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Durchhaltestrategien (Podcast 218)

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Wieso Verzicht auch eine Bereicherung sein kann.

Heute geht es um – Sie. Jedenfalls dann, wenn Sie bei sich Gewohnheiten beobachten, die Sie eigentlich gern loswerden möchten. Zum Beispiel das Rauchen, die abendliche Chipsration auf dem Sofa, stundenlanges Fernsehen oder Internetsurfen, den Druck, immer erreichbar sein zu müssen. Dann könnte es Zeit für ein Umdenken sein. Sie sind aber nicht sicher, ob Sie das auch durchhalten? Dann haben Sie vielleicht noch nicht die richtige Methode gefunden. wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios hat für uns untersucht, warum das Durchhalten vielen Menschen so schwer fällt und wie Sie die Hürden nehmen können, die das Verzichten mit sich bringt.

 

Fastenzeit für Christen und Veränderungswillige

Alljährlich rät die Kirche, wenn nach dem Karneval die Fastenzeit beginnt, zu einem Sieben-Wochen-Ohne-Projekt. Klassischerweise verzichten Christen bis Ostern auf Fleisch. Wer es weniger religiös angehen möchte, kann sich aber auch eine weltlichere Aufgabe stellen. Für viele Menschen stellt etwa der siebenwöchige Verzicht aufs Handy eine ziemlich große Herausforderung dar. Andere nutzen die Zeit, um den Winterspeck loszuwerden, Raucher versuchen die Abstinenz vom Glimmstängel - und werden das Laster im Idealfall sogar für immer los.

Die Fastenzeit soll der inneren Einkehr dienen, im Idealfall dient sie auch der Gesundheit und bringt unser von vielen schädlichen Verhaltensweisen angeschlagenes Gewissen wieder ins Reine. Aber so erstrebenswert so ein Zustand der inneren Zufriedenheit auch sein mag, so wenig ist es mit dem Wunsch danach allein getan.

 

Vom Wunsch zum Ziel

Egal, ob Sie abnehmen möchten, mehr Sport treiben oder mit dem Rauchen aufhören wollen – für Verzichtsprojekte aller Art gilt die an sich absurde Regel: Am Anfang steht das Ziel. Genauer gesagt: Wenn Sie nicht ziemlich genau wissen, wohin Sie möchten, dann brauchen Sie gar nicht erst aufzubrechen. Das klingt banal, ist aber entscheidend. Ist Ihr Projekt nur ein frommer Wunsch, lapidar dahingesprochen wie der typische Neujahrsvorsatz, dann ist es gut möglich, dass Ihnen bald die Puste ausgeht. „Viele Ziele werden nicht mit der Ernsthaftigkeit gebildet, die eigentlich nötig wäre“, erklärt Dr. Rainer Schneider. Der Psychologe und Coach erforscht seit vielen Jahren, wie Motivation zustande kommt und entwickelt auf wissenschaftlicher Grundlage zum Beispiel Programme für Abnehmwillige und angehende Nichtraucher.

Ist das Ziel gesetzt und gefestigt, zählt die Stärke der Motivation. Kaum ein Raucher ist ernsthaft der Meinung, dass er seiner Gesundheit durch das Qualmen einen Gefallen tut. Aber der moralische Zeigefinger allein hat erfahrungsgemäß wenig Kraft, wenn es ans Durchhalten geht. Schneider rät deshalb, zunächst die eigene Motivation zu erforschen, am besten mit Stift und Papier: „Schreiben Sie auf, welche Motive Sie wirklich haben. Je mehr Sie finden – vor allem solche, die Ihnen selbst entspringen und nicht von Arzt oder Gesellschaft vorgegeben werden –, desto besser ist Ihr Ziel auch ‚unterfüttert’.“

 

Durchhaltestrategien sind eine Frage des Typs

Der Weg zum Ziel ist die größte Herausforderung. Wer ihn meistern will, braucht gutes Handwerkszeug – vor allem Strategien, die in schwachen Momenten beim Durchhalten helfen. Und soviel ist sicher: Die schwachen Momente werden kommen. Schneider meint: „Viele Diäten gaukeln den Menschen beispielsweise vor, dass es ganz einfach ist, ein paar Pfunde loszuwerden. Das ist vor allem Marketing. Einfach so nebenbei kann das dauerhaft nicht klappen.“

Den wesentlichen Grund, dass viele Menschen den Kampf gegen den inneren Schweinehund nach ein paar Wochen verlieren, sieht Schneider darin, dass ihre Strategien nicht zu ihrer Persönlichkeit passen. „Es gibt zum Beispiel Menschen, die Freiräume benötigen, damit sie gut funktionieren. Die sollten ihre Ziele nicht zu eng setzen. Bei anderen allerdings ginge so eine offene Zielsetzung total daneben – sie fühlen sich eher motiviert, wenn sie Kontrolle über die Dinge haben. Ihnen hilft es viel mehr, wenn sie sich ihre Ziele so genau und exakt wie möglich setzen.“ Mit anderen Worten: Vorsicht bei Ratschlägen wie „Wiegen Sie sich täglich!“ oder „Setzen Sie sich kurzfristige Zwischenziele!“. Die können helfen, wenn Sie der Typ dafür sind. Sind sie es nicht, dann schaufeln Sie Ihrem Abnehmvorhaben bereits in der Startphase sein eigenes Grab.

