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ITER: Kernfusion als Energiequelle – wie geht das?
Sterne wie die Sonne gewinnen einen großen Teil ihrer Energie aus dem Verschmelzen von Wasserstoff-Atomkernen zu Heliumkernen. Bei dieser Fusion werden enorme Mengen an Energie in Form von Strahlung und Wärme frei. Gelänge es, die Kernfusion als neue Energiequelle nutzbar zu machen, könnte die wachsende Weltbevölkerung für zehntausende von Jahren mit Strom und Wärme versorgt werden – mit nicht viel mehr als ein bisschen Wasserstoff und Wärme.
Heißer als im Kern der Sonne
Das Problem jedoch: Das, was in Sternen quasi von selbst abläuft, funktioniert nur unter hohem Druck und enormen Temperaturen. Nur unter diesen Bedingungen können die Atomkerne ihre gegenseitige Abstoßung überwinden und sich nahe genug kommen, um miteinander verschmelzen zu können. Unter irdischen Bedingungen ist die Zündung einer Fusionsreaktion erst bei rund 150 Millionen Grad möglich – eine Temperatur die mehr als zehnmal so heiß ist wie das Innere der Sonne.
Das aber bedeutet, dass für das Aufheizen des Fusionsbrennstoffs große Energiemengen benötigt werden, denn erst, wenn die Fusion gezündet ist, kann sich das System selbst erhalten und läuft auch ohne zusätzliches Aufheizen weiter. Hinzu kommt die Aufbewahrung: Kein Material der Welt kann dem Millionen Grad heißen Plasma längere Zeit standhalten. Trotzdem muss die heiße Materie eng genug eingeschlossen werden, um die Atomkerne genügend oft miteinander kollidieren zu lassen. In der Sonne und den Sternen sorgt die Schwerkraft für ausreichende Kompression, unter irdischen Bedingungen müssen extrem starke Magnetfelder diese Rolle übernehmen.
Der Einschluss: Stellarator oder Tokamak?
Inzwischen gibt es bereits erste Fusions-Versuchsanlagen, darunter auch der Testreaktor Wendelstein 7-X in Süddeutschland. Grundsätzlich sind diese Reaktoren nach zwei verschiedenen Prinzipien konstruiert – je nachdem, wie das heiße Fusionsplasma in ihrem Inneren "eingesperrt" wird. Theoretisch würde dafür schon ein Kranz starker Magnetspulen ausreichen. Sie bilden quasi die magnetischen Gitterstäbe für die geladenen Teilchen des Plasmas. Aber dieses Gitter hat Lücken, weil die Spulen auf der Außenseite des Rings weiter auseinanderliegen als innen. Daher muss nachgebessert werden – und dafür gibt es zwei Methoden.
Die erste ist der Stellarator, ein System, das auch im deutschen Testreaktor Wendelstein 7-X umgesetzt ist. Dabei werden die Spulen, die das äußere Gitter bilden, in besonderer Weise geformt, um die Lücken im Käfig zu schließen. Das entstehende Magnetfeld ist in sich verdrillt und zwingt das in seinem Inneren liegend Plasma, seiner Form zu folgen. Allerdings sind Größe und erreichbare Plasmadichte dieser Methode begrenzt.
Für größere Reaktoren besser geeignet ist der Tokamak. Bei diesem bringt elektrischer Strom das heiße Plasma in Bewegung und bringt dieses so dazu, selbst ein Magnetfeld zu erzeugen. In Kombination mit den Magnetspulen im ringförmigen "Käfig" entsteht so ein mehrschichtiges Feld, das das Plasma sicher einschließt. Zwar gibt es weltweit schon einige Tokamak-Forschungsreaktoren, bisher aber hat keiner davon die Zündung erreicht – den Punkt, an dem die Kernfusion im Plasma ohne weitere Energiezufuhr von außen von selbst weiterläuft.
ITER – der größte Fusionsreaktor der Welt
Das aber soll sich in naher Zukunft ändern – durch ITER, den größten Fusionsreaktor der Welt. Das Vakuumgefäß von ITER wird 840 Kubikmeter Plasma enthalten – mehr als bei jeder bisher existierenden Tokamak-Fusionsanlage. Geht alles nach Plan, soll ITER im Dezember 2025 sein erstes Plasma erzeugen, später erfolgt dann die Zündung der Kernfusion. Dann könnte ITER 500 Megawatt Energie liefern, mit der über Dampfturbinen Strom für rund 200.000 Haushalte erzeugt werden kann.
Beteiligt an dem Mega-Projekt sind 35 Länder, darunter neben der EU auch China, Japan, Südkorea, die USA, Russland und Indien. In den letzten fünf Jahren haben sie die Bauteile der Riesenanlage in Fabriken und Forschungseinrichtungen konstruiert. Jetzt beginnt der Zusammenbau von ITER in Südfrankreich. Dafür sind in den letzten Monaten schon die ersten Bauteile aus aller Welt in Frankreich eingetroffen, weitere werden in den nächsten Wochen und Monaten folgen.
„Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks“
„Diese Maschine Stück für Stück zusammenzusetzen, ist wie die Konstruktion eines dreidimensionalen Puzzles und folgt einem komplexen Zeitplan“, erklärt ITER-Generaldirektor Bernart Bigot. „Alle Aspekte des Projektmanagements, der Systemtechnik, des Risikomanagements und der Logistik beim Zusammenbau dieser Maschine müssen mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ineinandergreifen.“ Wenn der Bau abgeschlossen ist, wird ITER aus mehr als einer Million Einzelkomponenten bestehen – er ist damit eine der größten und komplexesten Maschinen der Welt.
Einige Komponenten des ITER wiegen mehr als tausend Tonnen und sind mehr als 30 Meter groß, wie die Vakuumkammer und der Kryostat – die Hülle, die für die Hitzeisolierung der Anlage dient. Sie ist die größte je gebaute Edelstahlkammer. Andere ITER-Bauteile sind sowohl groß als auch hochkomplex, wie die drei Sorten supraleitender, auf minus 269 Gad heruntergekühlter Magnete, die das Plasma gefangen halten sollen. Der stärkste und größte von ihnen ist der aus sechs Teilen bestehende zentrale Solenoid. Er ist stark genug, um einen ganzen Flugzeugträger mit Magnetkraft anzuheben.
Bis Ende 2025 sollen alle Bauteile an Ort und Stelle und miteinander verbunden sein. Geht ITER dann in Betrieb, könnte die Menschheit dem Traum von der Kernfusion als Energiequelle einen Schritt näher gekommen sein. Im ringförmigen Bauch dieser Riesenanlage hat man dann ein kleines Stück Sonnenfeuer auf die Erde geholt.