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Die Hitlerjugend

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"Es zittern die morschen Knochen der Welt vor dem großen Krieg. Wir haben den Schrecken gebrochen, für uns war’s ein großer Sieg. Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." - Zusammen singen stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Es lässt den Weg, den man zurücklegen muss, weniger beschwerlich erscheinen.  Doch harmlos, das verrät der kriegerische Text, war das gemeinsame Musizieren nicht. Mit jeder Zeile sickerte die Ideologie der Nazis tiefer in die Köpfe der jungen Menschen ein und fügte sich dort, nach und  nach, zu Hitlers menschenverachtendem Weltbild zusammen. Und beim Singen blieb es nicht. Viele, die im Gleichschritt unter der Fahne der Hitlerjugend marschierten, sollten ihren 18. Geburtstag nicht erleben. Ihr Weg führte sie in den letzten Kriegsjahren an die Front, wo sie den "Heldentod" starben. Eine Herde junger Menschen, die für den längst verlorenen "Endsieg" bereitwillig geopfert wurde. Die Frage, warum so viele Deutsche Hitler lange bedingungslos und mit großer Begeisterung gefolgt sind, ist schon oft gestellt worden. Sie ist ebenso schwer zu beantworten wie die Frage nach der Schwere der individuellen Schuld. Besonders bei denjenigen, die als Kinder im Klima der Nazi-Ideologie aufwuchsen und keine anderen "Wahrheiten" als die der Nationalsozialisten zu hören bekamen.

 

Die Struktur der Hitlerjugend

Die HJ formierte sich bereits 1926, zur Zeit der Weimarer Republik, war dort allerdings nur ein Jugendverband unter vielen. Das sollte sich bald ändern. Nach der Machtergreifung Hitlers, am 30. Januar 1933, begann das Programm der Gleichschaltung, die jede Vielfalt gewaltsam unterdrückte und die giftige braune Ideologie in alle Lebensbereiche schwappen ließ. Sämtliche politische Parteien neben der NSDAP wurden bereits im Juli 33 verboten – alle Jugendverbände unter Leitung des "Reichsjugendführers" Baldur von Schirach  gleichgeschaltet. Der Student der Germanistik und Kunstgeschichte steuerte nicht nur selbstgedichtete nationalsozialistische Lieder bei, sondern militarisierte die Jugendlichen und baute die Hitlerjugend zu einer straff organisierten Massenorganisation auf. Das Ziel? Die Jungen für den Einsatz an der Front vorbereiten! Und das bereits mit zehn Jahren.

Das "Deutsche Jungvolk", die Pimpfe waren Jungen im Alter von 10 – 14 Jahren, der HJ gehörten die Jungen bis 18 Jahre an. Der weibliche Zweig war unterteilt in  den Jungmädelbund für 10- bis 13-jährige Mädchen und den BdM, den Bund deutscher Mädel, für Mädchen im Alter von 10 bis 18 Jahren.  Am 1. Dezember 1936 wurde das Gesetzt über die Hitler-Jugend erlassen, in dem es heißt:

„Die gesamte deutsche Jugend ist außer in Elternhaus und Schule in der Hitlerjugend körperlich, geistig und sittlich im Geiste des Nationalsozialismus zum Dienst am Volk und zur Volksgemeinschaft zu erziehen.“

Einen Ausweg aus dem System gab es kaum mehr. Wer aufgrund seiner Abstammung kein Hitlerjunge sein durfte, wurde als Außenseiter angefeindet.

 

Nachschub für den Krieg

Welch zentrale Rolle eine biegsame und beeinflussbare Jugend für seine großdeutschen Pläne spielte, erkannte Adolf Hitler schnell.  Der kinderlose Verführer inszenierte sich als Übervater der Nation und ließ bei seinen Reden in Stadien propagandawirksam junges Jubelvolk in schier endlosen Kolonnen an sich vorbeimarschieren. Im Gleichschritt und den rechten Arm zum Hitlergruß ausgestreckt. Jedes Jahr zu seinem Geburtstag am 20. April wurde Hitler in einer pseudo-religiösen Zeremonie ein ganzer Jahrgang geschenkt. Als gottgleicher Führer durfte er nun über den weiteren Lebensweg seiner Schäfchen entscheiden.  Und wählte für sie die Schlacht und den Tod.

