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Interview: Die Wissenschaft vom perfekten Fußballrasen
Ein durchschnittlicher Fußballrasen besteht aus rund 200 Millionen Grashalmen und muss viel leisten. Trittfest und belastbar soll er sein, aber auch leuchtend grün und am besten nach jedem Spiel schnell wieder regeneriert. Tatsächlich sind der Anbau und die Pflege von Fußballrasen eine Wissenschaft für sich. Was genau den Rasenplatz im Stadion so besonders macht und was alles nötig ist, bevor der erste Profi darauf dribbeln kann, erklärt Pflanzenökologe Norbert Kühn von der Technischen Universität Berlin im Interview.

Herr Kühn, Sie haben zu Wiesen promoviert. Woraus besteht eigentlich Rasen?
Norbert Kühn: Rasen ist eine Wiese, der durch das ständige Abmähen alle Obergräser und Oberkräuter genommen werden. Entfernt man dann noch die niedrig am Boden angepressten Kräuter wie Gänseblümchen, Löwenzahn oder Ehrenpreis, bleiben nur noch die niedrigen Untergräser übrig. Sie bilden den sogenannten Scherrasen. Er wurzelt flach und muss deswegen regelmäßig gedüngt und gewässert werden, damit er gut wächst.
Und was ist das Spezielle am Fußballrasen?
Der Fußballrasen besteht aus strapazierfähigen Gräsern, von denen nur drei in Frage kommen: Das Weidelgras, die Wiesen-Rispe und der Rohr-Schwingel. Von diesen robusten Grasarten werden Sorten vorher auf ihre Strapazierfähigkeit getestet. Dies fand unter anderem bis vor kurzem auch auf den Rasenversuchsflächen der TU Berlin in Dahlem statt. Neue Sorten werden aufgepflanzt, gedüngt, bewässert, geschnitten und daraufhin überprüft, wie gut sie funktionieren, wie grün sie sind, wie dicht, wie anfällig für Krankheiten.
Beim Strapazierrasen imitiert eine Maschine, genannt Scherstollenwalze, die Nutzung, drückt also künstlich die Fußballstollen in den Rasen. Ein Fußballspiel ist für den Rasen eine ziemliche Herausforderung, Löcher werden reingehackt und die Rasennarbe reißt raus. Nach dem Spiel sieht ein Rasen dadurch ziemlich lädiert aus. Die strapazierfähigsten Sorten mit den besten Noten werden dann in spezielle Sportrasen-Mischungen gegeben.
Wie viele Fußballspiele hält ein Rasen aus?
Spätestens nach einer Saison wird der Rasen ausgetauscht. Es gibt sogar Stadien, die zwei Rasen parallel haben. So können sie den einen bespielen lassen und den anderen rausfahren und pflegen. Vor großen Spielen wie der EM wird der Rasen aber komplett neu in riesigen Bahnen mit Maschinen angeliefert und verlegt. Das muss schnell gehen, denn durch das Einrollen fängt er an, sich zu zersetzen und wird gelb. Er braucht dann circa eine Woche, um gut anzuwachsen.

Wie muss dieser empfindliche Rasen gepflegt werden?
Für den Fußballrasen wird er mit Spindelmähern auf wenige Zentimeter geschnitten, manchmal sogar mehrmals täglich. Das Pflegen übernimmt geschultes Personal, sogenannte Greenkeeper, mit einer spezialisierten Weiterbildung. In England kann man die Rasenpflege sogar studieren. Durch das Bespielen und Schneiden wird immer wieder Biomasse entfernt, sodass der Rasen zur ständigen Regeneration gezwungen wird. Dafür braucht er Dünger, viel Wasser und viel Licht, was bei den modernen Fußballstadien, die wie ein Dom geschlossen sind, ein Problem ist. Der Schattenwurf muss mit Kunstlicht behoben werden.
Will man ihn länger am Leben lassen, wird der Rasen vertikutiert oder auch aerifiziert, das heißt mit kleinen Löchern gespickt. Das dient dazu, dass mehr Luft und Sauerstoff an die Wurzeln kommt, was das Pflanzenwachstum aktiviert. Anschließend werden die kleinen Löcher mit Sand befüllt, damit sie nicht so schnell zuwachsen und die Sauerstoffversorgung länger besser funktioniert. Fußballrasen ist aber so schnell verbraucht, dass er häufig ausgetauscht wird.
Ist Kunstrasen da eine Alternative?
Ich selbst spiele keinen Fußball, habe aber gehört, dass man relativ gut darauf spielen kann. Bei der Nachhaltigkeit steht aber ein großes Fragezeichen, weil im großen Maße Kunststoffabfälle produziert werden und durch das Spielen sehr viel Abrieb mit Mikroplastik entsteht. Ein Naturrasen ist aber auch nicht wirklich nachhaltig. Gerade in Gegenden mit Trocken- oder Wüstenklima, wo grüner Rasen auch aus Prestigegründen großflächig um den eigenen Swimmingpool wachsen soll, ist es sehr fraglich, da er hohe Wassermengen verbraucht. Und auch bei uns waren die Rasenflächen in den letzten Trockenjahren oft braun.
Gibt es trockenheitsresilientere Rasenarten?
Vielleicht kennen Sie das vom Mittelmeerurlaub, wo der Rasen aus einer ganz anderen Grasart besteht. Diese tropischen und subtropischen Arten wie das Hundszahngras sind derber, verdunsten nicht so viel, kriechen mehr an der Oberfläche und können besser mit trockenen Situationen zurechtkommen. Sie sind nicht so schön zu begehen wie unsere Arten, aber in der Zukunft werden sie sicherlich auch bei uns mit eingebracht.
Wie könnte also der Rasen 2045 aussehen?
Entweder es ist ein Kunstrasen, was ich sehr bedauerlich fände, oder es ist ein Rasen, bei dem diese tropischen und subtropischen Gräser beigemischt sind.