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Burnout: Nicht erst warten, bis die Batterie leer ist

Zeitdruck, Konflikte, Probleme: Immer mehr Menschen leiden unter chronischem Stress, Überarbeitung und Erschöpfung, im Extremfall entwickelt sich dies zum Burnout. Umso wichtiger ist es, schon die Vorzeichen zu erkennen. Doch das ist oft gar nicht so einfach, denn oft verdrängen wir die Überforderung und Erschöpfung, bis es dann zu spät ist. Wie kann man dies ändern? Und warum kann ein simples Batteriesymbol helfen, sich selbst besser einzuschätzen? Ein Experte erklärt dies im Interview.
Universität Leipzig / NPO, 04.05.2023
Symbolbild Burnout

© kupicoo, GettyImages

Immer mehr Menschen leiden unter chronischem Stress, vor allem am Arbeitsplatz. Doch eine solche dauerhafte Stressbelastung kann seelisch und körperlich krankmachen. Die Folgen reichen von Schlafstörungen, Depressionen und Burnout bis zu Immunschwäche, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs. Das Problem jedoch: Viele Betroffene merken die Folgen der ständigen Stressbelastung erst, wenn es zu spät ist. Zum einen entspricht der subjektiv empfundene Stress nicht immer dem tatsächlich auf unsere Psyche und den Körper wirkenden. Zum anderen neigen Betroffene oft dazu, so lange durchzuhalten wie möglich – oft auch in der Hoffnung, dass sich schon was ändern wird.

Eine verblüffend simple Methode, das individuelle Stressniveau zu erkennen und zu überwachen, hat der Arbeitspsychologe Dr. Oliver Weigelt von der Universität Leipzig kürzlich näher untersucht. Die einfache Idee: Man dokumentiert sein gefühltes Energieniveau jeden Tag morgens nach dem Aufstehen und nachmittags am Ende des Arbeitstages anhand von sieben Batteriesymbolen – von einer leeren Batterie in sieben Schritten bis zu einer grünen, vollständig aufgeladenen Batterie. Am Ende der Woche kann man sich diese Statistik anschauen und so in der Rückschau erkennen, an welchen Tagen und bei welchen Arbeiten man am stärksten gestresst war. Das kann helfen, konkrete Probleme zu erkennen und zu ändern.

Dr. Oliver Weigelt, Arbeitspsychologe am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig
Dr. Oliver Weigelt, Arbeitspsychologe am Wilhelm-Wundt-Institut für Psychologie der Universität Leipzig

© Christian Hüller

Herr Dr. Weigelt, immer mehr Menschen leiden unter Erschöpfungszuständen wie Burnout. Was sind die Gründe dafür?

Oliver Weigelt: Die Zunahme an Krankschreibungen im Zusammenhang mit Burnout hat vielfältige Gründe. Ein ganz wesentlicher Faktor dürfte aber die Verdichtung, Beschleunigung und Intensivierung der Arbeit sein. Groß angelegte repräsentative Studien zeigen, dass zum Beispiel geleistete Überstunden mit geringerer mentaler Gesundheit einhergehen. Das schließt unter anderem Symptome wie Erschöpfung, Anspannung, depressive Verstimmung oder auch psychosomatische Beschwerden ein.

Auch die gedankliche Weiterbeschäftigung mit der Arbeit außerhalb der regulären Arbeitszeiten kann den Prozess der Erholung stören. Ein Zuviel an Arbeit und gleichzeitig eine Vernachlässigung der Selbstfürsorge machen einen Anstieg in Erschöpfung, dem Kernaspekt von Burnout, wahrscheinlicher.

Neben hohen Arbeitsanforderungen und fehlenden Erholungsphasen trägt aber auch ein Fehlen von Wertschätzung der geleisteten Arbeit zu Erschöpfung, Zynismus und vermindertem Kompetenzerleben bei. Es gibt strukturelle Ursachen wie einen ungünstigen Personalschlüssel, etwa durch Einsparungen, Fachkräftemangel, bei dem Arbeit auf weniger Schultern verteilt wird. Diese Ursachen lassen sich oft nicht über Nacht beheben. Insofern ist es wichtig, das Beschäftigte selbst aktiv einen Ausgleich schaffen oder die Arbeit so anpassen, dass sie zu ihnen passt und auch mittelfristig ihrer Gesundheit zuträglich ist.

Welche Warnsignale sollten wir ernst nehmen, wenn wir uns im Job überfordert und erschöpft fühlen?

