Die Lotusblume (Nelumbo nucifera) weckte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts das Interesse der Botaniker. Und zwar durch einen optischen Widerspruch: Die Pflanze wächst in schlammigen Gewässern, aber ihre Blätter sind stets makellos sauber.
Was bei der Lotusblume auf den ersten Blick wie eine normale Blattoberfläche aussieht, erweist sich unter dem Mikroskop als komplexe Grenzfläche. Im Abstand von tausendstel Millimetern sitzen auf der Blattoberfläche warzenartige Erhebungen, so genannte Papillen. Diese sind mit winzigen Wachskristallen überzogen. Über diese „raue“ superhydrophobe Oberfläche rollt jeder Wassertropfen ab.
Dabei nimmt ein abrollender Wassertropfen nicht nur Schmutzpartikel auf. Auch schädliche Pilzsporen, Bakterien und Algen werden mitgerissen. Die Pflanze entledigt sich so ihrer Plagen und entzieht Pilzsporen und Algen gleichzeitig die nötige Feuchtigkeit zum Überleben. Dieser so genannte „Lotus-Effekt“ folgt also dem Prinzip „je rauer, desto sauberer“ - mikroskopisch gesehen.
Für Techniker hingegen galt lange Zeit „je glatter, desto reiner“. Doch in den neunziger Jahren setzte ein Umdenken ein. Inzwischen sind zwei Produkte mit „Lotus-Effekt“ auf dem Markt: Dachziegel und Fassadenfarbe. Bei ihren Oberflächen wurde die Mikrostruktur des Lotusblattes kopiert. Gebäudefassaden und Dächer erhalten eine Art „Pflanzenhaut“, die sich bei jedem Regen selbst reinigt.