Auch die Mädchen hatten, mit möglichst blonden Zöpfen und blauen Augen, einen festen Part in der Inszenierung. Anders als der männliche Nachwuchs wurden sie im BdM nicht auf die Front, sondern auf ihre Mutterrolle vorbereitet. Sie waren dazu auserkoren, ihr arisches Blut und ihren Körper rein zu halten, durch ästhetisch ansprechende Gymnastik im Kollektiv, und die Soldaten mit  Handarbeiten und Essen zu unterstützen. Ihr Lebenszweck war es, dem Führer, nach ihrer Hochzeit, reinrassigen Nachwuchs und somit neue Munition für seinen Ideologie-Wahnsinn zu liefern.

Wie er die Kinder und Jugendlichen zu ergeben Nazis machen wollte, beschrieb Hitler in seiner Reichenberg Rede vom 2.12. 1938: "Diese Jugend, die lernt ja nichts anderes als deutsch denken, deutsch handeln, und wenn diese Knaben mit zehn Jahren in unsere Organisation hineinkommen und dort oft zum erstenmal überhaupt eine frische Luft bekommen und fühlen, dann kommen sie vier Jahre später vom Jungvolk in die Hitlerjugend, und dort behalten wir Sie wieder vier Jahre. Und dann geben wir Sie erst recht nicht zurück in die Hände unsrer alten Klassen-und Standeserzeuger, sondern dann nehmen wir Sie sofort in die Partei, in die Arbeitsfront, in die SA oder in die SS, in das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort zwei Jahre oder anderthalb Jahre sind und noch nicht ganze Nationalsozialisten geworden sein sollten, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und werden dort wieder sechs und sieben Monate geschliffen, alles mit einem Symbol, dem deutschen Spaten. Und was dann nach sechs oder sieben Monaten noch an Klassen- und Standesdünkel da oder da noch vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehrmacht zur weiteren Behandlung auf zwei Jahre, und wenn sie nach zwei, drei oder vier Jahren zurückkehren, dann nehmen wir sie, damit sie auf keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in die SA, SS und so weiter, und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben und sie sind glücklich dabei. Und wenn mir einer sagt, ja, da werden aber immer noch welche übrig bleiben: Der Nationalsozialismus steht nicht am Ende seiner Tage, sondern erst am Anfang!"

Der Plan ging auf. Viele Jugendliche übernahmen die NS-Ideologie nicht nur, sie taten dies auch mit Begeisterung. Wie gelang es den Nationalsozialisten, die jungen Menschen so zu manipulieren, dass sie zwischen Gut und Böse nicht mehr unterscheiden konnten?

 

Die Manipulation der Psyche

Die Mittel, mit denen die NSDAP die Jugendlichen verführte, waren schlichtweg perfide. In einer Lebensphase, in der Jugendliche langsam beginnen, ihre Individualität zu entwickeln, wurden ihnen eingebläut, sie seien nur im Kollektiv stark. Im Zuge der Gleichschaltung wurden sie in einheitliche Uniformen gesteckt und verschmolzen zu einer braunen Masse, wie Baldur von Schirach seinem Führer stolz verkündete:

"Meine Kameraden, nach ihrem Befehl mein Füher, steht hier eine Jugend, eine Jugend, die keine Klasse und keine Kaste kennt."