 

Von Machern, Kontrollfreaks und Netzwerkern

Gut zu wissen: Es gibt für jeden Typ die passende Durchhaltestrategie – allerdings auch Fallen, die es je nach Persönlichkeit zu umgehen gilt. Damit wird die Suche nach der richtigen Strategie auch zur Erforschung des eigenen Ichs. Vier verschiedene Persönlichkeitstypen leitet Schneider aus der psychologischen Theorie der Persönlichkeits-System-Interaktionen, kurz PSI, ab. Hinzu kommt noch die Frage der so genannten Selbststeuerungskompetenz, die für jeden der vier Typen gut oder weniger gut ausgebildet sein kann. Zahlende Teilnehmer von Schneiders Programmen können ihren Typ per Online-Test selbst bestimmen und erhalten auf ihr Profil zugeschnittene Vorschläge für Strategien und Motivationshilfen. Alle anderen müssen sich ihre optimale Methode selbst entwickeln.

Hier eine kurze Typenbeschreibung, wie Schneider sie zugrunde legt: Der so genannte effektfokussierte Typ führt gern, ist selbstbestimmt und fährt zu voller Leistung auf, wenn er Gestaltungsräume nutzen und Visionen umsetzen kann. Einengende Rahmenbedingungen und ganz genaue Vorgaben frustrieren ihn allerdings. Ganz anders der „ergebnisfokussierte Typ“: Er liebt klare Qualitätsmaßstäbe, exakte Vorgaben und messbare Ergebnisse. In der sicheren Welt einer durchdachten Planung erhält er sich seine Motivation am besten. Der so genannte wachstumsfokussierte Typ hingegen hat immer das Gesamtbild im Kopf, ist stressresistent, vernetzt sich gern. Er arbeitet am liebsten kreativ und – daher sein Name – möchte sich gern weiterentwickeln. Wer so tickt, wird durch Eigenverantwortung und Vertrauen angespornt. Spontaneität und ein ganzheitlicher Ansatz zeichnen den so genannten integrationsfokussierten Typ aus, außerdem ist er emotional robust, kann sich gut anpassen und ist kommunikativ. Ihn motivieren Akzeptanz und Respekt – erreicht er diese mit seinem Vorhaben, dann bleibt er am besten am Ball.

Zugegeben, ganz handlich ist diese Typologie nicht – Psychologie ist nun einmal eine komplexe Angelegenheit. Dafür hat die Beschreibung der vier Typen den Vorteil, dass sie wissenschaftlich gut begründet ist. Und sie regt dazu an, verschiedene Optionen abzuwägen: Ist es für Sie hilfreich, Ihr Vorhaben im Bekanntenkreis öffentlich zu machen – oder fühlen Sie sich durch regelmäßige Nachfragen eher unter Druck gesetzt? Brauchen Sie regelmäßige Kontrollen, weil Sie sich sonst verzetteln, oder nervt Sie das Klein-Klein einer genauen Buchführung über Ihre Ergebnisse und Misserfolge? Wäre es in einem Motivationstief hilfreich, ihr Ziel etwas herunterzuschrauben, oder vermuten Sie in so einer Veränderung den Anfang vom Ende ihres Vorhabens? Entscheidende Hinweise liefern Ihre bisherigen Erfahrungen: Was hat in der Vergangenheit gut funktioniert, was nicht? Tipps aus Illustrierten und dem Bekanntenkreis hingegen sollten Sie mit ein wenig Skepsis begegnen: Der Weg, mit dem ihre Nachbarin etwa das Rauchen aufgegeben hat, könnte vielleicht auch bei Ihnen funktionieren. Er kann aber auch völlig daneben gehen. Wägen Sie also lieber ab, anstatt auf allgemeine Erfolgsrezepte zu vertrauen.

Haben wir Ihr Interesse an einem kleinen Selbsterforschungsexperiment geweckt? Dann wünschen wir Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg. Allein stehen Sie mit Ihrem Verzichtsvorhaben auf jeden Fall nicht da. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hat 2011 im Auftrag der Deutschen Angestellten-Krankenkasse herausgefunden, dass sich der zeitweise Verzicht auf bestimmte Lebensmittel oder Konsumgüter großer Beliebtheit erfreut: 40 Prozent der insgesamt 1002 Befragten hatten bereits mehrfach solche Verzichtsphasen in ihr Leben eingebaut, weitere 17 Prozent immerhin einmal. Das muss natürlich nicht immer in der Fastenzeit sein.

Wie und wann auch immer Sie Ihren Weg gehen, wir wünschen Ihnen, dass Sie bis zu dem Erfolgserlebnis gelangen, das am Ende des Weges auf Sie wartet – egal, ob Sie mehrere Wochen ohne Handy ausgekommen sind, ein paar lästige Kilos verloren oder der Nikotinsucht den Kampf angesagt haben.

Zum Schluss möchten wir allen, die befürchten, unterwegs die Geduld zu verlieren, noch ein Zitat des deutschen Dichters Gotthold Ephraim Lessing mit auf den Weg geben: „Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht noch immer geschwinder, als jener, der ohne Ziel umherirrt.“

 

von wissen.de-Autorin Alexandra Mankarios

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