Homöopathie – Heilen mit der Natur
Das Gift der Waldklapperschlange, das Sekret aus Krötendrüsen, die Tinte der Sepia oder der Saft aus Knoblauchzwiebeln beispielsweise werden so weit herunter verdünnt, dass vom Ausgangsstoff nichts mehr nachzuweisen ist. Dann erhält der Patient kleine Globuli (Streukügelchen aus Rohrzucker), Tabletten oder Tropfen dieser Verdünnungen gegen Krankheiten, die vom einfachen Schnupfen bis zum Gebärmutterhalskrebs reichen. Je weiter das Mittel verdünnt worden ist, desto stärker soll seine Wirkung auf die Selbstheilungskräfte des Körpers sein.
Rund 75% der deutschen niedergelassenen Ärzte verordnen wenigstens gelegentlich homöopathische Medikamente. Ein großer Teil der gut 20.000 Heilpraktiker haben die Homöopathie in ihrem Behandlungsprogramm. 57 Prozent der Deutschen haben schon einmal homöopathische Medikamente genommen, Tendenz steigend – so eine Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2009. In anderen Ländern wird die Homöopathie noch stärker geschätzt. In Indien und Brasilien beispielsweise gibt es sogar homöopathische Krankenhäuser. Dort ist die Homöopathie offiziell als medizinische Behandlungsmethode anerkannt. Die prominente Patientenliste der Homöopathie reicht von Goethe über Ghandi bis zum britischen Königshaus. Der prominenteste Vertreter der Homöopathen, der Grieche Georgos Vithoulkas, wurde im Dezember 1996 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.
Einer der Gründe für die wachsende Nachfrage nach Homöopathie-Behandlungen liegt sicherlich darin, dass die Schulmedizin häufig an ihre Grenzen stößt, wenn sie auch unbestreitbar große Erfolge mit präzisen Diagnose- und Operationstechniken und pharmazeutischen Behandlungen erzielt. Die Grenzen der Apparatemedizin liegen vor allem bei chronischen Beschwerden wie Immunschwächen, den immer mehr zunehmenden Allergien, bei psychosomatischen Erkrankungen oder unklaren Befindlichkeitsstörungen.
Die Geschichte der Homöopathie
Begründet wurde die klassische Homöopathie von dem deutschen Arzt, Apotheker und Chemiker Samuel Hahnemann (1755-1843). Anlass für seine Forschungstätigkeit war seine Unzufriedenheit mit der Unzulänglichkeit der Behandlungsmethoden seiner Zeit wie Aderlass, Schröpfköpfen, Blutegel und toxische Chemikalien.
Ein zündender Gedanke kam ihm, als er CULLEN's Arzneimittellehre aus dem Englischen übersetzte. Dort waren zwanzig Seiten den therapeutischen Anwendungsbereichen der Arznei Chinarinde gewidmet, die damals erfolgreich bei der Behandlung der Malaria eingesetzt wurde. Der erfolgreiche Einsatz der Chinarinde wurde bis dahin ihren Bitterstoffen und deren zusammenziehenden Eigenschaften zugeordnet. Hahnemann jedoch behauptete, dass die Wirkung der Chinarinde auf anderen Faktoren beruhen müsse, denn es gäbe Substanzen, die wesentlich bitterer und von zusammenziehenderer Wirkung seien, jedoch keinerlei Wirkung bei der Behandlung der Malaria zeigten. Er entschloss sich, die Wirkung der Rinde an sich selbst auszuprobieren. Auf diese Weise erkannte Hahnemann das Grundgesetz der homöopathischen Heilung: "Similia similibus curentur" (lat.); "Ähnliches mit Ähnlichem heilen" und begründete die Homöopathie, abgeleitet aus dem Griechischen: "homoios" gleich ähnlich; "pathos" gleich leiden ("an Ähnlichem leiden").
Auch die Schulmedizin arbeitet in einigen Fällen mit Wirkstoffen, die dem Ähnlichkeitsgesetz folgen. Sie verabreicht beispielsweise wohl dosierte Digitalispräparate bei Herzerkrankungen. Digitalis selbst, ein Gift aus dem Fingerhut, verursacht Störungen der Herztätigkeit.