Sich am Ende eines (Arbeits)Tages erschöpft und müde zu fühlen, ist normal und teils auch chronobiologisch bestimmt. Kritischer wird es, wenn dieser Zustand auch über etwas längere Phasen der Erholung hinweg wie dem Wochenende anhält. Ich möchte hier nochmal eine Lanze dafür brechen, nicht erst zu warten, bis ein bestimmter Kipppunkt überschritten ist und man gravierende Beschwerden hat, sondern die eigene Gesundheit als Priorität neben Arbeit und Familie zu setzen und proaktiv in die Hand zu nehmen. Prävention ist immer viel leichter als Therapie.

Was sollte man aus Ihrer Sicht präventiv tun?

Angebote im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements haben meist einen Schwerpunkt auf körperlicher Gesundheit im engeren Sinne und unterstützen dabei, sich mehr zu bewegen oder sich gesünder zu ernähren. Viele Trainings, die breiter auf die mentale Gesundheit abzielen, machen Angebote zum Thema Achtsamkeit und vermitteln zum Beispiel Entspannungstechniken wie Meditation.

Jenseits dieser bewährten Ansätze kann 'job crafting' – im Deutschen etwa Arbeitsgestaltung durch die Beschäftigten – eine gute Ergänzung sein. Bei job crafting geht es darum, mit kleinen Anpassungen an den Inhalten oder Schwerpunkten eine bessere Passung herzustellen zwischen dem, was den eigenen Neigungen und Talenten entspricht und dem, womit man den Großteil seines Arbeitstages verbringt.

Das kann bedeuten, bestimmte Aufgaben abzugeben und dafür andere zu übernehmen, die besser zu einem passen. Ich finde es faszinierend, dass der Wandel der Arbeitswelt im Zuge der digitalen Transformation gleichzeitig Freiräume, aber auch die Notwendigkeit schafft, die Arbeit selbst zu gestalten. Aus meiner Sicht tun Organisationen gut daran, Freiräume zur Anpassung zuzulassen, zum Beispiel über maßgeschneiderte individuelle oder auch betriebliche Vereinbarungen.

Sie haben im vergangenen Jahr eine neue Methode zur Erfassung des individuellen Energieniveaus entwickelt. Was hat es mit der Batterieskala menschlicher Energie auf sich?

Menschliche Energie ist ein wichtiger Aspekt des Wohlbefindens, der sich im Erleben von Vitalität und Tatendrang, aber auch geringen Ausprägungen von Ermüdung und Erschöpfung widerspiegelt. Das regelmäßige Erfassen des individuellen Energieniveaus kann zur Prävention und zur Früherkennung von Erschöpfungszuständen wie Burnout beitragen. Zur Messung von Aspekten der Energie gibt es viele Skalen. Die meisten von ihnen sind aber zu lang und zu umfangreich, um sie zum Beispiel für ein kontinuierliches Aufzeichnen im Laufe eines Arbeitstags zu nutzen. Die Batterie-Skala besteht nur aus einer Frage. Sie nutzt Bilder vom Ladezustand einer Batterie, um Personen ihr momentanes Befinden auf einem Kontinuum von "verbraucht" bis "voller Energie" einschätzen zu lassen.

Die Metapher der Batterien, die man nach der Arbeit wiederaufladen muss, ist im Alltag sehr geläufig. Auch mit Symbolbildern des Batterie-Ladezustands sind die meisten Menschen bestens vertraut, weil technische Geräte wie Mobiltelefone oder Tablets den Ladezustand prominent anzeigen. Wir konnten über mehrere Studien hinweg zeigen: Mit Hilfe einer kurzen Instruktion und den Batterie-Piktogrammen lässt sich die momentane Vitalität oder auch Erschöpfung valide, besonders zeitsparend und nutzerfreundlich messen. In unseren Studien benötigten die Personen in der Regel unter zehn Sekunden für die Bearbeitung. Anders gesagt, man kann das auch über die Smartwatch auf dem Weg von einer Besprechung in die nächste ausfüllen.

Welche Vorteile bringt es, seinen gefühlten Energiezustand regelmäßig aufzuzeichnen?

Die Batterie-Skala menschlicher Energie bringt den eigenen Ressourcenstatus sehr prägnant und anschaulich auf den Punkt. Sie führt einem vor Augen, ob man heute im roten Bereich ist. Dies erleichtert eine bewusste Reflexion über die eigene Vitalität im Alltag, zum Beispiel im Rahmen eines persönlichen Energie-Audits: Man zeichnet den Verlauf der eigenen Vitalität im Laufe eines Tages oder einer Woche auf und reflektiert dann anschließend, warum man sich an einem bestimmten Tag besser oder schlechter gefühlt hat.

Dadurch kann man nicht nur achtsamer mit den eigenen Ressourcen umgehen, man kann auch mögliche Hebel erkennen, um die eigene Energie zu beeinflussen. Aus meiner Sicht ergeben sich aber auch Anwendungen aus Sicht von Organisationen, etwa im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements oder bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung.

Quelle: Universität Leipzig

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