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KI im Klassenzimmer: Chance oder Fluch?

Künstliche Intelligenz wie ChatGPT ist längst in deutschen Klassenzimmern angekommen – doch während Jugendliche die Vorteile der KI meist schnell erkannt haben, fühlen sich viele Lehrer im Umgang damit immer noch überfordert. Das zeigt das aktuelle Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung. Aber inwiefern kann KI den Unterricht überhaupt bereichern? Wie wirkt sie sich auf die soziale Entwicklung der Schüler aus? Und wie auf ihr kritisches Denken?
AMA, 30.06.2025
Symbolbild Vernetzung im Klassenzimmer
Passgenaue Übungen für die Lernenden dank KI – bis auf weiteres bleibt dies wohl Utopie, auch weil die Lehrkräfte gar keine Zeit haben, ihre "analogen" Unterrichtsentwürfe enstprechend aufzubereiten.

© gorodenkoff, iStock

Seit dem öffentlichen Start des KI-Systems ChatGPT Ende 2022 ist Künstliche Intelligenz nicht mehr nur Thema von Tech-Konferenzen, sondern längst auch Teil unseres Alltags. Sehr schnell haben vor allem Schüler und Studierende den Nutzen der KI für sich erkannt: Sie lassen sich von ChatGPT und Co bei ihren Hausaufgaben helfen, nutzen die Chatbots als Lernhilfe und für Klausurvorbereitungen oder für Referate. Doch ist das eine gute Entwicklung? Und was sind die Folgen?

Diese Frage haben Forschende der Robert Bosch Stiftung in ihrem aktuellen Schulbarometer untersucht. Für dieses befragen sie regelmäßig Lehrkräfte zu Themen wie Digitalisierung, Chancengleichheit, Belastungen im Schulalltag und gesellschaftlichem Wandel. Ziel dieser Erhebungen ist es, Entwicklungen im Bildungssystem frühzeitig zu erkennen und Impulse für Reformen zu liefern. In der neuesten Ausgabe spielt erstmals Künstliche Intelligenz (KI) eine zentrale Rolle.

Läutet KI das Ende des kritischen Denkens ein?

Wie das aktuelle Schulbarometer zeigt, sehen rund zwei Drittel der befragten Lehrkräfte ChatGPT und Co durchaus als große Chance für das personalisierte Lernen. Denn die KI-Anwendungen können gezielter auf die einzelnen Schüler eingehen. Lehrern ist dies im normalen Schulalltag nur selten möglich. Dadurch lernen die Kinder und Jugendlichen in ihrem eigenen Tempo und können auch so viele spezifische Nachfragen stellen wie sie wollen.   

Gleichzeitig blicken Lehrkräfte aber auch skeptisch auf den Einfluss Künstlicher Intelligenz im Klassenzimmer. Die Mehrheit von ihnen befürchtet, dass KI die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten ihrer Schüler sowie deren kritisches Denkvermögen einschränkt. Der Grund: Zwar beantworten Chatbots wie ChatGPT Fragen präzise und schnell – aber genau das birgt ein Risiko. Die Tools liefern scheinbar fertige Antworten, ohne die Kinder und Jugendlichen zu ermutigen, diese Informationen zu hinterfragen, Gegenpositionen abzuwägen oder Zusammenhänge eigenständig zu analysieren.

Kritisches Denken gerät so leicht ins Hintertreffen, so die Sorge vieler Lehrkräfte. Gerade im Schulalter, in dem sich Urteilsvermögen und Selbstständigkeit noch entwickeln, sehen viele Pädagogen darin eine ernstzunehmende Gefahr. Besonders kritisch wird es, wenn Schüler ihre kompletten Hausaufgaben oder Referate von Chatbots erledigen lassen. Dann findet kaum noch echte Auseinandersetzung mit Inhalten statt.

Das ist auch deshalb besorgniserregend, weil ChatGPT und Co keineswegs unfehlbar sind. Häufig halluzinieren diese Künstlichen Intelligenzen – sie liefern gut klingende, aber komplett ausgedachte Informationen. Obwohl die Antworten von KI plausibel klingen, können sie daher trotzdem sachlich falsch, veraltet oder verzerrt sein. Ohne Anleitung und Reflexion kann dadurch ein Werkzeug, das eigentlich beim Lernen helfen soll, genau das Gegenteil bewirken, warnen viele Pädagogen.

Nutzung eines Chatbots bei den Hausaufgaben
Chatbots als "Hausaufgabenhilfe" sind längst Alltag.

© portishead1, iStock

Die Bringschuld liegt bei den Lehrern

Aber KI deshalb im Schulalltag einfach zu verbieten, kann auch nicht die Lösung sein. „ChatGPT und vergleichbare Anwendungen sind längst Teil der Lebenswelt junger Menschen und lassen sich auch durch Verbote nicht mehr aus dem schulischen Alltag verbannen,“ betont Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung. Sie empfiehlt: „Lehrkräfte sollten eigene Erfahrungen mit diesen Technologien sammeln. Darüber hinaus sind systematische Fortbildungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht unerlässlich. Nur so können Schüler zu einem reflektierten und verantwortungsvollen Umgang befähigt werden. Richtig eingesetzt, kann KI Lehrkräfte entlasten und ihnen mehr Freiraum für pädagogische Aufgaben verschaffen.“

Noch ist in dieser Hinsicht aber viel Luft nach oben. Wie das Schulbarometer zeigt, fühlen sich 62 Prozent der Lehrkräfte unsicher im Umgang mit KI-Anwendungen. Ein Drittel von ihnen hat ChatGPT und Co im vergangenen Jahr beruflich sogar überhaupt nicht genutzt. Wer KI einsetzt, nutzt sie vor allem zur Aufgabenerstellung (58 Prozent) und Unterrichtsplanung (56 Prozent), deutlich seltener jedoch zur Leistungsbewertung (sechs Prozent) oder zur Analyse von Lerndaten (drei Prozent).

Zwischen Lärmpegel und Zeitdruck

Dass sich Lehrer noch verhältnismäßig wenig mit Künstlicher Intelligenz befassen, liegt auch an ihrem anstrengenden Arbeitsalltag. 42 Prozent der Befragten berichten von verhaltensauffälligen Schülern und 34 Prozent von chronischem Zeitmangel – besonders an Haupt-, Real- und Gesamtschulen. Hier gibt über die Hälfte der Lehrkräfte das Verhalten ihrer Schüler als größte Belastung an.

Es verwundert daher nicht, dass sich ein Drittel der Lehrkräfte mehrmals pro Woche ausgebrannt fühlt, jeder Zehnte sogar täglich. Trotz dieser Herausforderungen bleibt das Berufsethos jedoch überraschend hoch: 84 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden, 90 Prozent auch mit ihrer Schule. Viele würden sich somit zwar gerne mehr mit neuen Entwicklungen wie KI befassen. Aber im aktuellen System fehlt ihnen schlicht die Luft dafür.

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