Nach dieser Entdeckung begann Hahnemann mit einigen interessierten Ärzten über sechs Jahre lang systematisch eine Reihe von Stoffen einzunehmen und deren Wirkung bis ins Kleinste aufzuschreiben, und zwar nicht nur die körperlichen Auswirkungen, sondern auch jegliche Veränderung auf emotionaler oder Verhaltensebene. Bei dieser so genannten Arzneimittelprüfung erhält der Organismus einen Stoff, der stark genug ist, eine Störung hervorzurufen und die Abwehrmechanismen des Körpers zu mobilisieren. Hier ein Auszug aus der Arzneimittelprüfung von Arsenicum album (Arsen): unersättlicher Durst und Übelkeitsgefühl; Schwindelgefühl schon im Sitzen, manchmal Gesichtsverdunkelung; sausende Ohren bei jedem Schmerzanfall; trockene Zunge und bitterer Geschmack im Mund; große Angst mit Beklommenheit in der Brust und erschwertem Atem; Ängstlichkeit und Hitze, die Einschlafen vor Mitternacht verhindert, wälzt sich im Bett hin und her; brennender Pustelausschlag auf dem Kopf und im Gesicht, teilweise sogar Geschwüre; brennende Augen und so fort.
Heute gibt es Hunderte von klassischen homöopathischen Mitteln, die auf diese Weise (Selbstversuch) ausführlichst geprüft und als Arneimittelbilder charakterisiert sind. Sie sind in so genannten Repertorien (z.B. KENT) zusammengefasst und dienen bei der homöopathischen Behandlung als Grundlage und Nachschlagewerk. Bis heute sind auf diese Weise rund 2000 homöopathische Arzneien geprüft worden und werden von den Homöopathen verwendet.
Herstellung der homöopathischen Arzneimittel
Verwendung als Grundstoff für homöopathische Arzneimittel finden vor allem Pflanzen, Tiere, Mineralien, Metalle und so genannte Nosoden. Beispielsweise wird der Wirkstoff der Ringelblume (Calandula officinalis L.) gewonnen, indem die Heilpflanze gepresst und mit Alkohol konserviert wird. Er soll unter anderem die Wundheilung beschleunigen.
Die Ausgangssubstanz wird für die Herstellung einer homöopathischen Arznei nach strengen Regeln verdünnt. Die Homöopathie spricht von Potenzieren, geht also davon aus, dass durch den Verdünnungsvorgang die Wirkung verstärkt wird. Trägt eine homöopathische Arznei beispielsweise die Bezeichnung C200, so wurde die Ausgangssubstanz (Urtinktur) 200-mal im Verhältnis 1:99 mit Wasser oder Alkohol verdünnt, das heißt, ein Tropfen Urtinktur wird zu 99 Tropfen Lösungsmittel gegeben. Jede Verdünnungsstufe wird dann 100-mal verschüttelt, ehe sie wieder weiter verdünnt wird. Feste Ausgangsstoffe werden entsprechend mit Milchzucker verrieben. Wenn vor der Verdünnungszahl ein D steht, bedeutet dies, dass im Verhältnis 1:9 verdünnt worden ist. Eine LM-Auszeichnung steht für ein Verdünnungsverhältnis von 1:50000.
D16 heißt dann, 16-mal im Verhältnis 1:9. Diese noch recht niedrige Verdünnung (Potenz) entspricht schon ungefähr dem Verhältnis von einem Gramm Kochsalz gelöst im gesamten Wasser des Bodensees. Ab den Verdünnungen D24 und C12 ist kein Molekül des Ausgangsstoffes mehr in der Arznei vorhanden. Und dennoch werden von den Homöopathen gerade die höchsten Verdünnungen (Hochpotenzen) als die am stärksten und tiefsten wirkenden Arzneien angesehen.
Festliegende Kombinationen mehrerer Einzelmittel, meist niedriger Potenz, verwendet die so genannte Komplexmittel-Homöopathie. Diese Kombinationsmittel werden in der Regel benannt nach ihrem typischen Wirkstoff oder ihrer Hauptanwendung. Beispielsweise gegen Heuschnupfen wird das Komplexmittel "Heuschnupfenmittel-Luffa comp." verkauft. Die Komplexmittel sind bei vielen Ärzten und Apothekern besonders deshalb beliebt, weil sie ohne die komplizierten homöopathischen Grundkenntnisse zuzuordnen sind und schnell den Wunsch der Patienten nach "etwas Homöopathischem" befriedigen. Die Komplexmittel widersprechen jedoch den Grundlagen der klassischen Homöopathie. Manche Homöopathen sagen sogar, dass die Langzeiteinnahme von Komplexmitteln zu Nebenwirkungen der nicht genau auf den jeweiligen Patienten passenden Begleitmittel führen kann.
Die Behandlung
Samuel Hahnemann: "Um sanft, schnell, gewiss und dauerhaft zu heilen, wähle eine Arznei, die ein ähnliches Leiden erregen kann wie sie heilen soll."
