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Stirbt die Ostsee?
Blau-weiß gestreifte Strandkörbe, im Wind wehendes Küstengras, kreischende Möwen: Vom Strand aus betrachtet ist die Ostsee ein idyllischer Lebensraum. Doch unter der Wasseroberfläche geht es ganz anders zu. Zahlreiche Gefahren bedrohen dort Kegelrobbe, Schweinswal, Hering und Co. und gefährden den Fortbestand des gesamten Ökosystems.
Ein Binnenmeer mit nur periodischer Auffrischung
Dies hängt eng mit einer Besonderheit der Ostsee zusammen: Anders als die Nordsee und viele andere Meere ist sie ein Binnenmeer: Sie ist von fast allen Seiten von Land umgeben und steht nur über eine schmale Meerenge – das Kattegat – in Kontakt mit der Nordsee. Doch weil diese schmale Verbindung sehr flach ist, wird dort nur bei stärkerem Wind frisches Meerwasser in die Ostsee geschwemmt. Und nur alle paar Jahre strömen größere Mengen des salzigeren, sauerstoffreichen Frischwassers in das Ostseebecken. Dieses sinkt ab und versorgt so auch die tieferen Wasserschichten mit frischem Sauerstoff.
Der geringe Einstrom von frischem Meerwasser erklärt auch, warum die Ostsee weniger salzig ist als andere Meere: Der größte Teil des Wasserzuflusses erfolgt aus den großen Flüssen, die in sie einmünden. Dadurch erhält die Ostsee relativ viel Süßwasser und ihr Salzgehalt liegt nur bei 0,3 bis 1,8 Prozent – im östlichen Teil ist er am geringsten. Zum Vergleich: In der Nordsee liegt der Salzgehalt des Meerwassers bei rund 3,5 Prozent.
So warm wie das Mittelmeer
Einige der Probleme, vor denen die Ostsee gerade steht, sind durch den Klimawandel bedingt. Er sorgt unter anderem dafür, dass das Wasser dort ständig neue Rekordtemperaturen erreicht. Allein zwischen 1982 und 2006 hat sich das Oberflächenwasser der Ostsee um 1,35 Grad erwärmt – siebenmal so stark wie der globale Durchschnitt. In Zukunft könnten somit mittelmeerähnliche Wassertemperaturen von 20 Grad und mehr keine Seltenheit mehr sein. Was für Urlauber positiv klingen mag, bringt allerdings das komplette Ökosystem aus dem Gleichgewicht.
Unter anderem begünstigen die warmen Bedingungen das Wachstum von Blaualgen und anderen Bakterien. Diese stoßen wiederum gefährliche Giftstoffe aus und schaffen gleichzeitig sauerstoffarme Todeszonen, in denen praktisch kein Leben mehr möglich ist. Schätzungen zufolge trifft das bereits auf 21 Prozent der Bodenflächen in der Ostsee zu, weitere 34 Prozent sind sogar gänzlich sauerstofffrei.
Die steigenden Temperaturen bringen außerdem die Fortpflanzungs- und Schlupfzeiten einiger Meeresbewohner durcheinander. Unter anderem schlüpfen Heringslarven durch sie viel zu früh im Jahr und finden dann kein Futter, was jedes Jahr Millionen von ihnen das Leben kostet.
Dünger fördert Algenwachstum
Dass die Ostsee stärker mit Klimaveränderungen zu kämpfen hat als andere Meere liegt auch daran, dass sie verhältnismäßig flach und fast an allen Seiten von Land umgeben ist. Dadurch kann sich ihr Wasser einerseits stärker erwärmen und andererseits fließt kaum frisches Wasser zu, wodurch sich Giftstoffe besonders stark anreichern können. Die einzigen größeren Wasserzuströme, die die Ostsee hat, sind die Flüsse ihrer dicht besiedelten Anrainerstaaten. Und die bringen ihr ebenfalls den Tod.
Denn über die Flüsse gelangen zahlreiche Schadstoffe und Düngemittel in die Ostsee, darunter von Landwirten ausgebrachtes Nitrat, Phosphat und Stickstoff. Diese wiederum bilden ein Bankett für Blaualgen. Sie wachsen dadurch noch stärker als ohnehin und vergrößern dabei die sauerstoffarmen Todeszonen der Ostsee. Gleichzeitig machen die Algen das Wasser trüb und nehmen Unterwasserpflanzen wie dem Seegras das nötige Sonnenlicht. In den vergangenen 100 Jahren sind bereits zwei Drittel aller Seegraswiesen in der Ostsee verschwunden.
