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Karl R. Popper: Verfechter der offenen Gesellschaft

Was faszinierte Popper in seiner Jugend?

Der Sozialismus. Am 28. Juli 1902 in Wien als Sohn gutbürgerlicher Eltern geboren, brach Karl Raimund Popper mit 16 Jahren das Realgymnasium ohne Abschluss ab und schloss sich der sozialistischen Arbeiterbewegung an. Er verdiente sich seinen Unterhalt als Straßenarbeiter und betätigte sich in sozialen Betreuungsstätten. Popper verstand sich für kurze Zeit als Kommunist, bis er im Juni 1919 miterlebte, wie mehrere junge sozialistische Arbeiter von der Polizei niedergeschossen wurden. Dafür machte er die sozialistische Theorie mitverantwortlich, die durch die Aufforderung zur Verschärfung des Klassenkampfes die Menschen in Gefahr bringe.

Im selben Jahr machte er eine weitere prägende Erfahrung: Er empfand die psychoanalytischen Theorien des Freud-Schülers Alfred Adler (1870–1937) als unwissenschaftlich und kritisierte die Abschottung, mit der dieser auf Kritik reagierte. Beide Ereignisse des Jahres 1919 sollten Popper ein Leben lang beeinflussen. Sie bildeten die zwei Grundpfeiler, auf der seine Wissenschafts- und Erkenntnistheorie ruhte.

Lassen sich Irrtümer sicher verhindern?

Nein, aber sie lassen sich wissenschaftlich falsifizieren. Popper machte zunächst sein Abitur nach, studierte Pädagogik und Philosophie und erwarb eine Lehrbefähigung als Hauptschullehrer für Physik und Mathematik. In Auseinandersetzung mit der Philosophie des »Wiener Kreises« entstand die 1935 veröffentlichte Schrift »Logik der Forschung«, eine Methodenlehre der empirischen Wissenschaften. Berühmt geworden ist Poppers Falsifikationsprinzip: Jede wissenschaftliche These muss auf ihre Richtigkeit überprüft werden können. Erweist sich, dass sie nicht stimmt, ist sie falsifiziert und damit ungültig.

Popper bestritt, dass eine Methode existiere, die Irrtümer sicher verhindert. Alles Wissen bleibe Vermutungswissen. Später hat der Philosoph diese auf den Wissenschaftsbetrieb bezogene Erkenntnis auf die Politik übertragen und die Demokratie in der »Offenen Gesellschaft« zum politisch-praktischen Falsifikationsprinzip erklärt: Stellt sich heraus, dass eine Regierung fehlerhaft arbeitet, wird eine neue Regierung gewählt, die so lange als akzeptabel gilt, wie sie keine schweren Fehler macht.

Warum ging Popper nach Neuseeland?

Da sich die Bedingungen für Juden in Wien in den 1930er Jahren verschlechterten, suchte Popper nach Möglichkeiten, zu emigrieren. In Neuseeland bekam er an der Universität von Christchurch seine erste Stelle. Obwohl er und seine Frau finanziell abgesichert waren, empfand Popper die Zeit dort nicht als glücklich.

Als deutsche Truppen im März 1938 in Österreich einmarschieren, erreichten den Wiener jüdischer Herkunft Hilferufe von Verwandten und Bekannten, die dem Nazi-Terror entkommen wollten. Popper gründete eine Hilfsorganisation für Flüchtlinge und schrieb als Reaktion auf Hitlers Einmarsch die Streitschrift »Die offene Gesellschaft und ihre Feinde«, die 1945 veröffentlicht wird.

Was ist eine »geschlossene Gesellschaft«?

Popper stellt in der »Offenen Gesellschaft« die Frage nach der Rechtfertigung politischer Herrschaft neu. Ihn interessiert nicht der Herrscher, sondern die Institutionen, die ihn kontrollieren. Neben den totalitären Regimen wie Nationalsozialismus und Stalinismus kritisiert Popper aber auch die »orakelnden Philosophen«. Vor allem Platon (427–347 v. Chr.) und die Dialektiker Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) und Karl Marx (1818–1883) sind für ihn Väter der »geschlossenen Gesellschaft« und damit Vordenker der totalitären Barbarei.

Welche Wirkung hatte Popper in London?

In seinen ersten Jahren in London, wo er 1949 Professor wurde, führte er ein reges soziales Leben, zog sich aber dann immer mehr zurück. Der Gemütszustand des Workaholic schwankte zwischen Euphorie und Depression. In die englischen philosophischen Fachzirkel integrierte er sich aufgrund seines oft taktlosen und autoritären Verhaltens kaum. Da Popper seine Gefühle im Gespräch oder in Diskussionen nur schwer verbergen konnte, nannten ihn seine Studenten einen »totalitären Liberalen«. Dennoch war Popper einer der wenigen Philosophen des 20. Jahrhunderts, die über den Kreis der Fachleute hinaus Beachtung fanden und im weiteren kulturellen Bereich Einfluss ausübten. Auch die praktische Politik schätzte Poppers Ratschläge. Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (geb. 1918) besuchte den Philosophen mehrfach zu Hause. 1965 schlug die englische Königin Elisabeth II. Popper, der 1949 englischer Staatsbürger geworden war, zum Ritter.

Blieb Popper dem Rationalismus immer treu?

Nein. In seiner letzten Lebensphase avancierte der kritische Rationalist zum Metaphysiker und entwickelte seine sogenannte »Drei-Welten-Theorie«. Die Welt der physikalischen Gegenstände und Zustände (1. Welt) grenzte er gegen die Welt der Bewusstseinszustände (2. Welt) und die Welt objektiver Gedankeninhalte (3. Welt) ab. Während Sir Karl, der am 17. September 1994 starb, als Erkenntnis- und Demokratietheoretiker zu den wichtigsten philosophischen Denkern überhaupt zählt, blieben seine metaphysischen Denkmodelle jedoch umstritten.

Wussten Sie, dass …

der Philosoph von 1922 bis 1924 eine Tischlerlehre absolvierte, die ihn nach eigenem Bekunden sokratische Demut (»Ich weiß, dass ich nichts weiß«) lehrte?

Poppers Frau Josefine Anna Henninger, die er 1930 geheiratet hatte, als Managerin und Chefberaterin für ihn tätig war?

der Philosoph in seinen späteren Lebensjahren auf Auto, Fernsehen und Zeitungen verzichtete, gegen das Rauchen allergisch war und nie trank?

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