen Unabhängigkeitserklärung verabschiedeten die Angehörigen der französischen Nationalversammlung am 3. September 1791 eine Verfassung.

War die Restauration ein dauerhafter Rückschlag?

Nein, vielmehr führte die Restauration – der Versuch der alten Mächte in Europa, ab 1815 die Herrschaft wieder an sich zu ziehen – im Verbund mit dem Aufleben des Kapitalismus zu den bürgerlichen Revolutionen von 1848.

In dieser Zeit entwickelten sich zwei Ansätze, welche die politische Entwicklung fortan weltweit prägten: das von Karl Marx (1818–83) und Friedrich Engels (1820–95) entwickelte sozialistische Demokratieverständnis, das die klassenlose Gesellschaft anstrebte, und die pluralistische Demokratie innerhalb der kapitalistischen Ordnung.

Wie entstand die Demokratie in Deutschland?

In Deutschland verhinderte die deutsche Kleinstaaterei lange einen erfolgreichen Kampf gegen die alte Ordnung. Die bürgerlichen Revolutionäre beriefen 1848 erstmals eine Nationalversammlung ein, scheiterten jedoch am Widerstand der Monarchen und des Adels.

Im Deutschen Kaiserreich unter Otto von Bismarck (1815–98, Reichskanzler 1871–90) wurden viele demokratische Prinzipien realisiert, z. B. freie Wahlen zum Reichstag. Die Regierung war jedoch nicht dem Reichstag, sondern nur dem Kaiser verantwortlich.

1919 wurde schließlich eine demokratische Verfassung verabschiedet. Die erste deutsche parlamentarische Demokratie (Weimarer Republik) scheiterte jedoch an den zahlreichen Gegnern von rechts und links. Nach nationalsozialistischer Diktatur und Zweitem Weltkrieg schufen die alliierten Westmächte demokratische Strukturen, die 1949 in die Gründung der Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz mündeten.

Was steht in der Bill of Rights?

Das Staatsgrundgesetz für England sichert dem Parlament Einfluss auf Steuererhöhungen, die Gültigkeit von Gesetzen und die Heeresfinanzierung. Zudem sollten kirchlich gebundene Gerichte durch Geschworenengerichte ersetzt werden. Darüber hinaus schuf das Gesetz Grundlagen für die Verwirklichung von Rede-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit.

Die Bill of Rights von 1689 begründet das Zeitalter des modernen Parlamentarismus. Sie ist das Resultat eines blutigen und letztlich erfolgreichen Machtkampfes der englischen Volksvertretung mit dem König.

Liberalismus: Freiheit für das Individuum

Wie entstand der Liberalismus?

Der Liberalismus resultiert vor allem aus dem Humanismus – der Überzeugung, dass der Mensch sein Leben seiner Persönlichkeit entsprechend frei gestalten können sollte – und der Aufklärung des 17./18. Jahrhunderts. Das Zusammenleben soll sich an der Freiheit des Einzelnen als höchster Norm orientieren.

Die Entwicklung der Demokratie ist untrennbar mit der des Liberalismus verbunden; die Rechte des Individuums sind – neben der Frage des persönlichen Eigentums – das wichtigste Anliegen des Liberalismus. Von daher sind unsere modernen demokratischen Verfassungen immer auch liberale Verfassungen.

Wo und wann bildete sich die Idee heraus?

Der Gedanke des Liberalismus kam Ende des 17. Jahrhunderts in England auf, eng verknüpft mit dem Individualismus der Renaissance und der Frühaufklärung.

Im Mittelalter war der Einzelne noch in den streng hierarchisch gegliederten Institutionen wie der Kirche und der Ständeordnung gefangen gewesen. Die Aufklärung dagegen sprach jedem Menschen Vernunft und damit unveräußerliche Rechte zu, die kein Staat und keine Institution infrage stellen dürfe – so die ersten liberalen Theoretiker wie der Engländer John Locke (1632–1704).

Warum blühte der Liberalismus im 18. Jahrhundert auf?

Im Zeitalter der Aufklärung machte sich das aufstrebende Bürgertum liberale Prinzipien wie die Sicherung des Privateigentums zu eigen.

Mit dem Einfluss des Bürgertums wuchs daher auch die Bedeutung des Liberalismus. Wohlstand wurde als Zeichen persönlichen Erfolgs angesehen, Armut als Folge selbst verschuldeten Misserfolgs. Eigentum wurde zum Maß für die Möglichkeiten zur politischen Einflussnahme: Nur wer Eigentum hatte, durfte beispielsweise wählen.

Ist Liberalismus gleich Kapitalismus?

Ja, vereinfacht gesagt, ist Kapitalismus auf das Wirtschaften bezogener Liberalismus.

Der Staatstheoretiker Thomas Hobbes (1588–1679) wendete den Gedanken der Freiheit auf die Wirtschaftsbeziehungen in einer Gesellschaft an: Individuen sollen als Eigentümer Marktbeziehungen jeder Art zu anderen Individuen eingehen können, ohne dass sich der Staat einmischt. Mit diesem Ansatz benannte Hobbes bereits im 17. Jahrhundert die Prinzipien, die der Kapitalismus ab dem Ende des 18. Jahrhunderts übernehmen sollte.

Ist Liberalismus eine »Ideologie der Ausbeuter«?

Diese Frage wurde seit der industriellen Revolution akut. Da sich der Staat in die wirtschaftlichen Belange seiner Bürger nicht einmischte und es keine Sicherungssysteme für sozial Schwache gab, entwickelte sich ein »wilder« Kapitalismus, in dem die Industriearbeiter den Unternehmern schutzlos ausgeliefert waren.

Zum Beispiel verschlechterten sich die Lebensbedingungen der englischen Arbeiter, als die Handelskammer von Manchester die Abschaffung von Einfuhrzöllen durchsetzte. Seither steht der Begriff »Manchesterkapitalismus« für eine arbeitnehmerfeindliche Wirtschaftsordnung.

Wann endete die Blütezeit des Liberalismus?

Zum Ende des 19. Jahrhunderts. Der Grundgedanke, den Staat als Bewahrer der eigenen Pfründe zu betrachten und die bestehende Ordnung zu verteidigen, hatte den Liberalismus in die Nähe des Konservativismus gebracht. Zugleich war eine starke Arbeiterbewegung entstanden, die für das Bürgertum zur Bedrohung wurde.

Außerdem hatte der Liberalismus seine Zielsetzungen durch Verfassungen und kapitalistisches Wirtschaftssystem fast vollständig realisiert und sich durch seine Erfolge gleichsam selbst überflüssig gemacht.

Was forderten die ersten Liberalen?

Im Wesentlichen ging es um zwei Forderungen: Wenn alle Menschen die gleichen Rechte besitzen, dann müssen sie auch vor dem Gesetz gleich sein. Und der Staat sollte sich weitgehend aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben heraushalten; er sollte lediglich die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben abstecken.

Der Staat war demnach nichts weiter als eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Individuen; der Souverän (Herrscher) war also das Volk.

Wo steht der Liberalismus heute?

Nach 1945 bestimmte in fast allen westlichen Demokratien der Gegensatz von Sozialdemokraten und Konservativen die Politik. Lediglich in Japan regieren die – allerdings eher konservativ ausgerichteten – Liberaldemokraten (LDP) seit 1955 fast ununterbrochen. Auch auf wirtschaftlichem Gebiet büßte der klassische Liberalismus gegenüber der sozialen Marktwirtschaft an Bedeutung ein. Insbesondere seit den 1990er Jahren gewann hingegen im Zuge der aufkommenden Globalisierung der sog. Neoliberalismus an Bedeutung.

Sozialdemokratie und Konservativismus: Verändern oder bewahren

Was ist Sozialismus?

Der im 19. Jahrhundert entstandene Sozialismus stellt das Wohl der Gemeinschaft über das des Einzelnen. Zu seinen obersten Zielen gehören soziale Gerechtigkeit und Gleichheit.

In der Frühphase des Kapitalismus besaßen die Lohnarbeiter keine Lobby: Über Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten bestimmte der Unternehmer. Die sozialistische Bewegung verstand sich als Interessenvertretung des Massenproletariats. In Großbritannien bildeten sich Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Gewerkschaften; dort verfassten Karl Marx und Friedrich Engels auch die theoretischen Grundlagen des Sozialismus und Kommunismus.

Was erreichten die Sozialdemokraten?

Die Sozialdemokratie forderte die Emanzipation der Arbeiterschaft und setzte soziale und politische Verbesserungen für die Arbeiter, Kinder- und Arbeitsschutzbestimmungen, verkürzte Arbeitszeiten sowie das allgemeine, freie und gleiche Wahlrecht und den allgemeinen Zugang zu Bildungseinrichtungen durch.

In Deutschland verhinderten aber u. a. die Konflikte zwischen der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der SPD ein gemeinsames Vorgehen gegen den Nationalsozialismus. 1933 wurden SPD und KPD verboten.

Wo steht die Sozialdemokratie heute?

Nach 1945 stieg die Sozialdemokratie in Westeuropa zur Massenbewegung auf, die sich – im Gegensatz zu den sozialistischen Parteien – zu Pluralismus, liberalen Grundrechten und sozialer Marktwirtschaft bekannte. In Deutschland vollzog die SPD den Schritt von der Arbeiter- zur Volkspartei mit dem Godesberger Programm 1959. Zehn Jahre später stellte sie mit Willy Brandt (1913–92) erstmals den Bundeskanzler. Zum »Musterland« der Sozialdemokratie entwickelte sich Schweden, das einen umfassenden Wohlfahrtsstaat aufbaute.

Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung waren sozialdemokratische Grundsätze wie staatliche Wohlfahrts- und Arbeitsprogramme seit den 1990er Jahren immer weniger zu finanzieren. Da auch die Arbeiterschaft in den modernen Industriestaaten immer kleiner wurde, strebten viele sozialdemokratische Parteien – wie die britische Labour Party – der politischen Mitte zu.

Seit wann gibt es Konservative?

Der Konservativismus entstand im späten 18. Jahrhundert als Abwehrbewegung gegen die Ziele der Französischen Revolution.

