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Von der Corona- zur Adipositas-Pandemie?

Ob durch das ständige Zuhause-Sein, geschlossene Fitnessstudios oder fehlenden Vereinssport – besonders während der Hochphase der Corona-Pandemie haben sich die meisten von uns weniger bewegt. Viele Menschen haben auch ungesünder gegessen – etwa durch den Stress im Homeoffice, Frust über fehlende Kontakte oder Angst vor einer Corona-Infektion. Wie sich das auf unsere Gesundheit und unser Körpergewicht ausgewirkt hat, zeigt eine neue Studie.
ABO, 10.06.2021

Bei nicht wenigen Menschen haben die vergangenen eineinhalb Jahre sichtbare Spuren hinterlassen: Sie haben ein "Corona-Bäuchlein" entwickelt oder neue Speckpolster an den Hüften.

GettyImages, CentralITAlliance

Die Corona-Pandemie hat unseren Alltag grundlegend verändert – sowohl in Schule und Beruf als auch in unserer Freizeit. Vor allem während der Lockdowns blieb das Leben weitgehend auf die eigene Wohnung beschränkt: Wegen Digitalunterricht, Homeoffice oder Arbeitsausfall entfiel der Weg zur Arbeit oder Schule. Weil Kinos, Theater, Bars und Gaststätten geschlossen waren, blieb auch in der Freizeit oft nur die digitale Ablenkung. Der Kontakt zu anderen verlagerte sich ebenfalls weitgehend in die digitale Welt.

Der "Corona-Bauch" – Ausnahme oder Regel?

Kein Wunder, dass die Corona-Pandemie auch unser Bewegungs- und Ernährungsverhalten stark beeinflusst hat. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Fitnessstudios, Sporthallen und Schwimmbäder geschlossen waren. Bei einigen hat diese Zeit daher sichtbare Spuren hinterlassen: Sie haben ein "Corona-Bäuchlein" entwickelt oder neue Speckpolster an den Hüften. Handelt es sich dabei nur um Einzelfälle oder ist diese Gewichtszunahme in Pandemiezeiten ein genereller Trend? Und was wären die Ursachen?

Diesen Fragen sind Forscher um Hans Hauner von der Technischen Universität München nachgegangen. Dazu führten sie im April 2021 eine Online-Befragung mit rund 1.000 zufällig ausgewählten Erwachsenen im Alter von 18 und 70 Jahren durch, in denen die Teilnehmer Fragen über ihre Gewichtsveränderungen während der Corona-Pandemie sowie über ihr Sport- und Essverhalten beantworten sollten.

Corona-Pandemie und Adipositas: ein Teufelskreis

EKFZ / TUM

40 Prozent haben zugenommen

Es zeigte sich, dass sich die Corona-Pandemie bei vielen der Befragten tatsächlich auf das Körpergewicht ausgewirkt hat. So gaben rund 40 Prozent der Studienteilnehmer an, seit dem Beginn der Pandemie zugenommen zu haben. Überdurchschnittlich häufig davon betroffen sind die 30- bis 44-Jährigen  - bei ihnen hat rund die Hälfte in den letzten Monaten zugenommen.  Ebenfalls zugelegt haben außerdem diejenigen, die schon vorher ein Gewichtsproblem hatten. Je höher der anfängliche Body-Mass-Index (BMI), desto häufiger sind während der Pandemie weitere Pfunde dazugekommen.

Im Schnitt liegt die  pandemiebedingte Gewichtszunahme bei 5,6 Kilogramm. Bei den Befragten mit einem BMI von über 30, die demnach als fettleibig gelten, ergab sich sogar eine Gewichtszunahme von durchschnittlich 7,2 Kilogramm. „Corona befeuert damit die Adipositas-Pandemie“, sagt Hauner. „Und im Gegenzug gilt Adipositas als Treiber der Covid-19-Pandemie, denn mit dem BMI steigt auch das Risiko, schwer an Corona zu erkranken“, erklärt der Experte. „So entsteht ein Teufelskreis aus dem Zusammenspiel von Corona und Adipositas.“

Aber auch unabhängig von Covid-19 kostet zu hohes Gewicht in Deutschland jährlich etwa 80.000 bis 100.000 Menschen das Leben. Unter anderem, weil die Betroffenen häufiger an chronischen Krankheiten wie Diabetes, Herzinsuffizienz oder auch Krebs leiden. Deren Zahl könnte durch die Schutzmaßnahmen und Einschränkungen der Pandemie nochmal deutlich steigen, fürchten die Experten. „Der Kollateralschaden durch die Fokussierung auf Corona ist im Bereich der vielen lebensstilbedingten Krankheiten enorm“, so Hauner.

Egal ob aus Stress oder Langeweile, etwa ein Drittel der Befragten gab an, sich während des Lockdowns ungesünder ernähert zu haben.

