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Gesellschaft und Staat – soziales Wesen Mensch
Noch vor 250 Jahren war die Stellung eines Menschen in der Gesellschaft weitgehend durch seine Herkunft festgelegt: Der Sohn eines Bauern wurde ebenfalls Bauer. Der Aufstieg in eine höhere soziale Schicht war nahezu unmöglich. Moderne Gesellschaften dagegen sind durch soziale Durchlässigkeit gekennzeichnet: Wer in der Schule und am Arbeitsplatz gute Leistungen erbringt, kann sich »hocharbeiten«. Die Mitglieder der heutigen Gesellschaft haben die Möglichkeit, ihren Lebensstil frei zu wählen. Gleichzeitig sind die soziale Schichtung und die Machtstrukturen heute ungleich komplexer als in vorindustriellen Gesellschaften. Die Gesellschaftsstruktur hat sich dadurch stark gewandelt.
Auch unsere heutige postindustrielle Gesellschaft ist nur deswegen stabil und produktiv, weil hinsichtlich bestimmter Grundwerte Übereinstimmung besteht. Dazu dienen spezifische Wertvorstellungen und Normen, die dem Mensch bzw. seinen Handlungen eine gewisse Regelmäßigkeit verleihen. Werden Normen nicht eingehalten, also verbindliche Verhaltensregeln nicht beachtet, kann dieses abweichende Verhalten durch Sanktionen bestraft werden. Wenn der Einzelne jedoch die Normen der Gesellschaft verinnerlicht, wird eine äußere Überwachung bzw. Kontrolle des Verhaltens überflüssig.
Normen und auch Wertvorstellungen ändern sich, manche verschwinden und neue kommen hinzu. Diesen Wandel können auch soziale Konflikte wie die Studentenproteste und die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre herbeiführen. Mit der veränderten Gesellschaftsstruktur haben sich auch die sozialen Rollen gewandelt: Frauen haben heute viel mehr Rechte als noch vor 50 Jahren. Und auch die Familienstrukturen haben sich neu geordnet: Die Großfamilie wurde weitgehend durch die Kleinfamilie ersetzt; viele Familien bestehen heute aus nichtehelichen Lebensgemeinschaften, Alleinerziehenden mit Kindern oder Lebenspartnern mit Kindern aus verschiedenen Beziehungen.
Gesellschaftstheorien: Nachdenken über Gemeinschaft
Strebt der Mensch von Natur aus nach Macht und Besitz?
Zumindest stellte Thomas Hobbes (1588–1679) diese Theorie auf. »Homo homini lupus est.« (Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.), beschrieb der englische Philosoph den Naturzustand der Menschheit.
Hobbes war der Erste, der nicht mehr Gott bzw. die göttliche Ordnung in das Zentrum der Gesellschaftstheorien stellte. Nur ein mit umfassenden Machtbefugnissen ausgestatteter, absolutistischer Staat, so Hobbes, könne diesen Krieg aller gegen alle verhindern und innerhalb der Gesellschaft ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleisten.
Wie unterscheidet man Gesellschaften?
Mit welchem »Etikett« man eine Gesellschaft versieht, hängt davon ab, unter welchen Gesichtspunkten man sie betrachtet. Beispiele sind die vorherrschende Erwerbsform (z. B. Agrargesellschaft), das politische System (kapitalistische Gesellschaft) oder der Stand der technischen Entwicklung (Industriegesellschaft). Indirekt spiegelt sich in der jeweiligen Charakterisierung auch ein bestimmtes Menschenbild bzw. eine bestimmte Gesellschafts- oder Wirtschaftstheorie wider.
Wozu dienen Gesellschaftstheorien?
Die im 17. und 18. Jahrhundert entworfenen Gesellschaftstheorien dienten u. a. als Begründung bzw. Rechtfertigung für bestimmte Staatsformen wie Absolutismus, konstitutionelle Monarchie oder Demokratie. In den Mittelpunkt der Soziologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts rückte neben Theorien wie dem Marxismus die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit bestimmten, das Zusammenleben prägenden Teilaspekten. Gefragt wurde nun beispielsweise nach der Bedeutung von Werten und Normen, nach der Entstehung von Institutionen und nach den verschiedenen Formen zwischenmenschlichen Verhaltens (soziales Handeln).
Was hat Kommunikation mit Gesellschaft zu tun?
Laut den Theorien des Soziologen Niklas Luhmann (1927–1998) ist die Gesellschaft ein System, das aus verschiedenen Teilsystemen (z. B. Wirtschaft, Politik, Kultur) besteht, die durch Kommunikation miteinander verbunden sind und einander beeinflussen.
Luhmanns sog. strukturell-funktionale Theorie bzw. die darauf aufbauende Systemtheorie zählen zu den einflussreichsten und bedeutsamsten umfassenden Gesellschaftstheorien der Moderne. Danach ist Funktionalität, das heißt Zweckmäßigkeit, das oberste Handlungsprinzip aller Teilsysteme. Zweckmäßig sind Handlungen immer dann, wenn sie dazu dienen, das System aufrechtzuerhalten oder an veränderte Umweltbedingungen anzupassen.
Wird unsere Gesellschaft immer komplexer?
Ja, denn auch die Lebensumwelt des Menschen wurde vor allem in den letzten 200 Jahren aufgrund des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts immer vielschichtiger.
Auf die zunehmende Komplexität reagierte das System Gesellschaft durch eine zunehmende Differenzierung: Neue Teilsysteme entstanden, bestehende Teilsysteme wurden ausgebaut. Ein typisches Beispiel für diese Entwicklung ist die Differenzierung im Bereich der Kommunikationstechnik als »Reaktion« auf die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen.
Ist eine bessere Welt utopisch?
In gewisser Weise schon, denn seit Jahrtausenden bringen Menschen ihre Sehnsucht nach einer besseren Welt und ihre Visionen künftiger Gesellschaften in utopischen Beschreibungen zum Ausdruck. Eine der ältesten Utopien formulierte der antike griechische Philosoph Platon (427–347 v. Chr.), als er den Inselstaat Atlantis beschrieb. Die dortige Gesellschaft soll ein Musterbeispiel an militärischer Kraft, Wohlstand und Gerechtigkeit gewesen sein, bis ein allmählich um sich greifender sittlicher Verfall zum Untergang führte. Der englische Staatsmann Thomas Morus (1478–1535) verfasste 1516 seine Schrift »Utopia«, die zur Namensgeberin einer ganzen Literaturgattung wurde. In Morus' Idealgesellschaft gibt es kein Privateigentum und kein Geld. 100 Jahre später beschrieb der italienische Philosoph Tommaso Campanella (1568–1639) in seinem Werk »Der Sonnenstaat« eine totalitäre Gesellschaft, in der alle Lebensbereiche (sogar Partnerwahl und Fortpflanzung) von Wissenschaft und Vernunft regiert werden.
Was ist eigentlich ...
eine Spaßgesellschaft? Eine Gesellschaft, bei der Konsum und Lebensfreude im Vordergrund stehen.
eine Risikogesellschaft? Eine Gesellschaft, in der den Gefahren, die mit der zunehmenden Individualisierung, Technisierung und Globalisierung verbunden sind, große Bedeutung zukommt.
eine offene Gesellschaft? Eine Gesellschaft, die ihren Mitgliedern unabhängig von Herkunft oder Geschlecht die gleichen Chancen zum sozialen Aufstieg ermöglicht.
eine postindustrielle Gesellschaft? Eine Gesellschaft, in der der Prozess der Industrialisierung so gut wie abgeschlossen ist und in der andere Lebens- und Wirtschaftsbereiche an Bedeutung gewinnen.
Die Entstehung der modernen Gesellschaft
Wie lebten die Menschen im Mittelalter?
Die typische Gesellschaftsordnung der mittelalterlichen Agrargesellschaft war das Feudalsystem, das im Lehnswesen seine charakteristische Ausprägung erfuhr: Der Herrscher überließ seinen adligen Gefolgsleuten bestimmte Landstriche als Lehen und übertrug ihnen dadurch Herrschaftsgewalt über Grund und Boden sowie über alle darauf lebenden Menschen.
Hinter der feudalen Gesellschaftsordnung stand ein Weltbild, in dem die Ungleichheit der Menschen als Teil der göttlichen Ordnung akzeptiert wurde. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stand (Adel, Klerus oder Bauernstand) war durch die Herkunft eindeutig festgelegt. Ein sozialer Ausstieg war in der mittelalterlichen Ständegesellschaft ebenso undenkbar wie der Widerstand gegen die »gottgewollten« Machtverhältnisse.
Was führte zum Zusammenbruch des Feudalsystems?
Die wachsende Bedeutung der Städte, die Ende des 15. Jahrhunderts einsetzende Reformation, der Humanismus und die Renaissance sowie nicht zuletzt die großen Entdeckungsreisen (vor allem die Entdeckung Amerikas 1492) ließen das Feudalsystem zusammenbrechen. Sie alle veränderten das Weltbild der Menschen und führten durch den Aufschwung der Wissenschaften und die Ausweitung des internationalen Waren- und Geldverkehrs zum Zusammenbruch der alten Strukturen. Das städtische Bürgertum wurde zum wichtigsten Träger eines neuen Gesellschaftsverständnisses, in dessen Mittelpunkt nun nicht mehr Gott, sondern der Mensch stand.
Brachte die Aufklärung den Menschen Freiheit?
Ja, denn die Philosophie der Aufklärung (Ende des 18. Jahrhunderts) sprach jedem Menschen unabhängig von seiner Herkunft bestimmte angeborene Rechte zu (z. B. das Recht auf Leben, Freiheit, Eigentum). Sie betrachtete Gesellschaft als eine Vereinigung mündiger Bürger, die sich freiwillig einer staatlichen Ordnung unterwerfen, um ihr Zusammenleben effizienter zu gestalten. Die Aufklärung lieferte die geistige Grundlage für die Französische Revolution (1789–99) und die Entstehung einer Gesellschaft, in der das Bürgertum (und nicht etwa der Adel) die bestimmende wirtschaftliche, kulturelle und politische Kraft war.
Kann Technik Gesellschaften verändern?
