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Impfen: Pro und Contra (Podcast 185)

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Ein kleiner Piekser – eine große Kontroverse. Impfungen versprechen einerseits Schutz vor vielerlei Infektionskrankheiten und gelten als eine der bedeutendsten Errungenschaften der modernen Medizin. Andererseits rufen sie Kritiker auf den Plan, die ihre Notwendigkeit anzweifeln oder gar vor sogenannten Impfschäden warnen. Diese öffentliche Diskussion sorgt häufig für Verunsicherung, gerade bei Eltern. Denn für Säuglinge steht die erste empfohlene Impfung bereits im zarten Alter von neun Wochen auf dem Programm.

Doch nicht nur frischgebackene Eltern wünschen sich Aufklärung. Spätestens vor der nächsten Fernreise fragen sich Erwachsene auch in eigener Sache: "In welcher Schublade ist noch mal dieses gelbe Heftchen, mein Impfpass? Und wie wichtig sind Impfungen wirklich für mich?“

wissen.de-Autorin Saskia Balke wollte es genau wissen: Sie hat sich auf Spurensuche gemacht, um herauszufinden, was die Immunisierung für die Menschheitsgeschichte wirklich geleistet hat – und was Sie über moderne Impfmethoden wissen sollten.

 

Wie funktionieren Imfpungen?

Viren und Bakterien: Mit dem bloßen Auge können wir sie nicht sehen. Und doch bedrohen diese Eindringlinge unsere Gesundheit. Denn viele dieser Erreger lösen Krankheiten aus, die dem Menschen gefährlich werden können. Gleichzeitig verfügt unser Körper über ein einzigartiges Schutzschild: das Immunsystem. Einmal mit einem bestimmten Erreger konfrontiert, rüstet es den Menschen mit der Bildung von Antikörpern gegen eine erneute Ansteckung. Bei vielen bakteriell oder viral hervorgerufenen Krankheitserregern gilt daher: Wer einmal erkrankt ist, bleibt vor einer erneuten Infektion geschützt.

Ein geniales Prinzip unseres Körpers, das sich auch die Medizin zunutze macht. Bei der Impfung wird das Immunsystem angeregt, Antikörper ohne vorherige Infektion zu bilden. Dazu werden abgetötete oder abgeschwächte Viren oder Bakterien geimpft – beziehungsweise einzelne Bestandteile der Erreger. Dieses Verfahren ist die häufigste Form der Impfung, sie nennt sich aktive Immunisierung. Fortan erkennt der Körper den jeweiligen Eindringling und kann weitere Antikörper in ausreichender Menge bilden, um eine Infektion erfolgreich abzuwehren. Für viele Krankheiten hat die Wissenschaft einen geeigneten Impfstoff gefunden. Dazu zählen zum Beispiel Röteln, Masern oder Kinderlähmung. Bei manchen Infektionen wie HIV steckt die Forschung hingegen noch in den Kinderschuhen.

 

Historische Impferfolge

Das Prinzip des körpereigenen Immunschutzes wurde schon sehr früh entdeckt. Bereits im Jahr 200 vor Christus tüftelten Chinesen und Inder, um Menschen gegen Pocken zu immunisieren. Die gefürchtete Infektionskrankheit bedeutete für 30% der Betroffenen den sicheren Tod. Im 18. Jahrhundert gelang die Pocken-Immunisierung noch durch absichtliche Ansteckung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hielten die modernen Impfmethoden Einzug. Später erzielte die Weltgesundheitsorganisation durch weltweite Impfungen einen durchschlagenden Erfolg im Kampf gegen die tödlichste aller Infektionskrankheiten – und erklärte im Jahr 1980 die Welt zur pockenfreien Zone.

Eine solche Ausrottung ist nur möglich, wenn ein hoher Prozentsatz von Menschen geimpft ist. Bei der Kinderlähmung ist dies weltweit fast gelungen. Kürzlich meldete die Ärztezeitung jedoch, dass islamische Extremisten den Impfstoff ablehnen und so den Sieg im weltweiten Kampf gegen Polio gefährden.

Welche Impfungen zu welchem Zeitpunkt verabreicht werden sollten, weiß zum Beispiel der Hausarzt. Die Empfehlung zur Grundimmunisierung von Kindern und Auffrischungsimpfungen spricht in Deutschland übrigens die ständige Impfkommission aus, kurz STIKO genannt. Manche Impfstoffe brauchen eine zweite Impfung oder eine Auffrischung, um einen vollständigen Impfschutz zu gewährleisten. Der Impfkalender empfiehlt dabei die optimalen Zeitvorgaben.

