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Dr. Sommer, Starschnitt und Tokio Hotel - die Zeitschrift "Bravo" (Podcast 148)

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Wie war es doch prickelnd, wenn man mit Freunden heimlich die Zeitschrift „Bravo“ durchblätterte – natürlich immer zuerst die Foto-Love-Story und die Fragen an Dr. Sommer. Wer wissen wollte, welche intimen Fragen sich Altersgenossen stellen, welche Küsse erlaubt sind oder besonders kribbeln, der schaute in die Bravo. Die Zeitschrift Bravo feierte im Jahr 2011 ihr 55-jähriges Bestehen. Wir haben uns die Geschichte vorgeknöpft; die Sache mit dem Index, die Tabus, die Krisen, die größten Abhängigkeit, das böse Web – und die wenig erotischen Themen wie Waschmaschinen und Lehre.

Der Name „Bravo“ war lange Zeit wie ein Omen oder ein Maskottchen: Viele Jahre war die Zeitschrift erfolgreich, bravo eben. Sie startete wie eine aufstrebende Aktie steil bergauf. Und das, obwohl sie noch nicht gleich auf die Themen setzte, die eigentlich immer ziehen: Liebe und Sex. Als die Bravo am 26. August 1956 in Zeiten des Wirtschaftswunders erstmals erschien, sprach sie auch gar nicht primär die Jugend, sondern Erwachsene und Familien an. Und das auch noch mit Fragen, die recht unsexy waren: „Zahlt sich eine Lehre noch aus?“ zum Beispiel. Oder es ging um Haushaltsgeräte. Wow!

Das klingt heute recht verstaubt, traf damals aber mit den beiden anderen Hauptthemen Film und Fernsehen den Nerv des Publikums. In den 1950er Jahren war Kino unglaublich beliebt, TV-Stars und Sternchen waren willkommen. So lautete denn auch der Titel des Magazins „BRAVO - Zeitschrift für Film und Fernsehen“. Auf der ersten Ausgabe lacht Marilyn Monroe vom Titelblatt, daneben steht Westernheld Richard Widmark, der gerade eine Brünette knutschen will. Die Frage zum Foto von  Monroe, die damals frisch vermählt war, lautete: „Haben auch Marilyns Kurven geheiratet?“ Der Hauch an Sex, Kitsch und Knutsch war also vom ersten Augenblick an da, was sich beim Thema „Film“ auch gar nicht vermeiden lässt.

Die Stars kamen so gut an, dass der erste Chefredakteur der Bravo, Peter Boenisch, die Film-Infos bald aus dem Blatt warf. Er setzte den Fokus auf die Schauspieler, brachte noch im Erscheinungsjahr mit James Dean als ersten Held die Star-Stories ins Blatt und boxte schon nach einem halben Jahr den neuen Untertitel „Die Zeitschrift mit dem jungen Herzen“  durch, später fiel der Untertitel ganz weg. 1959 startete er die Poster-Serie mit Brigitte Bardot in Lebensgröße.

Bis in die 1960er Jahre gewann die Bravo mit den Leinwandstars stetig neue Leser hinzu und hielt sich die alten warm. Dann schwenkte das Blatt auf Ikonen aus der Musikszene um. Schreiber und Chef witterten Erfolg, wenn sie dem Beatles-Hype folgen würden. So war es denn auch: Die Auflagenzahlen schossen geradezu in die Höhe. Nachdem sie sich zwei Jahre nach der ersten Ausgabe mit 30.000 Heften ohnehin schon vervierfacht hatte, knackte die Bravo diesmal die Millionengrenze.

Und allmählich entdeckte die Bravo ihr Herz für die Jugend und für Themen aus dem weiten Feld Liebe und Beziehungen. In den 1960ern eröffnete Dr. Sommer alias Martin Goldstein seine fiktive Praxis. Mit Gynäkologen, Psychologen, Kinder- und Jugendärzten beantwortete er Briefe von Jugendlichen zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit. Ohne Rücksicht auf Verluste. Goldstein war so liberal, dass er das Blatt später als erster und gleich mehrmals auf den Index katapultierte. Er hatte 1972 Texte übers Masturbieren verfasst und veröffentlicht. Damals ein absolutes No Go . Das unfreiwillig komische Statement der Jugendschützer lautete: „Die Geschlechtsreife allein berechtigt noch nicht zur Inbetriebnahme der Geschlechtsorgane.“

Der Jugend aber gefiel gerade das. Und den Bravo-Redakteuren ebenso. Die machten genauso weiter, brachten die Foto-Love-Story, Kuss-Kurse oder die Aufklärungsserie der „Knigge für Verliebte“ heraus, die 1962 startete. Die Bravo brach nach und nach alle Tabus. Ganz klar, dass sich die Leserschaft allmählich verjüngte. 2011 ist der durchschnittliche Bravo-Leser gerade einmal 13,7 Jahre alt.

Übrigens: Nicht die Liebesthemen, sondern Stars waren immer schon die eigentlichen Geldeintreiber der Bravo. Mit ihnen fand das Blatt reißenden Absatz. Um nicht zu sagen: Die Bravo lebte von ihnen und die Stars lebten von der Bravo, eine Art Symbiose mit Tendenz zu größeren Abhängigkeit seitens der Bravo. Beatles, Nena, Abba, Slide, Smokie oder später Kelly Family und Backstreet Boys – das zog. Promis bekamen kostenlose PR.