Die entscheidenden Impulse gab der britische Publizist und Politiker Edmund Burke (1729–97), der sich vor allem dafür einsetzte, die bestehenden Herrschafts- und Besitzverhältnisse nicht zugunsten eines stärkeren sozialen Ausgleichs preiszugeben. Da der Kapitalismus auf privaten Verträgen zwischen Individuen aufgebaut und so dem Einfluss eines Herrschers weitgehend entzogen war, galt auch er den Konservativen zunächst als Bedrohung.

Wie sahen die frühen Konservativen den Staat?

Dem Staat kam in dieser Anschauung die Aufgabe zu, die herrschenden Machtstrukturen zu bewahren.

In Deutschland schuf der Staatstheoretiker Karl Ludwig von Haller (1768–1854) den Begriff des Patrimonialstaats, eines patriarchalischen Staatsgebildes, das auf dem Christentum basierte und besonders in Preußen Rückhalt fand. Konservative Vordenker aus den romanischen Staaten räumten dem Einfluss der Kirche auf den Staat einen besonderen Stellenwert ein und lehnten jede politisch-soziale Emanzipation des Volkes ab.

Wie veränderte sich der Konservativismus?

Im Kampf gegen die Arbeiterbewegung und für den Imperialismus näherten sich Liberalismus und Konservativismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts an. In Deutschland standen die konservativen Parteien der Weimarer Demokratie überwiegend ablehnend gegenüber, was zum Scheitern der jungen Republik beitrug.

Seit 1945 prägen konservative Parteien in vielen europäischen Staaten die Politik, so in Großbritannien und in Italien. In den Programmen dieser Parteien fanden sich nun auch die einst bekämpften liberalen Grundrechte wieder. Stabilität, wirtschaftlicher Aufschwung und enge Anlehnung an den Westen lauteten die Kernpunkte der deutschen CDU, die zur führenden demokratischen Volkspartei aufstieg und durch den Aufbau der sozialen Marktwirtschaft auch den sozialen Frieden sicherte.

Sind Sozialismus und Demokratie vereinbar?

In der Praxis bislang nicht. Die sozialistischen »Volksdemokratien« waren faktisch Diktaturen, in denen es eine unabhängige Rechtsprechung ebenso wenig gab wie freie Wahlen und Meinungsfreiheit.

Als 1917 im Zuge der Oktoberrevolution in Russland die Theorie einer sozialistischen Demokratie in die Tat umgesetzt werden sollte, verselbständigten sich die Strukturen der Partei. Als Machtintrument einer kleinen Herschergruppe untergruben sie die – auch von Marx geforderte – Freiheit des Einzelnen.

Sind Sozialdemokraten Sozialisten?

Nein, schon lange nicht mehr. Anfangs kämpften die Arbeiterparteien sowohl gegen katastrophale Arbeitsbedingungen als auch für die Überwindung des Kapitalismus, also gleichermaßen für Reformen und eine Revolution. Dies ist z. B. abzulesen am Erfurter Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) von 1891. Soziale Zugeständnisse erforderten die Kooperation mit der kapitalistisch-bürgerlichen Ordnung. Als führende europäische Sozialdemokraten schließlich 1914/15 gegen die Sozialistische Internationale und für den Ersten Weltkrieg stimmten, zerfiel die Arbeiterbewegung in ein sozialistisches und ein sozialdemokratisches Lager.

Was heißt konservativ?

Die Sicherung der bestehenden Verhältnisse ist seit jeher die Maxime der Konservativen. Im Gegensatz zu reaktionären Bewegungen steht der Konservativismus einem Wandel durch zeitgemäße Reformen auf Basis gewachsener Traditionen und innerhalb der bestehenden Ordnung aber nicht negativ gegenüber: »Verändern um zu bewahren« lautet ein Grundmotiv des modernen Konservativismus.

Westliche Demokratien: Vielfalt der Systeme

Wie funktioniert ein parlamentarisches System?

In demokratischen Ländern wie Deutschland wird die Regierung vom Parlament gewählt und kann durch ein Misstrauensvotum des Parlaments wieder abgelöst werden. Umgekehrt kann auch die Regierung oder das Staatsoberhaupt das Parlament auflösen. Legislative (gesetzgebende Gewalt) und Exekutive (ausführende oder vollziehende Gewalt) sind also sehr aufeinander angewiesen. Der Regierungschef, in Deutschland der Bundeskanzler, bestimmt die Richtlinien der Politik. Der Staatschef, in Deutschland der Bundespräsident, zählt auch zur Exekutive, hat aber in erster Linie repräsentative Aufgaben. Demokratischer Gegenspieler der Regierung ist nicht das ganze Parlament, sondern die parlamentarische Opposition.

Was läuft in einem Präsidialsystem anders?

Hier sind Legislative und Exekutive stärker voneinander getrennt. Der vom Volk gewählte Präsident ist – wie in den USA, einer präsidialen Bundesrepublik – als Staats- und Regierungschef nicht Mitglied des Parlaments. Präsident und Parlament kontrollieren einander, können sich gegenseitig aber normalerweise nicht entmachten.

Was macht Frankreich zum Sonderfall?

In Frankreich mischen sich parlamentarische und präsidentielle Elemente: Staatsoberhaupt ist der direkt vom Volk auf fünf Jahre gewählte Präsident. Er ernennt den Ministerpräsidenten (Premierminister) – meist gemäß den Mehrheitsverhältnissen im Parlament. So musste der sozialistische Staatschef François Mitterrand 1986–88 mit dem Gaullisten Jacques Chirac zusammenarbeiten, der seinerseits als Staatspräsident 1997 bis 2002 mit einer linken Parlamentsmehrheit und einem sozialistischen Ministerpräsidenten, Lionel Jospin, auskommen musste. In Frankreich wird diese politisch eigentlich unerwünschte Konstellation »Cohabitation« genannt.

Was darf »Monsieur le Président«?

Der Präsident der Französischen Republik ist viel weniger als der Bundespräsident in Deutschland auf Repräsentation beschränkt. Nicht nur darf er eine Kammer des Parlaments, die Nationalversammlung, auflösen und Gesetzesvorlagen zur Volksabstimmung bringen: Er ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Vorsitzender des Ministerrats.

Die Nationalversammlung (Assemblée Nationale), die wichtigere Kammer des französischen Parlaments, darf nur auf bestimmten, durch die Verfassung festgelegten Gebieten Gesetze erarbeiten. Sie hat immerhin das Recht, der Regierung das Vertrauen zu entziehen und sie so zum Rücktritt zu zwingen.

Die Abgeordneten der Nationalversammlung werden nach dem Mehrheitswahlrecht für fünf Jahre gewählt. Der Senat, die zweite Kammer, besteht aus Vertretern der Verwaltungsgebiete (Départements) und kann weder durch die Regierung noch durch den Präsidenten aufgelöst werden. Besteht zwischen den Kammern Uneinigkeit, z. B. über die Verabschiedung eines Gesetzes, entscheidet die Nationalversammlung.

Ist der amerikanische Präsident der mächtigste Mann der Welt?

Seine Machtfülle ist in der Tat enorm, ob er sie aber wirklich nutzen kann, hängt von den Mehrheitsverhältnissen im Kongress, dem Bundesparlament, aber auch von seinem eigenen Geschick ab. Wenn er als »mächtigster Mann der Welt« bezeichnet wird, hebt dies in erster Linie auf die USA als stärkste Wirtschafts- und Militärmacht ab, der er als Präsident vorsteht.

Der Präsident ist Staatsoberhaupt und Regierungschef der USA, oberster Verwaltungschef der Bundesbürokratie, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und höchster Diplomat seines Landes. Er verfügt über einen eigenen Machtapparat (»Weißes Haus«, Nationaler Sicherheitsrat) und ernennt die Regierungsmitglieder, die bis auf den Vizepräsidenten nicht dem Kongress angehören dürfen. Gegen Gesetze darf der Präsident sein Veto einlegen.

Welche Aufgaben bleiben dem US-Kongress?

Der aus zwei Kammern, Senat und Repräsentantenhaus, bestehende Kongress erarbeitet und verabschiedet die Gesetze, die vom Präsidenten unterzeichnet werden müssen. Legt der Präsident sein Veto ein, muss der Kongress mit Zweidrittelmehrheit nochmals dafür stimmen, damit das Gesetz in Kraft tritt. Der Präsident ist nicht befugt, Gesetzesentwürfe einzubringen.

Übrigens: Der Kongress kann auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten, wenn dieser gegen geltendes Recht oder die Verfassung verstößt: Dem sog. Impeachment-Verfahren wegen der Watergate-Affäre 1974 kam Präsident Richard Nixon mit seinem Rücktritt zuvor. Ein Verfahren gegen Präsident Bill Clinton im Zuge der Lewinsky-Affäre scheiterte 1999, weil sich im Senat nicht die notwendige Mehrheit fand.

Demokratie und Monarchie: Passt das zusammen?

Ja, in der parlamentarischen Monarchie. Diese Staatsform ist in Europa weit verbreitet: in Dänemark, Norwegen und Schweden, den Benelux-Staaten und in Großbritannien. Der Monarch – König, Königin oder Fürst (z. B. Großherzog von Luxemburg) – hat als Staatsoberhaupt formal die ausführende Gewalt im Staat inne, in der Realität aber überwiegend repräsentative Pflichten. Die politischen Entscheidungen treffen Parlament und Regierung. Allerdings wird der Monarch über die Grundzüge der Regierungspolitik unterrichtet.

Wo darf der Adel mitbestimmen?

In Großbritannien. Das dortige Parlament setzt sich aus Oberhaus (House of Lords) und Unterhaus (House of Commons) zusammen. Das House of Lords ist die traditionelle Vertretung des Adels und der anglikanischen Bischöfe. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war es maßgeblich an der Gesetzgebung beteiligt.

Heute bedürfen die meisten Gesetze nicht mehr der Zustimmung des Oberhauses, dessen Mitglieder ja nicht vom Volk gewählt wurden; auch die Erblords haben im Zuge einer Reform 1999 dort ihren Sitz verloren. Allerdings kann das Oberhaus das Inkrafttreten von Gesetzen aufschieben. Nur bei Gesetzesvorhaben, die die Legislaturperiode des Parlaments verändern würden, muss das Oberhaus zustimmen.