 

Immunisierung wie im Mutterleib

Eine zweite Form der Impfung ist die passive Immunisierung. Dabei wird der Antikörper direkt injiziert und steht dem Organismus sofort zur Verfügung. Dabei bildet der Körper jedoch kein sogenanntes Immungedächtnis aus. Der Schutz besteht daher nur einige Wochen lang und so eignet sich die passive Impfung lediglich als Notfallmaßnahme.

Nach der Geburt sind Säuglinge auf ähnliche Weise durch Antikörper der Mutter geschützt, die sie über ihr Blut und später über die Muttermilch erhalten. Diese verhüten jedoch in erster Linie Magen-Darm-Krankheiten, wirken nicht gegen alle Krankheitserreger, und der Schutz nimmt mit der Zeit ab. Die offizielle Empfehlung lautet daher, möglichst frühzeitig zu impfen - ein gesundes Baby bereits ab der 9. Lebenswoche. Besorgte Eltern fragen sich da: Birgt eine derart frühe Konfrontation mit Impfstoffen Gefahren für mein Kind?

 

Die Bedenken der Impfgegner

Immerhin ein Drittel der Eltern steht Impfungen kritisch gegenüber – aus Angst vor unkalkulierbaren Nebenwirkungen. Offizielle Zahlen geben jedoch Entwarnung: Schwere Komplikationen treten demnach extrem selten auf. Wer sich im Internet ein eigenes Bild machen möchte, dürfte dennoch schnell auf drastische Warnungen von Impfkritikern stoßen. Die Titel der Beiträge sind häufig stark emotionalisiert und angsteinflößend: Zum Beispiel: "Impfen – Völkermord im 3. Jahrtausend?“  oder „Impfen ist Kinderschändung“.

Wer sich im Internet umfassend und sachlich informieren möchte, sollte darauf achten, unabhängige und seriöse Informationsquellen bewusst von pseudowissenschaftlichen oder verschwörungstheoretischen Inhalten zu unterscheiden. Denn eine Impfung ist zwar nicht einfach nur ein harmloser Piekser – doch unhaltbare Thesen und blinde Hysterie sind jeder sachlichen Aufklärung abträglich. Mediziner nehmen sich Medienberichten zufolge heute jedoch kaum Zeit, um nicht nur den Vorteil der Immunisierung zu loben, sondern auch über die Risiken aufzuklären. Kosten und Nutzen einer Impfung sachlich abwägen zu können, ist jedoch die Basis einer Impfentscheidung, die frei von irrationalen Ängsten ist.

 

Von Risiken und Nebenwirkungen

Die Impfung schützt nachweislich vor Infektionen. Einen hundertprozentigen Schutz verspricht sie jedoch nicht – und sie ist nicht frei von Nebenwirkungen. Denn wenn sich der Körper mit den eingebrachten Impfstoffen auseinandersetzt, können Impfreaktionen auftreten. Diese sind zumeist harmlos und verschwinden nach einigen Tagen wieder. Dazu zählen zum Beispiel Rötungen oder Schwellungen an der Einstichstelle oder Erkältungssymptome.

Das Risiko von Komplikationen, die dauerhafte Schäden auslösen, ist laut Robert Koch-Institut hingegen extrem gering. Alle Impfstoffe müssen zugelassen sein und unterliegen strengsten Auflagen nach modernstem Forschungsstand. Inzwischen sind Kombinationsimpfstoffe für Kinder quecksilberfrei. Thesen, dass Impfungen mit Autismus, Asthma oder Allergien in Zusammenhang stehen, konnten wissenschaftlich eindeutig widerlegt werden.

Seit 2001 gilt in Deutschland überdies das Infektionsschutzgesetz. Ärzte sind verpflichtet, den Verdacht auf eine Impfschädigung zu melden, wenn sie über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgeht. Innerhalb von drei Jahren wurden 3328 Fälle gezählt, doch nur bei 0,2 Prozent dieser Meldungen konnte ein  Zusammenhang von Ursache und Wirkung gesichert werden.

