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Pilze – nützlich oder schädlich?

Aus der Sicht des Menschen sind Pilze durchaus zwiespältig zu betrachten: Auf der einen Seite werden sie als Nahrungsmittel genutzt, sind für die Herstellung von Wein, Bier oder Käse unabdingbar und liefern sogar Arzneimittel wie die begehrten Antibiotika. Andererseits richten Pilze enorme Schäden an, indem sie Lebensmittel befallen und ungenießbar machen sowie zahlreiche Krankheiten bei Pflanze, Tier und Mensch verursachen.

Was wir gewöhnlich als »Pilz« ansehen, sammeln und verzehren, ist nur der oberirdische Fruchtkörper eines Lebewesens, das hauptsächlich unter der Erde existiert. Der eigentliche Pilz besteht aus einem oft sehr ausgedehnten unterirdischen Geflecht, dem Myzel, das wiederum aus unzähligen Pilzfäden oder Hyphen aufgebaut ist. Ein dichtes Hyphengeflecht bildet auch den der Vermehrung dienenden Fruchtkörper: Seine Aufgabe ist es, Sporen zu bilden und zu verbreiten und damit für die Erhaltung der Art zu sorgen.

Anders als Pflanzen enthalten Pilze kein Chlorophyll und können deshalb auch keine Fotosynthese betreiben. So mussten sie sich andere Nahrungsquellen erschließen als die Pflanzen. Manche Pilzarten ernähren sich von abgestorbenem organischem Material, andere leben als Parasiten auf oder in einem Wirt, dem sie die benötigten Nährstoffe entziehen. Eine dritte Gruppe schließlich bildet eine enge Lebensgemeinschaft (Symbiose) mit einem Pflanzenpartner, von der beide Seiten profitieren.

Über die Stellung der Pilze im System der Lebewesen wurde lange diskutiert. Heute ist man übereingekommen, den Höheren Pilzen ein eigenes Organismenreich zuzugestehen, neben den Tieren und den Pflanzen. Pilze gehören also weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren. Da sie jedoch in einer besonders engen und vielfältigen Beziehung zu Pflanzen stehen, erscheint es gerechtfertigt, dass sie im Rahmen eines Buches über Pflanzen erscheinen.

Speisepilze: Frisch auf den Tisch

Weshalb tragen Pilze Hüte?

Um die Sporen zu schützen, die in Lamellen oder Röhren an der Unterseite sitzen. Sind die Sporen reif, so werden sie aktiv aus dem Hut weggeschleudert und mit Wind und Regenwasser weiterverbreitet. Ein einziger Hutpilz kann Milliarden von Sporen erzeugen! Diese scheinbare Verschwendung ist aber notwendig, denn es kommen nur sehr wenige Sporen zum Keimen; die meisten finden keinen geeigneten Untergrund und sterben ab.

Gewöhnlich entstehen die Hüte nur einmal im Jahr, wenn bestimmte Bedingungen zusammentreffen. Sofern eine gewisse Temperatur, die passende Luftfeuchtigkeit und andere jahreszeitliche Einflüsse gegeben sind, schießen die Fruchtkörper einiger Arten oft innerhalb weniger Stunden aus dem Boden. Andere Pilze lassen sich mehr Zeit: Sie bilden zunächst rundliche kleine Knollen, die »Hexeneier«, aus denen sich erst allmählich Stiel und Hut entwickeln. Schon ihr Name zeigt an, dass man früher Pilze und ihre Fruchtkörper vielfach als Teufelswerk ansah.

Welche Pilze kann man züchten?

Solche, die nicht auf die Lebensgemeinschaft mit Bäumen angewiesen sind. 1990 wurden weltweit fast 1,5 Millionen Tonnen Kulturpilze produziert. Der Kulturchampignon (Agaricus bisporus) lässt sich ebenso wie der Austernseitling (Pleurotus ostreatus) recht einfach auf mit Stroh vermischtem Pferde- oder Hühnermist in dunklen Kellern oder Tunnels kultivieren: Das Substrat wird mit dem Myzel geimpft, und nach einigen Wochen können die Fruchtkörper geerntet werden. Der Shiitake (Lentinula edodes) kommt überwiegend getrocknet in den Handel, oft unter der Bezeichnung »Donko«. Er ist in Japan bereits seit 2000 Jahren in Kultur. Als Substrat dienen klein gesägte Äste oder die Stämme von Laubbäumen. Der Pilz schmeckt lauchartig; das Fleisch ist recht zäh.