Die entscheidende gesetzgebende Kammer ist das Unterhaus, dessen Mitglieder in allgemeinen, freien und geheimen Wahlen auf fünf Jahre bestimmt werden. Die Regierung mit dem Premierminister an der Spitze rekrutiert sich aus dessen Abgeordneten und wird von der Königin ernannt. Der Premierminister hat (wie der deutsche Kanzler) Richtlinienkompetenz, lenkt also die Politik. Außerdem kann er die Auflösung des Parlaments bestimmen und Neuwahlen ansetzen.

Wer spielt in der Schweiz die wichtigste Rolle?

Die Kantone. In der bundesstaatlich organisierten Schweizerischen Eidgenossenschaft genießen sie große Selbständigkeit. Die Zentralregierung hat nur Befugnisse über Gesetzesvorhaben, die das ganze Land betreffen; alles andere entscheiden die Kantone.

Landesweit relevante Gesetze werden vom Parlament verabschiedet; die Bundesversammlung wählt auch die Regierung (den Bundesrat), kann sie aber nicht absetzen oder durch Misstrauensvotum stürzen. Die Bundesversammlung besteht aus zwei Kammern: dem durch die Gesamtbevölkerung gewählten Nationalrat (200 Abgeordnete) und dem Ständerat (46 Mitglieder), in den die 26 Kantone und Halbkantone ihre Vertreter entsenden. Der Bundesrat besteht aus sieben Ministern (Bundesräten); einer von ihnen übt jeweils ein Jahr die Funktion des Staatsoberhaupts (Bundespräsident) aus.

Geht alle Macht vom Volke aus?

In einer richtigen Demokratie geht die Macht immer vom Volke aus. In der Schweiz aber werden die Bürger besonders stark und direkt in die politische Willensbildung eingebunden. Wenn 50 000 Bürger (oder acht Kantone) es verlangen, müssen Gesetze der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden. Bei Verfassungsänderungen auf zentraler oder auf kantonaler Ebene sieht die Verfassung stets einen Volksentscheid vor. 1992 lehnte z. B. die Mehrheit der Schweizer den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab, obwohl die meisten Parteien und die Regierung für eine Mitgliedschaft waren.

Im deutschen Grundgesetz wurde auf direktdemokratische Elemente verzichtet, um das Volk nicht wie in der Weimarer Republik (1919–33) der Agitation von Feinden der Demokratie auszusetzen. Allerdings wurden im letzten Jahrzehnt auf kommunaler und Landesebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt.

Wer sind die Gaullisten?

Die Gaullisten gehen auf Charles de Gaulle (1890–1970) zurück, den ehemaligen Präsidenten Frankreichs (1958–69). Sie setzen sich vor allem für die nationale Unabhängigkeit Frankreichs ein und sind eher bürgerlich und konservativ geprägt. Die gaullistische Partei RPR (Sammlungsbewegung für die Republik) wurde 1976 von Jacques Chirac (Präsident seit 1995) gegründet. Am 17. November 2002 schlossen sich die bürgerlichen Parteien, darunter die RPR, sowie die rechtsliberale DL und die Zentrumspartei UDF zu einer Partei nach Vorbild der deutschen CDU zusammen: zur Union für eine Volksbewegung (UMP).

Wie wird in den USA gewählt?

Die Mitglieder des Kongresses und der Präsident werden in drei separaten Wahlvorgängen bestimmt. Alle vier Jahre legen die zwei großen Parteien, die Democratic Party (eher fortschrittlich) und die Republican Party (eher konservativ), mithilfe von Vorwahlen ihre Präsidentschaftskandidaten fest. Gewählt wird der Präsident von Wahlmännern, die von den Bürgern in direkter Wahl bestimmt werden. Jedem Bundesstaat stehen so viele Wahlmänner zu, wie er Sitze im Kongress hat. Alle Wahlmänner eines Bundesstaates sind verpflichtet, für den Kandidaten zu stimmen, der in ihrem Staat die meisten Stimmen errungen hat. Im Senat sitzen für jeden Bundesstaat zwei Vertreter, die von den Bürgern des jeweiligen Staates für sechs Jahre gewählt werden. Im Repräsentantenhaus richtet sich die Zahl der Vertreter nach der Größe des Bundesstaats. Diese Abgeordneten werden im jeweiligen Bundesstaat für zwei Jahre gewählt. Aufgrund der getrennten Wahlen können Kongressmehrheit und Präsident unterschiedlichen politischen Lagern angehören.

Wussten Sie, dass …

die Schweiz auch einen lateinischen Staatsnamen hat? Confoederatio Helvetica. Offizielle Amtssprachen sind aber nur Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.

ehemalige britische Premierminister gemeinhin geadelt (Sir, Dame) werden und dann das Recht auf einen Sitz im Oberhaus haben?

die Schweizer Regierung seit 1959 von allen vier großen Parteien gebildet wird: den Freisinnigen (FDP), den Christdemokraten (CVP), den Sozialdemokraten (SPS) und der Volkspartei (SVP)?

die britische Königin Elizabeth II. nicht nur Oberhaupt des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, sondern von insgesamt 16 der 53 Staaten des Commonwealth of Nations (Gemeinschaft der ehemaligen britischen Kolonien) ist?

Politische Willensbildung: Wer die Wahl hat, hat die Qual

Nach welchen Prinzipien wird in Deutschland gewählt?

Wahlen in Deutschland müssen dem Grundgesetz zufolge allgemein sein; ausgeschlossen sind nur wenige Personenkreise, die z. B. das Mindestalter noch nicht erreicht haben. Daneben gilt das Prinzip der Stimmengleichheit – alle Stimmen wiegen gleich schwer. Weiterhin müssen die Volksvertreter unmittelbar von der Bevölkerung bestimmt werden, also nicht wie in den USA durch Wahlmänner. Die Wahlen sind geheim; jeder kann seine Entscheidung für sich behalten. Und schließlich sind Wahlen in Deutschland frei: Niemand kann zum Urnengang gezwungen werden.

Da die Bundesrepublik eine parlamentarische Demokratie ist und nach dem Grundgesetz (GG) alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, wählt die Bevölkerung ihre Vertreter für den Bundestag, die Länderparlamente, die Kreistage sowie für die Stadt- und Gemeinderäte direkt. Nicht direkt gewählt werden der Bundespräsident, der Bundeskanzler, Bundesrat und Bundesverfassungsgericht.

Was sind Erst- und Zweitstimme?

Bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag gilt ein sog. modifiziertes Verhältniswahlrecht. Jeder Wahlberechtigte hat zwei Stimmen: Mit seiner Erststimme wählt er einen Kandidaten aus dem Wahlkreis, mit der Zweitstimme die von ihm favorisierte Partei. Die Zweitstimme ist für das Endergebnis wichtiger, denn auf dem Zweitstimmenanteil einer Partei beruht die Zahl ihrer Mandate. Erst- und Zweitstimmen können für unterschiedliche Parteien abgegeben werden (Stimmensplitting).

Wer kommt in den Bundestag?

Die Hälfte der 598 Bundestagssitze wird über die direkte Wahl an jene Kandidaten vergeben, die in den 299 Wahlkreisen die meisten Stimmen erhalten. Die andere Hälfte wird über das Verhältniswahlrecht verteilt: Auf ihren Landeslisten benennen die Parteien ihre Kandidaten für das jeweilige Bundesland. Hat eine Partei z. B. 10 % der Zweitstimmen errungen, stehen ihr 59,8 Sitze zu. Die Direktmandate werden von dieser Sitzzahl abgezogen, der Rest der Mandate gemäß dem Stimmenanteil in den Bundesländern auf die Landeslisten verteilt.

Erringt eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen, werden ihr Überhangmandate zugestanden. Im Bundestag sitzen dann tatsächlich mehr als 598 Abgeordnete.

Was besagt die Fünfprozentklausel?

Die deutsche Wahlgesetzgebung sieht seit 1949 für die Bundestagswahl eine Fünf-Prozent-Sperrklausel vor: Nur Parteien, die mindestens 5 % der Zweitstimmen oder aber drei Direktmandate auf sich vereinigen können, sind nach der Wahl im Parlament vertreten.

Diese Bestimmung soll verhindern, dass im Bundestag viele kleine Splitterparteien sitzen, die die Regierungsbildung und die Abstimmungsverfahren erschweren. Damit zog man die Konsequenz aus der Instabilität der Weimarer Republik, in deren Parlament teilweise über zehn Parteien vertreten waren.

Kann jeder eine Partei gründen?

Ja, aber er muss dabei Regeln beachten. Das Grund- und das Parteiengesetz legen fest, dass jede Person eine Partei gründen kann, diese aber – im Unterschied etwa zu Vereinen – politische Ziele verfolgen und ein politisches Programm haben muss.

Parteien können zwar Schwerpunkte setzen (wie die Grünen bei ihrer Gründung auf Umweltpolitik), müssen jedoch zu allen wichtigen politischen Themen Stellung beziehen. Entspricht das Programm oder die innere Ordnung einer Partei nicht der demokratischen Grundordnung, so kann sie vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Eine Partei muss spätestens sechs Jahre nach ihrer Gründung an einer Wahl teilnehmen, sonst wird sie aus dem Parteienregister gestrichen. Voraussetzung für die Teilnahme an Wahlen sind Unterschriften von wenigstens 0,5 % aller Wahlberechtigten.

Machen nur Parteien Politik?

Nein, auch große Interessengruppen wie Gewerkschaften, Wirtschafts-, Wohlfahrts- und Berufsverbände beeinflussen die Politik. Mithilfe von Lobbyisten (hauptberuflichen Interessenvertretern) versuchen sie auf Politiker einzuwirken, damit diese in ihrem Sinne entscheiden und handeln.

In wichtigen Gremien sitzen Vertreter der Verbände, um einen Ausgleich zwischen den oftmals stark unterschiedlichen Positionen herbeizuführen. Verbände können durch ihren Einfluss in Gesellschaft und Wirtschaft erheblichen Druck auf die Parteien ausüben.

Darf das Volk auch direkt entscheiden?