Ja, denn durch sie ändern sich die Arbeitsverhältnisse und damit auch das Leben jedes Gesellschaftsmitglieds.
Technische Erfindungen wie die Dampfmaschine, die Spinnmaschine und der mechanische Webstuhl revolutionierten Ende des 18. Jahrhunderts den Bergbau und die Textilindustrie Großbritanniens. Kurz darauf eröffneten die Erfindung der Dampflokomotive und Dampfschifffahrt neue Transportmöglichkeiten und Verkehrswege.
In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts wanderten Bauern zu tausenden vom Land in die Städte, um als Fabrikarbeiter ihr Auskommen zu finden. Die »Arbeiterklasse« wurde zu einer stetig wachsenden Bevölkerungsschicht, deren Lebens- und Arbeitsrhythmus von der industriellen Produktionsweise geprägt wurde.
Was hat die Industrialisierung gebracht?
Ausgereiftere Produktionsverfahren ermöglichten Ende des 19. Jahrhunderts die Massenproduktion von Gütern, die nun auch für ärmere Bevölkerungsschichten erschwinglich wurden. Dank neuer Techniken und Maschinen wurde die Arbeit in den Fabriken leichter und weniger gefährlich. Insgesamt führten Innovation und Fortschritt zu einer allgemeinen Verbesserung des Lebensstandards. Die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen mündeten schließlich auch in einen Wertewandel, der sich auf alle Bereiche des menschlichen Lebens (z. B. Ehe, Familie, Beruf, Freizeit) erstreckte.
Allerdings brachte die Industrialisierung auch große soziale Härten mit sich. Verarmung, Verelendung und Rechtlosigkeit der Industriearbeiterschaft wurden von der Arbeiterbewegung bekämpft und mittels staatlicher Sozialreformen weitgehend gemildert bzw. behoben. Auf eine weitere Kehrseite der auf stetiges Wirtschaftswachstum angewiesenen Industriegesellschaft wies der Club of Rome bereits 1972 in seinem Bericht »Die Grenzen des Wachstums« hin. Das unabhängige Expertengremium warnte darin u. a. vor Ressourcenknappheit und den Folgen der Umweltverschmutzung.
Wann ist die Dienstleistungsgesellschaft entstanden?
In allen Industriestaaten vollzog sich im Lauf des 20. Jahrhunderts ein Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, das heißt, der weitaus größte Teil der Wirtschaftsleistung wird im tertiären Sektor (Handel und Dienstleistungen) und nicht mehr im sekundären Sektor (verarbeitendes Gewerbe, Energiewirtschaft u. a.) erbracht. Im Dienstleistungssektor arbeiten auch die meisten Erwerbstätigen, in Deutschland z. B. gut zwei Drittel. Dennoch wird weiterhin von »Industriestaaten« gesprochen.
Mikroelektronik und Computertechnik haben unsere Arbeitswelt und unser Privatleben nachhaltig verändert. Moderne Gesellschaften, in denen Mobilität, Flexibilität und die ständige Verfügbarkeit von Informationen als Grundvoraussetzungen für Erfolg gelten, werden deshalb auch als Informationsgesellschaften bezeichnet.
Soziales Verhalten: Der Mensch als Teil einer Gruppe
Wann ist ein Mensch erwachsen?
Erst nach Ende der Pubertät, fast 20 Jahre nach seiner Geburt, ist der Mensch körperlich und geistig so weit gereift, dass wir ihn als erwachsenen Menschen betrachten können.
Besonders prägende Lebensabschnitte sind Kindheit und Jugend. Der Mensch schließt die letzte Etappe seiner körperlichen Entwicklung außerhalb des Mutterleibs ab und ist noch lange nach seiner Geburt auf intensive Fürsorge und Pflege angewiesen. Das Kleinkind muss grundlegende Fertigkeiten wie Laufen und Sprechen lernen und üben. Bis zum Eintritt in die Pubertät schulen Kinder wichtige Fähigkeiten wie Erinnern, Planen und abstraktes Denken, während zugleich soziale Beziehungen und Verhaltensnormen an Bedeutung gewinnen.
Wie frei ist der Mensch wirklich?
Damit eine Gesellschaft mit ihren differenzierten und auch komplizierten Strukturen funktioniert, müssen sich die einzelnen Mitglieder, also die Individuen, an bestimmte Regeln halten.
Die Gesellschaft kann nur dann stabil und produktiv sein, wenn alle Mitglieder eine soziale Einheit bilden, das heißt, wenn hinsichtlich bestimmter Grundwerte Übereinstimmung besteht und ein Maximum an sozialer Integration verwirklicht wird. Jede Gesellschaft hat bestimmte Verhaltenserwartungen, die die meisten ihrer Mitglieder auch erfüllen, etwa die Erwartung, dass in der Öffentlichkeit Kleidung getragen wird.
Welche Vorteile bringt die Gesellschaft dem Einzelnen?
Die Gesellschaft bietet den Individuen einen Rahmen, der ihnen erlaubt, sich zu entfalten, ihren Interessen und Wünschen nachzugehen und ihr Leben so weit wie möglich nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Dabei werden von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlichste Grenzen gezogen. So bieten westliche Gesellschaften ihren Mitgliedern in der Regel mehr individuellen Spielraum in ihrer Lebensgestaltung als beispielsweise orientalische Gesellschaften mit ihren häufig streng geregelten hierarchischen Strukturen.
Wozu braucht eine Gesellschaft Institutionen?
Institutionen gelten als wichtigster Mittler zwischen Individuum und Gesellschaft. Sie repräsentieren das jeweilige Wertesystem einer Gesellschaft und machen es für den Einzelnen erfahrbar.
Zu den Institutionen rechnet man sowohl Organisationen wie Schulen, Kirchen und Betriebe als auch abstrakte, aus Traditionen abgeleitete Verhaltensregeln. Zur Durchsetzung ihres Wertesystems üben alle Institutionen Macht in Form sozialer Kontrolle aus. Dabei wird abweichendes Verhalten mit negativen Sanktionen belegt (z. B. Tadel, Bestrafung) und konformes Verhalten belohnt (z. B. Lob, Beförderung). Im Idealfall verinnerlicht der Einzelne die Normen der Gesellschaft, so dass die äußere Überwachung bzw. Kontrolle des Verhaltens überflüssig wird. Diesen Prozess bezeichnet man als Sozialisation.
Welches Verhalten ist sozial?
Fast alle Handlungen, die ein Mensch ausführt und die ihrem Sinn nach auf andere bezogen sind. Der Handelnde muss sich also bewusst darüber sein, dass sein Tun in irgendeiner Form andere Personen betrifft oder betreffen kann.
Hilft jemand einem anderen Menschen die Treppe hinauf, weil dieser Schwierigkeiten beim Gehen hat, ist dies soziales Handeln. Soziales Handeln liegt aber auch vor, wenn eine Person einen verrutschten Teppich gerade rückt, um zu verhindern, dass andere darüber stolpern – selbst wenn diese davon nichts erfahren. Soziales Handeln heißt ganz einfach auch, bereit zu sein, mit anderen Gesellschaftsmitgliedern zu kommunizieren und sich mit ihnen zu verständigen.
Übrigens: Auch Verkaufen ist sozial, da sich mehrere Personen über das Nahziel ihrer Handlungen, hier der Tausch von Ware gegen Geld, einig sind. Wenn mindestens zwei Personen an einer solchen Aktion beteiligt sind, spricht man von einer Interaktion. Wichtige Voraussetzung ist dabei, dass jeder der an der wechselseitigen Handlung Beteiligten sich über die Absicht des anderen im Klaren ist.
Wie unterscheidet sich die moderne von der mittelalterlichen Gesellschaft?
In den Feudalgesellschaften des Mittelalters lebte und arbeitete die Mehrheit der Menschen unter relativ ähnlichen Bedingungen und nach ähnlichen Verhaltensregeln. Die modernen Industriegesellschaften dagegen sind hoch differenziert. Sie eröffnen ihren Mitgliedern die Möglichkeit, aus einer Vielzahl von Berufen, Einstellungen und Lebensstilen zu wählen. Die Gesellschaft wie auch die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft ist nicht starr, sondern dynamisch und beständig Veränderungen unterworfen.
Warum ist soziales Handeln für Soziologen so wichtig?
Soziales Handeln gehört zu den Hauptthemen der Soziologie: Der deutsche Nationalökonom und Soziologe Max Weber (1864–1920) verstand die Soziologie als die Wissenschaft vom sozialen Handeln und führte handlungstheoretische Grundbegriffe ein. Auch der amerikanische Soziologe Talcott Parsons (1902–79) hat sich mit der Bedeutung und Systematisierung des menschlichen Handelns beschäftigt und stellte die Theorien des Handelns auf. Dabei berücksichtigte er Ziel und Zweck des Handelns, die Mittel zur Erreichung des Ziels, die Situationsbedingungen und die Wertvorstellungen des Handelnden.
Gruppe und Rolle: Beziehungen innerhalb der Gesellschaft
Was kennzeichnet eine soziale Gruppe?
Eine soziale Gruppe besteht aus mehreren Personen mit gemeinsamen oder zumindest ähnlichen Merkmalen. Eine soziale Gruppe zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder aufgrund gemeinsamer Unternehmungen, gleicher oder ähnlicher Überzeugungen und Ansichten ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben.
Zu einer Gemeinschaft wird eine Gruppe, wenn sich die Mitglieder als Teil eines größeren Organismus und stark miteinander verbunden fühlen (z. B. die Gemeinschaft der Gläubigen). Unter dem Begriff Gesellschaft versteht man einen Verband von Menschen, die zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse oder zur Erreichung ihrer Ziele zumindest in gewisser Weise zusammenwirken.
Wer macht was in einer Gruppe?
Das hängt in großem Maße von der jeweiligen sozialen Rolle ab. Unter dem Begriff soziale Rolle versteht man alle Erwartungen und Ansprüche, die eine Gruppe an das Verhalten einer Person in einer bestimmten gesellschaftlichen Position hat oder stellt.
Jeder Mensch nimmt in seiner sozialen Stellung verschiedene Rollen ein. So kann ein Kind außerhalb der Familie die Rollen Schüler, Freund oder Vereinsmitglied einnehmen. Die Erwartungen der anderen an das Verhalten eines Rolleninhabers beziehen sich stets auf dessen soziale Position, das heißt auf zugeschriebene oder durch den Lebenslauf erworbene Positionen.
