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Die Nachtwache von Rembrandt: Revolutionäres Gruppenporträt
Welche Geschichte verbirgt sich hinter dem Titel?
Rembrandts Bild gehört zu den bekanntesten Darstellungen einer Nachtszene der europäischen Malerei, jeder hat seinen Namen, »Nachtwache«, schon einmal gehört – aber das Gemälde war ursprünglich gar kein Nachtbild, es war heller und größer, und es hieß auch nicht »Nachtwache«.
Zunächst trug das Gemälde den Titel »Kapitän Frans Banningh Cocq gibt seinem Leutnant den Befehl zum Abmarsch der Schützenkompanie«. Es wurde im Jahr 1642 bestellt, um den Festsaal der Amsterdamer Kloveniersgilde zu schmücken, der Vereinigung der Büchsenschützen. Es sollte die Mitglieder der Schützengilde feiern – und das größte Bild werden, das Rembrandt (1606–1669) je gemalt hat. Schon die heutigen Maße sind mit 359 auf 438 Zentimeter enorm. Dabei handelt es sich bei der »Nachtwache«, die im Rijksmuseum Amsterdam hängt, um eine stark beschnittene Version.
Was zeigt das Gemälde tatsächlich?
Wohl eine Art Militärparade. Die Männer auf dem Bild sind im Aufbruch begriffen. Wahrscheinlich geht es zu einem Umzug, was an ihrer Festtagskleidung zu erkennen ist. Sie halten also keineswegs Nachtwache – diesen Name hat das Gemälde erst im 19. Jahrhundert erhalten, wohl bedingt durch seine dunklen Farben.
Aber auch diese Farben sind nicht original, sondern erst nachträglich entstanden, durch natürliches Nachdunkeln und durch Restauratoren, die ein wenig nachhalfen, da man die Alten Meister lieber etwas gedämpfter sehen wollte. Heute zeigt sich das Werk annähernd im ursprünglichen Zustand wie zu Rembrandts Zeiten: Nach einem Anschlag im Jahr 1975 wurde es grundlegend und mit kunsthistorischer Sorgfalt restauriert.
Wie reagierten die Auftraggeber auf das Bild?
Von Anfang an waren die Mitglieder der Kloveniersgilde nicht so recht glücklich mit dem Gemälde. Denn Rembrandt hatte das Thema auf seine Weise bearbeitet: Er ließ die Schützen nicht wie auf den üblichen Gildenbildern im Stil eines Klassenphotos posieren, sondern rückte eine zentrale Handlung in den Vordergrund. Das führte zwangsläufig dazu, dass nur einige Gildenmitglieder gut zu erkennen waren. Es hatten jedoch alle bezahlt.
Wie sind die Figuren auf dem Bild gestaltet?
Hauptmann Frans Banningh Cocq, der selbstbewusst blickende Mann in Schwarz mit der roten Schärpe und dem Spitzenkragen, weist mit sicherer Geste seinen Männern den Weg. Er trägt keine Waffe, nur einen Stock als Zeichen seines militärischen Ranges. Schwarz war traditionell die Farbe der Kleidung von Ratsherren und Kaufleuten. Und Banningh Cocq gehörte zu dieser städtischen Führungsschicht. Seine Haltung und sein Auftreten kennzeichnen ihn deutlich als Anhänger des bürgerlichen Lagers, der politisch Karriere machen möchte. Sein Gegenpart ist der hell gekleidete Mann neben ihm: Weiß war die Farbe des französischen Hofes und galt in den bürgerlichen Niederlanden als wenig geliebtes höfisches Symbol.
Was hat das kleine Mädchen im Bild zu suchen?
Das weiß man nicht genau. Über das Mädchen mit dem Huhn ist viel spekuliert worden. Ist es überhaupt ein Mädchen? Die Gestalt deutet darauf hin und es zogen bei solchen Aufmärschen auch immer Kinder mit. Ihr Gesicht aber ist eher das einer Frau. Vermutlich stellt die weibliche Figur eine Magd dar – sie wurde ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend verkleinert gemalt. Aber zweifellos war sie Rembrandt wichtig, denn sie ist als einzige Figur in dem Getümmel hell angeleuchtet. Zudem stellt sie die Verbindung zu den Symbolen der Kloveniersgilde her; denn »klauw« heißt Klaue, und die Krallen des Huhns, das sie trägt, sind im Licht zu erkennen. Das zweite Gildensymbol, der Gewehrkolben, fällt gleich bei dem Schützen links vor dem Mädchen ins Auge.
Wussten Sie, dass …
die »Nachtwache« eines der am häufigsten reproduzierten Gemälde überhaupt ist? Man findet es auf T-Shirts und Pralinenschachteln und sinnigerweise auch als Werbung für eine Wach- und Schließgesellschaft.
das Gemälde im Verlauf des 17. Jahrhunderts in Vergessenheit geriet? Es wurde umgehängt und aus Platzmangel verkleinert: allein auf der linken Bildseite um 65 Zentimeter, eine Reduzierung, die selbstverständlich die Gesamtkomposition veränderte.
Wie verlief Rembrandts Leben als Künstler?
Rembrandt, der eigentlich R. Harmensz van Rjin hieß, erlebte Zeiten größten künstlerischen Erfolgs wie auch Phasen bitterster Armut. Er wurde 1606 in Leiden geboren. In seiner Frühzeit schuf er vor allem biblische Szenen, in denen er mit immer radikaleren Gegensätzen von Licht und Schatten arbeitete.
1631 übersiedelte er nach Amsterdam, wo er Bilder von teils monumentaler Größe schuf und sich auf Braun- und Rottöne konzentrierte. Als revolutionär galten seine Gruppenbilder (neben der »Nachtwache« vor allem die »Anatomie des Dr. Tulp«), in denen er im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht nur Einzelporträts addierte, sondern seine Figuren in echten Gruppenhandlungen zeigte.
Rembrandt schuf über 400 Gemälde und 1700 Zeichnungen und Radierungen, war aber kein guter Geschäftsmann. 1657 wurden sein Haus und seine Besitztümer zwangsversteigert. 1669 starb er zurückgezogen in Amsterdam.
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