Das Grundgesetz sieht keine Form der direkten Demokratie wie Volksbegehren oder Volksentscheid vor. Allerdings gibt es in vielen Bundesländern vor allem auf Gemeindeebene Elemente der direkten (plebiszitären) Demokratie.

Beim Volksbegehren handelt es sich um einen dem Parlament vom Volk vorgelegten Gesetzesentwurf oder um die Forderung, einen bestimmten Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Bei einem Volksentscheid müsste die Mehrheit der Wahlberechtigten zustimmen, bevor ein Gesetz in Kraft treten kann. Bündnis 90/Die Grünen legten in der Legislaturperiode 1998–2002 einen Gesetzesentwurf zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden vor, der jedoch von der CDU/CSU blockiert wurde.

Wie sieht die deutsche Parteienlandschaft aus?

Seit 2005 sind im Bundestag fünf Parteien vertreten: SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und Linkspartei. Die CDU/CSU und die SPD werden auch als Volksparteien bezeichnet, da sie die Meinung großer Bevölkerungsteile vertreten.

Die Schwierigkeit der Volksparteien besteht vor allem darin, dass sie drängende Reformen vor sich her schieben, um keine Wähler zu verprellen. Diese Unbeweglichkeit, das Gefühl, die Interessen der Wähler würden nicht ernst genommen, sowie die Tatsache, dass sich die Programme der Volksparteien kaum noch unterscheiden, führten zu einer Politikverdrossenheit. Viele Wahlberechtigte gehen einfach nicht mehr zur Wahl.

Welche Partei ist die stärkste im Bundestag?

CDU und CSU, kurz auch Union genannt. Sie bilden im Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft. Insgesamt erhielten CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2005 226 Mandate (24 weniger als 2002). Zweitstärkste Partei ist die SPD mit 222 Sitzen (29 weniger). Bündnis 90/Die Grünen errangen 51 (4 weniger), die FDP kam auf 61 (14 mehr) und die PDS auf 54 (52 mehr) Sitze. Aufgrund von 16 Überhangmandaten sind im 16. Deutschen Bundestag 614 Abgeordnete vertreten. Von knapp 62 Mio. Wahlberechtigten blieben 22,35 % den Urnen fern.

Was sind Bürgerinitiativen?

Als Bürgerinitiativen bezeichnet man informelle Zusammenschlüsse von Bürgern zur Durchsetzung bestimmter Interessen, z. B. im Umwelt- oder Verkehrsbereich. Bürgerinitiativen üben in der Regel Druck (etwa durch Protestaktionen) auf staatliche Organe aus. Sie machen ihre Interessen öffentlich, in der Hoffnung, dass sich ihnen weitere Bürger anschließen. Bürgerinitiativen lösen sich im Allgemeinen auf, wenn sie ihr Ziel erreicht haben. Große Ausnahme ist die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die Ende der 1970er Jahre aus Umweltinitiativen entstanden ist.

Wofür steht die ...

CDU (Christlich Demokratische Union)? Wie ihre bayerische Schwesterpartei CSU (Christlich-Soziale Union), mit der sie im Deutschen Bundestag eine Fraktion bildet, gilt sie als konservativ. Beide setzen sich für christliche und demokratische Grundwerte, soziale Marktwirtschaft und die Integration Deutschlands in die Europäische Union ein.

SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands)? Die klassische Arbeiterpartei hat sich mit ihrem Godesberger Programm 1959 auch anderen Schichten geöffnet. Sie setzt sich traditionell für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit ein. Bei der Bundestagswahl 1998 setzte sie auf den Slogan »Die neue Mitte«, was eine Abkehr vom Bild der linken Partei bedeutete. Zu ihren traditionellen Unterstützern zählen die Gewerkschaften. Auch die SPD setzt sich für die Integration Deutschlands in die EU ein.

Partei Bündnis 90/Die Grünen? Ende der 1970er Jahre als »Umweltpartei« aus Bürgerinitiativen hervorgegangen und 1993 mit Bürgerrechtsgruppen der ehemaligen DDR zusammengeschlossen, setzt sie sich auch heute stärker als andere Parteien für Umweltbelange ein. Gleichzeitig kämpft sie für soziale Gerechtigkeit, für mehr direkte Demokratie und gegen die Diskriminierung von Randgruppen.

FDP (Freie Demokratische Partei)? Als liberale Partei steht sie für mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Bürger, weniger Bürokratie und eine Deregulierung der Wirtschaft. Nach alten liberalen Grundsätzen vertraut die FDP auf die Selbstregulierung der Wirtschaft und fordert so wenig Einmischung des Staates in wirtschaftliche Belange wie möglich.

Linkspartei? Die frühere Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) ist die Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sie vertritt teils radikale linke Positionen und sieht sich als Interessenvertretung der ostdeutschen Bevölkerung. Vor der Wahl von 2005 schloss sie sich mit der Wahlalternative für Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) – einer Neugründung linker ehemaliger SPD-Mitglieder und Gewerkschafter – zu einem Wahlbündnis zusammen, aus dem bis 2007 eine gemeinsame Partei entstehen sollte.

Politische Ordnung in Deutschland: Bund, Länder und Kommunen

Was sind Verfassungsorgane?

Verfassungsorgane sind Organe des Staats, die keinen Weisungen unterliegen, aber an die Verfassung gebunden sind. Auf Bundesebene gibt es mehrere Verfassungsorgane, die am politischen Geschehen maßgeblich beteiligt sind, so den Bundestag, die Bundesregierung, den Bundesrat, das Bundesverfassungsgericht und den Bundespräsidenten.

Deutschland ist ein föderativer Staat; sowohl der Bund als auch die 16 Bundesländer besitzen eine Legislative (gesetzgebende Gewalt), Exekutive (vollziehende Gewalt) und Judikative (richterliche Gewalt). Die Länder sind über den Bundesrat an der Gesetzgebung des Bundes beteiligt. Die Bundesländer können ihre Kompetenzen an Gebietskörperschaften – Gemeinden und Kreise – abtreten.

Wofür ist der Bundestag zuständig?

Der Bundestag ist in erster Linie für die Gesetzgebung zuständig. Die Bundesregierung stellt die wichtigste Exekutive Deutschlands, ist aber auch an der Legislative beteiligt. Die sich aus Bundestagsabgeordneten und Abgesandten der Länderparlamente zusammensetzende Bundesversammlung wählt alle fünf Jahre den Bundespräsidenten, der überwiegend repräsentative Aufgaben hat. Er unterzeichnet verabschiedete Gesetze und kann z. B. nach einem konstruktiven Misstrauensvotum gegen den Bundeskanzler auf dessen Wunsch den Bundestag auflösen.

Der aus Mitgliedern der Landesregierungen bestehende Bundesrat ist an der Gesetzgebung, der Bestellung von Richtern des Bundesverfassungsgerichts und hochrangigem Bundespersonal beteiligt. Das Bundesverfassungsgericht ist das oberste Gericht Deutschlands und entscheidet über die verfassungsrechtliche Vereinbarkeit von Gesetzen und Bestimmungen mit dem Grundgesetz.

Der Bundesrechnungshof prüft die Finanzen des Bundes sowie den Haushalt des Bundesfinanzministers.

Welche Gesetze beschließt der Bund allein?

Ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes sind laut Grundgesetz u. a. die auswärtigen Angelegenheiten, die Verteidigung, das Staatsangehörigkeitsrecht, das Währungs-, Geld- und Münzwesen, der Luftverkehr, das Postwesen und die Telekommunikation. Die Bundesländer haben nur dann die Möglichkeit zur Gesetzgebung auf diesen Gebieten, wenn sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden.

Was ist auf dem deutschen Wappen zu sehen?

Das deutsche Wappen ziert ein Adler mit rotem Schnabel und roten Krallen auf goldenem Grund. Der Adler ist ein sehr altes Symbol für Freiheit und staatliche Ordnung. 1950 wurde das Wappentier des Deutschen Reiches zum Bundesadler umgestaltet.

Warum wird nur die dritte Strophe des Deutschlandlieds gesungen?

Die dritte Strophe des von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 verfassten Gedichts »Das Lied der Deutschen« ist die Nationalhymne der Bundesrepublik. Nach der aggressiven Expansionspolitik des Dritten Reiches war die erste Strophe (mit der Zeile: »Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt«) untragbar, und auch Strophe zwei (»Deutsche Frauen, deutsche Treue ...«) klang nicht mehr zeitgemäß. Hingegen sind die in Strophe drei besungenen Werte Einigkeit und Recht und Freiheit noch immer erstrebenswert.

Föderalismus: Kleinstaaterei oder Gegengift gegen Zentralismus?

Was versteht man unter konkurrierender Gesetzgebung?

Konkurrierende Gesetzgebung bedeutet, dass sowohl der Bund als auch die Länder unter bestimmten Voraussetzungen Gesetze erlassen dürfen.

Das GG legt in Artikel 72 fest, dass die Länder nur dann in diesen Bereichen Gesetze verabschieden dürfen, wenn der Bund von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch macht. Der Bund hat Vorrang, weil oft »die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht«. Zu diesen Bereichen zählen u. a. das Strafrecht und der Strafvollzug, das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht für Ausländer sowie die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie.

Wo haben die Länder das Sagen?

Die alleinige Gesetzgebung haben die Länder u. a. in der Gestaltung der Landesverfassung, im Kommunalrecht, im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht sowie im Kulturbereich (z. B. Bildung). Der Bund kann laut Artikel 75 GG jedoch Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder erlassen, durch die diese eingeschränkt wird. Zudem legt Artikel 31 fest, dass Bundesrecht Landesrecht bricht: Gibt es im Bund und in einem Land zum selben Problem unterschiedliche Gesetze, gilt stets das Bundesgesetz.

Warum mischt der Bund in Ländersachen mit?

Die Überschneidung der Gesetzgebungskompetenzen ist gewollt, wie das GG in Artikel 91 deutlich macht: Der Bund soll bei der Erfüllung von Länderaufgaben mitwirken, »wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist«. Zu diesen Gemeinschaftsaufgaben gehört z. B. der Aus- und Neubau von Hochschulen und Hochschulkliniken, den Bund und Länder gemeinsam planen und finanzieren müssen.

Weshalb streiten Bund und Länder so oft?