Rollenerwartungen, also die Verhaltenserwartungen an eine bestimmte soziale Rolle, werden von Bezugsgruppen an den Rolleninhaber herangetragen. Eine solche Bezugsgruppe sind beispielsweise Patienten, die gegebenenfalls Sanktionen gegen einen Arzt verhängen, falls dessen Verhalten nicht ihren Rollenerwartungen entspricht. So können sie den Arzt wechseln, wenn sie das Gefühl haben, er kümmere sich nicht ausreichend um sie. Der Arzt erleidet Einkommenseinbußen und wird darüber nachdenken müssen, sein Verhalten den Rollenerwartungen der Bezugsgruppe entsprechend anzupassen.
Wann kommt es zu Rollenkonflikten?
Zu Rollenkonflikten einer Person kann es kommen, wenn es zwischen den Rollen Überschneidungen gibt und sich die Verhaltenserwartungen an die einzelnen Rollen so stark unterscheiden, dass sie nicht miteinander vereinbar sind.
So kann eine Frau in Konflikt zwischen ihrer Mutterrolle und ihrer beruflichen Rolle geraten. Einerseits kann sie die Erwartung ihres Arbeitgebers vielleicht nicht erfüllen, der von ihr verlangt, Überstunden zu machen. Andererseits hat ihr gesellschaftliches Umfeld möglicherweise die Erwartung, dass sie sich als Mutter ausschließlich bzw. stärker um ihr Kind zu kümmern habe.
Nehmen alle Menschen ihre Rollen freiwillig an?
Nicht alle: Bestimmte Rollen im Leben akzeptieren die Menschen nur, weil sie es müssen, andere hingegen sind für sie stimmig. Jemand, der seine Arbeit lediglich macht, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird sich mit seiner Berufsrolle nicht identifizieren, jemand aber, der sich zu seiner Arbeit berufen fühlt, schon.
Je stärker aber die Identifizierung mit einer Rolle ist, desto größer ist auch die Gefahr, andere Rollen nicht mehr oder nur noch schlecht ausfüllen zu können. Ein guter Personalchef kann z. B. ein schlechter Vater sein, weil er wegen seines Berufs kaum Zeit für seine Familie hat. Es kann also zu einer Entfremdung von anderen Rollen, ja sogar zur Selbstentfremdung kommen.
Wozu dienen Riten?
Manche Riten dienen dazu, neue Mitglieder in bestimmte Gruppen aufzunehmen (Aufnahme- bzw. Initiationsriten). Eine große Rolle spielen dabei verschiedene Zeremonien während der Pubertät.
So ist die Taufe die Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen, die Aufnahme in die Kirche. Im Judentum gilt die Entfernung der Vorhaut eines Jungen acht Tage nach seiner Geburt als Zeichen für die Zugehörigkeit zum Gottesvolk. Auch im Islam hat die Beschneidung des Mannes die Bedeutung, in die Glaubensgemeinschaft aufgenommen zu sein.
Wer ist asozial?
Als »asozial« bezeichnen die Soziologen eine Person, die sich in einer Gesellschaft nicht zurechtfindet. Der Begriff dient oft als Schimpfwort. Dagegen bedeutet »sozial« im eigentlichen Sinne »die Gesellschaft betreffend«, wird aber im herkömmlichen Sprachgebrauch oft gleichbedeutend mit dem Wort »hilfreich« benutzt. In der Biologie wird es synonym für »gesellig lebend« verwendet. Das Wort »unsozial« wird umgangssprachlich in der Regel mit den Begriffen »ungerecht«, »nicht alle Bedürfnisse abdeckend« gleichgesetzt.
Die Familie: Versorgungs- und Sozialisationsinstanz
Welche Aufgaben hat die Familie?
In erster Linie stellt die Familie die Fortpflanzung und damit das Fortbestehen der Gesellschaft sicher. Sie dient zum einen zur Versorgung der Kinder und ist zum anderen gleichzeitig für die Kinder auch die erste Sozialisationsinstanz, das heißt für deren Eingliederung in die Gesellschaft und deren Erziehung zuständig. Dafür notwendig ist die Vermittlung von sozialen, religiösen, kulturellen und anderen Wertvorstellungen.
Daneben erfüllt die Familie immer noch eine Versorgungsfunktion – häufig scheidet ein Elternteil (in den meisten Fällen die Mutter) während der ersten Lebensjahre der Kinder aus dem Erwerbsleben aus. Außerdem sollte die Familie im Idealfall ihren Mitgliedern Rückhalt gegenüber äußeren Einflüssen sowie die Möglichkeit zum Rückzug und zur Entspannung bieten.
Welche Familienformen gibt es heute?
Die heute vorherrschende Familienform ist die Klein- oder Kernfamilie, zu der beide Elternteile und die Kinder gehören.
Als Familie gelten aber auch Alleinerziehende – das waren in Deutschland im Jahr 2005 rd. 2,6 Mio. Familien. Den Großteil der Alleinerziehenden (etwa 87 %) stellen heute immer noch Frauen. Auch nichteheliche Lebensgemeinschaft mit Kind zählen als Familien. In Ostdeutschland wohnt in knapp der Hälfte solcher Lebensgemeinschaften wenigstens ein Kind, in Westdeutschland in einem Viertel. Insgesamt gab es 2005 in Deutschland 12,6 Mio. Familien.
Wie viele Kinder gibt es in Deutschland?
Die Zahl der minderjährigen Kinder hat sich zwischen 1996 und 2005 in West- und Ostdeutschland unterschiedlich entwickelt: Während sie in Westdeutschland um 1 % auf 12 Millionen sank, ging sie in Ostdeutschland um 30 % auf 2,4 Millionen zurück. Viele Frauen entscheiden sich heute gegen Kinder bzw. für weniger Kinder. Noch 1958 lag die durchschnittliche Kinderzahl je Frau bei 2,3, bis 2004 sank dieser Wert auf 1,3.
Sind Ehe und Familie besonders geschützt?
Ja, das Grundgesetz stellt durch Artikel 6 Ehe und Familie in Deutschland unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Staat muss bei seiner Gesetzgebung daher darauf achten, dass die Belange der Familien besonders im Auge behalten werden.
Nicht nur die eheliche Familie steht unter dem Schutz des Grundgesetzes: Absatz 5 des Artikels 6 besagt, dass uneheliche Kinder die gleichen Bedingungen erhalten müssen wie eheliche Kinder. Nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern sind Familien mit verheirateten Eltern, zumindest was das Sorgerecht für die Kinder und deren Namensgebung betrifft, nahezu gleichgestellt. Unterschiede gibt es aber noch in der steuerlichen Behandlung. Unverheiratete Väter haben genau wie geschiedene seit 1998 das Recht, ihre Kinder in bestimmten Abständen zu besuchen.
Wie unterstützt der Staat die Familien?
Mit finanziellen Leistungen und Vergünstigungen, beispielsweise Kindergeld, Kinderfreibetrag und Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf die Altersrente, sollen zumindest teilweise die erhöhten Lebenshaltungskosten ausgeglichen werden, die durch Kinder entstehen. Dies soll die Entscheidung für Kinder als Garant der Zukunft erleichtern. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums wurden 2004 rd. 85 Mrd. Euro für die Förderung der Familien ausgegeben.
Neueste Maßnahme ist das im Juni 2006 beschlossene Elterngeld, das 2007 in Kraft treten soll. Eltern, von denen ein Elternteil wegen der Kinderbetreuung in seinem Berufsleben kürzertritt, erhalten zwölf Monate lang 67 % des Nettogehaltes, maximal 1800 Euro. Schränkt auch das zweite Elternteil seine Berufstätigkeit um mindestens zwei Monate ein, wird das Elterngeld 14 Monate lang bezahlt. Auch Alleinerziehende haben einen Anspruch auf eine 14-monatige Förderung. Das bisherige Erziehungsgeld entfällt.
Wussten Sie, dass …
die Zahl der Alleinstehenden in Deutschland zwischen 1996 und 2005 um 11 % auf 15,7 Mio. gestiegen ist? In Ostdeutschland hat sich ihre Zahl im gleichen Zeitraum sogar um ein Viertel erhöht. Insgesamt ist knapp jede fünfte Person in Deutschland alleinstehend.
2005 in Deutschland 18,9 Mio. Ehepaare lebten? Das sind 4 % weniger als vor neun Jahren. Etwas weniger als die Hälfte (49 %) dieser Ehepaare hat Kinder.
sich seit 1996 das Durchschnittsalter von Ehemännern und Ehefrauen jeweils um rd. drei Jahre erhöht hat? Es lag 2005 für Ehemänner bei 54,2 Jahren, für Ehefrauen bei 51,4 Jahren.
die Zahl der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften in Deutschland 2005 auf rd. 173 000 geschätzt wurde? Seit 2001 können sich gleichgeschlechtliche Partner für eine behördlich eingetragene Lebenspartnerschaft, umgangssprachlich auch »Homoehe« genannt, entscheiden. Sie weist beiden Partnern ähnliche Rechte und Pflichten wie Ehegatten zu.
Normen und Werte: Leitlinien für die Gesellschaft
Warum darf der Mensch keinen anderen töten?
Die Tötung eines Menschen ist in den christlichen Gesellschaften ein schweres Delikt, das auf einer auf die Bibel zurückgreifenden Norm basiert.
Als Normen bezeichnet man in der Soziologie situationsbezogene Verhaltensregeln. Diese beruhen häufig auf den Wertvorstellungen, die in einer Gesellschaft gelten. Zu den Wertvorstellungen einer christlichen Gesellschaft gehören z. B. die Zehn Gebote. Sie dienen den meisten Mitgliedern dieser Gesellschaft als Richtlinie, die damit auch die Grundlage für die Entwicklung spezifischer Normen wie des Tötungsdelikts bildet.
Weshalb brauchen wir Normen und Werte?
