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Prionen: Infektiöse Moleküle
Was ist das Besondere am Erreger des »Rinderwahns«?
Er besitzt kein Erbgut, sondern ist ein Protein. Dies widerspricht einem lange als fundamental angesehenen Lehrsatz der Biologie, nach dem eine Krankheit nur von etwas übertragen werden kann, was zumindest kurze Abschnitte von Erbsubstanz enthält – wie sonst sollte die Information, welche das Krankheitsgeschehen auslöst, weitergegeben werden können? Dementsprechend groß waren sowohl Erstaunen als auch Widerspruch, als der US-amerikanische Biochemiker Stanley Prusiner (*1942) genau dies als Erklärung für die seit 1985 v. a. in Großbritannien beobachtete Ausbreitung des »Rinderwahns« vorschlug. Demnach sollten sog. Prionen für die Übertragung dieser Krankheit verantwortlich sein, Moleküle, die irgendwie außer Kontrolle geraten waren und durch die Fütterung von infiziertem Tiermehl an gesunde Kühe übertragen wurden. Noch im Jahr 1997, als er hierfür mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurde, gab es heftige Kritik – selten war ein wissenschaftlicher Nobelpreis so umstritten wie der von Prusiner! Mittlerweile gilt seine Hypothese aber als gesichert.
Wie können Prionen Krankheiten übertragen?
Der Schlüssel zur Antwort liegt in der Tatsache, dass Prionen in zwei unterschiedlichen räumlichen Konfigurationen vorkommen, wobei der Wechsel von der einen zur anderen gewissermaßen ansteckend ist: Kommt ein normales Prion mit der infektiösen Form in Kontakt, so nimmt es dessen Form an und wird ebenfalls infektiös. Dies wäre nicht weiter schlimm, wenn nicht die infektiöse Form gleichzeitig bewirken würde, dass sich das Gewebe im Hirn des befallenen Opfers krankhaft verändert, bis schließlich zentrale Lebensfunktionen ausfallen und das Tier stirbt. Zuvor sind die berühmt gewordenen Symptome des »Rinderwahns« zu sehen, v. a. Bewegungsstörungen sowie auffälliges und aggressives Verhalten.
War die Rinderwahn-Epidemie vermeidbar?
Ja, durchaus. Zu einer Seuche hätte es eigentlich gar nicht kommen können, denn nur wenn Tiere die Hirnmasse von verendeten infizierten Tieren aufnehmen, können sie selbst befallen werden – und Rinder fressen als Vegetarier überhaupt kein Fleisch.
Zur Katastrophe wurde das Problem erst, als »findige« Landwirte auf die Idee kamen, Tiermehl als Viehfutter zu verwenden, und gleichzeitig schlampige Kontrollen dazu führten, dass an Scrapie gestorbene Schafe als Tiermehl in den Handel gelangen konnten. Scrapie ist nämlich, wie man heute weiß, eine bei Schafen natürlich auftretende Prionenkrankheit, die durch die widernatürliche Fütterungspraxis an Rinder weitergegeben wurde, die sich unglücklicherweise als besonders anfällig erwiesen.
Die Seuche erreichte 1988–1992 in Großbritannien ihren Höhepunkt. 1990 trat der erste Fall in der Schweiz auf, daneben wurden auch in Irland, Frankreich und Portugal mehrere Hundert bis über tausend Ansteckungen nachgewiesen. In Großbritannien sind bis heute knapp 200 000 Tiere verendet. Im Jahr 2001 führte das erste Auftreten von BSE in Deutschland zum Rücktritt von zwei Bundesministern. Auch außerhalb Europas, etwa in Kanada, gab es BSE-Fälle.
Welche Tiere können mit Prionen infiziert werden?