Der erste Besuch in einer klassischen Homöopathie-Praxis sieht normalerweise folgendermaßen aus: Ein bis zwei Stunden werden die Patienten in Form einer ausführlichen Anamnese befragt. Dabei werden nicht nur ausführlichst die Krankheitssymptome abgefragt, die zum Praxisbesuch führten. Der klassische Homöopath möchte auch wissen, wie der Patient schläft, was seine bevorzugten Nahrungsmittel sind, wie sein Temperaturempfinden ist, wie seine Reaktion auf Umweltreize ist, wie seine Gemütslage und sein Liebesleben aussieht, wie er sein familiäres und soziales Umfeld erlebt, welche Krankengeschichte er einschließlich der Kinderkrankheiten hinter sich hat und vieles mehr. Die Antworten des Patienten dienen dem Homöopathen dann als Wegweiser durch den Irrgarten an gesammelten Symptomen und Begleiterscheinungen, die in den Repertorien niedergeschrieben und sortiert sind. Bei jedem Symptom (z.B. Erbrechen) stehen dann die Arzneimittel, die unverdünnt bei einem gesunden Menschen Erbrechen hervorrufen und entsprechend der Ähnlichkeitsregel dafür in homöopathischer Verdünnung als Heilmittel in Betracht kommen.
Für die Verordnung des entsprechenden homöopathischen Mittels muss der Homöopath nicht nur genau das Krankheitsbild des Patienten erfassen, er berücksichtigt auch die Merkmale des jeweiligen Menschentypus. Für jeden Menschen gibt es auch ein typbedingtes so genanntes Konstitutionsmittel. Dieses soll von der Tiefe her in den Gesundungsprozess eingreifen und den Patienten wieder aufbauen. Die Kunst des klassischen Homöopathen besteht letztlich darin, aus der Kombination der Symptome und dem Konstitutionstypen das eine entsprechende Heilmittel herauszufinden. Anstatt einem Patienten ein Präparat gegen Kopfschmerzen, ein anderes gegen Verstopfung, ein weiteres gegen Reizbarkeit und schließlich vielleicht noch etwas gegen bestimmte Nebenwirkungen zu verabreichen, verordnet der klassisch homöopathisch arbeitende Arzt oder Heilpraktiker ein einziges Mittel. In der Schulmedizin gehören zu konkreten Diagnosen bestimmte Medikamente. Der Homöopath wird jedoch zwei Menschen mit der gleichen schulmedizinischen Diagnose in der Regel auch zwei unterschiedliche homöopathische Mittel verordnen. Ein Erstgespräch bei einem Homöopathen kostet zwischen 100 und 300 Euro.
Alternativ steht für Menschen, die es “eiliger“ haben, die Behandlung mit Komplexmitteln zur Verfügung. Diese einfache Variante der oft sehr komplexen Homöopathie wird mittlerweile bei einer ganzen Reihe wirksamer Mitteln angeboten.
Krankheit aus Sicht der Homöopathie
Für Hahnemann besitzt jeder Mensch eine Art "Lebenskraft", die man auch als gesunde Konstitution oder intakte Selbstheilungskraft bezeichnen könnte. Wird die normale Funktion dieser "Lebenskraft" gestört, verändert sich ihre Dynamik, was sich in wahrnehmbaren Beschwerden äußert.
Das grundlegende Menschenbild in der Homöopathie geht von drei Seinsebenen aus, die auch jeweils alle drei durch eine homöopathische Behandlung angesprochen werden. Die bedeutsamste und zugleich tiefste Ebene ist die geistige Ebene. Hier finden die bewusste und unbewusste Verarbeitung bzw. Umsetzung innerer und äußerer Eindrücke statt: Denken, urteilen, vergleichen, einordnen, schöpferisch weiterentwickeln etc. Zwischen vollkommener geistiger Gesundheit und totaler Geistesverwirrung gibt es natürlich unzählige Stufen mit zunehmender geistiger Schwächung, beispielsweise Gedächtnisstörungen, Konzentrationsschwächen, Unfähigkeit zu unterscheiden oder Störung der Denkfähigkeit.
Die zweite Ebene ist die emotionale Ebene, die Gefühlswelt mit all ihren Schattierungen. Störungen auf dieser Ebene reichen von Unzufriedenheit, Reizbarkeit, Angst und Phobien über Kummer und Schwermut bis hin zu Apathie und Depression.