Eine Gesellschaft funktioniert zu einem großen Teil nach spezifischen Wertvorstellungen und Normen. Der Mensch bzw. seine Handlungen erfahren durch sie eine gewisse Regelmäßigkeit, so dass er für andere berechenbar wird. Ein Individuum, das die in einer Gruppe geltenden Normen nicht akzeptiert, wird zu einem Außenseiter, dessen Verhalten in der Regel Sanktionen durch die übrigen Gruppenmitglieder nach sich zieht.
Müssen Normen immer befolgt werden?
Es gibt Normen, die befolgt werden müssen (Gesetze), andere, die befolgt werden sollen (Beispiel: in der Arbeitszeit keine privaten Dinge erledigen), sowie weitere, die befolgt werden können (Beispiel: in der Kirche nicht laut reden).
Normen werden von Gruppen oder Institutionen (Familie, Kirche, Schule) vermittelt. Wichtige Merkmale sind, dass sie für alle Gruppenmitglieder gelten und es die Möglichkeit geben muss, gegen sie zu verstoßen. In bestimmten Situationen können Normen manchmal nicht eingehalten werden – ein Mensch, der sich selbst verteidigt, kann dabei z. B. ungewollt gegen die Norm verstoßen, niemanden zu verletzen.
Wozu dienen eigentlich Sanktionen?
Sanktionen haben die Aufgabe, andere dazu zu bringen, sich an geltenden Normen zu orientieren. Sie richten sich bei Verstößen gegen denjenigen, der gegen die Norm verstößt und besitzen für diesen einen negativen Charakter – also den einer Strafe. Verstößt z. B. jemand im Straßenverkehr gegen eine geltende Tempobeschränkung, eine Norm, und die Polizei stoppt ihn, muss er ein Bußgeld entrichten (Sanktion).
Als Sanktionen sind auch solche Handlungen erlaubt, die unter anderen Umständen eigentlich Sanktionen nach sich zögen. Ein Beispiel: Jemanden einzusperren und ihn damit seiner Freiheit zu berauben, verstößt eigentlich gegen die gesetzlich garantierte Bewegungsfreiheit. Freiheitsentzug wird jedoch als Sanktion akzeptiert, wenn jemand eine schwere Straftat begangen hat und durch die Sanktion dazu gebracht werden soll, sich nach den geltenden Normen zu richten.
Wann ändern sich Normen und Werte?
Ein wesentlicher Grund für einen Normen- oder Wertewandel sind Änderungen in der Gesellschaft. Bekommt etwa eine gesellschaftliche Gruppe größeren Einfluss, werden sich viele geltende Normen nach und nach an die Normen dieser Gruppe anpassen. Verliert eine Gruppe an Einfluss in der Gesellschaft, werden auch manche ihrer Normen aufgegeben.
Ein Beispiel: Der Paragraf 175 Strafgesetzbuch (StGB), der seit 1871 in Deutschland zunächst homosexuelle Handlungen zwischen Männern im Allgemeinen und in seiner späteren Fassung sexuelle Handlungen zwischen über 18-jährigen Männern und unter 18-jährigen mit Freiheitsentzug bestrafte, wurde 1994 aufgehoben, da er in dieser Form nicht mehr zeitgemäß erschien. Denn mittlerweile waren homosexuelle Paare – zumindest bei der Mehrheit der Deutschen – gesellschaftlich anerkannt; die Norm hatte sich überlebt.
Müssen auch Bräuche beachtet werden?
Nicht unbedingt, denn Bräuche sind keine Normen, sondern nur Gewohnheiten, die in einer Gruppe, einer Gesellschaft oder einer Kultur üblich sind und von den Mitgliedern im Allgemeinen anerkannt werden. In Deutschland gibt es beispielsweise den Brauch des Händeschüttelns zur Begrüßung, in anderen Ländern begrüßt man sich hingegen mit einem Küsschen auf die Wange. Sind ortsübliche Bräuche jedoch sehr verfestigt, können durchaus negative Reaktionen, die Sanktionscharakter besitzen, die Folge sein. Bei Missachtung kann man leicht zum Außenseiter abgestempelt werden.
Wer legt Normen fest?
Normen werden in aller Regel von den Herrschenden festgelegt.
Herrschaft ist nach Max Weber (1864–1920), einem der Begründer der deutschen Soziologie, die Chance, eine Gruppe dazu zu bringen, jederzeit Gehorsam zu leisten. Von einer legitimen Herrschaft spricht man, wenn die Beherrschten die Befehle der Herrschenden und die Ausübung von Zwang, in manchen Fällen sogar von Gewalt akzeptieren, um die in der Gesellschaft geltenden Normen durchzusetzen (z. B. Einsatz physischer Gewalt bei der Ergreifung eines Schwerverbrechers).
Im Gegensatz zur Herrschaft sprechen die Soziologen von Macht, wenn jemand seinen Willen gegenüber einer oder mehreren Personen gegen deren Widerstand durchsetzen kann. In aller Regel umfasst Herrschaft zwar auch immer Macht, aber eine Person kann auch Macht über eine andere haben bzw. ausüben, ohne über sie zu herrschen.
Übrigens: Unter Autorität versteht man den sozialen Einfluss bestimmter Personen oder Gruppen, der ihnen von anderen zugesprochen wird. Dagegen ist Gewalt ein Mittel zur Durchsetzung von Herrschaft und Macht. Physischer und/oder psychischer Zwang tragen dazu bei, die geltenden Normen durchzusetzen. In modernen Gesellschaften hat der Staat das Gewaltmonopol: Allein er und seine Institutionen wie die Polizei sind unter bestimmten Bedingungen (z. B. bei Verstößen gegen geltendes Recht) befugt, innerhalb der staatlichen Grenzen Gewalt auszuüben.
Was versteht man unter Moral?
Der Begriff Moral bezieht sich auf die sittlichen Normen und Werte, die in einer Gesellschaft als verbindlich anerkannt sind. Moral beruht im Gegensatz zu Recht nicht auf Gesetzgebungsakten, sondern stützt sich weitgehend auf Überlieferung. Im Gegensatz zur Ethik, die ein Nachdenken über moralische Werte beinhaltet, werden diese von der Moral nicht hinterfragt, sondern als geltend vorausgesetzt.
Darf man sich an der Supermarktkasse vordrängeln?
Heute gehört es in unserer Gesellschaft zur Norm, sich an der Kasse im Supermarkt ans Ende einer Schlange anzustellen. Solche Normen sollen menschlichem Handeln eine gewisse Regelmäßigkeit verleihen und es auf diese Weise nachvollziehbar machen. So können sich die Menschen untereinander verständigen und sinnvoll agieren.
Was ist eigentlich ...
ein Tabu? Ein religiös oder rituell begründetes Verbot. Ein Tabu kann sein, den Gottesnamen auszusprechen oder bestimmte Speisen zu essen. Das Wort stammt ursprünglich aus Polynesien, wo es sich ebenfalls auf ein unbedingtes Verbot bestimmter Handlungen bezieht.
eine Sitte? Umgangssprachlich bedeutet Sitte soviel wie Brauch. Allerdings benutzen Soziologen das Wort auch, wenn sie von Normen reden, die aus den »guten« Sitten heraus begründet sind – es verletzt z. B. die sittlichen Normen, wenn jemand an eine Hauswand uriniert.
Tugend? Ursprünglich bedeutete Tugend die Bereitschaft zu sittlicher Gesinnung und sittlichem Handeln. Was jedoch früher als tugendhaft galt (z. B. keinen Geschlechtsverkehr vor der Ehe), gilt manchmal als überkommen: Als positive Tugenden bewertet werden heute Zivilcourage und Mut.
Religionen: Vereint durch den Glauben
Weshalb sind Religionen so wichtig?
Religionen geben als Glaubenssysteme Antworten auf die Grundfragen des Lebens; sie beziehen sich dabei auf Außerweltliches. Dieses Prinzip wird in Religionen wie dem Judentum, Christentum oder dem Islam durch einen Gott repräsentiert, neben dem keine weiteren Götter verehrt werden. So beantwortet z. B. das Christentum die Frage nach richtigem bzw. falschem Handeln durch Rückbezug auf Gott. Eine Überprüfung dieser Antworten bzw. der Beweis für die Existenz eines göttlichen Wesens ist grundsätzlich unmöglich, daher ist der Glaube die wichtigste Grundlage aller Religionen.
Darüber hinaus haben Religionen auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Sie erleichtern das Zusammenleben und machen es meist produktiver, weil sich die Mehrheit der Gläubigen auf dieselben Werte und Normen bezieht. Religionen haben daher von jeher soziale und politische Strukturen beeinflusst.
Übrigens: Religiöse Texte sind in der Regel in heiligen Schriften aufgezeichnet und gesammelt. Je nach Religion enthalten diese Reden des Religionsstifters, Mythen, Gebote und Rechtssatzungen sowie Ritualbestimmungen.
Wie machten sich die Herrscher Religion zunutze?
In der christlich-abendländischen Kultur wurde die Macht von Königen und Kaisern jahrhundertelang von einem göttlichen Auftrag abgeleitet (Gottesgnadentum). Auch galten Kirche und Staat in der mittelalterlichen Welt als Einheit. Bestrebungen, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern, wurden als Angriff auf die göttliche Ordnung gewertet. Auch die Rollenverteilung innerhalb der Gesellschaft (z. B. die Macht des Lehnsherren) galt als gottgewollt und war daher lange Zeit unangreifbar.
Wann hat die christliche Kirche ihre Führungsrolle eingebüßt?
In der Zeit des Humanismus und der Reformation ab Mitte des 15. Jahrhunderts. Folge war die »Entkirchlichung« zahlreicher Lebensbereiche (z. B. Rechts- und Bildungssystem). Ende des 18. Jahrhunderts stellte die Aufklärung schließlich die in vielen Bereichen geltende »Gottgewolltheit« selbst infrage.
Die Rechts- und Staatslehre der Aufklärung betrachtete den Menschen als von Natur aus freies und vernunftbegabtes Wesen und verdrängte Kirche und Religion in den Bereich des Privaten. Zugleich kam es zu einer »Verweltlichung« christlicher Traditionen. Diese Traditionen spiegeln sich bis heute in vielen Werten und Normen wider und beeinflussen auch nichtreligiöse Lebensbereiche wie beispielsweise unser Rechtssystem.
