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Städte: Nicht allein die Größe zählt
Wo haben sich die ersten dauerhaften Siedlungen entwickelt?
Rund um den »Fruchtbaren Halbmond« haben sich zwischen 9000 und 8000 v. Chr. – der Zeit der »Neolithischen Revolution«, als der Mensch vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bauern und Viehzüchter wurde – die ersten Städte der Menschheit als neue Form des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zusammenlebens entwickelt, z. B. Çatal Hüyük in Anatolien, Jericho in Palästina sowie Ninive, Ur und Babylon im Zweistromland (Mesopotamien). In den folgenden Jahrtausenden und eingebettet in verschiedene historische Epochen eroberten die Städte den gesamten Globus. Im 21. Jahrhundert erleben wir schließlich die »urbane Revolution«: Erstmals in der Geschichte der Menschheit leben weltweit mehr Menschen in Städten als in ländlichen Siedlungen.
Was unterscheidet die Stadt vom Dorf?
Auf den ersten Blick eine gewisse Größe, die höhere Bebauungsdichte, eine geschlossene Ortsform und natürlich die Einwohnerzahl. Die Untergrenze der Einwohnerzahl einer Stadt ist sehr unterschiedlich definiert: In Island werden Ansiedlungen von 20 Einwohnern bereits als Städte bezeichnet, in Frankreich ab 2000, in der Schweiz ab 10 000 und in Japan ab 50 000 Einwohnern. In Deutschland gelten Siedlungen ab 2000 Einwohnern als Landstädte, ab 5000 als Kleinstädte, zwischen 20 000 und 100 000 Einwohnern als Mittelstädte und darüber als Großstädte.
Im Gegensatz zu den Bewohnern von ländlichen Siedlungen ist die Mehrheit der Stadtbevölkerung nicht in der Landwirtschaft, sondern im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Durch die Konzentration von Handel und Gewerbe sowie von politischen, Verwaltungs- und Kultureinrichtungen entsteht so ein Bedeutungsüberschuss gegenüber ländlichen Siedlungen.
Wie sieht eine Stadt typischerweise aus?
In den großen Kulturkreisen haben sich unterschiedliche Stadttypen entwickelt: Die Altstädte der orientalischen Städte weisen alle dasselbe Muster auf: Im Mittelpunkt liegt der große Bazar (Souk) mit einer großen Moschee als geistlichem und gleichzeitig öffentlichen Zentrum. Die Altstadt wird von einer Stadtmauer umschlossen, an ihr liegt die Burg (Kasbah) als ehemaliges politisches Zentrum. Der Straßengrundriss wird von Sackgassen beherrscht. Bei der lateinamerikanischen Kolonialstadt sind es z. B. der große zentrale Platz mit seinen repräsentativen Bauten und der Schachbrettgrundriss. Der gleiche Grundriss als charakteristisches Element einer geplanten Stadt findet sich häufig auch in den USA. Als Folge der vom Automobil geprägten Gesellschaft sind dort auch große Einkaufszentren an den Ausfallstraßen ein Kennzeichen geworden.
Was haben Trier und Augsburg gemeinsam?
Beide Städte gehen auf römische Gründungen zurück: Trier wurde 16 v. Chr. von Kaiser Augustus als Stadt im Gebiet der Treverer gegründet und war Hauptort der Provinz Gallia Belgica. Augsburg ging aus der 15 v. Chr. gegründeten römischen Militärkolonie Augusta Vindelicorum hervor.
Römische Stadtgründungen erfolgten oft aus militärischen Gründen, etwa zur Grenzsicherung. Im Mittelalter und in der Neuzeit spielten ganz andere Motive eine Rolle. Die absolutistisch regierenden Fürsten wollten durch die Stadtgestaltung ihre Macht demonstrieren. So war das gesamte Straßennetz auf das Schloss ausgerichtet. Auch die übrigen Bauwerke mussten sich der fürstlichen Residenz unterordnen. So durften die Fassaden nicht prunkvoller und die Gebäude nicht höher sein. Bekannte Fürstenstädte sind Mannheim und Karlsruhe.
Wann sind die meisten europäischen Städte entstanden?
Im Mittelalter. Wichtigste Keimzellen waren neben römischen Gründungen oder Kastellen Burgen, Pfalzen, Klosteranlagen oder Kaufmannsniederlassungen. Gemeinsam war den meisten Städten, dass sie geplant wurden und dass sie über Bauelemente wie Marktplatz oder Stadtmauer verfügten.
Auch das 20. Jahrhundert kennt Stadtgründungen, wenn auch in weitaus geringerer Zahl. So entstanden ab 1949 in Großbritannien die New Towns, die die bestehenden Verdichtungsräume in den alten Städten entlasten sollten. Dabei gab es Neugründungen, aber auch Erweiterungen bereits bestehender Städte. Die New Towns boten nicht nur neue Wohnungen, Geschäfte und Arbeitsplätze. Nach der Gartenstadtidee sollten sie auch einen hohen Grünanteil haben, damit die Bewohner aller sozialen Schichten eine bessere Lebensqualität genießen konnten. Das Projekt der New Towns wurde bis 1973 verfolgt. Aus dem vergleichbaren Zeitraum gibt es auch neue Städte in Deutschland: im Westen Wolfsburg, im Osten Eisenhüttenstadt.
