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Extremismus: Gefahren von links und rechts

Was hat Extremismus mit Gewalt zu tun?

Zur Durchsetzung ihrer politischen Positionen nehmen Extremisten auch die Anwendung von Gewalt in Kauf. Als extremistisch werden Einstellungen, Verhaltensweisen und Ziele verstanden, die am äußersten Rand des politischen Spektrums angesiedelt sind. Weitere Kennzeichen sind die Ablehnung demokratischer Systeme, ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken sowie Fanatismus.

In Deutschland gelten alle Gruppen als extrem, die sich gegen den demokratischen Rechtsstaat wenden. Unterschieden wird dabei vor allem zwischen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Anarchismus. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA ist der religiös motivierte Extremismus stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten.

Ist radikal auch extremistisch?

Nein, als radikal werden in Deutschland solche Gruppierungen bezeichnet, deren politische Vorstellungen am rechten oder linken Rand angesiedelt sind, in der Regel aber noch nicht als verfassungsfeindlich gelten. So werden z. B. die Ansichten der Partei des Demokratischen Sozialismus, PDS (Linkspartei), lediglich als radikal bezeichnet. Die Grenzen verschwimmen erst, wenn eine radikale Gruppierung den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht ausschließen will.

Wofür kämpfen Anarchisten?

Anarchisten treten für eine Gesellschaft ohne Staat und Unterdrückung ein. Jeder soll sich seinen individuellen Möglichkeiten nach frei entfalten können. Selbst in der Demokratie ist das nach ihren Vorstellungen nicht möglich, da die politische Macht in den Händen einer kleinen Gruppe liegt.

Im Anarchismus, einer politischen Bewegung, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, werden im Allgemeinen die Ursprünge des Extremismus gesehen. Der revolutionäre Anarchismus, der die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung seiner Ziele befürwortete, spielt heute aber kaum noch eine Rolle.

Wie viele Linksextreme gibt es in Deutschland?

Das ist eine Frage der Definition. Die Mitglieder der PDS (Linkspartei) sind überwiegend keine Extremisten. Jedoch bekennen sich etwa 1500 Parteimitglieder offen als Gegner des bestehenden politischen Systems. Insgesamt waren 2004 laut Verfassungsschutzbericht 30 800 Deutsche Mitglieder linksextremer Organisationen, die PDS nicht mitgerechnet. Etwa 5500 von ihnen waren gewaltbereit.

Übrigens: In Westdeutschland hat es nach 1945 – anders als in Frankreich und Italien – keine bedeutende linksextreme Partei gegeben. Die 1918/19 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) blieb weitgehend bedeutungslos; der »real existierende Sozialismus«, vor allem in der DDR, schreckte potenzielle Wähler von einer Unterstützung ab. 1956 wurde sie vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindliche Partei verboten. Im Zuge der Studentenbewegung entstanden Ende der 1960er Jahre neue kommunistische Gruppierungen, die teilweise auch kritisch gegenüber dem Sozialismus Moskauer Spielart eingestellt waren, aber bis auf die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) bedeutungslos blieben.

Woher stammten die Terroristen der RAF?

Die Rote Armee Fraktion (RAF) entwickelte sich wie andere linksextreme Gruppen der 1970er Jahre aus radikalisierten Kreisen der Studentenbewegung. Diese trat zunächst für mehr Mitbestimmung der Studenten an den Universitäten ein, entwickelte sich dann aber zu einer Protestbewegung gegen die bestehenden politischen Verhältnisse und vor allem gegen die 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze (z. B. Einschränkung des Briefgeheimnisses). Die führenden Köpfe der RAF waren Andreas Baader (1943–77) und Ulrike Meinhof (1934–76).

Wie kam es zum »Deutschen Herbst«?

Zunächst wollte die RAF mit Gewalt (Brandanschläge gegen Kaufhäuser) auf ihre sozialrevolutionären Ziele aufmerksam machen. Die Situation eskalierte im Herbst 1977, als die RAF den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer entführte, um u. a. die Freilassung von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zu erzwingen.

Die Bundesregierung weigerte sich, auf die Forderung einzugehen. Daraufhin entführten palästinensische Terroristen die Lufthansa-Maschine »Landshut« nach Mogadischu, um den Forderungen der RAF Nachdruck zu verleihen. Nachdem die GSG 9, eine Spezialtruppe des Bundesgrenzschutzes, das Flugzeug gestürmt hatte, begingen die inhaftierten deutschen Terroristen Selbstmord. Schleyer wurde danach ermordet aufgefunden.

Die RAF setzte bis Anfang der 1990er Jahre ihre Anschläge und Entführungen fort. 1998 löste sie sich auf.

Sind Autonome nur eine Spaßguerilla oder Erben der RAF?

Die erste Bezeichnung verharmlost, die zweite dämonisiert die sog. Autonomen, die zu Beginn der 1990er Jahre auftauchten und Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele befürworten.

In der Regel bilden sich kurzlebige Gruppierungen, die zu bestimmten Themen aktiv werden. Über Flugblätter, durch Mundpropaganda und über das Internet kündigen sie Aktionen an, um Gleichgesinnte hinzuzuziehen. Die Aktionsfelder der Autonomen sind vorwiegend Antifaschismus (Angriffe auf Neonazis), Antirassismus und Aktionen gegen Globalisierung sowie Atommülltransporte (Anschläge auf Bahnstrecken).