Doch dann ging es schlagartig bergab. Wie eine erfolgreiche Aktie, die urplötzlich auf Talfahrt geht – so erging es der Bravo, ausgelöst durch die Boy Group Take That, die 1996 zerbrach. Da konnten auch Britney Spears, die Backstreet Boys oder Christina Aguilera nicht helfen. Die Auflage brach ein. Seit der Jahrhundertwende hoffe das Blatt mit den richtigen Chefs an der Spitze zurück zum einstigen Erfolg zu finden. Vergeblich.

Die Chefredakteure gaben sich jahrelang die Klinke in die Hand. Das Poster von dem „Star“ Papst Benedikt im Jahr 2005 wirkte wie ein hilfloser Versuch, nach dem Fall wieder aufzustehen. Er scheiterte kläglich. Dann kam die zündende Idee: Die Bravo holte die Boy Group Tokio Hotel ins Blatt. Skurril, schrill, abgefahren – und ein wahrer Genuss für die jungen Leserinnen. In der Redaktion gingen im Herbst 2005 rund 56.000 Liebesbriefe an die Tokio-Jungs ein.
Die Band war für die Bravo wie ein Überlebenstrunk. Allmählich erholte sich die Auflage zwar, der Erfolg von einst blieb aber aus, von einigen Spitzen mit Justin Bieber und Lady Gaga etwa einmal abgesehen. Verkaufte die Bravo 1996 noch etwa 1,4 Millionen Exemplare, waren es Ende 2010 keine 400.000 mehr, auch Dr. Sommer bekam weniger Post. Die Bravo hält sich seitdem über Wasser – irgendwie.

Immerhin war 2009 wieder ein Erfolgsjahr - natürlich dank der Stars. Chefredakteur Philipp Jessen erklärte in  einem Interview: „Das lag daran, dass die Themen von Gott geschenkt auf den Boden fielen. Wir hatten Lady Gaga und viele andere angesagte Stars. Darüber hinaus den Tod von Michael Jackson.“ Aktuell läuft das Blatt auch ganz gut. Wieder sind Stars der Grund dafür: die der neuen Super-RTL-Serie „Glee“ und die DSDS-Kandidaten.

An den einstigen Erfolg kann die Bravo dennoch nicht anknüpfen. Es sieht so aus, als habe es eine Bravo vor der Webzeitrechnung gegeben und eine danach. Wie viele Zeitschriften in Internetzeiten ums Überleben ringen und neue Absatzmöglichkeiten suchen, musste sich auch die Bravo neu orientieren. Nur: Sie tut es nicht sonderlich professionell. Als das Blatt die Homepage einmal überarbeitet hatte, war es schon 2010. Das Tal war längst erreicht. Bis heute ist der Traffic auf der Homepage eher bescheiden. Das Alexa Traffic Ranking zeigt die Bravo im August 2011 auf Platz 2.130 in Deutschland.

Die Bravo ist ambivalent. Einerseits versucht sie wie zu ihren Anfangszeiten auf der aktuellen Trendwelle zu rudern, also die richtigen Stars an Land zu holen. An anderer Stelle schwimmt sie kraftlos hinterher: Bis heute bietet sie keine Apps, iPhones oder iPads an, wie man es gerade von einer Jugendzeitschrift erwarten würde und wie es ihrer Leserschaft durchaus angemessen wäre.

Wo die Bravo wiederum punktet, sind die sozialen Netzwerke. Im August 2011 gefällt 135.781 Lesern die Bravo-Facebook-Seite. Dem Bravo-Twitter-Account folgen genau 24.644 Personen. Verglichen mit anderen Zeitschriften, wie etwa der Gala mit gerade mal 4.436 und der Bunten mit 7.279 Fans, hat die Bravo in den Social Networks also durchaus ein Potenzial entdeckt, um Leser zu binden. Das funktioniert im Printbereich nur punktuell – je nach Star und trotz der breiteren Aufstellung mit „Bravo Girl“, einem Spielemagazin, einer Sportausgabe, Starklatsch als sms, Bravo-TV und Bravo-Hits.

Dennoch muss man der Bravo eines lassen: Sie ist nicht totzukriegen. In der entscheidenden Zeit hat sie sich einen Namen gemacht. Man kennt die Bravo einfach. Und das war dem Landesmuseum Kärnten Grund genug, dem Kultmagazin zum 55. Geburtstag eine Ausstellung zu widmen. Die Schau zeigt, wie die Bravo damals provozierte, wie sich die Jugend mit der Bravo die Freiheit erlas. Mode, Drogen, Sex, Stars aus fünf Jahrzehnten sollen zum Schwelgen in Erinnerungen animieren. Vielleicht kauft dann einer der älteren oder sogar ersten Leser-Generation dann doch wieder ein Bravo-Magazin und liest sie – natürlich heimlich unter der Bettdecke!
 

Dorothea Schmidt, wissen.de-Redaktion

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