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Resilienz: Wie kommen wir durch die Krisen unserer Zeit?

„Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ – dieser Spruch gilt nicht für alle Menschen. Denn während einige Personen förmlich aufblühen, wenn sie an ihre Grenzen gebracht werden, klappen andere schon bei der kleinsten Herausforderung zusammen. Diese Fähigkeit, aus stressigen Situationen und Schicksalsschlägen unbeschadet oder sogar gestärkt herauszugehen, nennt sich Resilienz. Aber warum ist Resilienz gerade in heutigen Zeiten so wichtig? Wieso sind manche Menschen widerstandsfähiger als andere? Und was können wir tun, um selbst tougher durch die Welt zu gehen?
THE, 16.02.2024
Pflanzensproß dringt durch Betonboonden

© Nadya So, iStock

„Die Welt geht vor die Hunde, Mädchen, traurig aber wahr.“ Als die Band Kraftklub im Jahr 2012 zum ersten Mal diese Textzeile ins Publikum rief, hatte sie vermutlich keine Ahnung, was noch auf uns zukommen würde. Schon damals, vor zwölf Jahren, als in Syrien der Bürgerkrieg tobte und die Staatschefs der EU beratschlagten, ob und wie man den Euro retten könne, dachten sich vermutlich viele: Viel schlimmer kann es nicht mehr kommen.

Multiple Krisen

Falsch gedacht. In den Jahren danach kamen zahlreiche weitere Krisen hinzu: Der Brexit, Corona, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, der Aufstieg der AfD und die über allem schwebende Bedrohung durch den Klimawandel sind nur einige Beispiele. Wie man bei dieser Sachlage noch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken soll – darauf scheint vielen die Antwort zu fehlen. Vielleicht erkranken auch deswegen immer mehr Menschen in Deutschland an Depressionen und Angststörungen. Dieser Stress zeigt sich auch in einer verstärkten Inanspruchnahme psychologischer Dienste.

Gleichzeitig gibt es aber zahlreiche Menschen, die trotz widrigster Umstände ihren Lebensmut behalten: Der Sänger Justin Bieber wuchs beispielsweise in Armut auf, der Vater des US-Politikers Bill Clinton starb kurz vor seiner Geburt und der Physiker Stephen Hawking erkrankte in jungen Jahren an ALS und saß vor seinem Tod lange bewegungsunfähig im Rollstuhl. Sie haben sich von diesen Schicksalsschlägen nicht nur nicht unterkriegen lassen, sondern haben in ihrem Leben sogar Außergewöhnliches erreicht.

Sportliche junge Frau mit Beinprothese bei Dehnübungen auf einer Brücke
Vereinbarkeit von Behinderung und den beruflichen und sozialen Anforderungen.

© Edwin Tan, iStock

Was bedeutet Resilienz?

Die Fähigkeit, trotz traumatischer Erfahrungen weiterzumachen, heißt in Fachkreisen Resilienz. Das Wort wird angesichts der heutigen Krisen immer häufiger und für immer mehr Situationen verwendet, stammt aber eigentlich aus der Werkstoffkunde. Dort wird es für Materialien gebraucht, die trotz extremer Verformungen wieder in ihren Ursprungszustand zurückfinden – wie etwa ein Gummiball, der beim Aufprall eine Delle bekommt, dann aber wieder zu seiner runden Formen zurückkehrt. Ähnlich wie der Gummiball können auch resiliente Menschen nach Schicksalsschlägen wieder „zurückprallen“ und „in ihren Ursprungszustand zurückkehren“.

Und genau wie bestimmte Werkstoffe sind eben auch manche Menschen widerstandsfähiger als andere: Die Psychologin Emmy Werner entdeckte dies in einer Studie, in der sie den Werdegang vieler Kinder verfolgte. Einige hatten eine harte Kindheit: Sie mussten hungern, wurden geschlagen oder vernachlässigt. Viele von ihnen brachen später die Schule ab oder wurden alkoholabhängig. Doch etwa ein Drittel der Risikokinder schaffte es trotz ihrer traumatischen Vergangenheit, ein erfolgreiches, glückliches Leben zu führen. Manche Menschen lassen sich scheinbar von nichts aus der Bahn werfen. 

Was stärkt die persönliche Resilienz?