Ist Verstädterung und Urbanisierung dasselbe?
Nein. Verstädterung bedeutet, dass sich Städte ausdehnen, es immer mehr Städte gibt und ihre Einwohnerzahl wächst. Die Zahlen können sich auf ein Land oder eine bestimmte Region beziehen. Während Verstädterung eher Daten für die Statistik liefert, geht es bei der Urbanisierung darum, wie sich städtische Lebens- und Verhaltensweisen ausbreiten. Das betrifft sowohl die Freizeit- als auch die Arbeitswelt. Für Städte typisch ist, dass ihre Bewohner in der Industrie und zunehmend im Dienstleistungssektor arbeiten. Und so äußern sich die Lebensweisen nicht zuletzt darin, dass sich bauliche Strukturen verändern.
Wo wachsen die Städte am schnellsten?
War Verstädterung im vergangenen Jahrhundert fast nur auf die Industriestaaten beschränkt, so ist sie heute eher ein Phänomen der Entwicklungsländer, ein Trend, der sich in Zukunft noch verstärken wird. Das ist keine Überraschung, da in diesen häufig noch ländlich geprägten Gesellschaften das größte Wachstumspotenzial liegt. Die Hauptprobleme, die mit dem Wachstum der Städte einhergehen, werden sich in naher Zukunft immer weiter verstärken: Verelendung, Ressourcenverknappung, Umweltverschmutzung.
Vor anderthalb Jahrhunderten war Verstädterung auf der Welt noch kein Thema. Um 1850 waren die Gesellschaften ländlich geprägt; es gab zwar viele Städte, doch die meisten waren klein. In den heute als Entwicklungsländern bezeichneten Staaten lebten lediglich 4 % der Menschen in Städten, in den heute als Industriestaaten bekannten Ländern waren es immerhin schon 11 %. Das änderte sich schnell: Die Industriestaaten haben ihren Anteil an Stadtbewohnern von 26 % (1900) über 55 % (1950) bis auf 75 % (2002) gesteigert. In denselben Zeitabschnitten stieg der Anteil in den Entwicklungsländern von 7 % über 18 % auf 40 %.
Welcher Stadt gebührt heute Weltrang eins?
Mit rund 34 Mio. Einwohnern bildet Tokio zusammen mit Yokohama, Kawasaki und einem Teil der umliegenden Region Kanto den größten Siedlungskomplex der Welt. Die Agglomeration Tokio zählt allein »nur« 12 Mio. Einwohner und wird somit von Mexico-Stadt und New York überholt, die beide die 20-Mio.-Grenze überschritten haben.
Was sind Megastädte?
Damit sind Städte gemeint, die – je nach Definition – mindestens 5, 8 oder 10 Mio. Einwohner haben und im Stadtzentrum eine Bevölkerungsdichte von mehr als 2000 Einwohnern pro Quadratkilometer aufweisen.
Im Zuge der Industrialisierung wuchsen zunächst die europäischen und nordamerikanischen Metropolen London, New York und Paris zu Megastädten heran, gefolgt von Tokio. Während diese Städte seit Mitte des 20. Jahrhunderts jedoch in ihrem Wachstum stagnieren, haben sich vor allem in den Entwicklungsländern zahlreiche Metropolen zu Megastädten entwickelt. Ihr Wachstum verläuft dabei meist wesentlich rasanter und in deutlich größeren Dimensionen als jenes in Nordamerika oder Europa. So liegen Anfang des 21. Jahrhunderts 80 % der Megastädte in Asien und Lateinamerika, darunter Giganten wie Mumbai (das frühere Bombay), Mexico-Stadt, São Paulo und Shanghai.
Übrigens: Wachsen mehrere Millionenstädte zusammen, spricht man von einer Megalopolis. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Städteband im Nordosten der USA zwischen Boston und Washington. In »Boswash« leben auf 3 % der Landesfläche über 20 % der Bevölkerung der USA.
Wussten Sie, dass …
Kanada das größte Dorf der Welt ist? Zumindest dem Namen nach, denn »Kanata« bedeutet in der Sprache der Irokesen »Dorf«.
das »globale Dorf« auf keiner Landkarte der Welt zu finden ist? Vielmehr steht der Begriff »global village« für eine Welt, die durch die Vernetzung der elektronischen Medien ihre räumlichen Distanzen verliert und zu einem »Dorf« zusammenwächst. Heute wird er verstärkt als Metapher für das World Wide Web benutzt.
Wussten Sie, dass …
Jericho im Westjordanland nicht nur eine der ältesten Städte, sondern mit 250 m unter dem Meeresspiegel auch die tiefstgelegene Stadt der Welt ist? Den Titel der am höchsten gelegenen Stadt beanspruchen gleich mehrere Orte. Aussichtsreichster Kandidat ist die peruanische Bergbaustadt Cerro de Pasco mit 4360 m über dem Meeresspiegel.
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