Es geht ums Geld. Die Länder beklagen, dass der Bund Gesetze beschließt, deren finanzielle Konsequenzen sie dann tragen müssen. So haben sie ihres Erachtens nicht die notwendigen Finanzmittel erhalten, um den 1995 beschlossenen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr zu garantieren. Dabei ist der Bund verpflichtet, bei Erlass eines mit Kosten verbundenen Gesetzes sicherzustellen, dass die nötigen Mittel vorhanden sind.

Da der Bund die Hoheit über den größten Teil der Steuergesetzgebung besitzt, können die Länder ihre Einnahmen nur begrenzt steigern. Sie erhalten jedoch Anteile an vielen Steuern (z. B. Einkommen- und Umsatzsteuer) und können über den Bundesrat auch die Steuergesetzgebung beeinflussen.

Wer entwirft die Gesetze?

Gesetzentwürfe können von drei verschiedenen Organen vorgelegt werden: von Mitgliedern des Bundestags, von der Bundesregierung (die ihre Gesetzesvorlagen allerdings zuvor dem Bundesrat zur Stellungnahme vorlegen muss) und vom Bundesrat, zu dessen Vorlagen zunächst die Regierung Stellung nimmt, bevor sie schließlich den Bundestag erreichen.

Der Bundestag berät in seinen Ausschüssen und in mehreren Lesungen über den Entwurf und beschließt dann eine Vorlage. Nun ist der Bundesrat am Zug. Bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen kann er lediglich Einspruch erheben, der vom Bundestag mit einfacher Mehrheit zurückgewiesen werden kann. Gesetze, die das Grundgesetz, Abkommen mit anderen Staaten oder die Bundesländer selbst betreffen, bedürfen jedoch der Zustimmung des Bundesrats. Legt er ein Veto ein, bemüht sich der Vermittlungsausschuss um einen Kompromiss. Wird dieser nicht von beiden Seiten akzeptiert, ist das Gesetzesvorhaben gescheitert.

Der Bundespräsident verkündet die Gesetze im Bundesgesetzblatt. Er kann aber bei schwerwiegenden Bedenken ihre Ausfertigung auch blockieren.

Was versteht man unter Föderalismus?

Der Begriff bezeichnet eine Organisationsform für ein Gemeinwesen, das sich aus mehreren Gliedstaaten zusammensetzt – z. B. ein Bundesstaat oder ein Staatenbund.

Ein Bundesstaat besteht aus nicht völlig eigenständigen Gliedstaaten und einem übergeordneten Zentralstaat. Nur dieser darf die äußeren Angelegenheiten regeln. Dagegen besteht ein Staatenbund aus eigenständigen Staaten, die auch ihre äußeren Angelegenheiten selbst regeln, sich aber in einem völkerrechtlichen Vertrag zusammengeschlossen haben, um mithilfe gemeinsamer Organe bestimmte Ziele zu erreichen. Bundesstaaten sind z. B. Deutschland und die USA, Staatenbünde die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und die Europäische Union (EU).

Übrigens: Zwischen den föderativen Systemen etwa der USA und Deutschlands gibt es große Unterschiede. In Deutschland besitzt die Zentralregierung größere Gesetzgebungsbefugnisse als die eher ausführenden Bundesländer. Die Zentralregierung der USA führt dagegen ihre Gesetze selbst aus, hat insgesamt aber wenige Bundeskompetenzen. Die amerikanischen Bundesstaaten haben deutlich mehr Gesetzgebungsbefugnisse als die deutschen Bundesländer und können z. B. Einkommensteuern erheben.

Welche Alternative gibt es zum Föderalismus?

Das Gegenteil des Föderalismus ist der zentralistisch oder dezentral organisierte Einheitsstaat. Im Zentralismus legen die obersten staatlichen Institutionen Regelungen fest, und die untergeordnete Verwaltung hat sie auszuführen. Im dezentralen Einheitsstaat haben die nachrangigen Behörden dagegen einen größeren Spielraum zur Auslegung der Regelungen. Zu den Einheitsstaaten gehören u. a. Italien und Frankreich.

Welche »Hackordnung« gilt in der Verwaltung?

Die größere Einheit steht jeweils über der kleineren. Die Gesundheitsbehörde eines Landes ist z. B. den Gesundheitsämtern der Gemeinden und Kreise übergeordnet, dem Bundesgesundheitsministerium aber untergeordnet. All diese Verwaltungseinheiten sind neben Anderem für die Umsetzung von Gesetzen zuständig, Ministerien haben zudem die Möglichkeit zur Gesetzesinitiative.

Die Bundesländer und Gemeinden sind in größerem Maß als der Bund für die Verwaltung zuständig, denn ihre staatlichen Institutionen müssen darüber wachen, dass die Vorschriften auf ihrem speziellen Gebiet eingehalten werden.

Welche Einrichtungen gibt es auf Länderebene?

In jedem Bundesland gibt es ein Parlament, das von der Bevölkerung nach dem Prinzip des Verhältniswahlrechts für vier oder fünf Jahre gewählt wird. Das Parlament wählt den Ministerpräsidenten des Landes, der dann eine Regierung bildet. Als oberstes gesetzgebendes Organ auf Länderebene kann das Parlament Gesetze für das jeweilige Bundesland erlassen. Jedes Bundesland besitzt zudem eine eigene Justiz, darunter auch eigene Landesverfassungsgerichte. Die obersten Bundesgerichte (z. B. der Bundesgerichtshof) können erst angerufen werden, nachdem die unteren Instanzen durchlaufen wurden.

Warum musste Deutschland ein Bundesstaat sein?

Nach dem Zweiten Weltkrieg legte der Parlamentarische Rat in den westlichen Besatzungszonen aufgrund der negativen Erfahrungen mit dem zentralistischen Einheitsstaat im Dritten Reich im Grundgesetz fest: »Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.«

In Deutschland hatte es zuvor jahrhundertelang eine Reihe selbständiger Fürstentümer und Kleinstaaten gegeben, deren Gegeneinander den sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt behindert hatte. Das 1871 gebildete Deutsche Kaiserreich war ein Bundesstaat mit Zentralregierung, in dem jedoch der Staat Preußen eine Vormachtstellung besaß. In der Weimarer Republik gab es eine föderative Ordnung eigentlich nur auf dem Papier. Und das nationalsozialistische Regime beseitigte schließlich den Föderalismus vollends.

Welche Nachteile hat das föderative System?

Heute mehren sich die Stimmen, die es für das Ausbleiben bundesweiter Reformen (z. B. die Umgestaltung der sozialen Sicherungssysteme) verantwortlich machen: Die ständigen Wahlen in den Bundesländern führten dazu, dass die Bundesregierung nicht den Mut aufbringe, unpopuläre Reformen einzuleiten.

Auch könne der Bundesrat wichtige Reformgesetze blockieren, wenn nämlich die Stimmenmehrheit dort bei der Opposition liege. Kritiker bemängeln zudem, dass Bundes- und Landesregierungen mit ihren ausufernden Behördenapparaten Entscheidungsprozesse undurchsichtig machen und hohe Kosten verursachen.

Welche Vorteile stehen dem gegenüber?

Pluspunkte sind die größeren Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung und die Beschränkung der Macht der Zentralregierung. Im Föderalismus kann sich eine stärkere politische, kulturelle und soziale Vielfalt entwickeln als in einem zentralistischen System.

Ein föderales System dient überdies dem Prinzip der Subsidiarität. Das besagt, dass eine übergeordnete Einheit (wie der Staat) nur dann eine Aufgabe übernehmen soll, wenn untergeordnete Einheiten dazu nicht in der Lage sind. Damit soll letztendlich der Gefahr vorgebeugt werden, dass die Freiheit der Menschen, ihr eigenes Leben zu gestalten, mehr als notwendig durch eine Zentralmacht eingeschränkt wird.

Übrigens: Um die Kosten des föderativen Systems in Deutschland zu senken, wird vorgeschlagen, die Zahl der Länder zu verringern. Stadtstaaten und kleinere Bundesländer wie das Saarland sollten sich mit anderen Ländern zusammenschließen.

Warum hat Belgien sich föderalisiert?

Seit den 1960er Jahren hatten sich die Streitigkeiten zwischen den französisch und niederländisch sprechenden Gemeinschaften in unserem westlichen Nachbarland verschärft. Heute ist Belgien in drei Regionen (Flandern, Wallonien, Brüssel) und drei Gemeinschaften (flämische, französische, deutsche) unterteilt.

Mehrere Verfassungsänderungen waren notwendig, um Belgiens Staatsgliederung einen föderativen Charakter zu geben, der allen großen Sprachgemeinschaften gerecht wurde. Den Regionen wurden territoriale Befugnisse (z. B. im Naturschutz) zugestanden, den Gemeinschaften u. a. die Kompetenzen für Kultur und Bildung verliehen.

Was ist das Besondere am spanischen Modell?

In Spanien gibt es eine Zentralregierung und 17 Autonome Gemeinschaften, die sich als Antwort auf den Einheitsstaat unter General Francisco Franco (1892–1975, Reg. 1939–75) entwickelten. Die Dezentralisierung kann als Zugeständnis an die verschiedenen Volksgruppen gesehen werden.

Die Autonomen Gemeinschaften (z. B. Katalonien, Galicien und das Baskenland) besitzen Parlamente und Verwaltungsapparate. Sie haben keine eigenen Verfassungen, sondern nur Autonomiestatute. Die Rechtsprechung bleibt der Zentralgewalt überlassen.

Wie viele deutsche Bundesländer gibt es?

16, darunter die 13 Flächenstaaten Baden Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen sowie die drei Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg.

Hatte auch die DDR Länder?

Die sowjetische Besatzungsmacht ließ auf dem Gebiet der späteren DDR die Länder zwar zunächst bestehen, die Länderparlamente hatten jedoch gegenüber der Volkskammer kaum Befugnisse. Auf Betreiben der Sowjetunion wurde die DDR zum zentralistischen Einheitsstaat. Die Länder wurden 1952 abgeschafft und in Bezirke aufgeteilt, bis sie vor der deutschen Vereinigung 1990 wiederhergestellt wurden. Denn die ostdeutschen Länder – nicht die DDR als Ganzes – traten dem Geltungsgebiet des Grundgesetzes bei.