Als Werner die Ursachen für die Widerstandskraft dieser Kinder untersuchte, stieß sie auf einen entscheidenden Faktor: Diejenigen Kinder, die außerhalb ihrer dysfunktionalen Familie noch eine stabile Bezugsperson hatten, die zu ihnen hielt und sie stützte – sei es eine Lehrerin, der große Bruder oder die Eltern guter Freunde –, konnten ihr Leben später besser meistern. Auch generell galt, dass Kinder, die ein stabiles soziales Umfeld hatten, später resilienter waren.

Darüber hinaus bestimmt der Studie zufolge vor allem der individuelle Umgang mit stressigen oder traumatischen Ereignissen die eigene Widerstandfähigkeit. Wer in Krisensituationen um Hilfe bittet, statt sich zu isolieren und alleine im Bett einzuigeln, erfährt in der Folge auch eher Unterstützung und hat dadurch höhere Chancen, die Situation zu meistern. Eine weitere Wunderwaffe der Widerstandsfähigkeit: Zuversicht. Wer Problemen mit der inneren Haltung: „Das ist jetzt schwierig, aber es geht auch wieder vorbei“ begegnet, bleibt hoffnungsvoll und kann so innere Kraftreserven mobilisieren.

Auch vergangene Erlebnisse haben einen Einfluss:.Wer schon oft gemerkt hat, dass eigene Handlungen eine Änderung zum Positiven bewirken, ist auch bereit, aus der Opferrolle herauszutreten und sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Doch diese positiven Erfahrungen muss man erst machen. Gerade Kinder, die mit Situationen konfrontiert waren, in denen sie tatsächlich machtlos waren, haben derartige Selbstwirksamkeitserfahrungen nicht oder zumindest seltener gemacht. Das hat ihr seelisches Immunsystem geschwächt. Wenn sie im Erwachsenenalter vor Herausforderungen gestellt werden, sind ihre Resilienz-Reserven daher von Anfang an niedriger.

Wie lässt sich Resilienz trainieren?

Die gute Nachricht: Resilienz lässt sich lernen. Beispielsweise hilft es, auf Körpersymptome zu achten: Herzklopfen, Magenbeschwerden oder Schlaflosigkeit sind gängige Anzeichen für Stress. Wer sie bemerkt, kann beobachten: Wann tauchen die Symptome auf? So lässt sich deren Ursache identifizieren. Im zweiten Schritt kann man dann ganz im Stil einer resilienten Person das Problem angehen und im Idealfall auch lösen.

Ansonsten sind die klassischen Tipps für ein gutes, glückliches Leben auch tolle Tipps für eine gesteigerte Resilienz: Genug schlafen, gesund essen, viel trinken, Sport treiben. Denn auch körperliches Wohlbefinden sorgt für mehr Kraftreserven und steigert so die persönliche Resilienz.

Wann stoßen resiliente Menschen an Grenzen?

Aber der Hype um die Resilienz muss auch mit Vorsicht genossen werden. Denn durch das Hochhalten der Resilienz-Fähigkeit verlangt man von den Menschen fast Unmögliches, nämlich in einer scheinbar am Abgrund taumelnden, krisengeplagten Welt zuversichtlich zu bleiben. „Der Begriff setzt voraus, dass die Welt um uns herum schwierig, unsicher und sogar bedrohlich ist – und dass man trotzdem lernen kann, unter diesen Bedingungen gut zu leben und das Beste herauszuholen“, sagt dazu die Soziologin Stefanie Greafe gegenüber dem Standard. Ein hoher Anspruch.

Dieser Ansatz kann außerdem der Lösung des echten Problems im Weg stehen. „Resilienz verspricht ein besseres Durchkommen durch die Krise – nicht eine Veränderung der Verhältnisse“, so Greafe. Ein Beispiel: Eine Umfrage unter etwa 10.000 jungen Menschen zwischen 16 und 25 Jahren in so unterschiedlichen Ländern wie Australien, Brasilien, Finnland, Frankreich, Indien, Nigeria, den Philippinen, Portugal, Großbritannien und den USA ergab, dass etwa 60 Prozent von ihnen wegen des sich abzeichnenden Klimawandels unter Zukunftsängsten leiden. Selbstverständlich ist es wichtig, dass Menschen, die unter Angstattacken leiden, für ihre psychische Gesundheit sorgen. Aber: Um eine globales Problem dieser Größenordnung langfristig zu lösen, müssten Politik, Industrie und Gesellschaft die nötigen Schritte einleiten, um den Klimawandel zu stoppen. Hier sind andere Fähigkeiten gefragt.

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