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Besuch im veganen Schinkenlabor

Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine fleischfreie Ernährung. Laut dem Institut für Demoskopie Allensbach verzichten hierzulande rund 7,9 Millionen Personen weitestgehend auf Fleisch, 1,58 Millionen von ihnen auch auf andere tierische Produkte. Für die Lebensmittelindustrie bedeutet das: Fleischersatzprodukte sind gefragt wie nie. Die zunehmende Konkurrenz unter den Herstellern bringt außerdem ständig neue Innovationen hervor. Aktuell besonders gefragt sind jene Produkte, die typische faserige Fleischstrukturen möglichst originalgetreu nachahmen.
Forschung im Schinkenlabor
Dieser Mission haben sich auch junge Forschende und Studierende an der Universität Hohenheim in Stuttgart verschrieben. In gefliesten Räumen, umgeben von silbrigen Maschinen, die an überdimensionale Küchenmaschinen erinnern, haben sie ein Produkt entwickelt, das Lebensmittelhersteller bisher noch vor Herausforderungen stellt: Ein veganer Kochschinken mit Biss. Beziehungsweise „Ham without Oink“, wie das Projektteam ihre Kreation liebevoll getauft hat. Während weichere Fleischsorten wie Hack oder Brühwürste verhältnismäßig leicht in ihrer Struktur nachzubilden sind, ist es bei härteren Wurstsorten wie Kochschinken oder Salami aufgrund ihrer komplexen Textur schon deutlich schwieriger.
„Unsere erste Aufgabe bestand darin, die richtigen Zutaten zu finden. Dazu haben wir im Vorfeld zunächst nach bestehenden Rezepturen recherchiert und diese anschließend selbst ausprobiert und variiert“, berichtet Projektteilnehmerin Rebecca. Als optimales Bindemittel für den Veggie-Schinken hat sich dabei das Weizenprotein Gluten herausgestellt. Dehnt man die Gluten-Grundmasse aus, lassen sich die langkettigen Eiweißmoleküle gleichförmig ausrichten. Dabei entsteht eine faserige Struktur, die im Mund an Fleisch erinnert.
Um den veganen Schinken noch fester zu machen, fügte das Projektteam außerdem das Enzym Transglutaminase hinzu. Es sorgt für bessere Quervernetzungen zwischen den Proteinen. Für Geschmack und Ansehnlichkeit experimentierten die Studierenden schließlich mit Gewürzen und natürlichen Farbstoffen wie roter Beete. Abschließend stand für den veganen Schinken noch ein Besuch im Räucherraum an, um dort eine schmackhafte Kruste zu entwickeln und haltbarer zu werden. Das Ergebnis beschreibt Teilnehmerin Saskia so: „Ein veganer Kochschinken mit Räucherkruste, der fest, aber gleichzeitig auch elastisch und saftig ist und beim Kauen an das Original erinnert.“

Fleisch aus dem 3D-Drucker
Auch bei den großen Lebensmittelherstellern läuft die Entwicklung der Fleischersatzprodukte nicht erheblich anders ab: Experimentieren, probieren, weiter experimentieren. Manche von ihnen haben dabei Methoden entwickelt, die Fleischfasern noch authentischer nachahmen, als es die Mischung und Räucherung von Einzelzutaten je könnte. Die Rede ist vom 3D-Druck.
3D-Drucker kommen normalerweise bei der Fertigung von Plastikteilen zum Einsatz. Spezielle Düsen bauen diese dabei Schicht für Schicht dreidimensional auf. Doch als „Druckertinte“ kann man statt Kunststoffen genauso gut pflanzliche Stoffe einsetzen. Es braucht allerdings unterschiedliche Stoffe, um die verschiedenen Fleischbestandteile nachzuahmen: Erbsen- und Sojaprotein für tierisches Protein, Kokosfett für tierisches Fett, Rote Bete-Saft als Blut. Der Drucker legt die Fleischalternative dann Schicht für Schicht an und ahmt dabei die einzigartige faserige Struktur des Originals detailgetreu nach.
Fleischzucht im Labor
Statt pflanzlicher Druckertinte setzen manche Hersteller auch auf sogenanntes Laborfleisch. Dieses ist zwar nicht vegetarisch, aber es soll die Massentierhaltung ersparen helfen. Dafür müssen einem Tier zunächst Proben von Muskel- und Fettgewebe entnommen und daraus Stammzellen gewonnen werden. Diese vermehren sich dann in einem Nährmedium und wachsen mithilfe eines Trägergerüsts zu einer größeren Masse zusammen. Ein echtes Steak entsteht daraus aber noch nicht. Dafür muss die Masse zunächst in die Form eines wahrhaftigen Fleischstückes gebracht werden, zum Beispiel mit der Hilfe von 3D-Druckern.
Komplett ohne Tierleid kommt das Laborfleisch aber nicht aus. Nicht nur kann die Entnahme der Gewebezellen den Tieren Schmerzen bereiten, sondern: „Damit entnommene Zellen zu einem Fleischstück wachsen, brauchen sie Nahrung und eine passende Umgebung. Dabei gilt fetales Kälberserum immer noch als bestes Medium. Es wird aus dem Blut der noch schlagenden Herzen ungeborener Kälber (Kälberföten) gewonnen. Das Kalb stirbt bei der Entnahme“, informiert die Verbraucherzentrale. Für diejenigen, die aus Tierschutzgründen auf Fleisch verzichten, ist dies also keine optimale Alternative. In der EU ist bislang übrigens noch kein Laborfleisch auf dem Markt.