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Organspendeausweis

In der Theorie sind die meisten für die Organspende, können sich sogar vorstellen, ihre eigenen Organe zu spenden. Doch einen Ausweis haben die wenigsten. Was hält uns eigentlich davon ab?
Nicole Simon

Ein unachtsamer Moment, ein Fahrrad, das unerwartet abbiegt, eine überfahrene rote Ampel – und plötzlich stirbt ein Mensch. Das allein ist schon tragisch genug. Was aber, wenn zur gleichen Zeit an einem anderen Ort ein Mensch um sein Leben bangt, weil seine Herz oder seine Lungen nicht mehr arbeiten wollen. Die Organe des Toten könnten für ihn ein neues Leben bedeuten.

Rund 12.000 schwer kranke Menschen sind in Deutschland laut Eurotransplant auf eine Organspende angewiesen. Doch viele warten vergebens. Täglich sterben statistisch gesehen drei von ihnen, weil für sie nicht rechtzeitig ein passendes Organ verfügbar ist.
Organspenden gehört zu den emotionalsten und ethisch heikelsten Themen. Wenn es um den eigenen Tod und die Entnahme ihrer Organe geht, sind viele Menschen verunsichert. Die größte Angst ist, dass Herz oder Nieren schon vor dem Tod entnommen werden. Eine unbegründete Sorge. Der Gesetzgeber hat den Ablauf einer Spende genau geregelt.


 

Voraussetzung für eine Spende ist der Hirntod, mit unter einem Prozent eine nicht sehr häufige Todesursache: Er ist meist die Folge von schweren Kopfverletzungen, Hirnblutungen oder Hirntumoren. Zwei erfahrene Ärzte, die nicht an der Transplantation beteiligt sind, müssen nun unabhängig voneinander feststellen, ob sie wirklich keine Aktivität im Hirnstamm, im Großhirn und im Kleinhirn mehr messen können, ob der Spender keine Reflexe mehr zeigt, nicht mehr spontan atmet. Der Hirntod ist unumkehrbar, einmal eingetreten, gibt es keine Möglichkeit, den Menschen ins Leben zurück zu holen. Durch die fortwährende Beatmung arbeiten Teile des Stoffwechsels jedoch manchmal noch weiter. Einige Hirntote können noch schwitzen, verdauen oder etwa mit Fieber auf Infektionen reagieren. Kritiker betrachten diese Menschen daher nicht als tot, sondern als Sterbende.

Die künstliche Sauerstoffzufuhr in dieser Zeit soll die restlichen Körperzellen vor dem Zerfall schützen. Zusätzlich untersuchen die Ärzte die Organe auf Infektionen wie HIV oder Krebserkrankungen. Auch die Blutgruppe, Alter, Gewicht und die Gewebemerkmale werden bestimmt. Denn je ähnlicher die Merkmale von Spender und Empfänger sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Körper das neue Organ nicht wieder abstößt.

All diese Daten des Spenders schicken sie ins niederländische Leiden an die europäische Vermittlungsstelle "Eurotransplant“. Die Fachleute hier suchen mit diesen Informationen nach passenden Empfängern und benachrichtigen ein Transplantationszentrum in seiner Nähe.
Im Operationssaal entnehmen Ärzte dem Spender die Organe, spülen sie mit einer Konservierungslösung, kühlen und verpacken sie, damit das Gewebe den Transport mit dem Krankenwagen oder Flugzeug zum Transplantationszentrum unbeschadet übersteht. Der Leichnam wird nun wieder verschlossen und der Familie zur Bestattung übergeben.
Gespendet werden können bislang: Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse, Darm und Teile der Haut sowie Hornhaut der Augen, Herzklappen und Teile der Blutgefäße, des Knochengewebes, des Knorpelgewebes und der Sehnen.

Doch nicht jeder Hirntote wird automatisch zum Spender. Ob man seine Organe einem anderen Menschen nach dem Tod zur Verfügung stellt, kann jeder selbst bestimmen. Kein Arzt trifft die Entscheidung eigenmächtig oder entscheidet über den Kopf des Toten hinweg.
Wer sich für oder auch gegen eine mögliche Spende entscheidet, sollte das in einem Organspende-Ausweis festhalten. Die Wahl lässt sich auch einschränken. Wer etwa nicht möchte, dass sein Herz oder die Netzhaut des Auges entnommen wird, kann auch das auf dem Ausweis vermerken. Die kleine Karte bekommt man in vielen Arztpraxen,  Apotheken, Ämtern oder auch als Download im Internet bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Jugendliche dürfen sich mit 14 Jahren gegen eine Organspende entscheiden. Ein eigener Organspendeausweis ist jedoch erst ab 16 Jahren erlaubt. Bei Minderjährigen unter 18 Jahren und Jugendlichen, die Ihren eigenen Willen nicht selbst festgeschrieben haben, befragen die Ärzte die Eltern. Auch wenn der mögliche Spender nie einen Ausweis hatte, können Angehörige die Entscheidung im Sinne des Verstorbenen für oder gegen eine Spende treffen.
Fragt man die Deutschen, geben mehr als zwei Drittel an, dass sie bereit wären, ihre eigenen Organe zu spenden. Einen Ausweis besitzen laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nur rund 25 Prozent.

In anderen Ländern ist die Situation etwas anders. In Belgien beispielsweise gilt bei der Organspende die Widerspruchsregel. Danach gilt jeder von Geburt an als Spender, solange man dem nicht ausdrücklich widerspricht. Dieser bürokratische Unterschied hat deutlichen Einfluss auf die Spenderzahlen. In Belgien etwa gibt es fast doppelt so viele Organspender wie in Deutschland.

Diese Zahlen haben auch in Deutschland zu einer Diskussion geführt - und zu neuen Entscheidungen. Auch weiterhin bleibt die Entscheidung eine freiwillige – aber sie wird erleichtert. Daher wird jeder Erwachsene in Deutschland nach seiner Bereitschaft zur Organspende befragt. Ab 2012 bekommt jeder Deutsche regelmäßig Post von seiner Krankenkasse, die über die Organspende informiert und zur Abgabe einer Erklärung auffordert. Die nächste Abfrage ist für 2014 geplant, nach 2017 soll die Aufforderung dann alle fünf Jahre erfolgen. Welchen Einfluss die Gesetzesänderung auf die Spenderzahlen haben wird, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.

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