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Rekord-Tauchgang in einer Eishöhle
Der Hintertuxer Gletscher liegt in einem Nebental des Zillertales in Tirol. Oberhalb von rund 2.600 Metern Höhe erstreckt sich dort ein rund vier Kilometer langer und bis zu 120 Meter dicker Eisstrom. Dieser Gletscher bildet ist Österreichs einziges Ganzjahresskigebiet - hier können Wintersportler bis zu 365 Tage im Jahr Skilaufen, Rodeln oder Snowboard fahren.
Eine Höhlenwelt unter dem Eis
Doch was die meisten Besucher nicht wissen: Tief unter der Oberfläche des Gletschers verbirgt sich eine faszinierende Unterwelt – ein System von Eishöhlen. Jahrzehntelang wurde der Eingang zu diesem Höhlensystem im Gletscher schlicht übersehen – kein Wunder: Ursprünglich war die Gletscherspalte, die den Zugang gewährt, nur zehn Zentimeter breit. Erst im Jahr 2007 bemerkte der Alpinist Roman Erler diese Spalte, erweiterte sie vorsichtig und stieg dann durch sie in das Innere des Gletschers hinab.
Was er dort sah, verschlug ihm den Atem: Auf mehr als 650 Metern Länge erstreckt sich mitten im Eis eine faszinierende Höhlenwelt. An den Wänden sind riesige Eiskristalle zu bestaunen, von den Decken ragen durchsichtige Stalagmiten aus Wassereis hinab. Sogar einen gefrorenen Wasserfall und ein Gletschersee umfasst das eisige Höhlensystem.
Seit 2008 ist diese "Natur Eis Palast" getaufte Höhlenwelt für Besucher zugänglich. Vom Eingang unweit der Bergstation der Liftanlage "Gletscherbus 3" kann man auf einem 640 Meter langen Weg die Wunder dieser eisigen Unterwelt erkunden. Den Gletschersee können ganz Mutige sogar mit dem Kanu oder einem Stand-Up-Paddelboard befahren.
Tauchgang im Eisschacht
Doch der Gletschersee und ein wassergefüllter Eisschacht im Hintertuxer Gletscher locken auch immer wieder Extremsportler wie Taucher und Eisschwimmer in die Höhlenwelt unter dem Eis. Vor kurzem besuchte auch der Apnoetaucher Christian Redl den Natur Eis Palast für eine ganz besondere Aktion: Redl, der bis dato neun Weltrekorde im Freitauchen aufstellte, wollte der erste Mensch sein, der unter einem Berggletscher taucht – ohne Pressluftflasche.
Ein solcher Tauchgang ist schon allein aufgrund der außergewöhnlichen Bedingungen eine echte Herausforderung. "Das Wasser hat aufgrund von vielen Anomalien eine Wassertemperatur von nur minus 0,6 Grad Celsius" erklärt Erler. "Normalerweise hat ein gefrorener See zwei Grad Celsius direkt unter der Eisdecke." Zum Schutz vor der eisigen Kälte des Wassers im Eisschacht würde man normalerweise spezielle Trockentauchanzüge nutzen. Doch der Apnoetaucher Redl brauchte mehr Bewegungsfreiheit und nutzte daher nur einen fünf Millimeter dünnen Nassanzug.
Eine weitere Hausforderung für den Taucher war die Höhe: Die Gletscherhöhle und mit ihr der Eisschacht liegen auf 3.200 Metern. "In dieser Höhe fällt jede Art von sportlicher Leistung noch schwerer", erklärt Redl. Dazu kommt der mentale Aspekt: Der Schacht hat am Anfang einen Durchmesser von drei Metern, doch nach zehn Metern verengt er sich allmählich immer mehr – bis er nur noch rund einen Meter breit ist. Als Taucher hat man dort kaum noch Bewegungsfreiheit.
Eisiger Weltrekord
Doch Redl hat schon einige Eistauch-Weltrekorde aufgestellt und ist daher schwierige Bedingungen gewöhnt. Er wagte den Sprung in wortwörtlich eiskalte Wasser, holte tief Luft und ließ sich in die Tiefen des wassergefüllten Eisschachts in der Hintertuxer Gletscherhöhle sinken. "Die Sicht im Wasser war sensationell, man konnte überall Eiskristalle sehen, allerdings wurde es in der Tiefe immer dunkler", berichtete er hinterher.
Der Tauchgang gelang – Redl war nicht ganz eine Minute im eisigen Wasser unterwegs, bevor er wieder auftauchte. 23 Meter tief war der Apnoetaucher in dieser Zeit in den Eisschacht hinabgetaucht. Redl ist nun der erste Mensch, der ohne Pressluftflasche 23 Meter tief in einen Eisschacht im Gletscher getaucht ist – und das auf 3.200 Metern über dem Meeresspiegel. Die Höhlenwelt unter dem Hintertuxer Gletscher hat damit einen neuen Rekord ermöglicht.
Eine Felshöhle liegt gleich nebenan
Doch der Natur Eis Palast ist nicht die einzige "Unterwelt" am Hintertuxer Gletscher. Man kann dort noch eine weitere Höhle entdecken: die Spannagelhöhle. Sie liegt nicht im Eis des Gletschers, sondern im Gestein des Gebirges. Dieses 1919 entdeckte Höhlensystem ist mehr als 12,5 Kilometer lang und gilt damit als die höchstgelegene Großhöhle Europas. Neben faszinierend vielfarbigen Gesteinsformationen und Tropfsteinen gibt es in der Spannagelhöhle auch unzählige wassergefüllte Gänge und Kavernen und sogar Wasserfälle.
Einen Teil dieser faszinierenden Höhlenwelt kann man als Besucher besichtigen. Der Eingang liegt in 2.531 Metern Höhe in der Nähe des Bergrestaurants Spannagelhaus. Von dort aus kann man rund 500 Meter der Höhlenwelt bei Führungen erkunden.