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Die mittelalterliche Stadt: Entwicklung urbaner Zentren
Woher kam die Siedlungsform der Stadt?
Durch die griechische Kolonisation hatten sich Städte im 1. Jahrtausend v.Chr. im westlichen Mittelmeerraum verbreitet – sehr früh bereits auch als planvoll angelegte Stadt. Im Landesinneren Mittel- und Westeuropas führten die römischen Eroberer durch ihre Garnisonsstädte eine neue Siedlungskultur ein. Diese verfiel jedoch nach dem Untergang des Weströmischen Reiches (476 n.Chr.), infolge von Plünderungen während der Völkerwanderungszeit und weil die Herrschaft der germanischen Führungsschichten sich nicht auf städtische Zentren stützte. Lediglich in Oberitalien gab es im frühen Mittelalter bereits eine ausgebildete Stadtkultur.
Warum stieg die Zahl der Städte an?
Als im 11. Jahrhundert Europa durch die Zunahme der Bevölkerung sowie die Ausweitung von Handel und Gewerbe eine Blütezeit erlebte, gewann auch nördlich der Alpen die städtische Lebensform wieder an Gewicht. Städte entstanden, etwa durch Zusammenwachsen einer Burg (daher auch »Bürger«) mit einer Siedlung in der Nähe. Auch aus alten Königs- und Kaiserpfalzen (Aachen, Frankfurt am Main), Markt- und Kaufmannssiedlungen sowie um Klöster und Kirchen (Köln, Mainz, Trier) konnten sich Städte entwickeln. Auch gab es Neugründungen, von denen sich geistliche wie weltliche Herrscher wirtschaftliche Vorteile und Ansehen versprachen.
Warum war die Verkehrsanbindung so wichtig?
Die günstige Lage einer Stadt war wichtig für ihren Aufstieg. Denn obwohl in der Stadt ein sehr vielfältiges Spektrum von Berufen vertreten war, blieb ihr Lebensnerv der Markt, und die charakteristische Berufsgruppe der Stadt waren Händler und Kaufleute. Auf dem Markt wurden Güter aller Art umgesetzt, sowohl aus lokaler Produktion als auch aus dem Fernhandel stammende Waren. Handwerker und Bauern konnten sich auf die Produktion für den Markt spezialisieren, was zu einem höheren Grad der Arbeitsteilung führte. Das Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Regionen und Berufe förderte die Entwicklung neuer Ideen und Techniken sowie den Austausch von Wertvorstellungen.
Wie ging der Aufstieg des Bürgertums vor sich?
Zahlenmäßig waren die Bürger zwar eine kleine Minderheit, doch besaßen nur sie alle Rechte – im Unterschied etwa zu Gesellen, Tagelöhnern und Armen. Ihr Selbstbewusstsein schöpften sie aus ihrem erworbenen Reichtum. Entschieden vertraten sie ihre Interessen auch gegen ihre Stadtherren. In vielen Städten gelang es den Bürgern, oft erst nach gewaltsamen Auseinandersetzungen, bestehende Privilegien zu erweitern und ein eigenes Stadtrecht durchzusetzen.
Was wurde im Stadtrecht festgelegt?
Das Stadtrecht regelte das Zusammenleben der Menschen, gab den Bürgern häufig eine eigene Interessenvertretung und band vor allem den Stadtherrn an Regeln. Die Ausformung des Stadtrechts war von der Stärke und Zusammensetzung des Bürgertums, vom Stadtherrn und dem Verlauf der Auseinandersetzung mit ihm, aber auch von wirtschaftlichen und geographischen Gegebenheiten abhängig – in einer Hafenstadt gab es andere Dinge zu regeln als in einer Bischofsstadt im Landesinnern. Das Stadtrecht wurde vielfach aber auch von anderen Städten übernommen.
Welche Funktion hatten die Zünfte?
Seit dem 12. Jahrhundert bildeten sich Zusammenschlüsse von Personen heraus, die dasselbe Handwerk oder Gewerbe ausübten. Die Mitgliedschaft in der Zunft wurde zur Voraussetzung, um in der Stadt seinen Beruf ausüben zu können (Zunftzwang). Die Zunft legte Produktionsmenge, Preis und Qualität fest, regulierte die Ausbildung und besaß eine eigene Gerichtsbarkeit. Sie war zugleich eine Art Lebensversicherung, die, wenn ein Zunftmitglied starb, für Witwe und Waisen sorgte, aber auch das Risiko von Krankheit und Arbeitslosigkeit abfederte. Die Mitgliedschaft wurde bald auf die Nachfahren der Zunftmitglieder und ausgesuchte Neulinge beschränkt. Dadurch wurde die Zunft zum Kartell, das sich gegen technische Neuerung wandte.
Wer waren die Patrizier?