Hat der Rechtsextremismus in Europa Fuß gefasst?

Autoritäres, nationalistisches und/oder rassistisches Gedankengut ist in einigen europäischen Ländern verbreitet, ohne bisher allerdings die Demokratie zu gefährden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand in Italien die neofaschistische Movimento Sociale Italiano, die 1994 in der Alleanza Nazionale (AN) aufging und unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi (Reg. 1994, 2001–06) zu einer Koalitionsregierung gehörte. Allerdings sagte sich die AN unter ihrem Vorsitzenden Gianfranco Fini vom Neofaschismus los.

In Frankreich gelang dem Front National unter Jean-Marie Le Pen (* 1928) 1986 erstmals der Einzug ins Parlament. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 schaffte es Le Pen bis in die Stichwahl gegen den späteren Wahlsieger Jacques Chirac. Auch in Österreich (Jörg Haider, * 1950) oder den Niederlanden (Pim Fortuyn, 1948–2002) hatten ausländerfeindliche, rechtsgerichtete Parolen Erfolg.

Übrigens: In den osteuropäischen Ländern bilden häufig die »Verlierer« der wirtschaftlichen Umgestaltung der 1990er Jahre das Wählerreservoir für extremistische Parteien – linker wie rechter Ausrichtung. In Polen beteiligten sich im Jahr 2006 Parteien mit antisemitischer und fremdenfeindlicher Ausrichtung an einer betont katholisch-national ausgerichteten Regierungskoalition.

Welchen Einfluss haben Rechtsparteien in Deutschland?

Rechtsextreme Parteien haben in Deutschland vergleichsweise wenig Einfluss. Die Ursache ist die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands. Hitlers NSDAP wurde 1945 und die 1949 gegründete Sozialistische Reichspartei (SRP) mit ihrer diffus nationalsozialistischen Programmatik 1952 verboten. Gegen Ende der 1960er Jahre zog die 1964 gegründete Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in einige Landesparlamente ein; bei den Bundestagswahlen 1969 scheiterte sie knapp an der Fünfprozenthürde. Der Deutschen Volksunion (DVU) gelang 1987 der Sprung in die Bremer Bürgerschaft, zwei Jahre später schafften die Republikaner (REP) den Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus.

REP, DVU und NPD sind bis heute in einzelnen Landesparlamenten vertreten, z. B. im Freistaat Sachsen mit zwölf Abgeordneten (ab 2004). Darüber hinaus ist in den 1980er Jahren eine Reihe militanter neonazistischer Gruppierungen entstanden, die teilweise vom Bundesverfassungsgericht verboten wurden.

Übrigens: Nach Angaben des Verfassungsschutzes gab es 2004 in Deutschland ca. 40 700 Rechtsextremisten, davon 10 000 gewaltbereite. Obwohl diese Zahlen gegenüber den Vorjahren stagnierten oder sogar leicht rückläufig waren, stieg die Anzahl der registrierten Straftaten mit 12 051 gegenüber 2003 um 11,7 %.

Wie viele extremistische Ausländer gibt es in Deutschland?

Laut Verfassungsschutzbericht gehörten 2004 etwa 57 520 der fast 7,3 Mio. Ausländer in Deutschland einer der 71 extremistischen Ausländerorganisationen an, das sind knapp 0,8 %. Allerdings sind z. B. viele Kurden gerade deshalb nach Deutschland gekommen, weil sie in der Türkei wegen ihrer Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verfolgt wurden. Längst nicht alle Mitglieder solcher Vereinigungen bedrohen unseren Rechtsstaat.

Ist der Staat machtlos?

Nein, er kann gefährliche Organisationen verbieten. 2001 wurde z. B. die islamistische Organisation »Der Kalifatstaat« verboten – mit der Begründung, sie habe gegen Demokratie und Parteienpluralismus agitiert. Islamistische Organisationen gelten u. a. wegen der potenziellen Zusammenarbeit mit der Terrororganisation Al Qaida sowie der möglichen Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik als gefährlich, da sie zur Bekämpfung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung auffordern.

Warum wurde die NPD nicht verboten?

In den 1990er Jahren forcierte die NPD ihren ideologischen Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Ordnung, was 2000 in einen Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht mündete. Das Verfahren wurde jedoch 2003 eingestellt, nachdem bekannt wurde, dass die Führungsebene der Partei mit Informanten des Verfassungsschutzes durchsetzt war. Das Gericht betonte jedoch, dass damit kein Urteil über die Verfassungswidrigkeit der NPD gesprochen sei.

Sind Populisten Extremisten?

Meist nicht. Der Populismus vereinfacht zwar komplizierte Sachverhalte und greift zumeist Vorurteile aus der Bevölkerung auf (z. B. gegen Ausländer), um damit Stimmen zu gewinnen. Im Gegensatz zu Extremisten akzeptieren Populisten aber die demokratische Ordnung eines Staates.

Was war der Radikalenerlass?

Damit wird die 1972 unter dem Eindruck des entstehenden Terrorismus getroffene Entscheidung der Bundesregierung und der Ministerpräsidenten der Bundesländer bezeichnet, nur Personen in den öffentlichen Dienst zu übernehmen, die sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen. Gegner des Beschlusses (richtig: Extremistenbeschluss) kritisierten die Aushöhlung der Meinungs- und Berufsfreiheit. Insgesamt sind etwa 1000 Bewerber (vor allem DKP-Mitglieder) nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt worden.

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