Übrigens: Pilze sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen und damit anderen Gemüsen ebenbürtig. Sie enthalten auch beachtliche Mengen an Eiweiß, das jedoch vom Menschen nur in Maßen verwertbar ist. Der Grund: Pilze bestehen zu einem Großteil aus Chitin – derselben Substanz, aus der das harte äußere Skelett der Insekten gebildet ist. Pilze sind deshalb auch eher schwer verdaulich.

Wer gilt als Königin der Speisepilze?

Die Trüffeln. Sie werden schon seit Jahrhunderten als ausgesprochene Delikatesse geschätzt, der ein unvergleichliches Aroma nachgesagt wird. Und damit davon möglichst nichts verloren geht, empfehlen eingefleischte Gourmets, den über den Teller gebeugten Kopf mit einer großen Serviette zu bedecken. Der Hochgenuss hat jedoch seinen Preis: So muss man für ein Kilogramm der Schwarzen Trüffel (Tuber melanosporum) etwa 1500 bis 2000 Euro berappen und für die gleiche Menge Weißer Trüffeln (Tuber magnatum) sogar mindestens 5000 Euro – in manchen Jahren auch deutlich mehr.

Speise- oder Edeltrüffeln gedeihen hauptsächlich in warmen Regionen Süd- und Südosteuropas, Nordafrikas, Vorderasiens und Nordamerikas, vorzugsweise in Eichen-Buchen-Wäldern auf Kalk- oder Tonböden. Um die begehrte Delikatesse im Erdboden aufzuspüren, müssen sich Trüffelsammler von Tieren helfen lassen. Heute kommen vor allem gut ausgebildete Hunde zum Einsatz, früher machte man mit abgerichteten Hausschweinen Jagd auf die begehrten Knollen. Die Mühe lohnt sich, da Trüffeln immer knapper werden und die Preise deshalb ständig steigen. Wurden vor etwa 100 Jahren jährlich noch um die 1000 Tonnen Trüffeln geerntet, fand man 1990 nur noch rund 50 Tonnen dieser ausgesprochenen Delikatesse.

Wer verbirgt sich hinter dem Namen »Eierschwamm«?

Der Pfifferling (Cantharellus cibarius). Er riecht fruchtartig und schmeckt mild bis leicht scharf. Der dottergelbe Pilz, der an seinen charakteristischen Leisten auf der Hutunterseite gut zu erkennen ist, bevorzugt die humusreichen Böden von Nadelwäldern, wo er von Juni bis November oft in großer Zahl zu finden ist. Die jungen Fruchtkörper sind knopf- bis keulenförmig; erst später streckt sich der Pilz und entwickelt einen Hut. Pfifferlinge sind sehr standorttreu. Leider sind sie in vielen Gegenden fast ausgerottet, da allzu gierige Sammler die Fruchtkörper Jahr für Jahr noch vor der Sporenreife ernten.

Der Pfifferling gilt als ein Pilz, der nur schwer mit Giftpilzen zu verwechseln ist – leider zu Unrecht! Zum Beispiel sieht er dem südlich der Alpen anzutreffenden giftigen Ölbaumtrichterling (Omphalotus oleareus) sehr ähnlich. Auch der in heimischen Nadelwäldern im September und Oktober erscheinende Falsche Pfifferling (Hygrophoropsis aurantiaca), dessen Genuss zu Unwohlsein führen kann, wird oft mit ihm verwechselt, obwohl er statt der Leisten an der Unterseite Lamellen trägt.

Worin unterscheiden sich Wiesenchampignon und Knollenblätterpilz?

In zwei Merkmalen: der Farbe der Lamellen und dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein der sog. Scheide. Der vor allem in Laubwäldern wachsende Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) gehört zu den giftigsten Pilzen. Sein hell- bis olivgrüner Hut mit der zart gefaserten Oberfläche ist an der Unterseite mit weißen oder blassgrünen Lamellen besetzt – ein sicheres Unterscheidungsmerkmal vom Wiesenchampignon, dessen Lamellen zunächst rosa, dann braun und schließlich schwarz sind. Der Hut sitzt beim grünen Knollenblätterpilz auf einem geraden Stiel, der einen großen, weißlichen Ring trägt. Der Stiel entspringt einer weißen, weichen Knolle, die von einer hautartigen, leicht grünlich gefärbten Scheide umgeben ist. Sie ist nur beim Knollenblätterpilz ausgebildet, beim Wiesenchampignon fehlt sie.