Die dritte Ebene ist die Körperebene, in der die Organe nach ihrer überlebenswichtigen Funktion für den Gesamtorganismus hierarchisch geordnet sind. Beispielsweise ist eine Narbe im Gehirn für den betroffenen Menschen gefährlicher als eine gleichgroße Narbe am Herzen, die wiederum gefährlicher als eine gleichgroße Narbe auf der Haut. Die Organhierarchie, von weniger bedrohlich hin zu lebensbedrohlich, verläuft folgendermaßen: Hautsystem (einschl. Haare und Nägel), Muskelsystem, Knochensystem, Fortpflanzungssystem, Ausscheidungssystem, Atmungssystem (von der Lunge bis zur inneren Nase), Verdauungssystem, das endokrine System (Hormonsystem), das Kreislaufsystem (von Herz bis Lymphe) und letztlich das Nervensystem (einschl. aller Sinnesorgane).
Die Rangfolge stellt in der klassischen homöopathischen Heilbehandlung keine theoretische Spielerei dar, sondern teilt dem kundigen klassischen Homöopathen mit, in welche Richtung das Ungleichgewicht des Menschen tendiert. Wird durch eine klassische homöopathische Behandlung beispielsweise bei einem Patienten eine Nierenbeckenentzündung geheilt, und es erscheint sofort im Anschluss eine Schuppenflechte (Hautausschlag), so liegt aus klassischer homöopathischer Sicht eine Besserung des Gesundheitszustandes des Patienten vor, da die Störung des Organismus auf eine weniger bedrohliche Ebene des Körpers, nämlich vom Ausscheidungssystem auf die Hautebene, geschoben wurde.
Somit wird ein wichtiger Unterschied zur Schulmedizin deutlich. Die Schulmedizin behandelt Krankheiten als zufällig nebeneinander auftretend. Zum Beispiel hat ein Patient dort zunächst ein allergisches Ekzem, dann aber auch noch Asthma. Der Schulmediziner behandelt beide Erkrankungen getrennt. Die klassische Homöopathie geht davon aus, dass die ernsthaftere Krankheit Asthma durch Nichtbeachtung, Nichtbehandlung oder Symptomunterdrückung des Hautausschlages "entstanden" ist, die Störung mehr in die Tiefe verschoben worden ist. Entsprechend wird ein Mittel ausgewählt, das auf der jeweiligen Ebene am wirksamsten ist.
Wie funktioniert die Homöopathie?
Homöopathische Arzneimittel, so Hahnemann, sollen den Körper reizen, seine "verstimmte Lebenskraft" wieder einzuregulieren. Doch wie soll eine Arznei dies bewirken, die nachweislich gar nichts mehr von dem vorher so sorgsam ausgewählten Wirkstoff enthält? Nichts gelöst in einem Verdünnungsmittel soll deutlich stärker wirken, als ein Verdünnungsmittel, in dem nichts gelöst ist. Kritiker der Homöopathie gehen davon aus, dass dieses Prinzip gerade deshalb geglaubt wird, weil es völlig absurd ist.
Befürworter der Homöopathie wie Vithoulkas vertreten heute die Theorie, dass das Lösungsmittel gewissermaßen die Information des Arzneiwirkstoffes übertrage. Dies soll durch das intensive mechanische Bearbeiten der Arznei beim Potenzieren geschehen. Durch das Verschütteln soll die Ausgangssubstanz dem Trägerstoff seine Information aufprägen.
Der griechische Physiker Gerasimos Anagnostatos hat dazu ein Modell entwickelt. Wie Hüllen sollen sich die Wassermoleküle entsprechend ihrer Struktur um die Wirksubstanz legen. Beim Verschütteln sollen dann die Wirkpartikel aus dieser Hülle geschleudert werden. Um die freien Wirkstoffe und die leeren Wasserhüllen sollen sich dann wieder neue, ganz spezifische Hüllen bilden. Durch die extremen Verdünnungsschritte befänden sich dann in den Hochpotenzen unzählige Milliarden dieser spezifischen Wasserhüllen, maßgeschneidert nach dem entsprechenden Ausgangswirkstoff.
Für Physikerkollegen ist dieses Modell höchst spekulativ. Die tatsächlich beobachteten Aneinanderlagerungen von Wassermolekülen müssten innerhalb von Nanosekunden zerfallen. Und weshalb sollten nicht die überall vorhandenen Verunreinigungen oder Wirkstoffgemische durch die Aufarbeitung beispielsweise ganzer Pflanzenteile auf die gleiche Weise mit potenziert werden?
Doch die Homöopathie findet immer mehr ihre wissenschaftliche Bestätigung. So ist z. B. der Plazebo-Effekt widerlegt, durch die erfolgreiche Behandlungen von Säuglingen und Tieren, die sich diesen Effekts nicht bewusst sind. Auch gibt es mittlerweile Studien zu homöopathischen Komplexmitteln, die ihre Wirkung belegen.