Wann werden Dienstgebäude beflaggt?

Ein Erlass der Bundesregierung von 2005 legt die bundesweit gültigen Beflaggungstage fest, darunter:

Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, 27. Januar (Halbmast)

Tag der Arbeit, 1. Mai

Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes, 23. Mai

Jahrestag des 17. Juni 1953

Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober

Volkstrauertag, zweiter Sonntag vor dem Ersten Advent (Halbmast)

Außerdem ist eine Beflaggung z. B. bei der Wahl des Bundespräsidenten oder eine Trauerbeflaggung beim Tod eines bedeutenden Politikers üblich.

Wussten Sie, dass …

die deutschen Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold im Grundgesetz (Artikel 22) als Farben der Bundesflagge festgelegt sind?

seit der Französischen Revolution von 1789 immer mehr Nationalstaaten ihre Eigenständigkeit durch Nationalfarben ausdrückten?

die Dreifarbigkeit der Flagge von der französischen Trikolore abgeleitet ist und als republikanisch galt?

bereits die Frankfurter Nationalversammlung von 1848 Schwarz-Rot-Gold zu den Nationalfarben bestimmte?

nach dem Scheitern der deutschen Revolution das Deutsche Kaiserreich (1871–1918) in Schwarz-Weiß-Rot flaggte, die Weimarer Republik jedoch zu Schwarz-Rot-Gold zurückkehrte?

im Nationalsozialismus diese Flagge durch die Hakenkreuzflagge abgelöst wurde?

Die Kommunen: Eigene Aufgaben, aber kaum eigene Mittel

Wie groß ist die Freiheit der Kommunen?

Die Politik, die das Alltagsleben der Menschen am stärksten beeinflusst, findet oft vor der eigenen Haustür statt: in den Kommunen. Hier lassen sich zwei Hauptbereiche unterscheiden: die eigenen (weisungsfreien) und die staatlichen (weisungsgebundenen) Aufgaben.

In die eigenen Aufgaben einer Kommune dürfen sich staatliche Stellen nicht einmischen. Weisungsfreie Entscheidungen werden vom Rat der Kommune getroffen, Verwaltungsbeamte wie der Bürgermeister haben keine Einflussmöglichkeiten.

Zu den freiwilligen weisungsfreien Aufgaben gehört es, Kinder-, Jugend- und Altenheime sowie Kultureinrichtungen zu unterhalten, Sport- und Grünanlagen zu betreuen sowie die kommunale Wirtschaft und den Wohnungsbau zu fördern.

Wozu ist eine Gemeinde verpflichtet?

Zu den weisungsfreien Aufgaben zählen auch Tätigkeiten, die die Gemeinden unbedingt durchführen müssen. So müssen die Kommunen beispielsweise Grund- und Hauptschulen sowie Kindergärten bauen und unterhalten, Friedhöfe anlegen und betreuen, eine Feuerwehr stellen, öffentliche Straßen reinigen, deren Bau teilweise finanzieren und die Wasserversorgung und Müllbeseitigung gewährleisten. Die staatliche Aufsicht prüft lediglich, ob dies geschieht, mischt sich jedoch nicht in die Art und Weise ein.

Bei den weisungsgebundenen Aufgaben prüft eine staatliche Fachaufsicht auch die Art und Weise der Durchführung. So muss eine Kommune z. B. dafür sorgen, dass alle Einwohner beim Einwohnermeldeamt erfasst werden, sie muss Standesämter unterhalten, als Baurechtsbehörde fungieren, die Gewerbeaufsicht ausüben, Wahlen vorbereiten, Gaststätten überwachen, das staatliche Gesundheitswesen vor Ort organisieren, Schulangelegenheiten regeln und Flüchtlinge betreuen.

Wer steht an der Spitze der Kommunen?

Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bilden gewählte Handlungsbevollmächtigte, also die Beigeordneten oder Stadträte das oberste Gremium. Aus dieser Gruppe rekrutieren sich die obersten Funktionsträger (Stadt- oder Gemeindedirektor, Bürgermeister). Die Kontrolle der Mandatsträger wird durch gewählte Vertreter der Bürger gewährleistet, den Rat. Bei der Wahl des Rates können seit 1996 auch EU-Ausländer wählen, wenn sie seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnen.

Wie unterscheiden sich die kommunalen Verfassungen?

Vier Verfassungstypen haben sich in Deutschland herausgebildet: die Süddeutsche Ratsverfassung (z. B. in Bayern), die Bürgermeisterverfassung (früher in Rheinland-Pfalz), die Magistratsverfassung (z. B. in Hessen) und die Norddeutsche Ratsverfassung.

Je nach Typ wird die Leitung von Rat und Verwaltung unterschiedlich aufgeteilt. Bei der Magistratsverfassung und Norddeutschen Ratsverfassung sind Ratsvorsitz und Verwaltungsleitung personell getrennt (sog. Doppelspitze), in den beiden anderen Systemen dagegen auf eine Person vereint. Seit den 1990er Jahren wird der Bürgermeister oder Oberbürgermeister in allen Flächenstaaten direkt von den Bürgern gewählt.

Im Lauf der Zeit übernahmen einzelne Bundesländer Elemente von anderen, so etwa Nordrhein-Westfalen durch Abschaffung der Doppelspitze in den 1990er-Jahren.

Warum sind viele Stadtsäckel leer?

In den letzten Jahren sind die Ausgaben der Kommunen – vor allem die für Sozialhilfe – schneller gewachsen als die Einnahmen. Die Gewerbesteuereinnahmen waren sogar stark rückläufig. Geplante Verbesserungen der Infrastruktur mussten daher vielerorts gestrichen werden; Großstädte wie Berlin und München erklärten den finanziellen Notstand.

Die Gemeinden finanzieren sich aus Beiträgen und Gebühren (z. B. Abwasser- und Straßenreinigungsgebühren), Steuereinnahmen und Finanzzuweisungen. Bei den Steuereinnahmen wird unterschieden zwischen Gemeindesteuern wie Grund- und Gewerbesteuer und den Gemeinschaftssteuern, die mehr als 70 % aller Steuern ausmachen. Finanzzuweisungen sind z. B. Zuwendungen für besondere Aufgaben im Straßenbau, die von der EU, dem Bund oder dem Land gewährt werden. Aufgrund der finanziell angespannten Lage gehen heute immer mehr Kommunen dazu über, Gemeindebesitz (Grundstücke, Häuser, Schwimmbäder) zu veräußern.

Hat die Krise nur finanzielle Gründe?

Nein. Viele Menschen beklagen die Bürgerferne der Behörden, die sich durch starre Öffnungszeiten, Mängel bei der internen Organisation und unmotivierte Beamte und Angestellte auszeichnen.

Ziel vieler Verwaltungen ist es deshalb, sich in moderne Dienstleistungszentren zu verwandeln, die kundenfreundlich handeln und die Wünsche des Bürgers in den Mittelpunkt rücken. Zu diesem Zweck sollten die Verwaltungen ihre personellen und finanziellen Mittel nach eigenen Vorstellungen einsetzen können. Unrentable Bereiche sollten wenn möglich privatisiert werden. Auch auf die Bürger könnten neue Aufgaben zukommen, beispielsweise die Pflege von Grünanlagen und Schwimmbädern.

Warum gibt es Landkreise?

Einzelne Gemeinden sind meist weder personell noch finanziell in der Lage, alle kommunalen Aufgaben durchzuführen. Deshalb werden sie besonders in ländlichen Gebieten zu Landkreisen zusammengefasst. Kosten für Nahverkehr, Schulen, Krankenhäuser usw. können so besser verteilt werden.

Gegenentwurf Sozialismus: Theorie und Praxis

Regierte in den Volksdemokratien das Volk?

Nein. Die wirkliche Macht lag bei den Gremien der Einheitspartei. In den sog. Volksdemokratien gehörten die Produktionsmittel nominell dem Volk, als dessen Stimme die Einheitspartei auftrat. Die Bürger wählten die Kandidaten der Einheitspartei ins Parlament. Dieses wählte den Ministerrat (Regierung), der dem Staatsrat unterstand. Dem Staatsrat kam u. a. die Aufgabe zu, das Land nach außen zu vertreten und Gesetze verbindlich auszulegen. Erster Mann im Staat war der Staatsratsvorsitzende.

Was ist Kommunismus?

Der Begriff entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich für die Utopie einer klassenlosen Gesellschaft. Bedeutende Theoretiker des Kommunismus waren Karl Marx (1818–83), Friedrich Engels (1820–95) und Wladimir I. Lenin (1870–1924).

Nach Marx' Sicht hatten sich in der Geschichte stets eine kleine herrschende und eine große unterdrückte Klasse gegenübergestanden. Im Zeitalter der Industrialisierung aber habe die Arbeiterklasse die Fähigkeit erworben, selbst eine Gesellschaft zu leiten. Die Entfremdung von der Arbeit fördere zudem die Unzufriedenheit und somit eine Revolution. Über eine Zwischenphase (Sozialismus) entstehe so folgerichtig die kommunistische Gesellschaft, in der es keine Ausbeutung mehr gebe.

Was hat dem Marxismus den Weg bereitet?

Die soziale Not. Anfang des 19. Jahrhunderts nahm der boomende Kapitalismus keinerlei Rücksicht auf die Arbeiter: Ohne jeden sozialen Schutz arbeiteten Männer täglich bis zu 15, Frauen und Kinder bis zu zehn Stunden – bei miserabler Bezahlung. In der Arbeiterschaft regte sich Widerstand. 1847 entstand in Brüssel der Bund der Kommunisten. Ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten der Rechtsanwaltssohn Karl Marx und der Fabrikantensohn Friedrich Engels ihre ökonomische Theorie, die zugleich eine politische Handlungsanleitung für das Proletariat sein sollte.

Welche Rolle spielte Lenin?

Wladimir I. Lenin gab dem Marxismus eine neue Stoßrichtung: Er forderte eine Diktatur der kommunistischen Partei, weil die arbeitende Klasse im rückständigen Russland noch nicht in der Lage sei, die Gesellschaft selbst umzugestalten. In Russland gab es trotz fortschreitender Industrialisierung nur wenige Arbeiter.