Übrigens: Es gibt leider keine allgemeine Regel, nach der man giftige von ungiftigen Pilzen unterscheiden könnte. Hinzu kommt, dass manche essbaren Arten giftige Doppelgänger haben, mit denen sie leicht zu verwechseln sind. Auch die weit verbreiteten Irrtümer, Schnecken und Würmer würden nur essbare Pilze befallen oder die Genießbarkeit ließe sich mit einem Silberlöffel, einer Zwiebel oder Knoblauch (die sich durch das Gift verfärben sollten) feststellen, hatten schon manches Mal fatale Folgen. Die geringste Gefahr geht von Röhrenpilzen aus, denn außer dem Satanspilz (Boletus satanas) gibt es in dieser Gruppe keine ernsthaft giftigen Pilze.

Wo sollte man keine Pilze sammeln?

In Industriegebieten, entlang viel befahrener Straßen und auf mit Klärschlamm gedüngten Wiesen. Pilze nehmen nämlich in sehr viel stärkerem Ausmaß als grüne Pflanzen giftige Schwermetalle wie Quecksilber, Cadmium oder Blei aus dem Boden auf und reichern sie in ihren Fruchtkörpern an. Besonders manche Champignonarten weisen – unabhängig vom Standort – hohe Cadmiumwerte auf. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass das Cadmium aus natürlichen Quellen stammt. Dagegen ist die Belastung mit Quecksilber und Blei eindeutig vom Menschen verursacht.

Wild wachsende Pilze sind auch heute noch erheblich mit radioaktivem Cäsium belastet, das aus dem Reaktorunfall in Tschernobyl 1986 stammt. Das Cäsium verbleibt in den oberen Humusschichten, die auch die Pilzmyzele durchziehen. Je nach Pilzart schwankt die Belastung: Während der Maronenröhrling als hoch belastet gilt, reichern Steinpilz, Pfifferling, Rötelritterling, Hallimasch und Champignon nur wenig Cäsium an.

Kann man Pilze konservieren?

Ja. Zum Einfrieren putzt man die Pilze, schneidet sie in dünne Scheiben, blanchiert sie mit kochendem Salzwasser (mit etwas Zitronensaft) und gibt sie dann in die Kühltruhe (schockgefrieren). Bei –18 °C sind die Pilze bis zu zwölf Monate haltbar; ideal sind Pfifferlinge und festfleischige Pilze. Fürs Einlegen nimmt man nur kleine, feste Pilze. Sie werden halbiert oder als Ganzes kurz in kochendem Salzwasser blanchiert, in einem Essig-Zucker-Sud, der mit Pfefferkörnern, Lorbeerblatt, Piment und Estragon gewürzt ist, aufgekocht und heiß in Schraubdeckelgläsern abgefüllt.

Zum Trocknen schließlich werden die Pilze geputzt (nicht gewaschen), in zwei bis drei Millimeter dünne Scheiben geschnitten und auf einem Drahtgitter oder Gazetuch an einem warmen, luftigen Ort ausgebreitet. Schimmelige Pilze müssen unbedingt entfernt werden. Die getrockneten Pilze bewahrt man am besten in Schraubdeckelgläsern auf. Trockenpilze entfalten ihr volles Aroma, wenn man sie vor dem Kochen eine halbe Stunde in ein wenig warmem Wasser einweicht.

Darf man Pilzgerichte aufwärmen?

Ja, aber: Pilze gehören zu den leicht verderblichen Lebensmitteln. Sie bestehen zwar zu 90 Prozent aus Wasser und nur zu fünf Prozent aus Proteinen. Diese Proteine haben es bei unsachgemäßer Behandlung jedoch in sich, denn sie werden sehr leicht durch die pilzeigenen Enzyme zersetzt, ein Prozess, der durch Bakterien noch beschleunigt werden kann. Die dabei entstehenden Stoffe können zu Lebensmittelvergiftungen mit entsprechenden Symptomen (Übelkeit, Erbrechen usw.) führen. Solange also nichts abgebaut wird bzw. die Zersetzung nur sehr langsam erfolgt, können Pilzgerichte auch aufgewärmt werden.