Schwermetalle verseuchen das Wasser
Neben Dünger befördern die Flüsse jedes Jahr auch tausende Tonnen Zinn, Kupfer, Blei und andere giftige Schwermetalle in das Binnenmeer. Ein Großteil davon platzt von der Beschichtung der Schiffsrümpfe ab. Der Schiffverkehr ist darüber hinaus für den Eintrag von rund 20 Tonnen polyzyklischer aromatischer Kohlenwasserstoffe (PAK) pro Jahr verantwortlich. Viele dieser organischen Verbindungen sind hochgiftig, krebserregend und gefährden die Meeresbewohner zusätzlich.
Doch die Schadstoffe gelangen nicht nur über Schiffe und Flüsse in die Ostsee, sondern steigen auch vom Meeresgrund auf. Denn dort liegen allein auf deutschem Gebiet schätzungsweise 300.000 Tonnen alte Kriegsmunition. Sie sorgen unter anderem dafür, dass sich Muscheln und Fische mit arsenhaltigen Chemikalien und krebserregenden Abbauprodukten des Sprengstoffs TNT anreichern.
Invasive Arten bedrohen heimische Tiere
Eine weitere Gefahr für die in der Ostsee heimischen Tiere sind eingewanderte invasive Arten wie die Chinesische Wollhandkrabbe, die Zebramuschel oder der Getigerte Flussflohkrebs. Sie üben großen Druck auf heimische Arten aus, etwa indem sie mit ihnen um dieselbe Nahrung konkurrieren. So steht zum Beispiel die aus Amerika eingewanderte Meerwalnuss – eine Rippenqualle – mit dem Hering in Konkurrenz um kleine Krebse und verdrängt den Fisch dadurch immer mehr.
Lange Zeit setzte auch die Überfischung den Beständen der Ostsee stark zu. Doch strenge Fangquoten sollen den angerichteten Schaden nun wiedergutmachen. So dürfen Dorsche zum Beispiel in der gesamten Ostsee nicht mehr gezielt befischt werden und Heringe müssen zumindest im westlichen Bereich des Binnenmeeres verschont werden. Ein gewisser politischer Wille ist also da, doch reicht er, um das Ökosystem Ostsee noch vor dem Kollaps zu bewahren?
Die Ostsee als Nationalpark
Es steht außer Frage, dass es der Ostsee aktuell schlecht geht. Sehr schlecht sogar. Das einzige, was sie noch retten könnte, sind zwei Dinge: niedrigere Nährstoffeinträge und die Begrenzung der globalen Erwärmung. Tatsächlich haben sich die acht Anrainerstaaten der Ostsee schon vor fast 15 Jahren darauf geeinigt, weniger Düngemittel und Schadstoffe in das Binnenmeer einzuleiten, doch diesen „Baltic Sea Action Plan“ (BASAP) setzen sie nur äußerst schleppend um. Außerdem gibt es seit 2020 die sogenannte „Our Baltic Conference“, bei der Anrainerstaaten über Fangquoten, ökologischen Zustand der Ostsee und Lösungsansätze diskutieren. Doch wegweisende Rettungspakete wurden auch dabei noch nicht beschlossen.
Ein deutlich konkreterer Weg, die Ostsee noch zu retten, schwebt aktuell den Grünen in Schleswig-Holstein vor. Sie fordern, Teile der Ostsee zum 17. deutschen Nationalpark zu erklären. Insgesamt 160.000 Hektar – von der Flensburger Förde bis zur Schleimündung – sollen dadurch zur Schutzzone werden. Doch es gibt zahlreiche Proteste. Fischer fürchten um ihre Existenz, weil sie dann womöglich nur noch eingeschränkt fischen dürfen. Der Tourismus sorgt sich um Einbußen, Wassersportler um sportliche Einschränkungen und die CDU um zusätzliche Kosten. Noch hängt das Projekt daher in der Schwebe – genauso wie die Zukunft der Ostsee.