Welche Bedeutung hat der Koran für die Muslime?
Der Koran ist die heilige Schrift des Islams und für die Muslime oberste Richtschnur für alles Handeln in der Welt. Er enthält Ermahnungen, Gerichtsreden, Erzählungen von Propheten und endzeitliche Weissagungen. Die heilige Schrift des Islam umfasst die Worte Allahs, die dem Propheten Mohammed zwischen 610 und 632 offenbart wurden. Der Koran besteht aus insgesamt 114 Abschnitten, den sog. Suren, die sich aus gereimten Versen zusammensetzen.
Fünf grundsätzliche Pflichten muss jeder gläubige Muslim einhalten. Die erste »Säule« bildet das Glaubensbekenntnis (schahâda), die zweite das tägliche Pflichtgebet (salât), gefolgt vom Fasten im Monat Ramadan (saum). Die vierte und fünfte Säulen sind die Entrichtung von Almosensteuern (zakât) und die Pilgerfahrt nach Mekka (haddsch).
Was ist die Tora?
Die Tora (»Anweisung«, »Belehrung«) im engeren Sinne ist ein Begriff für die ersten fünf Bücher der Bibel, also Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri und Deuteronomium. Nach jüdischer Überlieferung wurden diese Bücher Moses am Sinai durch Gott offenbart.
Die Tora-Texte werden für die liturgische Lesung im jüdischen Gottesdienst in hebräischer Quadratschrift auf eine Pergamentrolle, eine sog. Tora-Rolle, geschrieben. Sie besteht aus aneinandergenähten Pergamentstücken, die auf zwei Holzstäben aufgewickelt sind. Aufbewahrt in einem Schrein, wird sie nur zur Lesung im Gottesdienst herausgenommen.
Worauf beruhen die Normen des Judentums?
Als Quelle der Religionslehre und des Religionsgesetzes dient der Talmud. Er ist aus der mündlichen Überlieferung entstanden und besteht aus zwei Teilen, der Mischna und der Gemara.
Die Mischna umfasst u. a. die Religionsgesetze und die rechtlichen, moralischen und rituellen Normen des jüdischen Lebens. Um das Jahr 200 wurden diese von dem Rabbi Jehuda ha-Nassi geordnet und schriftlich niedergelegt. Die Mischna bestehen aus sechs Ordnungen und ingesamt 63 Traktaten. Dagegen beinhaltet die Gemara die Erörterungen, die beim Studium der Mischna in den Lehrhäusern Palästinas und Babylons diskutiert wurden.
Hat Religion in unserer Erlebnisgesellschaft noch Platz?
In der westlich orientierten Gesellschaft bestimmt in erster Linie der Einzelne seine Lebensweise und seine Stellung in der Gesellschaft. Es entscheiden subjektive Vorlieben darüber, welches Freizeit-, Konsum- oder Medienangebot angenommen wird. Für traditionelle Religionen und ihre Normen scheint hier kaum noch Platz zu sein.
Dennoch suchen die Menschen weiterhin nach Anworten auf grundlegende Lebensfragen, nach Sinn stiftenden Erfahrungen und nach verlässlichen Wertesystemen. Auch verspüren sie weiterhin das Bedürfnis nach emotionaler Gemeinschaft. Deshalb erfreuen sich sog. Quasireligionen wie Sekten und esoterische Schulen großer Beliebtheit; die Angebote reichen von Büchern mit esoterischen Themen über Workshops bis hin zur festen Mitgliedschaft in bestimmten Vereinigungen. Auf der anderen Seite werden in einigen Kirchengemeinden wieder mehr Kircheneintritte als -austritte gemeldet.
Was ist Monotheismus?
Das Bekenntnis zu einem einzigen Gott, der als Person gesehen und als Schöpfer der Welt angenommen wird. Die drei großen monotheistischen Religionen sind Judentum, Christentum und Islam. Im Gegensatz zum Monotheismus kennt der Polytheismus mehrere, oft sehr zahlreiche Götter, z. B. die Götterwelt der griechischen und römischen Antike.
Welche Weltreligion hat die meisten Anhänger?
Das Christentum. Ihm gehört ein Drittel der 6,5 Mrd. Menschen auf der Welt an. Ein Fünftel sind Muslime, 13,3 % Hindus und 5,9 % Buddhisten. Weitere Weltreligionen sind der Sikhismus mit etwa 23 Mio. Gläubigen und das Judentum mit 14 Mio. Anhängern. Bei den Christen gehören 17,3 % der Menschen der römisch-katholischen Kirche und 5,8 % protestantischen Glaubensgemeinschaften an. In Deutschland sieht das Verhältnis anders aus: Mit jeweils etwa 26 Mio. Mitgliedern gehören jeweils 34 % der Bevölkerung der katholischen Kirche und den evangelischen Landeskirchen an.
Soziale Konflikte: Abweichendes Verhalten und Jugendkultur
Wer verhält sich abweichend?
Eine Person zeigt dann abweichendes Verhalten, wenn sie bestimmte Normen nicht einhält, also verbindliche Verhaltensregeln nicht beachtet. Allerdings kennt die Gesellschaft eine Toleranzbreite – nicht jedes Abweichen von der Norm wird mit abweichendem Verhalten gleichgesetzt.
Ist Untreue normal?
Zwar gilt in unserer Gesellschaft die Norm, dass man seinem Ehepartner treu sein sollte. Doch gegen diese Regel verstoßen viele Menschen, ohne dass ihr Verhalten deshalb gleich als abweichend bezeichnet wird. Im Gegensatz dazu gibt es in der Gesellschaft viele Verhaltensweisen, die im statistischen Sinn »normal« sind, also häufig auftreten, aber dennoch als abweichendes Verhalten bezeichnet werden. Als Beispiele dafür sind Alkoholismus und Kriminalität zu nennen.
Welche Ursachen hat abweichendes Verhalten?
Sieht jemand die Normen einer Gesellschaft oder Gruppe als für sich unerreichbar an, zeigt er abweichendes Verhalten. Dasselbe gilt für jemanden, der die geltenden Normen ablehnt und sich als Folge entweder zurückzieht oder gegen sie rebelliert.
Häufig verhalten sich Menschen bewusst abweichend von der Norm, z. B. weil sie meinen, daraus Vorteile ziehen zu können – ein Dieb möchte beispielsweise etwas besitzen, das ihm nicht gehört, ohne dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Mitunter hat sich das abweichende Verhalten jedoch so stark verselbständigt, dass der Betreffende, z. B. ein Drogensüchtiger, nicht mehr anders handeln kann.
Welche gesellschaftliche Gruppe rebelliert am stärksten?
Jugendliche lehnen sich mitunter bewusst gegen die Normen und Werte ihrer Eltern auf. In jugendlichen Subkulturen ist abweichendes Verhalten weit verbreitet.
Die Punkbewegung in den 1980er Jahren wollte sich durch abweichendes Verhalten bewusst von der Erwachsenenwelt abgrenzen und zeigen, dass sie eine eigene Identität besaß. Sie hatte eigene Kleidungs- und Frisuren-»vorschriften«, eine eigene Sprache und bestimmte Musikvorlieben. Manche Jugendgruppen vertreten zudem politische Meinungen, die vom Großteil der Gesellschaft nicht geteilt werden, z. B. machen sich Skinheads häufig rechtsextremes Gedankengut zu eigen.
Wer waren die Halbstarken?
Als »Halbstarke« bezeichnete man Ende der 1950er Jahre männliche Arbeiterjugendliche, die den Rock 'n' Roll in das Zentrum ihres Leben stellten. Rasch wurden sie zum Bürgerschreck. Die Halbstarken und ihre »Urwaldmusik« forderten die überkommene hierarchische Ordnung zwischen Generationen, Geschlechtern und Klassen heraus.
Der neue Musikstil und der zugehörige Tanz brachen mit den Idealen der gewohnten »schönen« Musik. Sie widersprachen den bestehenden Normen des Maßhaltens und der Selbstkontrolle und wurden deswegen als Bedrohung der Kultur wahrgenommen.
Worin bestehen Konflikte sozialer Natur?
Bei sozialen Konflikten geht es um Werte, um Macht, um das Anrecht auf Ansehen oder um Ressourcen zwischen zwei Gruppen, wobei die eine Partei versucht, ihre Vorstellungen gegebenenfalls gegen den Widerstand der anderen durchzusetzen.
Soziale Konflikte finden in nahezu jeder Gesellschaft ständig statt. Zu ihnen zählen gewaltlose Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern (z. B. um Lohnerhöhungen), aber auch gewalttätige Konflikte wie Kämpfe zwischen radikalen Globalisierungsgegnern und der Polizei.
Verändern soziale Konflikte die Gesellschaft?
Soziale Konflikte können sich so stark ausweiten, dass sie auf die gesellschaftlichen Strukturen einwirken. Der Staat kann in diesem Fall mit Reformen reagieren.
Die Studentenproteste Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre führten in Deutschland z. B. zu einer Reform der Universitäten und leiteten langfristig einen sozialen Wandel ein. Im Extremfall destabilisieren soziale Konflikte das bestehenden Gesellschaftssystem und lassen es zusammenbrechen. So führten die gewaltfreien Demonstrationen in der DDR Ende 1989 zum Zusammenbruch des sozialistischen Regimes.
Was sind eigentlich ...
Nichtsesshafte? Ständig auf der Straße Lebende. Durch das Leben auf der Straße, also durch ihr abweichendes Verhalten, leben Nichtsesshafte am Rande der Gesellschaft. Etwa 20 000 Menschen zählen in Deutschland zu dieser Gruppe.
Obdachlose? Menschen ohne eigene Wohnung. Dazu werden auch Personen gezählt, die bei Verwandten, in vorübergehend zugewiesenen Wohnungen oder in Pensionen untergekommen sind. Obdachlosen – in Deutschland etwa 350 000 – wird oft nicht mehr zugetraut, sich in die Gesellschaft einzugliedern.
Frauen und Männer: Veränderte Geschlechterrollen
Typisch Mann und typisch Frau – gibt es das?
Obwohl Männer und Frauen heute in den meisten Industriestaaten rechtlich gleichgestellt sind, existieren in der Gesellschaft immer noch ganz bestimmte Vorstellungen darüber, was als typisch männlich und als typisch weiblich gilt.