Die verwendeten Pilze müssen jedoch frisch und dürfen nicht überlagert sein, sie sollten ferner gründlich geputzt und ausreichend erhitzt werden. Reste einer Pilzmahlzeit sollten abgedeckt und gut gekühlt aufbewahrt werden, damit Bakterien und Enzyme keine unliebsamen Aktivitäten entfalten können. Man sollte das Gericht jedoch nicht länger als einen Tag aufbewahren, bevor man es wieder auf mindestens 70 °C aufwärmt.

Was sind Hexenringe?

Kreisförmig angeordnete Pilze, die oft auf eintönigen Rasenflächen zu finden sind. Diese sog. Hexenringe entstehen dadurch, dass das unterirdische Pilzmyzel nach außen wächst, während es in der Mitte abstirbt. Entsprechend sprießen dann auch die Fruchtkörper des Pilzes am Rand der Kolonie. Im Innern des Ringes ist das Gras oft verkümmert, da der Pilz die Nährstoffe weitgehend aufgebraucht hat. Hexenringe können sehr alt werden und Durchmesser bis zu 30 Metern erreichen.

Wussten Sie, dass …

sich Pilze von den Resten abgestorbener Tiere und Pflanzen ernähren? Damit gehören sie sozusagen zur Putzkolonne des Waldes, die organische Abfälle abbaut und in den biologischen Kreislauf zurückführt.

der größte lebende Organismus wahrscheinlich ein Pilz ist? Im US-Bundesstaat Washington wurde ein Dunkler Hallimasch (Armillaria obscura) entdeckt, der eine Fläche von über sechs Quadratkilometern durchzieht und 400 bis 1000 Jahre alt sein soll.

der Kahle Krempling (Paxillus involutus) heute nicht mehr als Speisepilz gilt? Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass er eine bislang unbekannte Substanz enthält; sie löst eine allergische Reaktion aus, in deren Folge bei erneutem Genuss des Giftpilzes die roten Blutkörperchen zerstört werden.

Wussten Sie, dass …

unter den Bovisten Schwergewichte zu finden sind? Der Fruchtkörper eines Riesenbovists (Langermannia gigantea) erreicht einen Durchmesser von 30 bis 35 Zentimeter und kann bis zu zehn Kilogramm schwer werden.

Trüffeln als Aphrodisiakum gelten? Da die knollenähnlichen Fruchtkörper an männliche Geschlechtsorgane erinnern, glaubte man, dass ihr Verzehr Sexualtrieb und sexuelle Attraktivität steigert.

es unter den Speisepilzen gefürchtete Schmarotzer gibt? So richtet beispielsweise der Dunkle Hallimasch (Armillaria obscura) an Laub- und Nadelbäumen großen Schaden an.

Gibt es leuchtende Pilze?

Ja. Schon in der Antike kannte man »leuchtende Pilze«, die Aristoteles und Plinius als »leuchtendes Holz« beschrieben. Im 19. Jahrhundert wurde der direkte Zusammenhang zwischen dem Leuchten des Holzes und dem Vorhandensein der Pilze entdeckt und genau beschrieben: Das Phänomen beruht auf der sog. Biolumineszenz, also auf der Fähigkeit von Organismen, selbst Licht auszustrahlen. Das Leuchten wird auch als sog. kaltes Licht bezeichnet, weil die biochemische Energie ohne Entstehung von Wärme direkt in Licht umgewandelt wird.

Hefe und Konsorten: Unentbehrliche Helfer

Wie machen Hefepilze aus Fruchtsaft Wein?

Dadurch, dass sie ihre Ernährungsweise umstellen. Hefe kann nämlich sowohl in Anwesenheit von Luft (sog. aerobe Bedingungen) als auch unter Luftabschluss (anaerob) existieren. Wenn Sauerstoff vorhanden ist, verbrennen die Pilze Kohlenhydrate (z. B. Zucker) vollständig zu Kohlendioxid und Wasser – ein Vorgang, bei dem viel Energie für die Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen gewonnen wird. Fehlt der Sauerstoff, schaltet die Hefe ihren Stoffwechsel auf anaerobe Lebensweise um und baut die Nährstoffe nur noch unvollständig zu Alkohol (Ethanol) ab.

