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Karl May

Karl May - der Schöpfer von Winnetou

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Karl May - der Cowboy aus Sachsen (Podcast 180)

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In Frankreich und in den USA kennt ihn kaum jemand – in Deutschland dagegen beinahe jedes Kind: Karl May, den Schriftsteller aus Sachsen. Gut 200 Millionen Exemplare seiner Bücher wurden bislang weltweit verkauft, davon die Hälfte in Deutschland. Doch damit nicht genug – Mays Bücher erscheinen nicht nur in einem eigens für seine Werke gegründeten Verlag, sie werden regelmäßig aufgeführt und wurden schon äußerst erfolgreich verfilmt. Dass der Erfinder aufregender Geschichten in fernen Ländern jahrelang im Gefängnis gesessen hat, dürfte noch heute manchen Leser verblüffen.

 

Der Schriftsteller im Gefängnis

Es gibt Figuren, die begleiten ihre Leser ein Leben lang. Winnetou und Old Shatterhand gehören seit Jahrzehnten dazu. Sie sind noch immer ähnlich populär wie Frodo Beutlin, Harry Potter oder die Crew des Raumschiffs Enterprise. Erfunden hat sie Karl May, und wer sich für sein Werk begeistert, der kennt auch den Orientreisenden Kara Ben Nemsi und kann den Namen seines Begleiters Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah auswendig aufsagen. [Mein Großvater konnte es!] Seit über einhundert Jahren steht Mays Name für ebenso spannende wie unverwüstliche Abenteuerliteratur, die Generation um Generation in ihren Bann zu schlagen vermag.

Geboren wurde Karl May – dessen Vorname sich übrigens ursprünglich nicht mit "K“, sondern mit "C“ schrieb – am 25. Februar 1842 im sächsischen Ernstthal als fünftes von vierzehn Kindern eines Webers, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs. Vermutlich aufgrund von Vitamin-A-Mangel war er bis zu seinem fünften Lebensjahr zeitweilig nachtblind. Während der Schulzeit galt er rasch als fantasiebegabt und erhielt privaten Musikunterricht. May wollte Lehrer werden und studierte, geriet jedoch mit dem Gesetz in Konflikt und musste - wegen des angeblichen Diebstahls einer Taschenuhr - eine sechswöchige Haftstrafe absitzen. Für den Schuldienst kam er anschließend nicht mehr in Frage.

Auch danach gelang es ihm nicht, sich eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Betrügereien, Diebstahl, auch Hochstapelei – solange, bis May steckbrieflich gesucht wurde. Fast vier Jahre musste er schließlich ins Gefängnis, wo er sich um die Anstaltsbibliothek kümmern durfte. Kamen ihm bei der Lektüre interessante Gedanken, machte er sich Notizen.  Doch es half nichts – nach seiner Freilassung wurde May rückfällig. Er wurde erneut verhaftet, wollte fliehen – und landete von 1870 bis 1874 erneut im Gefängnis. Diesmal zeigte der Aufenthalt Wirkung – May nahm sich vor, sein Leben zu ändern. Er begann zu schreiben. Im November 1874 erschien seine erste Erzählung: Die Rose von Ernstthal. Von nun an sollte es aufwärts gehen.

 

Reisen durch alle Welt – aber im Kopf

May schrieb zunächst Dorfgeschichten und Humoresken. Leben konnte er davon nicht, also ließ er sich als Zeitungsredakteur anstellen und betreute mehrere Unterhaltungsblätter. 1878 wurde er freier Schriftsteller und wandte sich mehr und mehr abenteuerlichen Stoffen zu. Hier lag seine besondere Begabung – es fiel ihm offenbar nicht schwer, sich fesselnde Geschichten vor exotischer Kulisse auszumalen. Zunächst erschienen zwischen 1882 und 1888 fünf Romane unter Pseudonym, die in Einzellieferungen veröffentlicht wurden – der erste, Das Waldröschen, sollte sich über die Jahre hundertausendfach verkaufen.