GettyImages, Anastasiia Shavshyna

Ernährung bei 30 Prozent ungesünder

Was aber ist der Grund für die zusätzlichen "Corona-Pfunde"? Ausschlaggebend dafür könnte nach Angaben der Wissenschaftler ein verändertes Ernährungsverhalten durch die Pandemie-Situation sein. Zwar gaben über 60 Prozent der Befragten an, dass sich ihr Ernährungsverhalten seit Beginn der Pandemie nicht grundlegend verändert hat und auch die Qualität der Ernährung gleichgeblieben sei.

Aber etwas hat sich dennoch verändert: Viele Menschen hatten in den Lockdowns mehr Zeit zum Essen oder haben schlicht aus Langeweile häufiger mal genascht oder zwischendurch etwas gegessen, wie rund ein Drittel der Befragten zugab. Dabei handelte es sich dann oft um kalorienhaltige Lebensmittel wie Süßigkeiten, Fastfood oder zuckergesüßte Getränke. Vor allem die 18- bis 44-jährigen Studienteilnehmer sowie diejenigen mit einem BMI über 30 haben nach eigenen Angaben seit Beginn der Pandemie mehr dieser eher ungesunden Produkte gegessen.

Besonders ausgeprägt war dieses Verhalten bei Menschen, die sich durch die Pandemie psychisch belastet und gestresst fühlten. Insgesamt waren es 22 Prozent der Befragten, die sich sehr, und 48 Prozent, die sich etwas belastet fühlen.

Über die Hälfte bewegen sich weniger

Entscheidend für die Gewichtszunahmen könnte auch die verringerte Bewegung während der Corona-Pandemie sein. Tatsächlich gaben über 50 Prozent der Befragten an, sich seit Beginn der Corona-Krise weniger als vorher zu bewegen – Männer häufiger als Frauen. Dabei fiel auf: Je höher der BMI, desto häufiger war dies der Fall. Besonders deutlich war dieser Rückgang der sportlichen Aktivität zudem bei den 18- bis 44-Jährigen und bei Menschen mit höherem Schulabschluss.

Als Grund für den Bewegungsrückgang nannten 54 Prozent der Befragten, dass sie weniger Bewegung im Alltag haben und 53 Prozent gaben an, dass die geschlossenen Räumlichkeiten für Einzel- oder Gruppensport – etwa Turnhallen oder Fitnessstudios – eine Ursache für die geringere sportliche Aktivität sind. Insgesamt zeigen die Studienergebnisse, dass vor allem das Alter, die Bildung, der BMI und das Ausmaß der seelischen Belastung das Ernährungs- und Bewegungsverhalten der Probanden beeinflusst haben.

Tipps für gesunde Ernährung und genug Bewegung

Wer im Laufe der Corona-Pandemie zugenommen hat, sollte jetzt das bessere Wetter und die gelockerten Maßnahmen fürs Gegensteuern nutzen. „Eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Bewegung sind entscheidende Voraussetzungen für Gesundheit, Fitness und Leistungsfähigkeit“, sagt Hauners Kollegin Renate Oberhoffer-Fritz. „Wer sich fettarm ernährt und sich ausreichend bewegt, hat mehr vom Leben – und dies gilt nicht nur in Corona-Zeiten“, ergänzt Hauner.

Die Experten haben auch Tipps, wie sich ein gesunder Lebensstil umsetzen lässt: Für eine gesunde Ernährung sollte man demnach nur so viel essen, wie der Körper braucht. „Der Energiebedarf eines Erwachsenen liegt – je nach Alter, Geschlecht und Gewicht – zwischen 1.500 und 2.500 Kilokalorien pro Tag. Das Ziel beim Essen muss deshalb eine gute, aber nicht übermäßige Versorgung mit den Energieträgern Kohlenhydrate, Fette, Eiweiß sowie mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen sein, also eine vollwertige Ernährung“, erklärt Hauner.

Die Experten empfehlen dabei die zehn Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, die Mittelmeerkost - bei der hauptsächlich Gemüse, Obst, Nüsse, und viel Fisch und Meeresfrüchte sowie kalt gepresstes Olivenöl gegessen wird - und die vegetarische Kost, bei der man auf Fleisch und meist auch auf Fisch verzichtet. Zudem kann es hilfreich sein, das eigene Körpergewicht im Blick zu behalten. Bei einer Gewichtszunahme raten die Forscher dann dazu, eine kurzfristige Kalorienbegrenzung zu versuchen, wie zum Beispiel eine 4-Wochen-Formula-Diät, bei der für vier Wochen mindestens eine Mahlzeit am Tag durch ein kalorienreduziertes Produkt ersetzt wird.

Um wieder beweglicher zu werden, gilt generell, dass selbst das Treppensteigen oder ein Spaziergang wichtig sind. Zudem rät die Weltgesundheitsorganisation zu einem zweimal wöchentlichen Krafttraining  und Ausdauertraining. „Erwachsene sollten mindestens 150 Minuten pro Woche mit moderater bis hoher Intensität aktiv sein. Klassische Ausdauersportarten wie Radfahren, Laufen und Schwimmen bieten sich hier an“, empfiehlt Oberhoffer-Fritz.

Quelle: Technische Universität München

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