Diese Fähigkeit der Hefen macht man sich bei der Weinherstellung zunutze. Dazu wird der Fruchtsaft in offenen Bottichen mit Hefezellen vermischt, die zunächst in Anwesenheit von Sauerstoff wachsen dürfen, damit sie sich gut vermehren. Nach einigen Tagen wird das Gefäß dann mit einem wassergefüllten Gärverschluss versehen, der zwar Kohlendioxid entweichen, aber keinen Sauerstoff eindringen lässt. Als Folge stellen die Hefezellen ihren Stoffwechsel um und produzieren jetzt so lange Ethanol, bis der Alkoholgehalt einen Spitzenwert erreicht hat, bei dem selbst die Hefezellen nicht mehr überleben können.

Welchem Pilz verdanken wir das erste Antibiotikum?

Dem Pinselschimmel (Penicillium notatum). 1928 wurde es von dem englischen Mediziner und Bakteriologen Alexander Fleming eher zufällig entdeckt, weil eine seiner Bakterienkulturen durch Schimmelpilze verunreinigt worden war. Als Fleming bemerkte, dass sich um den Schimmelpilz eine schmale Zone gebildet hatte, auf der keine Bakterien wuchsen, folgerte der Mediziner, dass der Pilz eine Substanz ausscheiden musste, die Bakterien am Wachsen hindert. Fleming vermutete, dass man sich diese Wirkung bei der Behandlung bakterieller Infektionen zunutze machen könnte.

Die Annahme erwies sich als richtig und weil es sich bei dem Schimmelpilz um Penicillium notatum gehandelt hatte, nannte Fleming die Bakterien abtötende Substanz Penicillin. Diese zufällige Entdeckung führte in den folgenden Jahren zu einem wahren Durchbruch bei der Behandlung bakterieller Infektionen wie Lungenentzündung oder Tuberkulose. Fleming erhielt für seine Entdeckung 1945 zusammen mit Ernest Boris Chain und Howard Walter Florey den Nobelpreis für Medizin oder Physiologie.

Welcher »Nutzpilz« war schon in der Steinzeit bekannt?

Der Echte Zunderschwamm (Fomes fomentarius). Von der Jungsteinzeit bis ins 19. Jahrhundert hinein, als die Streichhölzer erfunden wurden, war er ein täglich genutztes Werkzeug zum Feuermachen: Durch Reiben von Metall und Stein erzeugte man Funken, die auf den Zunder fielen und ihn zum Glühen brachten.

Die Herstellung des Zunders aus dem Fleisch des Pilzes war in früheren Zeiten ein eigenes Handwerk. Der »Zundermacher« sammelte die Zunderschwämme in den Wäldern, die er eigens angepachtet hatte. Zunächst wurden die Röhren und die harte Haut des Pilzes entfernt, anschließend das wergartige Fleisch durch Klopfen mürbe gemacht. Damit der Zunder besser Feuer fing, tränkte man ihn zusätzlich mit Salpeter. Zunder wurde zudem zum Blutstillen verwendet. Außerdem stellte man sogar Kleidungsstücke wie Hauben, Handschuhe oder Hosen daraus her.

Ist Schimmel in Lebensmitteln immer schädlich?

Nein, bei vielen Käsesorten nicht. Blauschimmelkäse wie Roquefort und Gorgonzola oder Weißschimmelkäse wie Camembert erhalten durch Penicillium roqueforti bzw. Penicillium camemberti ihren typischen Geschmack und natürlich auch ihr unverwechselbares Aussehen. Auch in Fernost weiß man Schimmelpilze schon seit Jahrhunderten kulinarisch zu nutzen: z. B. zur Herstellung von Sojasauce, die man durch Fermentation von Sojabohnen, Reis und Aspergillus oryzae gewinnt.

Inzwischen sind die Schimmelpilze sogar in den Dienst der chemischen und pharmazeutischen Industrie getreten. Etwa bei der Produktion von Zitronensäure, die mithilfe von Aspergillus-niger-Kulturen hergestellt und in der Lebensmittelindustrie als Säuerungsmittel, z. B. für Limonaden, verwendet wird. Früher musste man diese Säure recht aufwendig aus Zitronen, die jedoch nur vergleichsweise geringe Mengen davon enthalten, extrahieren. Heute stellt man über 90 Prozent der geschätzten Jahresproduktion an Zitronensäure (etwa 400 Tonnen) durch den Einsatz von Schimmelpilzen her, die zum Teil mit gentechnischen Methoden verändert wurden, um eine optimale Ausbeute zu erreichen. Aber auch Aminosäuren, Vitamine, bestimmte Hormone und zahlreiche andere chemische Substanzen werden heute auf diese Weise gewonnen.