In vielen Städten bildete sich mit der Zeit ein kleiner Kreis von Kaufmannsfamilien heraus, die den übrigen Bürgern an Reichtum und Ansehen überlegen waren und als Oberschicht die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen trafen. Sie nannten sich in Anlehnung an die römische Geschichte Patrizier. Gegen ihre Herrschaft begehrten im 14. und 15. Jahrhundert in zahlreichen Städten die Zünfte auf. Diese mitunter blutig ausgetragenen Konflikte führten meist zu einem Kompromiss, der eine Beteiligung der Handwerker am Stadtregiment vorsah, oder endeten mit einem Sieg der Patrizier, und nur selten setzten sich die Zünfte durch wie in Augsburg (1368).
Warum gab es eine städtische Unterschicht?
Viele von einem Feudalherrn abhängige Bewohner aus dem Umland zogen in die Städte; nach Jahr und Tag galten ihre Bindungen als gelöst (»Stadtluft macht frei.«). Aber wer keine Arbeit fand, war zum Betteln gezwungen. Das Bild der mittelalterlichen Stadt war geprägt von Armen, die sich auf den Straßen herumtrieben und vor Kirchen, Klöstern und Patrizierhäusern auf ein Almosen hofften. Dadurch verschlechterte sich nicht zuletzt auch die hygienische Situation in den Städten, weshalb immer wieder Seuchen ausbrachen.
Welche Stellung hatten die Juden?
Als Nichtchristen konnten sie kein Bürgerrecht erwerben und nicht Mitglied einer Zunft werden. Deshalb waren sie aber nicht notwendigerweise arm. Als Händler hatten Juden maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Fernhandels. Außerdem waren sie als Geldverleiher tätig, was Christen verboten war. Die Lage der Juden verschlechterte sich, nachdem es während der Kreuzzüge zu Übergriffen gekommen war. In der Folgezeit wurden sie des Ritualmordes an Christen angeklagt und als Brunnenvergifter für die Pest verantwortlich gemacht. Häufig lebten die Juden in eigenen Vierteln oder Straßen, zunächst freiwillig, später gezwungenermaßen (Getto); immer wieder wurden sie auch aus der Stadt vertrieben.
Warum waren die italienischen Städte so mächtig?
Die Städte in Oberitalien (Lombardei) gewannen schon früh weit gehende politische Eigenständigkeit. Die Langobarden waren durch mehrere Niederlagen gegen fränkische bzw. deutsche Herrscher geschwächt, die andererseits nicht dauerhaft in Italien präsent sein konnten. Auch gewannen Norditaliens Städte – und damit ihre Bürger – in der militärischen Auseinandersetzung mit den Sarazenen Profil. Genua war bereits 962, als Otto I. die Lehnshoheit des Reiches neu begründete, faktisch unabhängig. Die Stadt regierten Kaufleute und Handwerker, die als ihre Vertretung Konsuln wählten. In Mailand markierte der Aufstand von 1045 den Beginn des bürgerlichen Gemeinwesens. Florenz besaß im frühen 12. Jahrhundert städtische Freiheit und bestimmte eigene Konsuln. Enge Wirtschaftsbeziehungen stärkten die Unabhängigkeit einer Stadt vom Reich, wie etwa der Handelsvertrag Venedigs mit Byzanz (992). Ihr Selbstbewusstsein demonstrierten die Vertreter der Städte, indem sie ihren Lebensstil mehr und mehr dem des Adels anglichen und nach außen in Verhandlungen wie Fürsten auftraten. Einige der reichen Städte dehnten ihre Macht auch über das Umland aus. Später, besonders in der Zeit der Kreuzzüge, schufen sie sich gezielt Handelsstützpunkte auf der Balkanhalbinsel und im östlichen Mittelmeer.
Wie verteidigten die norditalienischen Städte ihre Stellung?
Ihre faktische Unabhängigkeit erkämpften die Städte Norditaliens im 12. Jahrhundert an der Seite des Papstes gegen Kaiser Friedrich I. Barbarossa, der seine Ansprüche rechtlich (Ronkalische Gesetze 1158) und militärisch geltend machte (Zerstörung des aufständischen Mailand 1162). Nachdem er zwei Niederlagen 1167 und 1176 hinnehmen musste, sah sich Barbarossa gezwungen, im Frieden von Konstanz (1183) die Autonomie der im Lombardischen Bund zusammengeschlossenen Städte anzuerkennen. Der Sieg des Lombardischen Bundes über Barbarossa 1176 bei Legnano war der erste eines Bürgerheeres über ein (adeliges) Ritterheer in einer wichtigen Schlacht. Damit hatte das Bürgertum die Vorherrschaft der Feudalherren auch auf militärischem Gebiet zu brechen begonnen.
Welche politische und kulturelle Bedeutung erlangten die Städte?
Der wirtschaftliche Aufschwung wurde durch die dauerhaft gewonnene Unabhängigkeit noch gefördert. Ihre Interessen versuchten die Stadtstaaten zunehmend auch militärisch durchzusetzen, wie etwa die Aktivitäten Venedigs im 4. Kreuzzug mit der Eroberung Konstantinopels (1204) zeigten. Genua und Venedig stiegen zu Handelsmächten auf, die (mit Unterbrechungen) mehr als hundert Jahre um die Vorherrschaft rangen, bis Venedig 1381 den Kampf für sich entschied.
