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Wenn Stress zum Krankmacher wird (Podcast 184)

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Der Gegenstand unseres heutigen Beitrags lässt den Blutdruck steigen, treibt uns den Schweiß auf die Handflächen, verleitet uns zu fahrigem Handeln oder lässt uns schier verzweifeln. Die Rede ist vom Stress. Stress, was ist das eigentlich? Was passiert da in unserem Körper? Und warum gibt es ihn überhaupt? Wäre das Leben nicht einfacher ohne? So dass wir auch dann noch besonnen reagieren könnten, wenn Ärger an der Haustür klopft oder die Gefahr uns im Nacken sitzt?

Tatsächlich erfüllen Stressreaktionen in der Natur ihren Zweck und sind in manchen Situationen durchaus sinnvoll. Sie können uns schützen, motivieren, aber auch krank machen. Stress zeigt sich in verschiedenen Gewändern. Doch wann nützt er? Wann schadet er? Wie viel vertragen wir? Und vor allem: Wie bauen wir übermäßigen Stress wieder ab oder lassen ihn gar nicht erst aufkommen? Das und mehr hat wissen.de-Autor Jens Ossa für uns herausgefunden.

 

Glücklichmacher und Lebensretter

Ohne Stress geht es nicht. Zwar muss man es damit nicht unbedingt halten wie etwa die Schriftstellerin Elke Heidenreich, die einst dem "Stern“ sagte: "Ich bin arbeitswütig und liebe den Stress. In der Bademodenabteilung eines Münchner Kaufhauses bin ich zusammengebrochen, weil es dort so ruhig war.“ Dennoch, ein gesundes Mittelmaß an Stress ist lebensnotwendig. Es erhöht die Leistungsfähigkeit und beschert Glücksgefühle. Auch langfristig wirkt es sich positiv auf den Organismus aus. In der richtigen Dosis fördert körperliche Anstrengung den Muskelaufbau, schärft das Denkvermögen und die Konzentration. Wo die richtige Dosis liegt, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch. Was für den einen bereits Stress bedeutet, kann für den anderen tödlich langweilig sein.
An erster Stelle fungiert das körpereigene Stresssystem als Lebensretter. So nimmt es uns bei einer direkten Bedrohung die Entscheidung ab, wie wir zu handeln haben. Ohne zu überlegen, ergreifen wir die Flucht oder schlagen zu – ein Relikt aus Zeiten, als wir noch Höhlen bewohnten, auf Mammutjagd gingen und vor Angriffen von Bären gewappnet sein mussten. Auch in der Tierwelt ist es nicht anders. Begegnet die Gazelle dem Löwen, setzt Stress ihre Muskulatur in Bereitschaft, erhöht ihre Aufmerksamkeit und beschleunigt den Kreislauf. Verantwortlich hierfür ist die Ausschüttung von Adrenalin, einem Hormon, das in den Nebennieren gebildet wird. Gleichzeitig setzen zwei weitere Hormone, Serotonin und Noradrenalin, das Großhirn in seiner Aktivität zurück und rufen das Stammhirn auf den Plan. Hier laufen, wenn auch mit höherer Fehlerquote, Entscheidungen schneller ab als im Großhirn. Letzteres könnte zwar die Situation präziser einschätzen, aber bevor es das getan hat, ist es für die Gazelle wahrscheinlich zu spät.


Stress in der modernen Gesellschaft

Heute müssen wir weniger fürchten, dass uns ein Bär vor der Haustür auflauert Dafür sind wir aber einer Menge anderer Reize ausgesetzt, die für Anspannung sorgen – in nicht ganz so lebensbedrohlicher Weise, dafür umso häufiger. So genannte Stressoren begegnen uns in Form eines wutschnaubenden Chefs, von Bergen von Arbeit, eines Rechtsstreits und vielerlei anderer Gestalt. Darüber hinaus verändert sich unsere Umwelt derart rasant, dass wir uns immer öfter fragen, ob wir den täglichen Anforderungen noch gewachsen sind. Nicht wenige Menschen stehen unter permanentem Stress – zu deutsch übrigens "Druck“ – und werden krank davon. Die Folge sind Erschöpfung, Gereiztheit, Verdauungsstörungen, Diabetes oder das erst in den letzten Jahren als Krankheit anerkannte Burnout-Syndrom. Im Extremfall kann Stress auch zum Herzinfarkt oder Hirnschlag führen und damit zum Tod.
Warum Stress in unserem heutigen Leben für den Organismus so schädlich sein kann, liegt daran, dass wir ihn nicht mehr richtig abbauen. Wenn Ärger im Büro uns in Alarmbereitschaft setzt, kommen weder Flucht noch Kampf in Frage. Genau das wären aber die natürlichen Reaktionen, um die Stresshormone aus den Adern zu bannen und die nötige Entspannung herbeizuführen. Dauernde Hochspannung bedeutet auch einen dauernd erhöhten Kreislauf, Blutdruck und Blutzuckerspiegel. Den Zucker produziert die Leber, damit bei tatsächlicher Gefahr Muskeln und Gehirn mit mehr Energie versorgt sind. Außerdem tritt während einer Anspannungsphase alles, was für einen Überlebenskampf nicht notwendig ist, in den Hintergrund. Dazu gehören Müdigkeit, Hunger, der Sexualtrieb und die Immunabwehr. Stressgeplagte Menschen sind daher anfälliger für Infektionen, leiden unter Schlaflosigkeit, und nicht selten büßen Männer an Zeugungsfähigkeit ein.
Wie kann uns Stress bei alldem noch nützen? "Kurzfristig steigert Stress die Leistung und hilft uns, mit Herausforderungen umzugehen“, sagt Florian Gal, Psychiater und Spezialist für stressbedingte Erkrankungen aus Hamburg. "Wichtig ist aber, dass das Hormonsystem anschließend wieder heruntergefahren wird, um Überforderung zu vermeiden. Ein dauerhafter Überschuss an Stresshormonen, auch Distress genannt, birgt ein hohes Risiko für Erschöpfungszustände und Depression.“
Matthias Walle, niedergelassener Psychotherapeut im niedersächsischen Hemmoor, unterscheidet hier qualitativ. "Stress ist in der Regel dann gut, wenn er zum Erfolg führt und somit aktiviert. In diesem Fall macht er glücklich. Nachteilig wirkt er sich bei fehlender Sinngebung und Perspektive aus. Ein Beispiel: Jemand müht sich tagtäglich ab, nur um sich über Wasser zu halten. Er hat weder eine andere Wahl noch die Aussicht, sich weiterzuentwickeln, er ist seiner Situation ausgeliefert. Früher oder später wird ein solcher Mensch sein Dasein als nutzlos empfinden, das Ergebnis ist Frustration.“


