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Lernen ohne Lehrer: Was tun gegen Lehrermangel?

Größere Klassen, unqualifizierte Klassenleiter, Stundenausfall – das sind die Folgen des Lehrkräftemangels an deutschen Schulen. Die Zahl an unbesetzten Stellen ist auf einem Rekordhoch und nimmt immer weiter zu. Die Kultusministerkonferenz schätzt, dass bis 2035 etwa 68.000 Pädagogen fehlen werden. Aber welche Auswirkung hat das auf die Schüler? Wie gewinnt man neues Lehrpersonal? Und wie lässt sich das Problem langfristig lösen?
THE, 05.02.204
Symbolbild Lehrermangel

© skynesher, iStock.com

In den meisten Bundesländern verabschieden sich Schülerinnen und Schüler diese oder nächste Woche erst einmal in die Zeugnisferien. Kurz darauf starten sie dann in das zweite Halbjahr - mit neuer Motivation, aber auch mit alten Problemen.

Das Chaos namens Schule

Anya und Mohammed stehen um acht Uhr morgens genervt vor dem Vertretungsplan – sie sind mal wieder zu früh aufgestanden, denn die ersten beiden Stunden fallen spontan aus. In der dritten Stunde haben die beiden Realschüler dann Naturkunde. Das Fach wurde aus den Kursen Chemie und Physik zusammengelegt, denn es sind zwei Fächer, für die es an der Schule derzeit nur einen Lehrer gibt.

So oder so ähnlich sieht derzeit der Alltag vieler Schüler aus. Der Grund: An deutschen Schulen fehlen tausende Lehrkräfte. Das Problem ist flächendeckend, doch in bestimmten Bundesländern und Fächern sind die Zahlen besonders besorgniserregend: In Nordrhein-Westfalen werden in den nächsten Jahren beispielsweise nur 18 Prozent des Bedarfs an Physik- und nur fünf Prozent der Informatiklehrkräfte gedeckt sein.

Überforderung und Demotivation

Die Konsequenzen der unbesetzten Stellen treffen vor allem die Schüler. Unterrichtsausfall und Vertretungsstunden nerven nicht nur, die fehlende Ausbildung schlägt sich auch in den Leistungen der jungen Menschen nieder: In der aktuellen PISA-Studie schnitten die getesteten 15-Jährigen so schlecht ab wie noch nie. "Etwa 20 Prozent erreichen nicht minimale Kompetenzen im Lesen, Schreiben, Rechnen", berichtete Bettina Jorzik vom Stifterverband in NDR Kultur.

Auch das noch vorhandene Lehrpersonal an den Schulen ist oft überfordert: Unterrichten, die Klassenarbeit konzipieren und nebenbei eine Abschlussfahrt organisieren, dann noch in der Pause den Streit zweier Schulkinder schlichten. Dazu kommt dann vielleicht noch der Anruf von Helikoptereltern, die über vermeintlich ungerechte Behandlung ihres Kindes diskutieren wollen. Irgendwann ist die Belastung einfach zu groß. Viele Lehrpersonen stehen kurz vor dem Burn-Out.

Entlastung durch Digitalisierung?

Dabei gäbe es zumindest theoretisch einige Möglichkeiten, die Lehrkräfte trotz Unterbesetzung im Alltag stärker zu entlasten. Stichwort Digitalisierung: Moderne Computer-Programme unterstützen mancherorts bereits bei verschiedensten organisatorischen Aufgaben, beispielsweise bei der Erstellung von Stundenplänen. Ein Knopfdruck und nach einigen Berechnungen zeigt das Programm den optimalen, buntmarkierten Vertretungsplan an.

Trotzdem erledigen viele Lehrer diese und ähnliche komplexe Aufgaben meist noch per Hand – und mit rauchendem Kopf.

Quereinsteiger als Notlösung

Doch eine Sache würde das Leben des Schulpersonals besonders stark erleichtern – mehr Kollegen und Kolleginnen. Einige Schulen setzen darum immer mehr auf Quer- und Seiteneinsteiger, also Menschen, die statt eines regulären Lehramtsstudiums „nur“ einen Fachabschluss haben. Dies soll sicherstellen, dass die Schulkinder in den besonders oft ausfallenden Fächern zumindest die fachlichen Informationen bekommen, die der Lehrplan fordert – auch wenn sich diese Quersteinsteiger die nötige Didaktik meist nur im Schnellverfahren angeeignet haben.

Dies sei aber keine Dauerlösung, betont Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands: „Wer als Lehrkraft das Abitur abnimmt, braucht einen Masterabschluss beziehungsweise das Staatsexamen als akademische Voraussetzung. Bei Seiten- und Quereinsteigern in den Schuldienst die gebotenen Qualitätsansprüche zu verringern, schadet Schülerinnen und Schülern.“

Auf der Suche nach neuen Kollegen

Aus diesem Grund setzen Länder vermehrt auf flexible Ausbildungskonzepte, die das Lehramtsstudium attraktiver machen sollen. Beispielsweise hat Baden-Württemberg einen dualen Masterstudiengang ins Leben gerufen, bei dem Studierende schon während ihres Lehramtsabschlusses Geld verdienen. "Durch die starke Praxisnähe, die Vergütung bereits im Studium und die Verkürzung der Ausbildungsdauer wollen wir das Lehramt für noch mehr Studierende interessant und attraktiv machen", erklärte Theresa Schopper, Kultusministerin von Baden-Württemberg, gegenüber der Tagesschau.

Einen anderen Weg gehen Anbieter wie die Personalberatungsfirma Hays: Sie wirbt ausländische Pädagogen für die deutschen Schulen an. Das Projekt hat schon erste Erfolge erzielt: Um die 90 Lehrer aus Bosnien, Spanien oder der Schweiz unterrichten mittlerweile in Sachsen-Anhalt. So auch Maida Mujčić. Sie hat in ihrer Heimat Bosnien-Herzegowina das Referendariat absolviert und dort sieben Jahre lang als im Schuldienst gearbeitet. Als sie mit den Headhuntern der Firma in Kontakt trat, entschied sie sich, nach Zerbst in Sachsen-Anhalt zu wechseln, denn ihre neue Stelle wird gut bezahlt und hat Aussicht auf Entfristung.

Notfallmaßnahmen Geld und Vier-Tage-Woche

Da all diese Maßnahmen immer noch nicht ausreichen, versuchen es manche Länder mit finanziellen Anreizen: So zahlt Mecklenburg-Vorpommern vier Jahre lang eine Prämie von monatlich 424 Euro für das Unterrichten im ländlichen Raum. In Bayern bekommen neue Lehrkräfte in weniger attraktiven Regionen einmalig 3.000 Euro. Und Brandenburg vergibt für die Dauer des Studiums monatlich 600 Euro – dafür verpflichten sich die angehenden Lehrer nach ihrem Studium zur Arbeit an einer Schule mit hohem Lehrkräftemangel.

Dann gibt es noch die Notlösung: Sachsen-Anhalt erprobt derzeit ein Modell, das bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Die sogenannte vier-plus-eins Woche. Am fünften Tag arbeiten die Schüler digital, mit selbstorganisierter Projektarbeit und Arbeitsaufträgen. Das wirft allerdings die Frage auf, wie effektiv diese Form des Lernens ist – vor allem dann, wenn es mit der Digitalisierung hapert. Die Erfahrungen während der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass gerade Kinder aus ärmeren Haushalten oder Familien mit Migrationshintergrund bei dieser Art der Heimarbeit eher benachteiligt sind.

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