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Hochbegabte Kinder: Überfordert durch Unterforderung
Etwa zwei von 100 Menschen sind hochbegabt. Das heißt, sie haben einen Intelligenzquotienten (IQ) von über 130. Ein IQ zwischen 85 und 115 gilt als normal und alles über 115 als überdurchschnittlich intelligent. Hochbegabte haben eine besonders hohe Intelligenz: Sie können beispielsweise schon im Kindergarten lesen, schließen das Abitur mit elf Jahren ab – wie jüngst eine Bonner Schülerin – oder haben ein auffällig gutes Gedächtnis und großes Detailwissen. Doch auch wenn solche Fähigkeiten auf den ersten Blick wie ein Geschenk wirken, haben Hochbegabte oft Probleme im Alltag. Wie zeigt sich das?
Vom Kleinkindalter an
Hochbegabung lässt sich zwar nur mit einem IQ-Test zuverlässig diagnostizieren, dennoch gibt es einige Anzeichen für sie – und das schon früh im Leben. Manche hochbegabte Kleinkinder können ganze Schritte in ihrer Entwicklung überspringen. Sie lernen zum Beispiel überdurchschnittlich schnell zu laufen und überspringen dabei das Krabbeln. Oder sie sprechen bereits im Kindergartenalter wie Erwachsene und drücken sich ungewöhnlich vornehm aus. Gleichzeitig kann auch eine besondere Sensibilität auf eine Hochbegabung hindeuten.
Hochbegabte können sich sehr viele Dinge merken, Informationen schnell aufnehmen und verstehen und selbst komplexe Zusammenhänge erfassen. Kinder mit einer solchen Intelligenz lernen daher oft schon früh, zu lesen, zu rechnen oder zu schreiben und langweilen sich bei eigentlich ihrem Alter angemessenen Aufgaben. Dabei entwickeln sie häufig auch ungewöhnliche Lösungswege. Dennoch geht Hochbegabung nicht unbedingt mit überdurchschnittlich guten Leistungen in der Schule und anderswo ein.
Manchmal können Verhaltensweisen hochbegabter Kinder auch anecken: Wenn sie immer wieder als Erste auf Fragen von Erziehern oder Lehrern antworten, können sie als vorlaut wahrgenommen werden. Dadurch, dass sie Dinge schneller verstehen und so Gefahren besser einschätzen können, können sie sich zum Beispiel weigern, einen Baum hochzuklettern oder sich zu prügeln – andere Kinder stempeln die Hochbegabten dann oft als „Loser“ oder „Angsthasen“ ab.
Genetik und Umwelteinflüsse
Wie Hochbegabung entsteht, ist bislang nicht abschließend geklärt. Forschende gehen davon aus, dass sowohl unsere Gene als auch das Umfeld, in dem wir aufwachsen, unsere Intelligenz beeinflussen. Mit zunehmendem Alter wirken sich die genetischen Einflüsse zwar immer mehr auf die Intelligenz aus. Dennoch bedeutet eine genetische Veranlagung zur Hochbegabung nicht automatisch, dass sie sich auch ausbildet.
Mehrere Studien legen nahe, dass verschiedene Umwelteinflüsse sich stärker auf die Entwicklung einer Hochbegabung auswirken als genetische Faktoren – zum Beispiel, ob die Eltern eher arm oder reich sind. In einer Studie aus dem Jahr 1997 erzielten Kinder ärmerer Eltern bis zu 13 IQ-Punkte weniger als jene von Eltern mit besserem Einkommen. Auch der Erziehungsstil und wie oft Eltern mit ihren Kindern sprechen, können die Intelligenz von Kindern beeinflussen.
Probleme hochbegabter Kinder
Trotz oder gar besonders wegen ihrer hohen Intelligenz können Hochbegabte Schwierigkeiten in der Schule bekommen – zum Beispiel, wenn sie sich unterfordert fühlen. Wie sich das anfühlen kann, erklärt folgendes Beispiel: „Sie selbst leben im Ausland und Sie müssten dort einen Anfängerkurs ihrer Muttersprache absolvieren. Sie hätten jeden Tag fünf Stunden Unterricht in diesem Fach und würden bei null anfangen. Wohlgemerkt Sie lernen nicht die dortige fremde Sprache, sondern Ihre eigene Muttersprache“, schreibt das Begabtenzentrum. „In den ersten Wochen oder Monaten würden Sie das Alphabet durchnehmen. Jeden Tag fünf Stunden lang müssten Sie sich dieser Tortur unterziehen. Wie würden Sie sich fühlen?“
Durch die Unterforderung können sich hochbegabte Kinder langweilen, isoliert oder nicht verstanden fühlen. Erkennen Eltern, Lehrer oder Erzieher das nicht, können sich die Kinder immer weiter zurückziehen und im schlimmsten Fall sogar depressiv und suizidal werden. Schwierig wird es auch, wenn die Kinder ihre Probleme nicht zeigen und sich stattdessen an die „normalen Kinder“ anpassen. Dieses Verhalten kostet sie viel Energie und kann langfristig zu Antriebslosigkeit, Erschöpfung oder körperlichen Symptomen wie Kopf- oder Bauchschmerzen, Problemen beim Ein- oder Durchschlafen und dem Verlust des Appetits führen.
Steht nach einem IQ-Test fest, dass ein Kind hochbegabt ist, sollten Eltern es daher so früh wie möglich fördern. Das geht nicht nur mit passenden Bildungsangeboten speziell für Hochbegabte, sondern auch durch ein Umfeld, dass die besonderen Fähigkeiten des Kindes versteht und es unterstützt. Denn nur wenn sich hochbegabte Kinder verstanden und angenommen fühlen, können sie ihr Potenzial auch wirklich entfalten.