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Worüber wir uns aufregen (und wie man wieder runterkommt) (Podcast 107)

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Jeder kennt das Gefühl – im Magen zieht sich alles zusammen, der Blutdruck steigt, die Handflächen werden schwitzig … man "regt sich auf". Meistens über etwas, das man als eine Zumutung empfindet, als eine himmelschreiende Ungerechtigkeit etwa, oder als die Unbedachtheit eines anderen. Nicht selten brechen dann Schimpfworte aus einem heraus, mit denen man "seinem Ärger Luft macht". Doch es gibt auch positive Aufregungen, auf die niemand verzichten möchte – und es gibt Methoden, mit der inneren Unruhe fertig zu werden. Aber was passiert eigentlich genau, wenn wir uns aufregen?

 

Worüber wir uns aufregen

 

Es ist eine der berühmtesten Pressekonferenzen der Sportgeschichte, und man muss kein Fußballfreund sein, um sie zu kennen – die Rede ist vom Wutanfall, den Trainer Giovanni Trapattoni 1998 angesichts der miserablen Leistung des von ihm betreuten FC Bayern München an den Tag legte. Man spürt, wie sich die lang aufgestaute Frustration ihren Weg bahnt, wie Trapattoni sie nicht mehr im Zaum zu halten vermag, bis er schließlich erschöpft abgeht.

Doch nicht nur Trainern platzt manchmal der Kragen – auch den Spielern passiert dies. Dabei geht es nicht selten um fragwürdige Entscheidungen des Unparteiischen, die auch dem Publikum stets Anlass für hitzige Debatten geben. Lothar Matthäus war da ein lohnendes Beispiel.

Natürlich ist die Welt kein Fußball, doch im Fußball spiegelt sich eine Menge Welt. Kein Wunder also, dass die Streitgespräche rund ums Leder am hitzigsten sind und sich hier am deutlichsten Affekte entladen. Über Trapattonis Aufgeregtheit amüsieren wir uns, weil wir sie so gut nachvollziehen können – jeder möchte manchmal wie er "aus der Haut fahren". Schließlich gibt es im Alltag jede Menge Gelegenheiten, um sich aufzuregen – zum Beispiel, wenn man mit seinem Wagen im Stau steckt oder einem ein weiteres Mal die Vorfahrt genommen wird. Typische Aufreger sind zudem das Verteilen von Strafzetteln oder das Abschleppen von Falschparkern – hier liegt die Aufregung praktisch grundsätzlich "in der Luft".

Andere Themen, die das Blut in Wallung bringen, sind die Tarifgestaltung der öffentlichen Verkehrsmittel, Benzinpreisanhebungen (natürlich direkt vor den Schulferien) oder Steuererhöhungen – alles Dinge, die bisweilen "das Fass überlaufen lassen". Dann erhitzt man sich, empfindet Ungerechtigkeit, gerät sogar ins Fluchen – mancher nur für sich, wenn niemand zuhört, mancher wiederum genießt es sogar, dabei Publikum zu haben. Und Schimpfen ist ja sowieso nur in Gesellschaft richtig schön.

Andererseits aber steht der Begriff "Aufregung" nicht nur für Entrüstung. Wir sind auch vor positiven Dingen aufgeregt: anlässlich der Abschlussfeier des Tanzkurses, beim Wiedersehen mit einem alten Freund und besonders vor dem ersten Rendezvous. Kein Zweifel – verliebt sind wir am alleraufgeregtesten, dann spielt – gerade in jungen Jahren – schon mal der gesamte Kreislauf "verrückt". Es scheint also doch eine verzwickte Sache zu sein, wenn wir uns aufregen.