1905 und im Februar 1917 revoltierte das Volk gegen die absolutistische Herrschaft des Zaren. In der Oktoberrevolution 1917 ergriffen die von Lenin geführten Bolschewiki die Macht und verteidigten sie in einem blutigen Bürgerkrieg. 1922 wurde die Sowjetunion gegründet. Nach Lenins Tod ging Josef Stalin (1879–1953) brutal gegen politische Gegner vor und liquidierte Groß- und Mittelbauern sowie andere »Volksfeinde«.

Warum ist die Sowjetunion zerfallen?

1985 wurde Michail Gorbatschow (* 1931) Generalsekretär der KPdSU. Er schlug aufgrund der schlechten Wirtschaftslage einschneidende Reformen (Perestroika) vor. Die neuen Freiheiten (Glasnost) führten Ende der 1980er Jahre zu Nationalitätenkonflikten in vielen Sowjetrepubliken, und die Wirtschaftslage verschlechterte sich 1991 nach Streiks in der Kohleindustrie weiter. Gorbatschow wollte daraufhin die UdSSR in eine Union souveräner Staaten umwandeln. Ein Putsch altkommunistischer Kräfte scheiterte am Widerstand der Bevölkerung. Ende 1991 löste sich die Sowjetunion offiziell auf.

Was kennzeichnet den Maoismus?

Nach der Gesellschaftstheorie von Mao Zedong (1893–1976), dem Führer der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), bestehen auch nach der Einführung des Kommunismus noch gesellschaftliche Widersprüche, so dass immer wieder revolutionäre Maßnahmen unabdingbar sind.

1949 rief Mao die Volksrepublik China aus. Die Kommunisten gingen mit eiserner Hand gegen Andersdenkende vor und besetzten den unabhängigen Staat Tibet. 1966 initiierte Mao die sog. Kulturrevolution, die eingefahrene Strukturen und Bürokratien aufbrechen sollte. Mit brutaler Gewalt gingen die Roten Garden gegen politische Gegner vor.

Welche Staaten sind heute noch sozialistisch?

Außer China noch Nordkorea, Vietnam und Kuba. Das bitterarme Nordkorea schottete sich unter der Diktatur von Kim Il Sung (1912–94) und seinem Sohn Kim Jong Il (* 1942) vom Ausland ab. Vietnam hielt zwar am Einparteiensystem fest, aber die Planwirtschaft wurde weitgehend durch marktwirtschaftliche Prinzipien ersetzt. Kuba, seit 1959 eine sozialistische Republik unter Fidel Castro (* 1926), wandte sich nach dem Zusammenbruch des Ostblocks ebenfalls verstärkt der Marktwirtschaft zu, ließ aber keine demokratischen Reformen zu.

Wie viele Opfer forderte der Kommunismus?

Nach Aussage des 1997 erschienenen »Schwarzbuchs des Kommunismus« haben die Versuche, eine klassenlose Gesellschaft zu etablieren, im 19. und 20. Jahrhundert 80–100 Mio. Menschen das Leben gekostet. Allein während der stalinistischen Säuberungsaktion von 1937/38 sollen in der UdSSR rd. 690 000 Personen liquidiert worden sein.

Wussten Sie, dass …

die bei der Spaltung der russischen Sozialdemokratie 1903 entstandenen Bolschewiki (vom russischen »bolsche«, mehr) unter Lenin eigentlich in der Minderheit, die Menschewiki (»mensche«, weniger) in der Mehrheit waren?

Lenin 1917 mithilfe der deutschen Regierung, die sich eine Schwächung des Kriegsgegners Russland erhoffte, aus dem schweizerischen Exil nach Russland zurückkehrte?

Che Guevara (eig. Ernesto Guevara Serna, 1928–67), Held der kubanischen Revolution und bis heute weltweit verehrt, von Geburt Argentinier war?

die seit 1966 von der chinesischen Regierung herausgegebenen Zitate Mao Zedongs, bekannt als »Das Rote Buch« oder »Mao-Bibel«, weltweit in etwa einer Milliarde Exemplare Verbreitung fanden?

Die DDR: Demokratisch nur dem Namen nach

Wie sah der Sozialismus in der DDR aus?

Die nach dem Zweiten Weltkrieg von der UdSSR besetzte Zone (SBZ) wurde ein sozialistischer Staat nach sowjetischem Vorbild. Die zentralistisch aufgebaute Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die 1946 aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD entstanden war, entwickelte sich zur führenden Kraft im Staat, andere Parteien und Organisationen wurden auf Linie gebracht oder aufgelöst. Ab 1952 wurde die Grenze zur Bundesrepublik abgeschottet.

Die zentrale Planwirtschaft wurde vorangetrieben, die Landwirtschaft kollektiviert. Das alles verschlechterte die Versorgungslage. Als die durch den Tod Stalins verunsicherte SED-Führung 1953 noch die Arbeitsnormen heraufsetzte, kam es in Ost-Berlin am 17. Juni zum Aufstand. Fast in der gesamten DDR forderten die Menschen bessere soziale Verhältnisse, freie Wahlen und die Wiedervereinigung. Der Aufstand wurde durch sowjetische Truppen niedergeschlagen.

War Kritik an der SED möglich?

Nein, denn »die Partei, die Partei, die hat immer Recht«, hieß es in der Hymne der SED. Zwar schrieb die Verfassung zahlreiche Grundrechte fest; eine unabhängige Instanz, vor der Bürger diese hätten einklagen können, fehlte jedoch. Politische Führungskräfte wurden bei Rechtsverletzungen nicht belangt. Zum Schutz ihrer Macht setzte die Partei- und Staatsführung eine Geheimpolizei ein, die das Volk systematisch bespitzelte: die Stasi.

Die Beeinflussung der Bürger begann bereits früh. Sechsjährige wurden in Jungpioniergruppen zusammengefasst; später folgte die Freie Deutsche Jugend (FDJ) – die einzige zugelassene Jugendorganisation. Nach ihren Statuten sah es die Nachwuchsorganisation der SED als ihre Hauptaufgabe an, »standhafte Kämpfer für die Errichtung der kommunistischen Gesellschaft zu erziehen«.

Warum wurde die Berliner Mauer gebaut?

Um zu verhindern, dass der DDR immer mehr Menschen den Rücken kehrten. Die in der UdSSR ab 1956 eingeleitete Entstalinisierung ließ auch in der DDR Hoffnung auf politische Reformen aufkommen, doch die SED unter Walter Ulbricht (1893–1973) unterdrückte jede Kritik. Ende der 1950er Jahre führten vor allem die Vergesellschaftung der Landwirtschaft und die Versorgungskrise zu verstärkten Fluchtbewegungen. Um die Massenflucht über Berlin einzudämmen, wurde im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer begonnen, die fortan den Ostteil der Stadt abriegelte.

Hat sich unter Honecker etwas verändert?

Wenig – und das wurde dem SED-Staat zum Verhängnis.

1971 wurde Erich Honecker Erster Sekretär der SED. Wirtschaftsprobleme und Staatsverschuldung nahmen durch die ineffiziente Planwirtschaft, veraltete Industrieanlagen und steigende Rohstoffpreise zu. Anfang der 1980er Jahre gewannen Bürgerrechts- und Friedensinitiativen Zulauf, oft unter dem Schutz der Kirche. Als 1985 in der UdSSR Gorbatschow seine Reformpolitik verkündete, stieß er in der SED weitgehend auf Ablehnung. In der Bevölkerung fielen seine Ideen jedoch auf fruchtbaren Boden. Die Zahl der Ausreiseanträge stieg, oppositionelle Gruppen wuchsen – während Honecker der Satz zugeschrieben wurde: »Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.«

Wie ging es mit der DDR zu Ende?

Mit der Demokratisierung in Polen und Ungarn 1989 war die Veränderung nicht mehr aufzuhalten. Mitte des Jahres setzte über Ungarn, das seine Grenzanlagen nach Westen abbaute, eine Massenflucht von DDR-Bürgern ein. Die Oppositionsbewegung forderte u. a. bei den Montagsdemonstrationen in Leipzig mehr Freiheiten. Die Sowjetunion griff nicht ein, so dass auch das SED-Regime auf eine gewaltsame Niederschlagung der »friedlichen Revolution« verzichtete. Am 18. Oktober 1989 musste Honecker seine Staats- und Parteiämter niederlegen. Am 8. November trat das gesamte Politbüro des ZK der SED zurück. Einen Tag später verkündete die SED die Öffnung der Grenzen zur Bundesrepublik.

Wie bestimmte Honecker die Geschichte der DDR?

1912 geboren, trat der Saarländer Erich Honecker als 18-Jähriger der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei. Von den Nationalsozialisten 1937 zu zehn Jahren Haft verurteilt, konnte er 1945 fliehen. Bald nach Kriegsende wurde er Mitglied des SED-Parteivorstands, des Zentralkomitees (ZK) und der Volkskammer der DDR. Als ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen wurde Honecker 1961 mit den Vorbereitungen für den Bau der Berliner Mauer beauftragt. 1971 stürzte Honecker den damaligen Parteichef Walter Ulbricht. Außenpolitisch verschaffte er der DDR internationale Anerkennung, innenpolitisch war die Lage von zunehmender Unterdrückung und wirtschaftlichem Verfall gekennzeichnet. 1989 wurde Honecker als Generalsekretär abgesetzt. Ein Strafverfahren gegen ihn (u. a. wegen des Schießbefehls an der innerdeutschen Grenze) wurde wegen seines schlechten Gesundheitszustands eingestellt. 1994 starb er in Chile.

Gab es in der DDR Wahlen?

Ja – pro forma. Nominell weiterbestehende Parteien wie die CDU waren mit der SED in der sog. Nationalen Front zusammengeschlossen, der außerdem alle Massenorganisationen wie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund angehörten. Die SED erhielt bei Wahlen stets über 90 % der Stimmen.

Extremismus: Gefahren von links und rechts

Was hat Extremismus mit Gewalt zu tun?

