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Murray Gell-Mann: Ein kaum beachtetes Genie
Wer ist Murray Gell-Mann?
Murray Gell-Mann ist zwar in der Öffentlichkeit kaum bekannt, aber man muss ihn zu den bedeutendsten Physikern aller Zeiten rechnen. 1969 erhielt er den Physik-Nobelpreis für seine bahnbrechenden Leistungen zur Klassifizierung der Elementarteilchen.
Schon als Kleinkind war er sehr begabt, konnte lesen und große Zahlen im Kopf multiplizieren. Mit 14 Jahren erhielt er ein Studienstipendium der Yale Universität. Doch was sollte er studieren? Gell-Mann bevorzugte Archäologie oder Linguistik, sein Vater dagegen plädierte für Ingenieurwissenschaften. Sie einigten sich schließlich auf Physik. In diesem Fach war Murray in der Schule am schlechtesten, weil ihn der Stoff so langweilte. Die Aussicht, die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik zu verstehen, ließen ihn jedoch einlenken.
Im Studium ließ Murray Gell-Mann sich mehr Zeit, konnte er doch hier freier seinen Neigungen nachgehen. Nach dem Abschluss des Studiums in Yale ging er zur Promotion an das Massachusetts Institute of Technology. Bereits mit 21 Jahren erhielt er den Doktortitel. Nach einigen Jahren Assistenzzeit an verschiedenen Orten wurde er Professor am California Institute of Technology in Pasadena, wo er die Theorie der Quarks entwickelte. Hier traf er auch auf den damals bereits berühmten Wissenschaftlerkollegen Richard P. Feynman. Mit 48 Jahren erhielt Gell-Mann die sehr gut dotierte Millikan-Professur des Instituts. Er nahm dies aber keineswegs zum Anlass, einen Gang zurückzuschalten. Noch mit 64 Jahren wechselte er an das Santa Fe Institute in New Mexico, an dessen Gründung er maßgeblich beteiligt war. Mit diesem Schritt wandte er sich ab von der Elementarteilchenforschung und startete interdisziplinäre Forschungsprojekte.
Welche Bedeutung hat die Elementarteilchenphysik?
Für das alltägliche Leben hat sie praktisch keine Relevanz – sie taugt nicht einmal für eine Science-Fiction-Story –, ihre Ergebnisse bleiben für Laien abstrakt und oft unverständlich. Und trotzdem übt sie auf viele Physiker, so auch auf Gell-Mann, eine große Faszination aus, denn sie bildet die Basis für das grundlegende Verständnis der Materie sowie der Entstehung von Sternen, Galaxien und des Weltalls überhaupt.
Was leistete Gell-Mann?
Ordnung im »Zoo der Elementarteilchen« zu schaffen, war eines der großen Ziele Gell-Manns. In der Elementarteilchenphysik nach 1950 lieferten immer leistungsfähigere Teilchenbeschleuniger äußerst schwer zu interpretierende Datenmengen. Bei jeder Teilchenkollision im Beschleuniger entsteht ein Schauer von neuartigen Teilchen, die ihrerseits nur für einen verschwindenden Bruchteil einer Sekunde Bestand haben. Gell-Manns erster großer Geniestreich war die Einführung einer damals neuen Quantengröße, die er »Strangeness« (Seltsamkeit) nannte. Mit ihr ließ sich das Verhalten vieler Teilchen erklären und es gelang ihm, ein Ordnungsschema für die Elementarteilchen zu finden.
Wozu dienen Quarks?
Mit Quarks lässt sich der Aufbau der uns umgebenden Materie erklären. Sie bilden zusammen mit den Leptonen (zu denen die Elektronen gehören) die »fundamentalen Elementarteilchen« – elementarer und kleiner geht es nicht mehr. Aus Quarks sind z. B. die Protonen und Neutronen, also die Bestandteile des Atomkerns, aufgebaut. Die Theorie der Quarks aufzustellen, war Gell-Manns zweiter großer Wurf. Er gelang ihm 1963. Demnach sollten die Protonen und Neutronen aus jeweils drei so genannten Quarks bestehen. Proton und Neutron ließen sich nun ganz zwanglos durch unterschiedliche Anordnungen ihrer Quarks erklären.
Schwierigkeiten bereitete allerdings das Pauli-Prinzip (nach dem österreichischen Physiker Wolfgang Pauli, 1900 bis 1958): Man konnte auch Teilchen nachweisen, die drei identische Quarks enthielten, was nach Pauli verboten ist. Erst die sog. Farbladung der Quarks, die drei unterschiedliche Werte annehmen kann und heute als Ursache der starken Wechselwirkung physikalisches Allgemeingut ist, löste das Problem.
Insgesamt gibt es damit sechs Quarks. Die heutige Form der Quarktheorie, die Quantenchromodynamik (»Quantenlehre der Farbladung«), bildet mit der Quantenelektrodynamik und der Theorie der schwachen Kraft das Standardmodell der Teilchenphysik.
Woher kommt der Name »Quarks«?
Eine Passage aus James Joyce' Roman »Finnegans Wake« soll Gell-Mann nach eigenen Angaben bei der Wahl des Namens »Quarks« inspiriert haben:
»Three quarks for Muster Mark!
Sure he hasn't got much of a bark
And sure any he has it's all beside the mark.«
Sprachkünstler Joyce griff an dieser Stelle auf das veraltete englisches Verb »to quark« zurück, das so viel wie »krächzen« oder »krähen« heißt, und machte kurzerhand ein Substantiv daraus. Möglicherweise handelt es sich aber auch um ein Wortspiel mit »Quart«: Master Mark sollte also drei Viertelliter Bier bekommen.
Wussten Sie, dass …
Gell-Mann sehr vielseitig war? Sein Biograph schreibt: »[Der Physiker Richard] Feynman wusste alles über Physik und nicht so viel über anderes, wenn er keine Physik machte, spielte er Bongo und hing in Bars herum. Gell-Mann [dagegen] wusste alles über alles, in seiner Freizeit beobachtete er exotische Vögel, sammelte archäologische Raritäten oder lernte noch eine weitere Fremdsprache.«
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