Doch finanzielle Sicherheit erhielt May erst, nachdem er dem Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld begegnet war, der 1892 eigens die Reihe Carl May’s Gesammelte Reiseromane ins Leben rief. Bis 1910 erschienen insgesamt dreiunddreißig Bücher, die Mays Ruhm bis in die Gegenwart begründen. Die ersten Bände waren der sechsbändige Orientzyklus – darunter die Titel Durch die Wüste und Durchs wilde Kurdistan – sowie die Winnetou-Trilogie. Besonders die mit "Henrystutzen“ und "Bärentöter“ ausgestattete Figur des Old Shatterhand ist bis heute lebendig geblieben. Mays Angewohnheit, sich selbst als Shatterhand zu inszenieren und für Fotos in Szene zu setzen, hat nicht wenig hierzu beigetragen; ganz offensichtlich verlor sich der Autor zunehmend in seiner Fantasiewelt. Und seine Anhänger folgten ihm dabei nur zu gerne.

Doch anders, als die Leser oft glauben, war Karl May weder Old Shatterhand noch Kara Ben Nemsi, und schon gar nicht war er an den Orten seiner Bücher gewesen. Erst in den Jahren 1899 und 1900 bereiste Karl May erstmals tatsächlich den Orient, was ihn mit einigen unerfreulichen Realitäten konfrontiert haben muss, die ihn schließlich dazu brachten, literarischer und – wie er meinte – gehaltvoller zu schreiben. Spätwerke wie Ardistan und Dschinnistan sowie Und Frieden auf Erden! nehmen daher eine Sonderstellung in seinem Werk ein, sind aber, trotz ihrer pazifistisch-weltanschaulichen Tendenzen, keineswegs unumstritten. Für Winnetous Erben unternahm May mit seiner zweiten Frau Klara im Jahr 1908 eine sechswöchige Amerikareise –  es war das erste und einzige Mal, dass er tatsächlich im "Wilden Westen“ war. Am 30. März 1912 starb Karl May im sächsischen Radebeul. Sein Wohnhaus ist unterdessen Bestandteil des schon 1928 gegründeten Karl-May-Museums.

 

Ein Klassiker mit vielen Fragen

Mays Ruhm ist auch im 21. Jahrhundert ungebrochen, was nicht allein an seinen Büchern, sondern auch an der weiterführenden medialen Umsetzung seiner Geschichten – unter anderem als Comics und Hörspielen - liegt. Gleich mehrere Bühnen führen seit Jahrzehnten regelmäßig Karl-May-Spiele durch; die bekannteste ist wohl die in Bad Segeberg. In den 1960er Jahren wurden Mays Bücher verfilmt; nicht wenige Zuschauer werden sich Winnetou auch weiterhin mit dem Gesicht des Schauspielers Pierre Brice und Old Shatterhand als Lex Barker vorstellen. In nur sechs Jahren entstanden siebzehn Winnetou-Filme. Allerdings ging man bisweilen sehr frei mit den Stoffen um und erdachte sich gänzlich andere Handlungen. Bereits der erste der Reihe, Der Schatz im Silbersee aus dem Jahr 1962, konnte nur behaupten, "nach Motiven“ von May entstanden zu sein. Noch 2001 wurde die Parodie Der Schuh des Manitu, die sich auf diese Verfilmungen bezieht, einer der erfolgreichsten deutschen Filme seit 1945.

Warum sind Mays Werke weiterhin populär? Auch im 21. Jahrhundert besteht augenscheinlich Bedarf an aufrechten Helden, die verlässlich das Richtige tun und sich vor exotischer Kulisse zu bewähren wissen. Alle von Mays Romanen und Erzählungen sind christlich geprägt und zeichnen sich durch ein großes Interesse an unterdrückten Völkern aus – besonders an den Indianern. Bei May finden sich aber auch einige undifferenzierte und abwertende Aussagen, die dem Weltbild der Gründerzeit geschuldet sind; hier muss man bisweilen ein Auge zudrücken. Als „rassistisch“ im heutigen Sinne kann man Mays Bücher aber nicht bezeichnen. Bisweilen sind seine Romane auch von späteren Bearbeitungen verfälscht worden. Seit 1913 kümmert sich der Karl-May-Verlag um seine Werke, wo nun auch eine historisch-kritische Ausgabe seiner Bücher erscheint. So gesehen gibt es keinen Grund, warum sie nicht auch in hundert Jahren noch gelesen werden sollten – wenn eine neue Lesergeneration Lust verspürt, mit Winnetou und Old Shatterhand loszuziehen. Wahre Helden haben eben immer Saison.

 

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