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Wie entstehen neue Wörter? Wenn Sprache kreativ wird (Podcast 146)

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Wie funktioniert Sprache? Wie entstehen neue Wörter?

Sprache verändert sich. Wer einen alten DUDEN aufschlägt, wird dort Begriffe finden, die unterdessen im Alltag unüblich geworden sind. Wer hingegen die jüngste Auflage zur Hand nimmt, dem werden womöglich bestimmte Ausdrücke fehlen, die ihn tagtäglich umgeben. Gerade im Bereich der Neuen Medien gibt es ständig Veränderungen – Bezeichnungen wie „App“ oder „Twitter“ sind vergleichsweise neu und müssen sich erst noch etablieren. Doch wie funktioniert eine Sprache, warum entstehen neue Wörter, und auf welche Weise kommt es zu den Wortneuschöpfungen? wissen.de-Autor Kai U. Jürgens hat der Sprache „aufs Maul geschaut“.
 

Der Mensch besteht aus Sprache

Dass der Mensch spricht, gehört zu seinen elementaren Fähigkeiten. So, wie das Kleinkind stehen und gehen möchte, strebt es auch zur Artikulation. Beinahe von selbst scheinen sich Wortschatz und grammatikalisches Vermögen herauszubilden. Wer ein Kind in größeren Zeitabständen wiedertrifft, bemerkt nicht nur das Anwachsen seiner Körpergröße, sondern auch die Zunahme an sprachlicher Kompetenz. Eltern und Schule tun zwar das ihrige dazu, doch die Veranlagung an sich ist naturgegeben. Andere Lebewesen kommunizieren ebenfalls, doch die Fähigkeit zur Sprache ist ihnen nicht gegeben. Und so kann der Schriftsteller Theodor Fontane feststellen: „Das Menschlichste, was wir haben, ist doch die Sprache.“

Grundsätzlich ist eine Sprache ein Zeichensystem. Diesem liegt eine Verabredung zugrunde – denn dass der Baum als „Baum“ bezeichnet wird, ist in gewisser Weise Zufall. Die Verbindung zwischen Gegenstand und Begriff beruht nämlich auf einer Konvention, also auf einer eingeübten Praxis. Es besteht kein zwingender Zusammenhang zwischen dem Baum und seiner Bezeichnung. Bei anderen Zeichensystemen kann dies durchaus der Fall sein, wie z.B. bei rein bildlich arbeitenden Verkehrs- und Hinweisschildern. Doch die Sprache kennt diese Verbindlichkeit nicht, und dies bedeutet, dass sie sich wandeln kann. Was gestern noch ein „Lehrling“ war, ist heute ein „Auszubildender“, und der „Oberprimaner“ wurde über die Jahre zum „Abiturienten“. Solche Prozesse laufen in Sprachen ständig ab.

 

Neue Wörter braucht das Land

Jede Sprache hat ihre ganz eigene Art, die Wirklichkeit zu erfassen und zu „verworten“ – wer Spaß an Fremdsprachen hat, kennt den Effekt. Schon die Geschlechtervergabe kann aufmerken lassen, wenn im Französischen die „Sonne“ männlich, der „Mond“ hingegen weiblich ist. Noch bemerkenswerter wird es da, wo es für bestimmte Begriffe gar keine Entgegensetzung gibt. „Der Geist einer Sprache offenbart sich am deutlichsten in ihren unübersetzbaren Worten“, so die österreichische Erzählerin Marie von Ebner-Eschenbach. Damit wird ganz nebenbei einer der wichtigsten Gründe genannt, fremde Worte aus einer anderen Sprache zu importieren – es geht darum, die eigene Bezeichnungsfähigkeit zu bereichern.