So wird verstandesorientiertes Verhalten und Durchsetzungsvermögen häufig Männern zugeschrieben, während Frauen eher als gefühlsorientiert und passiv gelten. Stereotype wie diese werden bereits in der frühen Kindheit vermittelt und sind oft unbewusst.
Warum entwickelten sich unterschiedliche Geschlechterrollen?
Als Ursache werden häufig Gesellschaftsstrukturen mit einer männlichen Vorherrschaft genannt, deren Ursprünge bis in die Steinzeit zurückreichen: Als nomadisierende Jäger und Sammler sesshaft wurden, habe das bäuerliche Leben die Entstehung einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung gefördert. Dabei seien Männer vor allem für Krieg und Jagd, Frauen für häusliche Belange wie Kindererziehung und Nahrungszubereitung zuständig gewesen.
Ob es bereits bei den frühen Kulturen zu einer Aufwertung des männlichen und einer Abwertung des weiblichen Zuständigkeitsbereichs kam oder ob diese Tendenz erst seit dem bürgerlichen Familienideal im 19. und der erleichterten Hausarbeit (u. a. durch technischen Fortschritt und kleinere Familien) im 20. Jahrhundert eintrat, ist umstritten.
Wann entstand die politische Frauenbewegung?
Den Beginn der politischen Frauenbewegung und des Kampfes der Frauen um Gleichberechtigung markierte der Frauenrechtskongress im amerikanischen Seneca Falls 1848, der insbesondere das Wahlrecht für Frauen forderte. Rasch verbreiteten sich die Ideen des Kongresses in Europa.
In England spielte mit Beginn des 20. Jahrhunderts der »Soziale und Politische Frauenverein« eine bedeutende Rolle. Die in ihm organisierten sog. Suffragetten (vom lateinischen suffragium, »Stimmrecht«, abgeleitet) um die Gründerin Emmeline Pankhurst und ihre Töchter waren bereit, für das Frauenwahlrecht auch mit militanten Mitteln – Protesten und Hungerstreiks – zu kämpfen. In Deutschland war es der 1890 gegründete »Allgemeine Deutsche Lehrerinnenverein«, der die bürgerliche Frauenbewegung vorantrieb, indem er sich vor allem für die Zulassung von Frauen zum Studium einsetzte. Der 1905 gegründete »Bund für Mutterschutz und Sexualreform« trat u. a. für die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218 ein.
Sind Frauen in Deutsch-land gleichberechtigt?
Ja, die Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde 1949 im Grundgesetz verankert. Mit dem Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau aus dem Jahr 1958 verloren viele der Gesetze, die der Gleichberechtigung weiterhin entgegenstanden, endgültig ihre Geltung.
Die DDR-Verfassung von 1949 beinhaltete ebenfalls einen Gleichberechtigungsartikel. Gesetze, die dem widersprachen, wurden unmittelbar für nichtig erklärt. In Ergänzung des Gleichheitsgrundsatzes hat sich das vereinte Deutschland 1994 durch einen Verfassungszusatz dazu verpflichtet, »die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung« zu fördern und »auf die Beseitigung bestehender Nachteile« hinzuwirken.
Sind Frauen Männern wirklich gleichgestellt?
Die völlige Gleichstellung der Frau auf allen beruflichen und gesellschaftlichen Ebenen ist auch heute noch nicht erreicht. So werden Frauen für die gleiche Arbeit mitunter schlechter bezahlt als Männer und in Führungspositionen ist ihr Anteil wesentlich geringer als der der Männer, genauso in bestimmten technischen Berufen, die immer noch als »Männerberufe« gelten.
Auch in der modernen Ehe mangelt es noch häufig an einer echten Gleichberechtigung: In rd. 80 % aller deutschen Haushalte sind Frauen auch fürs Putzen und Kochen zuständig. Da heute mehr als 60 % aller Mütter erwerbstätig sind, bedeutet das in der Praxis für viele Frauen eine Doppelbelastung durch Haushalt und Beruf.
Umgekehrt sind im Familienrecht, insbesondere im Falle einer Scheidung bzw. Trennung, häufig die Männer benachteiligt. So steht nach § 1626a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) bei unverheirateten Eltern der Mutter die alleinige elterliche Sorge für ihr Kind zu, wenn sie nicht einem gemeinsamen Sorgerecht zustimmt oder den Vater des Kindes heiratet. Auch viele geschiedene Väter beklagen, durch Gerichtsurteile aus der Vaterrolle gedrängt bzw. in einseitige Abhängigkeit von der Kooperationsbereitschaft ihrer Exfrau gebracht zu werden.
Was ist die »neue« Frauenbewegung?
Eine Frauenbewegung, die sich 1968 im Zuge der Studentenbewegung in Deutschland und anderen europäischen Staaten entwickelte. Sie legte einen Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit auf die Beziehung zwischen Mann und Frau und setzte sich u. a. dafür ein, Haushalt und Kindererziehung nicht länger allein den Frauen zu überlassen und Frauen davor zu schützen, als bloßes Sexualobjekt betrachtet zu werden.
Eine der wichtigsten deutschen Vertreterinnen ist die Journalistin Alice Schwarzer (*1942), die in den 1970er Jahren u. a. eine öffentliche Diskussion um die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in Gang setzte. Aus der Frauenbewegung sind zahlreiche Frauenselbsthilfegruppen und -projekte entstanden, die sich heute für die Belange der Frauen einsetzen.
Was sagen die Biologen zu »männlich« und »weiblich«?
Für Biologen sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau schlicht eine zwingende Voraussetzung für die geschlechtliche Fortpflanzung und den Fortbestand des Lebens.
Nirgendwo im Tierreich ist das sexuelle Verhalten so unabhängig von der Fortpflanzung, und kaum ein Säugetier braucht für die Entwicklung zum »Erwachsenen« so lange wie der Mensch. Dadurch entstehen bestimmte Beziehungsmuster zwischen Mann und Frau, die auf Dauerhaftigkeit abzielen.
Dürfen Frauen heute überall wählen?
Nein, in Saudi-Arabien und im südostasiatischen Sultanat Brunei besitzen Frauen bis heute kein Wahlrecht; in Kuwait dürfen sie seit 2005 wählen. Nachdem in Neuseeland bereits 1893 das Frauenwahlrecht eingeführt worden war, folgte 1906 Finnland als erstes europäisches Land. In Deutschland dürfen Frauen seit 1918, in den USA seit 1920 wählen. In Großbritannien mussten die Frauen bis 1928 warten, in Frankreich sogar bis 1944. Als letzter europäischer Staat führte das Fürstentum Liechtenstein 1984 das Frauenwahlrecht ein. In der Schweiz besitzen Frauen zwar seit 1971 das Wahlrecht, doch im Halbkanton Appenzell-Innerrhoden wurde dieses Recht erst 1990 endgültig durchgesetzt.
Hat der Mann auch etwas von der Gleichberechtigung?
Gleichberechtigung bietet auch dem Mann erstmals die Chance auf eine individuelle Entwicklung jenseits starrer Rollenzuschreibungen. Die Erwerbstätigkeit von Frauen und die Verbesserung ihrer Bildungschancen haben seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einem tief greifenden Wandel der Familienstrukturen und des Rollenverständnisses von Männern und Frauen geführt.
Was ist eigentlich ...
eine Frauenquote? Ein angepeilter Richtwert für den Frauenanteil in Positionen, in denen Männer überrepräsentiert sind. Frauenquoten gibt es vor allem im öffentlichen Dienst und in der Politik.
eine Gleichstellungsbeauftragte? Eine Person, die dafür sorgt, Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in der Kommune oder dem Unternehmen, in der sie tätig sind, zu beseitigen.
ein Frauenhaus? Eine Zufluchtsstätte für physisch oder psychisch misshandelte Frauen und ihre Kinder. Zum Schutz von Frauen vor Gewalt gibt es sie mittlerweile in den meisten Städten.
Gender Mainstreaming? Ein Konzept, das auf die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft abzielt. Grundidee ist, dass das Ideal der Gleichstellung in allen Politikbereichen ein wichtiges Kriterium für Entscheidungen sein muss. Der Begriff wurde 1995 auf der UNO-Weltfrauenkonferenz geprägt.
Ausländer in Deutschland: Chancen und Probleme der Integration
Wer darf nach Deutsch-land einwandern?
Wer als Ausländer in Deutschland leben möchte, braucht eine Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis, die nur in ganz bestimmten Fällen erteilt werden. Dazu müssen die Aufnahme- und Integrationsfähigkeit des Einzelnen sowie die wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen Deutschlands berücksichtigt werden.
Ausnahme sind Personen, die aus einem EU-Mitgliedsland stammen. Für sie gilt der Grundsatz der Freizügigkeit, das heißt, sie dürfen in jedem EU-Land leben und arbeiten. Das 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz regelt die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Förderung der Integration von Ausländern in Deutschland.
Warum leben so viele Ausländer in Deutschland?
Der im europäischen Vergleich relativ hohe Ausländeranteil (2004: 8,8 %) in Deutschland ist vor allem die Folge der sog. Anwerbepolitik der 1950er und 1960er Jahre. In dieser Zeit förderte die Bundesregierung gezielt den Zuzug von Migranten (z. B. aus Italien, Spanien oder der Türkei), um den wachsenden Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Mit dem Ende des stetigen Wirtschaftswachstums sank auch der Bedarf an Arbeitskräften, daher verhängte Deutschland 1973 einen Anwerbestopp. Von den 6,76 Mio. Ausländern Ende 2005 stammte fast ein Drittel aus EU-Ländern und etwas mehr als ein Viertel aus der Türkei. 41 % aller Migranten lebten schon seit mehr als zehn Jahren in Deutschland.
Wieso haben Migranten-kinder oft Probleme?
Kinder aus ausländischen Familien haben es häufig schwer, die deutsche Sprache zu erlernen, da in vielen Familien die Sprache des Herkunftslands der Eltern gesprochen wird.
Etwa die Hälfte der Ausländerkinder besucht nach der Grundschule eine Haupt- oder Sonderschule, von den deutschen Kindern ist es ein Fünftel. Jeder fünfte ausländische Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss. Ausländische Jugendliche erwerben häufiger als deutsche keinen Berufsabschluss und arbeiten als un- oder angelernte Arbeitskräfte.