Eine Reihe von Säugetieren hat bisher Symptome gezeigt, die mit denen von Scrapie und Rinderwahn vergleichbar sind, u. a. Nerze, Elche, Katzen, Hirsche, Antilopen, einige Nagerarten und leider auch der Mensch. Dabei muss es sich nicht in allen Fällen um Ansteckung gehandelt haben, da Prionenkrankheiten sich auch durch genetische Defekte ausbilden können. So ist beim Menschen seit langem die äußerst selten auftretende, erbliche Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) bekannt. Hier scheint eine Mutation das Entstehen der krank machenden Form des menschlichen Prions hervorzurufen. Besorgnis erregend war es, als in den 1990er Jahren in England eine neue Variante der CJK (abgekürzt mit vCJK) beschrieben wurde. Hierbei handelte es sich offenbar um eine Übertragung der Prionenkrankheit vom Rind auf den Menschen – bei den Rindfleisch liebenden Engländern eine Grauen erregende Neuigkeit.
Mittlerweile haben sich die zunächst befürchteten Opferprognosen nicht bewahrheitet, denn offenbar ist die Infektiosität von Prionen von Säugerart zu Säugerart unterschiedlich; Menschen reagieren auf degenerierte Rinderprionen offenbar nur mäßig empfindlich. Dennoch starben bisher über 150 Menschen in Großbritannien an vCJK, einige weitere Fälle sind aus Frankreich und anderen europäischen Ländern bekannt geworden.
Ist Kannibalismus ungesund?
Ja, und zwar nicht nur für das Opfer, sondern unter Umständen auch für den Täter. In Zusammenhang mit der Erforschung der Prionen ist nämlich eine bereits seit langem bekannte Krankheit ins Augenmerk der Wissenschaft gelangt, die bei einigen Gruppen von Ureinwohnern in Neuguinea auftritt: Kuru. Die Symptome gleichen denen der CJK, der Übertragungsweg liegt hier im rituellen Verspeisen der Gehirne Verstorbener. Seit dem gesetzlichen Verbot des Kannibalismus in dieser Region ging die Häufigkeit der Krankheit stark zurück, heute kommt sie praktisch nicht mehr vor.
Wussten Sie, dass …
BSE der wissenschaftliche Name des »Rinderwahns« ist? Die Abkürzung steht für »bovine spongiforme Enzephalopathie«, was so viel heißt wie schwammartige Hirnkrankheit bei Rindern.
man alle übertragbaren Krankheiten, bei denen eine schwammartige Entartung des Hirngewebes von Säugetieren auftritt, als »TSE« zusammenfasst (das »T« steht für transmissibel, also übertragbar)?
auch die sog. tödliche familiäre Schlaflosigkeit zu den TSE zählt? Auch dieser seltenen Erbkrankheit liegt ein nicht korrekt aufgebautes Prionprotein zugrunde. Die nicht behandelbare Krankheit lässt die Patienten immer weniger schlafen und innerhalb weniger Jahre führen immer mehr geschädigte Hirnfunktionen zum Tod des Erkrankten.
auch bei der Alzheimer-Krankheit Ablagerungen defekter Proteine die gefürchteten Funktionsausfälle im Gehirn der Betroffenen bewirken?
es noch eine weitere Klasse von Erregern gibt, die einfacher als Viren aufgebaut sind? Die sog. Viroide, die nur Pflanzen befallen, sind ebenfalls »nackte« Moleküle. Allerdings handelt es sich bei ihnen um Ribonukleinsäuren, also kleine Abschnitte des Moleküls, das auch in vielen Viren die Erbsubstanz enthält.
Warum bilden infektiöse Prionen Klumpen?
Der Unterschied zwischen beiden Prionenformen liegt in der unterschiedlichen Weise, in der sich die Kette ihrer Aminosäuren zusammenfaltet. Während beim normalen Prion Wasser abweisende Bereiche im Inneren verborgen bleiben, befinden sie sich in der ansteckenden Form an der Oberfläche des Proteins. Dadurch kann es sich in der wässrigen Hirnflüssigkeit nicht mehr lösen und »flockt aus«.
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