 

Die umstrittensten Impfungen

Dennoch bleibt auch in wissenschaftlichen Kreisen Kritik an der herrschenden Impfkultur nicht aus. Die Gesellschaft für Allgemeinmedizin DEGAM fordert einen kritischen Umgang mit dem Thema Impfungen und stellt einzelne Empfehlungen der ständigen Impfkommission in Frage. Darunter den Sinn einer Windpockenschutzimpfung. Ein schwerer Verlauf der Erkrankung ist bei Kindern äußerst selten zu erwarten. Der Impfschutz hält nicht lebenslang und so erkranken Erwachsene häufiger und schwerer. Auch die Stiftung Warentest kam jetzt zu dem Schluss, die Windpocken-Impfung sei überflüssig. Zudem empfiehlt sie die Immunisierung gegen Rota-Viren als Standard-Impfung. Gegen die von Zecken übertragene Infektion FSME sei laut DEGAM unnötig Angst geschürt worden. Und die relativ neue Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs sei noch nicht ausreichend beurteilbar. Zudem solle die ständige Impfkommission prüfen, ob in Hinblick auf Erfahrungen aus Skandinavien oder England die Impfauffrischungen wie zum Beispiel für Tetanus nicht seltener erforderlich seien.

 

Unterschätzte Krankheitsrisiken

Trotz kritischen Blickes auf das Thema: Nach Aussagen der Wissenschaft steht die sehr geringe Wahrscheinlichkeit einer schwerwiegenden Impfkomplikation dem weitaus höheren Risiko der Erkrankung an einer Infektionskrankheit gegenüber – die einen schweren Verlauf nehmen kann. Viele Krankheiten und ihre dramatischen Spätfolgen werden heute unterschätzt. Der Grund: Hohe Durchimpfungsraten führen dazu, dass einige Infektionen kaum noch auftreten. Aus den Augen, aus dem Sinn. So verlieren sie ihren Schrecken – aber nur scheinbar.

"Ach was, Masern, da mussten wir als Kinder auch schon durch.“, lässt so mancher Erwachsene verlauten. Doch Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Die schwerwiegenden Folgen der höchst ansteckenden Infektion fordern weltweit jedes Jahr 120.000 Menschenleben. Noch 1995 starben eine Million Kinder daran. Das meldepflichtige Virus selbst ist nicht behandelbar, nur die Symptome können bekämpft werden. Treten Komplikationen auf, drohen massive Folgeschäden wie eine dauerhafte geistige Schädigung – oder der Tod. Dennoch erhalten nur 90 Prozent der Kinder die Erstimpfung, die wichtige Zweitimpfung nur 80 Prozent. Erst eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent könnte jedoch die immer häufiger auftretenden Masernepidemien stoppen. In Deutschland stieg die Zahl der Erkrankten 2011 erstmals seit 5 Jahren wieder auf eine Rekordzahl.

Ein gefährlicher Gegentrend zur Impfung sind die sogenannten Masernpartys, die ihren Ursprung in Großbritannien haben. Eltern lassen gesunde, ungeimpfte Kinder dabei auf akut erkrankte Kinder treffen, um diese gezielt zu infizieren und zu immunisieren. Nach deutschem Recht erfüllt eine Masernparty den Tatbestand gefährlicher Körperverletzung. Ein extremes Beispiel.

 

Entscheidungsfindung

Viele Eltern mit Interesse an alternativen Methoden der Immunisierung, unter ihnen übrigens häufig Menschen mit hohem Bildungsgrad, wenden sich an Homöopathen. Überraschend ist: Nur rund 68 Prozent der Naturheilkundler sprechen Impfempfehlungen für minderjährige Kinder aus. Jedoch lassen mehr als 85 Prozent der homöopathischen Ärzte den eigenen Nachwuchs impfen.

Nach heutigem Stand der medizinischen Forschung schützen Impfungen bei statistisch geringem Risiko. Den Einzelnen vor schwerwiegenden Folgen einer Infektionskrankheit, die Gesellschaft vor Epidemien. Die Entscheidung trifft dennoch ein jeder für sich selbst oder seine Kinder, denn eine Impfpflicht gibt es in Deutschland nicht. Ob Grundimmunisierung, saisonale Grippeimpfung oder Infektionsvorbeugung für die nächste Fernreise: Ein Blick in den Impfpass und ein persönliches Gespräch mit einem fachkundigen Arzt helfen, eine individuell sinnvolle Entscheidung zu fällen.

 

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