Was will Ausländerpolitik?
Ausländerpolitik zielt vor allem auf die Integration der Ausländer in die Gesellschaft wie in die Arbeitswelt ab. Probleme ergeben sich dadurch, dass viele Ausländer nur unzureichend Deutsch sprechen, in Gegenden mit hohem Ausländeranteil leben (»Gettobildung«), hauptsächlich Kontakt untereinander haben und manche es sogar ablehnen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Im Rahmen einer aktiven Integrationspolitik setzt die Politik u. a. auf Sprachkurse; bei Kindern soll, falls nötig, die sprachliche Förderung bereits im Kindergarten, spätestens jedoch in der Grundschule einsetzen. Spezielle Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, zum Teil kombiniert mit Sprachkursen, sollen die berufliche Integration von Ausländern fördern. Migranten, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, sollen nach Ansicht der meisten politischen Parteien die deutschen Gesetze beachten und das Grundgesetz anerkennen. Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit und Aufklärung über Extremismus sollen die sozialen Integrationskräfte stärken.
Darf sich jeder Ausländer in Deutschland dauerhaft niederlassen?
Zwar hat jeder Ausländer, der fünf Jahre lang eine (befristete) Aufenthaltserlaubnis besitzt, theoretisch Anspruch auf eine Niederlassungserlaubnis, also auf einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Doch dazu muss er u. a. nachweisen, dass sein Lebensunterhalt gesichert ist, dass er Beitragszahlungen zur Rentenversicherung geleistet hat und über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Geregelt wird die Vergabe nach dem Aufenthaltsgesetz (Aufenth G), einem zentralen Bestandteil des Zuwanderungsgesetzes von 2005.
Wozu dient die Einbürgerung?
Mit der Einbürgerung wird einem Ausländer in einem staatsrechtlichen Hoheitsakt die Staatsangehörigkeit verliehen. Dazu müssen verschiedene Auflagen wie Aufenthalt und Wohnsitz im Inland, gesicherter Lebensunterhalt sowie Unbescholtenheit erfüllt werden. 2004 wurden in Deutschland genau 127 153 Ausländer eingebürgert, die größte Gruppe stellten mit etwa einem Drittel die Türken.
Geregelt wird die Einbürgerung über das Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) von 2000. Die Innenminister der Länder einigten sich im Mai 2006 außerdem darauf, dass sich Einbürgerungswillige in Deutsch verständigen können und einen im Bundesgebiet einheitlichen Einbürgerungskurs absolvieren müssen. In einigen Bundesländern werden schon heute Einbürgerungstests durchgeführt, mit denen die politische und ethische Gesinnung sowie bestimmtes staatsbürgerliches Wissen eines Einbürgerungswilligen überprüft werden.
Kann man auch zwei Staatsbürgerschaften besitzen?
In Europa gibt es einige Länder, die eine doppelte Staatsangehörigkeit gestatten. In diesen Staaten muss ein Ausländer den Pass seines Heimatlandes nicht abgeben, um eingebürgert werden zu können.
So können sich Ausländer in den Niederlanden und Belgien nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts einbürgern lassen, ohne ihre erste Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen. Italien erlaubt nach einem zehnjährigen Aufenthalt die Einbürgerung und die doppelte Staatsangehörigkeit. Portugal gestattet ebenfalls den Besitz von zwei Pässen. Dagegen muss in Spanien, Finnland, Österreich, Luxemburg und Schweden bei der Einbürgerung die erste Staatsangehörigkeit aufgegeben werden. In Deutschland wird eine Mehrfachstaatsbürgerschaft nur bei Ausländerkindern geduldet.
Hat jeder Flüchtling Anspruch auf Asyl?
Nein, einen Anspruch auf Asyl haben nur Menschen, denen wegen ihrer politischen Haltung, ihrer Abstammung oder ihrer religiösen Überzeugung im Heimatland Gefahr droht. Das bedeutsamste internationale Vertragswerk zum Status von Flüchtlingen ist die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951. In Deutschland wird das Asylrecht zusätzlich durch Artikel 16a des Grundgesetzes geregelt.
Was ist eigentlich ...
ein Ausländerbeauftragter? Der oder die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung soll u. a. die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer fördern und ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen entgegenwirken.
ein Ausländerbeirat? Ein kommunales Gremium, das die Interessen der Migranten vertreten und ihre rechtliche und politische Gleichberechtigung vorantreiben soll. In einigen Bundesländern, z. B. in Nordrhein-Westfalen, muss ein Ausländerbeirat in Gemeinden mit einer bestimmten Anzahl ausländischer Einwohner gewählt werden.
Wussten Sie, dass …
Ausländer aus EU-Staaten bei Kommunalwahlen das Wahlrecht besitzen? Alle anderen Ausländer haben kein Wahlrecht.
hoch qualifizierte Arbeitnehmer sofort eine Niederlassungserlaubnis erhalten können?
die Quote der Ausländerarbeitslosigkeit 2004 20,5 % betrug? Die Arbeitslosenquote der Deutschen lag im selben Jahr bei 11,7 %.
Der Staat: Wie Staaten entstanden sind
Was macht einen Staat zum Staat?
Der Begriff Staat steht für einen großen Kreis von Menschen, die innerhalb eines abgegrenzten Gebietes unter souveräner, also eigenständiger Herrschaftsgewalt leben. Damit sind die drei bedeutendsten Merkmale eines Staates bereits genannt: das Staatsvolk, das Staatsgebiet und die Herrschaftsgewalt.
Zum Staatsvolk gehören alle unter der Herrschaftsgewalt eines Staates lebenden Personen. Als Staatsgebiet bezeichnet man den geografischen Raum eines Landes. Heute ist die ganze Welt in Flächenstaaten aufgeteilt. Doch in früheren Zeiten, beispielsweise während der Völkerwanderung, gab es den Personenverbandsstaat, der kein Staatsgebiet besaß, dessen Staatsvolk aber dennoch unter souveräner Herrschaftsgewalt stand. Das dritte Merkmal des Staates, die Herrschaftsgewalt, bedeutet, dass nur der Staat – in der Demokratie repräsentiert durch die gewählten Volksvertreter – das Recht hat, Gesetze zu erlassen und diese – wenn nötig – auch mit Gewalt durchzusetzen.
Welche Aufgabe haben Staatsorgane?
Sie üben die Staatsgewalt aus. Da in einem demokratischen Verfassungsstaat nicht täglich alle Menschen befragt werden können, werden Vertreter gewählt, die an des Volkes Stelle dessen Interessen wahrnehmen.
Allerdings kann das Volk seinen Willen auch unmittelbar ausdrücken, etwa über Volksabstimmungen wie in der Schweiz. Die Staatsgewalt und ihre Organe sind geteilt in die legislative (gesetzgebende), exekutive (vollziehende) und judikative (Recht sprechende) Gewalt.
Sind Staatsgebiete immer zusammenhängend?
Nein, beispielsweise gehörte Ostpreußen nach den Gebietsabtretungen infolge des Versailler Friedensvertrags 1919 zum Deutschen Reich, war aber von polnischem bzw. litauischem Hoheitsgebiet umschlossen.
Zum Staatsgebiet zählen nicht nur das jeweilige Land, sondern auch gegebenenfalls angrenzende Küstenstreifen, sonstige Gewässer und alle Bodenschätze sowie der komplette Luftraum über dem Territorium.
Wie und wann entstanden die ersten Staaten?
Das ist nicht bekannt, aber in der Politikwissenschaft gibt es darüber mehrere Theorien. Eine davon, die Patriarchaltheorie, geht davon aus, dass sich die Staaten aus Familienverbänden entwickelten, die unter dem Schutz eines Oberhaupts, des Patriarchen, standen. Nach dieser Theorie schlossen sich verschiedene Familienverbände zusammen, um sich besser gegen Angreifer zu schützen.
Andere Machttheoretiker vertreten allerdings die Meinung, dass es schon immer Menschen oder Gruppen mit mehr Macht als andere gab und dass diese die Herrschaftsgewalt über andere an sich rissen.
Können heute noch Staaten entstehen?
Ja. Die meisten in jüngster Vergangenheit gegründeten Staaten entstanden infolge kriegerischer Konflikte oder nach der Auflösung bestehender Staaten (Jugoslawien, Sowjetunion).
Auch durch Gebietseroberungen oder Abspaltungen bestimmter Gebiete von einem anderen Staat können neue Staaten entstehen. Der erste Staat, der im 21. Jahrhundert gegründet wurde, war 2002 Ost-Timor, das sich von Indonesien abtrennte. Zweiter neuer Staat des neuen Jahrtausends ist Montenegro. Nachdem sich sein Volk im Mai 2006 für eine staatliche Unabhängigkeit ausgesprochen hatte, wurde diese im Juni 2006 durch die Unabhängigkeitserklärung des montenegrinischen Parlaments vollzogen.
Was ist eigentlich ...
das Gemeinwohl? Die übergeordneten Interessen aller in einem Staat lebenden Menschen, z. B. ein Leben in Freiheit und Sicherheit führen zu können.
eine Staatsräson? Der Grundsatz, dass der Machterhalt des Staates die wichtigste Aufgabe der Personen ist, die die Herrschaftsgewalt in einem Staat innehaben.
ein Rechtsstaat? Ein Staat, dessen Staatsorgane an Recht und Gesetz gebunden sind, in dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und die Menschen- und Bürgerrechte uneingeschränkt gelten.
ein Sozialstaat? Ein Staat, der in das gesellschaftliche Leben und dabei insbesondere in die Belange der Wirtschaft eingreift, um soziale Gerechtigkeit herzustellen bzw. zu bewahren.
ein Wohlfahrtsstaat? Eine Form des Sozialstaats, in der der Staat versucht, den Menschen in allen Lebensbereichen größtmögliche soziale Vorsorge und effizienten sozialen Schutz zu gewährleisten.
Staats- und Regierungsformen: Herrschaft über das Volk
Warum ordnen sich Menschen einer Staatsgewalt unter?