 

Wie wir uns aufregen

 

Aufregung ist etwas Subjektives. Das, was den einen erhitzt, lässt den nächsten völlig kalt. Dann kommt es zu Bemerkungen wie "Ich weiß gar nicht, warum Du Dich so aufregst" oder "Reg dich nicht auf". Hier ist dem Gegenüber der Grund für die Erregung des anderen überhaupt nicht ersichtlich, und er versucht zu bremsen. Tatsächlich gibt es Menschen, die sich leichter aufregen als andere, was sich vom jeweiligen Temperament her ableiten lässt. Der dynamische Sanguiniker und der reizbare Choleriker reagieren anders als der nachdenkliche Melancholiker und der geruhsame Phlegmatiker. Obwohl diese Einteilung auf die Antike mit ihrer aus medizinischer Sicht veralteten Viersäftelehre zurückgeht, gibt sie einen ersten Hinweis darauf, wie das Phänomen zu verstehen ist. Natürlich beschäftigt sich auch die moderne Neurophysiologie mit dem Aufregen, geht es doch um Impulsübertragung zwischen Nervenzellen. Zudem spielt die Ausschüttung von Hormonen – wie das unter Stresseinwirkung gebildete Adrenalin – eine Rolle. Die Art, wie sich das Aufregen äußert, ist ebenfalls ausgesprochen unterschiedlich. Manch einer hat vor allem ein flaues Gefühl im Bauch, dem nächsten verengt es den Blick, der dritte bekommt zitternde Hände. Genau so unterschiedlich fallen die Methoden aus, diese Anspannung wieder zu lösen.

 

Wie man sich abregen kann

 

Comic- und Zeichentrickfiguren gehen buchstäblich in die Luft, wenn sie sich aufregen – und fallen dann oft auf den Bauch, wenn sie wieder "herunterkommen". In der Realität nimmt sich dieser Vorgang zum Glück glimpflicher aus. Enthemmtes Schimpfen ist nur eine Möglichkeit; viele treiben zum Beispiel Sport – tatsächlich genügt oft schon ein Spaziergang von wenigen Minuten Dauer, um das Gemüt zu beruhigen und die Aufregung abklingen zu lassen. Nicht zuletzt, weil die allermeisten Anlässe zum Aufregen nichtig sind – es geht nur um Kleinigkeiten! Und das bedeutet, dass man in seiner Wut überreagiert.

Die Philosophie weiß Rat. In dem auf das Jahr 300 v. Chr. zurückgehenden Stoizismus besteht der Sinn des Menschen darin, seinen Platz in der Weltordnung zu erkennen und einzunehmen. Die Aufgabe lautet, gelassen die eigene Lage zu akzeptieren – weswegen noch heute jemand, der sich durch besondere Gemütsruhe auszeichnet, als "Stoiker" oder "stoischer Mensch" bezeichnet wird. Auch der Buddhismus strebt den Frieden mit sich selbst und damit eine entspannte Gesamtverfassung an. Ausdrücklich soll man sich von Gier, Hass und Verblendung abwenden, Askese wie Hedonismus gleichermaßen meiden und nicht zuletzt durch meditative Übungen die nötige Gemütsruhe herstellen. Genau hierin liegt ja auch einer der Anziehungspunkte dieser Religion.

Um zu meditieren oder sich auch nur innerlich zu sammeln, braucht man sich jedoch nicht mit dem Buddhismus zu beschäftigen. Im Alltag ist gerade während der Arbeit auch die Verwendung von entspannender Musik möglich, wie sie beispielsweise der Brite Brian Eno während der 1970er Jahre unter dem Begriff Ambient Music entwickelt hat. Hier gehen warme Klangwogen ineinander über und entwickeln unaufdringlich einen akustischen Hintergrund, vor dem sich die eigenen Aktivitäten abspielen können.

Doch wie gesagt, manchmal ist Aufregung gewollt und produktiv. Um abschließend noch einmal auf den Fußball zurückzukommen: Noch bemerkenswerter als Trapattonis Kontrollverlust ist die berühmte Szene beim Weltmeisterschaftsspiel Deutschland–Ungarn 1954, die Radio-Moderator Herbert Zimmermann gewissermaßen für die Ewigkeit festhielt und dabei das ultimative Beispiel für positive Aufregung gab. Und mal ehrlich – auf diese Aufregung freuen sich doch nahezu alle – oder?

 

Kai Jürgens und Michael Fischer, wissen.de-Redaktion

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