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50 Jahre 110 und 112

Schon kleine Kinder wissen, dass man die 112 wählt, wenn man einen Krankenwagen oder die Feuerwehr braucht, und die 110 für die Polizei. So einfach und intuitiv funktioniert der Notruf allerdings erst seit 50 Jahren. Doch wie kam man vorher an passende Hilfe? Warum hat ausgerechnet der Tod eines Kindes zu einem neuen System geführt? Und was hat sich im deutschen Notrufsystem sonst noch seit 1973 verbessert?
AMA, 22.09.2023
Symbolbild Notruf

© Reinhard Krull, GettyImages

Deutschland in den 1960ern: Regelmäßig sterben Menschen, weil Retter zu spät vor Ort sind. Die heute allgegenwärtigen Notrufnummern existieren zwar bereits, funktionieren aber höchstens in der Großstadt. Wer in der Kleinstadt oder auf dem Land dringend Hilfe braucht, muss erst mühsam im Telefonbuch nach der nächsten Polizeistelle oder der Nummer vom Krankenhaus suchen. An Wochenenden und in der Nacht sind die Dienststellen sogar gänzlich unbesetzt.

Tod durch verspäteten Krankenwagen

Dieses lückenhafte Notfallnetz führt am 3. Mai 1969 zu einer eigentlich vermeidbaren Katastrophe im baden-württembergischen Winnenden. An diesem Tag wird der achtjährige Björn Steiger auf dem Heimweg vom Schwimmbad von einem Auto angefahren. Aufgrund des umständlichen Notfallsystems trifft der Krankenwagen allerdings erst rund eine Stunde später am Unfallort ein. Zu spät. Der Junge stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus an einem Schock, der zu einem Atemstillstand führt. 

Björns Tod wäre vermeidbar gewesen, wenn nur der Rettungswagen ein klein wenig früher eingetroffen wäre. Diese Erkenntnis bewegt seine trauernden Eltern dazu, sich für Veränderung einzusetzen. Sie gründen die Björn-Steiger-Stiftung und kämpfen mit ihr für eine bessere Notfallversorgung. Ihr Hauptanliegen: deutschlandweit einheitliche Notrufnummern, die das Herbeirufen der Retter erleichtern und beschleunigen. Um ihr Ziel zu erreichen, schreiben Björns Elter über 6.000 hartnäckige Briefe an Ministerpräsidenten, Abgeordnete und Bürgermeister.

110 und 112 in ganz Deutschland

Am 20. September 1973, ziemlich genau vor 50 Jahren, ist es schließlich so weit und der Bundestag gibt den Forderungen der Steigers nach. Schritt für Schritt werden die 110 und 112 jetzt in ganz Deutschland freigeschaltet. 1979 ist endlich auch das letzte Ortsnetz damit ausgestattet. Doch Ute und Siegfried Steiger haben gerade erst angefangen. In den darauffolgenden Jahrzehnten setzen sie mithilfe ihrer Stiftung zahlreiche weitere Fortschritte im deutschen Notfallsystem durch.

Auf die Initiative der Steigers gehen zum Beispiel das 24-Stunden-Notarztsystem, tausende Notrufsäulen an deutschen Straßen und moderne Rettungswagen zurück, die per Funk angesteuert werden können. Auch die Deutsche Rettungsflugwacht, die Verunglückte per Helikopter ins nächstgelegene Krankenhaus fliegt, ist einer Idee des engagierten Ehepaares entsprungen. All diese Neuerungen haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Verkehrstoten von 21.332 im Jahr 1970 auf 3.368 im Jahr 2014 sinken konnte, obwohl die Verkehrsdichte seither enorm angestiegen ist.

Notrufnummern immer wieder missbraucht

Mittlerweile sind die 110 und 112 so weit verbreitet und bekannt, dass täglich rund 41.000 Anrufe bei Notrufzentralen in ganz Deutschland eingehen. Das ist zwar grundsätzlich eine positive Entwicklung, aber es gibt ein Problem: Viele Menschen rufen an, auch wenn sie gerade gar keinen wirklichen Notfall zu melden haben. Während manche immerhin Fragen zu gesundheitlichen Problemen wie Kopfschmerzen stellen, rufen andere nur zum Scherz an, wollen die Uhrzeit wissen oder eine Pizza bestellen. Damit nehmen sie Menschen, die wirklich Hilfe brauchen, den Platz in der Leitung weg.

Deshalb betont die Björn-Steiger-Stiftung immer wieder: Wer nicht in akuter Lebensgefahr steckt, aber trotzdem gesundheitlichen Rat benötigt, der sollte sich entweder an den Hausarzt oder an die Nummer 116117 wenden. Darunter ist der ärztliche Bereitschaftsdienst zu erreichen, der bei Bedarf an diensthabende Ärzte verbindet oder diese auch zum Hausbesuch schickt.

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