Und die Partei köderte sie mit Dingen, für die junge Menschen empfänglich sind:  Mit Liedern, Spielen und Versprechungen. Viele fuhren mit der HJ zum ersten Mal in ihrem Leben in den Urlaub, erlebten Kameradschaft und Abenteuerromantik. Hinter dem schönen Schein blitze die todbringende Absicht des Systems aber immer wieder auf. Alle Aktivitäten in der Hitlerjugend waren von militärischen Begriffen und dem Gedankengut der Nationalsozialisten durchdrungen.  Der Umgang mit der Waffe wurde erlernt, körperliche Ertüchtigungen und Schlägereien sollten die Jugendlichen abhärten und sie auf den Einsatz vorbereiten.

Ein weiterer zentraler Aspekt war die Einschwörung der Jugend auf ein gemeinsames Feindbild: Auf die Juden und alle, die nicht den arischen Kriterien entsprachen. Auch die Schulen waren längst gleichgeschaltet und Rassenkunde ein selbstverständlicher Teil der Bildung.  Um ganz sicher zu gehen, dass die Ideologie in die Herzen und Gedanken der Jugendlichen einsickerte, wurden wöchentliche Heimatabende in der HJ ausgerichtet. Viele verinnerlichten die Lehre vom lebensunwerten Leben, vom minderwertigen Untermenschen, der die Schuld an allem Übel trüge und wurden sich ihrer eigenen Rolle bewusst. Als Deutscher und somit über anderen Nationen erhabener Mensch müssten sie ihre Verantwortung annehmen und heldenhaft einstehen, um das Großdeutsche Reich zu verwirklichen. Nach dieser Gehirnwäsche zogen die Jugendlichen im Schutze der HJ-Flagge singend durch die Straßen und stimmten einheitlich Todesparolen gegen die Juden an. Dem braunen Sog konnten sich nur die wenigsten entziehen.

 

Einsatz an der Front

In der HJ spielte der eigene Charakter keine Rolle, wohl aber der Rang, den man in der Organisation einnahm. Es galt die Prämisse "Jugend soll durch Jugend geführt werden", weswegen 12-jährige Jugendführer bald ihre 10-jährigen Untergebenen drangsalierten. Nur wer Härte und Durchsetzungskraft bewies, hatte die Chance, innerhalb der NSDAP aufzusteigen.

Mit Fortschreiten des Krieges, als die Alliierten in den 1940er Jahren Luftangriffe   auf deutsche Städte flogen, mussten die Jugendlichen die Reihen der bereits gefallenen älteren Generationen immer stärker auffüllen. Sie übernahmen zunächst Aufgaben wie den Luftschutzdienst und Sammelaktionen für Kleider Schließlich wurde es endgültig ernst: Ohne es zu wissen, waren sie jahrelang auf den Einsatz an der Front vorbereitet wurden, jetzt mussten sie sich beweisen. Eliteeinheiten aus Hitlerjugend wurden im Juli 1944 an die Westfront gegen die Alliierten eingesetzt – und fielen wie die Fliegen in einem Krieg, den Deutschland längst verloren hatte.

Kommuniziert wurde das nicht. Der gefallene Führer zeichnete 1945 noch zwanzig Hitlerjungen mit dem Eisernen Kreuz aus, die sich an der Front besonders Verdient gemacht hatten. Dann brachte er sich um.

In den Trümmern zurück blieb eine Generation junger Menschen, die langsam erkennen musste, einem Rattenfänger aufgesessen zu sein. Und die ihr Leben nun, ohne Führung, oftmals ohne Eltern aber mit dem Gefühl, schwere Schuld auf sich geladen zu haben, neu ordnen mussten.

Am 10. Oktober 1945 wurde die HJ aufgelöst und verboten. Rechtsradikale Bewegungen haben seitdem immer wieder versucht, die Jugend mit den bewährten Mitteln zu ködern. Zum Glück ohne Unterstützung des Staates. 2010 entschied der Verfassungsschutz, dass die "Heimattreue Deutsche Jugend", die der Hitlerjungend in ihrer Ausrichtung ähnelt, verboten bleibt. Ein wichtiges Signal und notwendig, wie auch die jüngsten Ereignisse in Deutschland zeigen.

 

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