Weil ein Staat seinen Bürgern Sicherheit gewährt. Gleichzeitig sorgt der Staat dafür, dass alle die bestehende Rechtsordnung beachten. Personen, die dagegen verstoßen und andere schädigen, werden von staatlicher Seite aus verfolgt – der einzelne Bürger kann diese Verantwortung also an den Staat abgeben, der sie durch seine Institutionen ausübt.
Der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) war der Ansicht, dass Menschen nur in einer geordneten Gemeinschaft wie der eines Staates ihre individuellen Fähigkeiten entfalten könnten und dass nur der Staat ihnen ein »gutes«, also geregeltes Leben garantiere.
Welche Staatsformen werden unterschieden?
Die gebräuchlichste Unterteilung der Staatsformen ist die nach der Anzahl der Herrschenden.
Schon Aristoteles nahm diese Unterteilung vor, fügte jedoch noch hinzu, welchem Zweck die jeweilige Herrschaftsform – dem Nutzen aller oder nur dem Nutzen der Herrschenden – diente. Zu den Staatsformen, die allen Bürgern gleichermaßen dienen, gehören die Monarchie (Herrschaft des Einzelnen), die Aristokratie (Herrschaft der Besten) und die Politie (Herrschaft der Masse). Die Staatsformen, aus denen lediglich die Herrschenden einen Nutzen ziehen, sind nach Ansicht Aristoteles' die Tyrannis (Herrschaft eines Einzelnen), die Oligarchie (Herrschaft der Reichen) und die Demokratie (Herrschaft der Menge zum Wohl der Armen).
Was trennt eine Monarchie von einer Republik?
Bei der Einteilung der Staatsform in Republik und Monarchie, die auf den italienischen Schriftsteller und Staatstheoretiker Niccolò Machiavelli (1469–1527) zurückgeht, bedeutet Monarchie die Herrschaft einer Person. Dagegen verstand Machiavelli die Republik als Herrschaft vieler Menschen.
Inzwischen wird der Begriff »Republik« allgemein für alle Staatsformen verwendet, die keine Monarchien sind. So bezeichnete sich die demokratisch-pluralistische Bundesrepublik Deutschland ebenso als Republik wie die DDR, die wegen ihrer autokratischen Regierungsstrukturen im Sinne Machiavellis keineswegs als Herrschaft vieler Menschen bezeichnet werden konnte.
Sind Monarchien heute anders als früher ?
Ja. Die »modernen« Monarchen der demokratischen Welt nehmen vor allem repräsentative Aufgaben wahr und entsprechen in ihrer Rolle etwa der eines Bundes- oder Staatspräsidenten in republikanischen Staaten.
Bis ins 18. Jahrhundert hinein herrschte in den Staaten Europas die absolute Monarchie vor. Diese Regierungsform, in welcher der Monarch uneingeschränkt die Staatsgewalt ausübte, wurde im 19. Jahrhundert von der konstitutionellen Monarchie abgelöst: Verfassungen schränkten von nun an die königliche Macht ein, Parlamente erhielten verbriefte politische Mitwirkungsrechte.
Wann ist ein Staat demokratisch?
Kennzeichnend für die Demokratie ist, dass die Macht vom Volk ausgeht und dass alle Bürger die gleichen Rechte besitzen. Das deutsche Grundgesetz sagt in Artikel 20 Absatz 2: »Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus«. Macht und Herrschaft liegen also bei allen Bürgern bzw. den durch sie legitimierten Staatsorganen. Dieser Grundsatz des modernen demokratischen Staats ist heute Kernpunkt aller demokratischen Verfassungen.
In einer Demokratie sind die Bürger insofern an Entscheidungsprozessen beteiligt, als sie in einer Wahl darüber abstimmen, wer (in der Regel eine Partei bzw. in einem Präsidialsystem auch eine Person) sie in der nächsten Legislaturperiode im Parlament (in der Regierung) vertritt. Kennzeichnend ist, dass es sich um allgemeine (alle Staatsbürger ab einem gewissen Alter dürfen teilnehmen), freie (nicht manipulierte) und geheime Wahlen handelt. Hinzu kommt, dass es in einer Demokratie stets eine Form von Gewaltenteilung gibt, um Machtmissbrauch zu verhindern, und dass jedem Bürger bestimmte Grundrechte zugesichert werden.
Was ist ein konstitutionelles System?
Konstitutionelle Systeme sind Demokratien und daher der Gewaltenteilung verpflichtet. Das Gegenteil wäre ein autokratisches System, in dem der Herrscher (Autokrat) seine Herrschaft unabhängig von der Zustimmung der Beherrschten in seiner Person vereinigt und ausübt.
Jedes Staatsorgan bzw. die staatlichen Funktionsträger in einem konstitutionellen System haben spezielle Aufgaben und sind von den anderen Gewalten unabhängig. Die Machthaber werden vom Bürger in Wahlen lediglich für eine gewisse Zeit bestimmt. Alle Mitglieder des Gemeinwesens – egal ob Bürger, König oder Geistlicher – sind der gleichen Verfassung, denselben Grundsätzen und Gesetzen unterworfen.
Übrigens: Neben den parlamentarischen Republiken wie Deutschland gehören auch parlamentarische Monarchien, z. B. Großbritannien, sowie Präsidialrepubliken wie die USA zu den konstitutionellen Systemen. Unterschieden werden der Mehrparteienstaat, in dem die Parteien wechselnde Koalitionen bilden, und der Zweiparteienstaat, in der eine Partei die Regierung, die andere die Opposition stellt.
Was kennzeichnet einen autokratischen Staat?
In vielen autokratischen Systemen dienen Wahlen nur dazu, die bestehenden Machtverhältnisse zu bestätigen. Eine Gewaltenteilung besteht oft nur auf dem Papier; die Macht wird zumeist auf einen Herrscher (absolute Monarchie) oder auf wenige Personen konzentriert. Die Einparteienherrschaft ist ebenfalls ein Kennzeichen autokratischer Staaten, beispielsweise die Staats- bzw. Einheitspartei in den (ehemaligen) sozialistischen Staaten.
Welche autokratischen Systeme gab es im Laufe der Geschichte?
Ein autokratisches System war z. B. der im Mittelalter vorherrschende Feudalismus, bei dem ein Lehnsherr seinen Untergebenen gegen bestimmte Leistungen gewisse Rechte oder Schutz zusicherte. Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit dominierte der autokratische Ständestaat, bei dem die sog. Stände (z. B. Adel und Geistliche) an Legislative und Exekutive beteiligt wurden und zudem in gewissen Bereichen ganz eigenständig Macht ausüben durften.
Zur Zeit des französischen Königs Ludwig XIV. (1638–1715) herrschte der Absolutismus, bei dem der Monarch uneingeschränkt regierte. Seit der Französischen Revolution (ab 1789) und vor allem im 20. Jahrhundert entstanden mehr und mehr parlamentarische bzw. demokratische Regierungssysteme. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten hat die Zahl der autokratischen Systeme deutlich abgenommen; die meisten der ehemals von Einheitsparteien regierten Länder haben sich inzwischen eine Verfassung (Konstitution) gegeben.
Sind totalitäre Staaten immer Diktaturen?
Ja, kennzeichnend für einen totalitären Staat ist eine diktatorische Staatsführung, in der eine Person oder eine Gruppe (z. B. eine Partei) uneingeschränkte Macht ausübt; die gesamte öffentliche Gewalt konzentriert sich in einem totalitären Staat auf die Regierung, und es gibt auch keine Gewaltenteilung.
Die Staatsführung vertritt und verbreitet eine Ideologie, die für alle Mitglieder der Gesellschaft bindend ist – wer sich dagegen auflehnt, wird verfolgt. Wenn überhaupt Wahlen stattfinden, sind diese in der Regel manipuliert, oder die Wähler werden bei »falscher« Wahlentscheidung bedroht. Als totalitäre Staaten gelten vor allem Hitlerdeutschland und die Sowjetunion Stalins.
Was sagt die Philosophie über den Staat?
Der Staatsbegriff wurde im Laufe der Geschichte von den verschiedensten Philosophen immer wieder betrachtet, am prominentesten von den griechischen Philosophen Platon und Aristoteles. In Deutschland taten dies u. a. die Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831).
Kant befürwortete einen Staat, der die Freiheit der Bürger zu sichern habe. Zudem forderte er ein verbindliches Rechtssystem für alle Bürger: Alle Handlungen müssten so ausgerichtet sein, dass die Freiheit des Einzelnen die Freiheit des Anderen nicht einschränke. Hegel war der Ansicht, der Staat solle die Verkörperung der Sittlichkeit sein. Seine Auffassung basierte auf der Annahme, dass Geschichte ein Prozess zur Selbstverwirklichung des Geistes sei, der sich mit der bürgerlichen Gesellschaft vollende.
Wie ist ein islamischer Staat aufgebaut?
Im Gegensatz zum Christentum gibt der Islam zahlreiche Empfehlungen für den Aufbau eines politischen Gemeinwesens, also eines Staates, und regelt etliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. So hat er auch eine eigene Rechtsordnung, die Scharia. Allerdings schreibt der Koran, das heilige Buch des Islams, keine besondere Staatsform vor, sondern verlangt nur, dass die Religionsausübung und das Leben nach islamischen Grundsätzen durch den Staat gefördert werden. Eine islamische Präsidialrepublik besteht in Iran seit der Revolution durch den Religionsführer Ayatollah Chomeini (1902–89) im Jahr 1979. Die Macht teilen sich der vom Volk gewählte Präsident und der islamische Revolutionsführer. Es gibt einen Wächterrat, der alle Gesetze daraufhin überprüft, ob sie mit islamischem Recht vereinbar sind.
Gibt es den idealen Staat?
Darüber hat sich der antike griechische Philosoph Platon (427–347 v. Chr.) Gedanken gemacht. Für ihn war ein Idealstaat ein Staat, der allen Bürgern ein geordnetes, sittlich gutes Leben ermöglichen sollte. Bürger in einem solchen, streng hierarchisch gegliederten Staat (bei Platon »Politeia« genannt) waren aber nicht alle Menschen: Ausländer, Frauen und Sklaven besaßen in diesen Überlegungen – wie in der Realität der antiken griechischen Stadtstaaten überhaupt – keine Rechte.
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