Das Eingliedern von Fremdwörtern ist daher nichts ungewöhnliches. Bereits in der Frühzeit der deutschen Sprachgeschichte finden sich fremdsprachliche Ausdrücke, vor allem aus dem Griechischen und Lateinischen – „Kreuz“ kommt vom lateinischen „crux“, „Kirche“ vom griechischen „kyrikón“. Übernahmen aus dem Lateinischen waren bis in die frühe Neuzeit üblich. Im 17. und 18. Jahrhundert herrschte hingegen der französische Einfluss vor. Frankreich war in dieser Zeit die kulturell führende Nation in Europa, was sich auch sprachlich bemerkbar machte. Betroffen waren z.B. Verwaltung (Etat, Minister), Esskultur (Kotelett, Konfitüre) und Mode (Frisur, Garderobe), außerdem natürlich Fragen des gesellschaftlichen Auftretens, wie „Etikette“ und „Kompliment“. Wie heißt es so treffend: „Noblesse oblige – Adel verpflichtet“.

Ab dem 19. Jahrhundert spielt hingegen das Englische eine immer größere Rolle. Nicht zuletzt als Folge der industriellen Revolution galt Großbritannien als Vorbild, zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft (Kartell) und der Presse (Interview, Reporter). Auf der Schwelle zum 20. Jahrhunderts löste das Englische das Französische als Gesellschaftssprache weithin ab, was sich auch im Fremdwortschatz bemerkbar macht – Wörter wie „Dandy“, „Flirt“, „Smoking“ oder „Cocktail“ waren in aller Munde, später kamen „Bestseller“, „Jazz“ oder „Make-up“ hinzu. Doch auch andere Sprachen haben Beiträge geleistet, z.B. das Russische: „Datscha“, „Sputnik“, „Perestroika“. Weniger bekannt ist hingegen die Rolle des Arabischen. Ob „Algebra“, „Giraffe“ oder „Matratze“, der Orient ist mitten unter uns.

 

Sprache im Wandel

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts könnte man den Eindruck bekommen, dass der Einfluss des Englischen überhand genommen hat. Und richtig, es besteht kein Grund dazu, den Friseur als „Hairdresser“ zu bezeichnen und die Tasse Kaffee als „Coffee-to-go“. Hier werden Dinge des Alltags in ein neues Gewand gehüllt, um Modernität und Weltläufigkeit zu suggerieren – und um Produkte zu verkaufen. Wie vorauseilender Gehorsam mutet beispielsweise die Bezeichnung „Handy“ an, die nur im deutschsprachigen Raum Verbreitung findet – international ist vom „mobile“ oder „cell(ular) phone“ die Rede. Andererseits wäre „mobiler Handfernsprecher“ vielleicht auch keine bessere Alternative gewesen. Die Sache bleibt also knifflig.

Der Punkt ist der: Gelegentlich fehlen einem die Worte. Wer genug gegessen hat, ist satt, und wer genug getrunken hat, ist … genau. Für diesen Zustand gibt es keinen Begriff. Das macht sich gerade im Bereich der neuen Medien bemerkbar. Wer „twittert“ oder „simst“, tut etwas, das es vor einigen Jahren noch nicht gab. Vielleicht bleibt es bei diesen aus dem Englischen abgeleiteten Wortneuschöpfungen, vielleicht auch nicht. Ob sich der „Klapprechner“ gegen das „Laptop“ durchsetzen kann, muss offen bleiben; vielleicht bleiben auch beide Begriffe nebeneinander bestehen. Der DUDEN als maßgebliches Regelwerk kann diese Entwicklungen nur nachzeichnen, aber eben nicht vorschreiben. Das ist dem lebendigen Organismus der Sprache geschuldet, die sich nun einmal im beständigen Wandel befindet.

Doch Sprachpuristen bleibt ein Trost. Das Deutsche wird nicht nur beeinflusst, es gelangt auch selbst in andere Sprachen. Eine Liste deutscher Ausdrücke innerhalb des Englischen füllt mehrere Seiten und reicht von „Autobahn“ über „Bildungsroman“ und „Hamburger“ bis hin zu „Jugendstil“, „Kapellmeister“ und „Verfremdungseffekt“. Das Französische hingegen hat „Landwehr“, „Kitsch“ und „Rollmops“ übernommen – Beispiele wie diese lassen sich in vielen Sprachen der Welt finden. Womit belegt wäre, dass der Spaziergang der Wörter nicht nur in eine Richtung stattfindet – und dass sich alle Sprachen verändern.

Kai U. Jürgens, wissen.de-Redaktion

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