Zur Durchsetzung ihrer politischen Positionen nehmen Extremisten auch die Anwendung von Gewalt in Kauf. Als extremistisch werden Einstellungen, Verhaltensweisen und Ziele verstanden, die am äußersten Rand des politischen Spektrums angesiedelt sind. Weitere Kennzeichen sind die Ablehnung demokratischer Systeme, ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken sowie Fanatismus.

In Deutschland gelten alle Gruppen als extrem, die sich gegen den demokratischen Rechtsstaat wenden. Unterschieden wird dabei vor allem zwischen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Anarchismus. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist der religiös motivierte Extremismus stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten.

Ist radikal auch extremistisch?

Nein, als radikal werden in Deutschland solche Gruppierungen bezeichnet, deren politische Vorstellungen am rechten oder linken Rand angesiedelt sind, in der Regel aber noch nicht als verfassungsfeindlich gelten. So werden z. B. die Ansichten der Partei des Demokratischen Sozialismus, PDS (Linkspartei), lediglich als radikal bezeichnet. Die Grenzen verschwimmen erst, wenn eine radikale Gruppierung den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht ausschließen will.

Wofür kämpfen Anarchisten?

Anarchisten treten für eine Gesellschaft ohne Staat und Unterdrückung ein. Jeder soll sich seinen individuellen Möglichkeiten nach frei entfalten können. Selbst in der Demokratie ist das nach ihren Vorstellungen nicht möglich, da die politische Macht in den Händen einer kleinen Gruppe liegt.

Im Anarchismus, einer politischen Bewegung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, werden im Allgemeinen die Ursprünge des Extremismus gesehen. Der revolutionäre Anarchismus, der die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung seiner Ziele befürwortete, spielt heute aber kaum noch eine Rolle.

Wie viele Linksextreme gibt es in Deutschland?

Das ist eine Frage der Definition. Die Mitglieder der PDS (Linkspartei) sind überwiegend keine Extremisten. Jedoch bekennen sich etwa 1500 Parteimitglieder offen als Gegner des bestehenden politischen Systems. Insgesamt waren 2004 laut Verfassungsschutzbericht 30 800 Deutsche Mitglieder linksextremer Organisationen, die PDS nicht mitgerechnet. Etwa 5500 von ihnen waren gewaltbereit.

Übrigens: In Westdeutschland hat es nach 1945 – anders als in Frankreich und Italien – keine bedeutende linksextreme Partei gegeben. Die 1918/19 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) blieb weitgehend bedeutungslos; der »real existierende Sozialismus«, vor allem in der DDR, schreckte potenzielle Wähler von einer Unterstützung ab. 1956 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindliche Partei verboten. Im Zuge der Studentenbewegung entstanden Ende der 1960er Jahre neue kommunistische Gruppierungen, die teilweise auch kritisch gegenüber dem Sozialismus Moskauer Spielart eingestellt waren, aber bis auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) bedeutungslos blieben.

Woher stammten die Terroristen der RAF?

Die Rote Armee Fraktion (RAF) entwickelte sich wie andere linksextreme Gruppen der 1970er Jahre aus radikalisierten Kreisen der Studentenbewegung. Diese trat zunächst für mehr Mitbestimmung der Studenten an den Universitäten ein, entwickelte sich dann aber zu einer Protestbewegung gegen die bestehenden politischen Verhältnisse und vor allem gegen die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze (z. B. Einschränkung des Briefgeheimnisses). Die führenden Köpfe der RAF waren Andreas Baader (1943–77) und Ulrike Meinhof (1934–76).

Wie kam es zum »Deutschen Herbst«?

Zunächst wollte die RAF mit Gewalt (Brandanschläge gegen Kaufhäuser) auf ihre sozialrevolutionären Ziele aufmerksam machen. Die Situation eskalierte im Herbst 1977, als die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführte, um u. a. die Freilassung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu erzwingen.

Die Bundesregierung weigerte sich, auf die Forderung einzugehen. Daraufhin entführten palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine »Landshut« nach Mogadischu, um den Forderungen der RAF Nachdruck zu verleihen. Nachdem die GSG 9, eine Spezialtruppe des Bundesgrenzschutzes, das Flugzeug gestürmt hatte, begingen die inhaftierten deutschen Terroristen Selbstmord. Schleyer wurde danach ermordet aufgefunden.

Die RAF setzte bis Anfang der 1990er Jahre ihre Anschläge und Entführungen fort. 1998 löste sie sich auf.

Sind Autonome nur eine Spaßguerilla oder Erben der RAF?

Die erste Bezeichnung verharmlost, die zweite dämonisiert die sog. Autonomen, die zu Beginn der 1990er Jahre auftauchten und Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele befürworten.

In der Regel bilden sich kurzlebige Gruppierungen, die zu bestimmten Themen aktiv werden. Über Flugblätter, durch Mundpropaganda und über das Internet kündigen sie Aktionen an, um Gleichgesinnte hinzuzuziehen. Die Aktionsfelder der Autonomen sind vorwiegend Antifaschismus (Angriffe auf Neonazis), Antirassismus und Aktionen gegen Globalisierung sowie Atommülltransporte (Anschläge auf Bahnstrecken).

Hat der Rechtsextremismus in Europa Fuß gefasst?

Autoritäres, nationalistisches und/oder rassistisches Gedankengut ist in einigen europäischen Ländern verbreitet, ohne bisher allerdings die Demokratie zu gefährden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Italien die neofaschistische Movimento Sociale Italiano, die 1994 in der Alleanza Nazionale (AN) aufging und unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Reg. 1994, 2001–06) zu einer Koalitionsregierung gehörte. Allerdings sagte sich die AN unter ihrem Vorsitzenden Gianfranco Fini vom Neofaschismus los.

In Frankreich gelang dem Front National unter Jean-Marie Le Pen (* 1928) 1986 erstmals der Einzug ins Parlament. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 schaffte es Le Pen bis in die Stichwahl gegen den späteren Wahlsieger Jacques Chirac. Auch in Österreich (Jörg Haider, * 1950) oder den Niederlanden (Pim Fortuyn, 1948–2002) hatten ausländerfeindliche, rechtsgerichtete Parolen Erfolg.

Übrigens: In den osteuropäischen Ländern bilden häufig die »Verlierer« der wirtschaftlichen Umgestaltung der 1990er Jahre das Wählerreservoir für extremistische Parteien – linker wie rechter Ausrichtung. In Polen beteiligten sich im Jahr 2006 Parteien mit antisemitischer und fremdenfeindlicher Ausrichtung an einer betont katholisch-national ausgerichteten Regierungskoalition.

Welchen Einfluss haben Rechtsparteien in Deutschland?

Rechtsextreme Parteien haben in Deutschland vergleichsweise wenig Einfluss. Die Ursache ist die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands. Hitlers NSDAP wurde 1945 und die 1949 gegründete Sozialistische Reichspartei (SRP) mit ihrer diffus nationalsozialistischen Programmatik 1952 verboten. Gegen Ende der 1960er Jahre zog die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in einige Landesparlamente ein; bei den Bundestagswahlen 1969 scheiterte sie knapp an der Fünfprozenthürde. Der Deutschen Volksunion (DVU) gelang 1987 der Sprung in die Bremer Bürgerschaft, zwei Jahre später schafften die Republikaner (REP) den Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus.

REP, DVU und NPD sind bis heute in einzelnen Landesparlamenten vertreten, z. B. im Freistaat Sachsen mit zwölf Abgeordneten (ab 2004). Darüber hinaus ist in den 1980er Jahren eine Reihe militanter neonazistischer Gruppierungen entstanden, die teilweise vom Bundesverfassungsgericht verboten wurden.

Übrigens: Nach Angaben des Verfassungsschutzes gab es 2004 in Deutschland ca. 40 700 Rechtsextremisten, davon 10 000 gewaltbereite. Obwohl diese Zahlen gegenüber den Vorjahren stagnierten oder sogar leicht rückläufig waren, stieg die Anzahl der registrierten Straftaten mit 12 051 gegenüber 2003 um 11,7 %.

Wie viele extremistische Ausländer gibt es in Deutschland?

Laut Verfassungsschutzbericht gehörten 2004 etwa 57 520 der fast 7,3 Mio. Ausländer in Deutschland einer der 71 extremistischen Ausländerorganisationen an, das sind knapp 0,8 %. Allerdings sind z. B. viele Kurden gerade deshalb nach Deutschland gekommen, weil sie in der Türkei wegen ihrer Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verfolgt wurden. Längst nicht alle Mitglieder solcher Vereinigungen bedrohen unseren Rechtsstaat.

Ist der Staat machtlos?

Nein, er kann gefährliche Organisationen verbieten. 2001 wurde z. B. die islamistische Organisation »Der Kalifatstaat« verboten – mit der Begründung, sie habe gegen Demokratie und Parteienpluralismus agitiert. Islamistische Organisationen gelten u. a. wegen der potenziellen Zusammenarbeit mit der Terrororganisation Al Qaida sowie der möglichen Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik als gefährlich, da sie zur Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auffordern.

Warum wurde die NPD nicht verboten?

In den 1990er Jahren forcierte die NPD ihren ideologischen Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung, was 2000 in einen Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht mündete. Das Verfahren wurde jedoch 2003 eingestellt, nachdem bekannt wurde, dass die Führungsebene der Partei mit Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Das Gericht betonte jedoch, dass damit kein Urteil über die Verfassungswidrigkeit der NPD gesprochen sei.

Sind Populisten Extremisten?

Meist nicht. Der Populismus vereinfacht zwar komplizierte Sachverhalte und greift zumeist Vorurteile aus der Bevölkerung auf (z. B. gegen Ausländer), um damit Stimmen zu gewinnen. Im Gegensatz zu Extremisten akzeptieren Populisten aber die demokratische Ordnung eines Staates.

Was war der Radikalenerlass?

Damit wird die 1972 unter dem Eindruck des entstehenden Terrorismus getroffene Entscheidung der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten der Bundesländer bezeichnet, nur Personen in den öffentlichen Dienst zu übernehmen, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen. Gegner des Beschlusses (richtig: Extremistenbeschluss) kritisierten die Aushöhlung der Meinungs- und Berufsfreiheit. Insgesamt sind etwa 1000 Bewerber (vor allem DKP-Mitglieder) nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt worden.

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