Über ihre Handelskontakte mit der islamischen Welt, die dem christlichen Abendland an Wissen weit voraus war, vermittelten die italienischen Städte neue Kenntnisse nach Europa. Italien etwa war führend in der Mathematik, was die Entwicklung des Bankwesens förderte. Wissenschaften und Künste blühten auf, die italienischen Handelsstädte wurden zu Metropolen der Renaissance. Mehrere von ihnen hatten im Mittelalter deutlich über 100000 Einwohner, während in der größten deutschen Stadt, Köln, um 1200 gerade einmal 35000 Menschen lebten.
Wie veränderten sich die Machtverhältnisse?
Der Machtzuwachs der Städte führte zu einer Einschränkung des Personenkreises, der Einfluss auf die Politik nahm. Venedig, schon seit dem frühen Mittelalter von einem Dogen geführt, begrenzte 1297 dessen Kontrollinstanz, den Großen Rat, auf wenige Familien. In Mailand und Pisa trat die Herrschaft eines Einzelnen (Signorie) an die Stelle eines autonomen Gemeinwesens (Kommune). Familien mit der Macht von Fürsten wie die Visconti in Mailand (1278) und die Medici in Florenz (seit 1434) dominierten nun die Politik der Stadt.
Gegen Ende des Mittelalters geriet die Unabhängigkeit wieder in Gefahr. Pisa fiel 1406 an Florenz; Genua, im 14. Jahrhundert einige Jahre lang zu Mailand gehörend, kam wie dieses 1499 zeitweise an Frankreich, Mailand fiel 1535 an die Habsburger. Das wieder unabhängige Genua, Florenz und Venedig konnten ihre Stellung bis ins 18. Jahrhundert halten.
Wohin wurde Lübisches und Magdeburger Recht exportiert?
Die Stadt Lübeck wurde von Heinrich dem Löwen gegründet (1159) und von ihm mit einem eigenen Recht ausgestattet. Das lübische Stadtrecht verbreitete sich im gesamten Ostseeraum und galt in fast 100 Städten, besonders Hafenstädten, seit dem 13. Jahrhundert etwa in Rostock, Kiel, Stralsund und Reval (Tallinn). Bedeutend für die Ostkolonisation wurde das 1188 aufgezeichnete Stadtrecht Magdeburgs. Viele Stadtgründungen nahmen das Magdeburger Recht an, das weit über den deutschen Siedlungsraum hinaus Geltung erlangte. Magdeburger Stadtrecht gaben sich zum Beispiel Dresden, Gera, Wilna (Vilnius), Krakau und Stettin.
Wussten Sie, dass …
die Stadtherren, also die geistlichen und weltlichen Herrscher, ihren Städten oft Privilegien gewährten? Sie verzichteten auf Hoheitsrechte, etwa auf das Markt-, Münz- und Zollrecht, und ließen sich dies finanziell vergelten.
es bis ca. 1100 in Mitteleuropa nur einige hundert Städte gab?
bereits mittelalterliche Städte Bauvorschriften herausgaben? So war zum Beispiel wegen des Brandschutzes der Abstand der Häuser zueinander vorgeschrieben, andere Bestimmungen betrafen die Höhe oder die Fassadengestaltung.
Wussten Sie, dass …
das 4. Laterankonzil (1215) den Juden den Grunderwerb verbot sowie den gesellschaftlichen Verkehr mit Christen untersagte? Zudem schrieb es ihnen das Tragen eines Judenzeichens (»Gelber Fleck«) vor.
die Juden in den Ruf von Brunnenvergiftern kamen, weil sie aufgrund ihrer strengeren Reinheitsvorschriften weniger als Christen von Seuchen betroffen waren?
Warum entstanden die Gettos?
Ausgangspunkt der Diskriminierung von Juden waren die Beschlüsse mehrerer Konzilien, beginnend mit dem 3. Laterankonzil (1179). In zahlreichen Ländern Europas bildeten sich Gettos, zuerst in Valencia/Spanien (1390). Das nach einer Kanonengießerei benannte geto nuovo (italienisch »neue Gießerei«) in Venedig (1516) gab dem Getto schließlich seinen Namen. Rom zwang die Juden 1555 zur Umsiedlung in ein Getto, das mit einer Mauer umgeben wurde. Die Gettos wurden im Zuge der Judenemanzipation aufgelöst, zuletzt das römische (1870). Die Nationalsozialisten pferchten die Juden in Gettos (wie Warschau, Lodz) zusammen, von wo man sie in die Vernichtungslager transportierte.
Troja und die Spur des Goldes
Vor 4500 Jahren tauschten die Mächtigen der Welt Güter, Ideen und – das zeigen jüngste Forschungen – jede Menge Gold.
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