Stress ade

Nun heißt es nicht, dass, wer geraume Zeit unter hohen Belastungen gelitten hat, für den Rest seines Lebens zum Kranksein verdammt ist. Die Auswirkungen sind größtenteils heilbar. Ein vielversprechender Weg aus dem Stress ist Sport. Denn, sich körperlich zu verausgaben entspricht den natürlichen Reaktionen Flucht oder Kampf. Zudem wird beim Sport das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet.
Doch wie verhält es sich zum Beispiel bei Handwerkern, die bereits körperliche Arbeit leisten? "Auch hier baut Sport Stress ab“, sagt Florian Gal. "Sport ist anders als körperliche Arbeit. Und darum geht es, nämlich Ausgleich zu schaffen durch etwas, was sich von der täglichen Arbeit unterscheidet, nur so kann man abschalten.“
Problematisch ist, dass inzwischen auch genetische Faktoren für die Anfälligkeit von Stress eine Rolle spielen. Schließlich stehen in einer stressgeplagten Gesellschaft werdende Mütter oft unter starkem Druck, wie der Spiegel in seiner Wissensausgabe 2011 berichtet. Demzufolge werden zunehmend Kinder geboren, die von Natur aus besonders sensibel auf Stress reagieren. Aber auch für sie gibt es Hoffnung. Denn die Erbanlagen, so heißt es in der Ausgabe weiter, könnten sich verändern. Ein junges Forschungsfeld, genannt Epigenetik, setzt sich mit der Frage auseinander, wie Umwelteinflüsse, Lebensstil und Ernährung die Gene regelrecht umprogrammieren können. Eine langfristige Veränderung versprechen sich die Forscher von der so genannten Methylierung, einem biochemischen Vorgang, bei dem einzelne Gene abgeschaltet, andere aktiviert werden und sich der Organismus auf diese Weise seiner Umgebung anpasst.


Krank machenden Stress vermeiden

Um unseren Alltag so zu bewältigen, dass es nicht wehtut, benötigen wir Ressourcen. Die wichtigsten sind wohl Energie und Gelassenheit. Sie bedingen sich gegenseitig. Zwar heißt es immer, in der Ruhe liege die Kraft, aber in der Kraft liegt auch die Ruhe. Um Ressourcen zu bilden – und zu erhalten –, müssen wir uns über unsere eigenen Kapazitäten und unser optimales Arbeitslevel bewusst werden. "Auf dieser Grundlage gilt es, Puffer zu schaffen für den Notfall“, empfiehlt Gal und mahnt, im Arbeitsleben nicht mit Volldampf, sondern dauerhaft nur auf gefühlten dreißig Prozent zu fahren und höchstens mal kurzzeitig auf achtzig zu gehen. Es kann ja immer sein, dass sich die Aufgaben unerwartet häufen, zum Beispiel beim Ausfall eines Arbeitskollegen. "Das ist wie mit einer Regentonne. Um zu vermeiden, dass sie überläuft, sollte man sie leeren, wenn sie dreiviertel voll ist. Schließlich weiß man nie, ob der nächste Niederschlag ein Nieselregen oder ein Wolkenbruch wird.“ Im Übrigen sei es nicht nur die Arbeit, die uns Stress beschere, fügt Gal hinzu, sondern auch große Ereignisse wie eine Hochzeit. Wer also seinen Stresspegel niedrig halten möchte, sollte also schon mal nicht heiraten.

 

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