Wie schnell wachsen Hefepilze?

Unter optimalen Bedingungen verdoppeln sich die Zellen etwa alle 90 Minuten, so dass nach 24 Stunden aus einer einzigen Hefezelle bereits knapp 70 000 und nach zwei Tagen sogar ungefähr fünf Milliarden Zellen entstanden sind. Deshalb hat man immer wieder versucht, die Hefe für die Produktion proteinreicher Nahrungs- und Futtermittel heranzuziehen. So wurden in Deutschland bereits im Ersten Weltkrieg Versuche unternommen, bestimmte Hefen großtechnisch auf den Abfallprodukten der Zuckerraffinerien zu züchten. Allerdings hat sich gezeigt, dass der Einsatz proteinreicher Nahrungsmittel aus Hefen für die menschliche Ernährung immer wieder zu Problemen führt, die mit den schwer verdaulichen Zellwänden der Pilze zusammenhängen. Ferner führt der hohe Gehalt an Nukleinsäuren nicht selten zu einem erhöhten Harnsäurespiegel, was wiederum mit Gichterkrankungen bzw. der Bildung von Gallen- und Nierensteinen verbunden ist.

Wussten Sie, dass …

man Schimmelpilze zur Konservierung von Wurst nutzt? Dazu werden die Würste in eine Lösung getaucht, die gesundheitlich unbedenkliche Schimmelpilze enthält; sie bilden auf der Wursthaut einen so dichten Myzelrasen, dass sich dort keine anderen schädlichen Organismen mehr ansiedeln können.

die Bierherstellung seit rund 6000 Jahren schriftlich belegt ist? Die Aufzeichnungen stammen aus Mesopotamien, wo angeblich fast die Hälfte der Getreideernte für die Bierherstellung verwendet wurde.

Hefe Kuchen- und Brotteig locker macht? Sie produziert Kohlendioxid, dessen Gasblasen den Teig »aufgehen« lassen.

Schimmel und Co.: Gefürchtete Krankheitserreger

Ist Brotschimmel gesundheitsschädlich?

Ja, und es genügt auch nicht, an dem betroffenen Nahrungsmittel – der Brotschimmel tritt nicht nur bei Brot auf – lediglich die sichtbaren Schimmelstellen herauszuschneiden, da der Pilz auch bereits die Teile befallen hat, die noch keinen Schimmel erkennen lassen.

Wenn der allgegenwärtige Pilz Lebensmittel befällt, dringt er mit seinen Hyphen in das Gewebe ein, dem er dann Nährstoffe entzieht. So kann er recht schnell wachsen und sich durch Ausläufer vermehren, bis das gesamte Lebensmittel mit schwarzen Pilzfäden überzogen ist.

Übrigens: Sind die Umgebungsbedingungen für den Schwarzen Brotschimmel (Rhizopus stolonifer) ungünstig, vermehrt sich der Pilz nicht über Sporen, sondern über einen Keim. Außerdem ist er sehr widerstandsfähig gegenüber Kälte oder Trockenheit, die er oft mehrere Monate in einem Ruhestadium überdauern kann. Bessern sich die Bedingungen wieder, beginnt er erneut zu wachsen.

Weshalb gilt Fußpilz als Volkskrankheit?

Weil in Mitteleuropa etwa 40 Prozent der männlichen und 30 Prozent der weiblichen Bevölkerung – wie es unter Medizinern heißt – unter Dermatophytenbefall im Fußbereich oder einer Hautmykose leiden. Die Infektion erfolgt oft in Schwimmbädern, Saunen oder Duschräumen, wobei die Pilze gern an feuchteren Stellen, wie z. B. zwischen den Zehen, im wahrsten Sinne des Wortes Fuß fassen.

Normalerweise erfolgt die Übertragung dieses Erregers von Mensch zu Mensch. Dabei muss jedoch kein direkter Hautkontakt zustande kommen, denn der Pilz wird zusammen mit den Hautschuppen verbreitet, die jeder von uns ständig verliert. Nach der Infektion bilden die Pilzhyphen spezielle Enzyme, vor allem sog. Keratinasen, mit deren Hilfe die schützende Keratinschicht der Haut abgebaut wird. Wenn diese Schutzschicht fehlt, entstehen oft juckende, schuppige Bereiche, die sich nicht selten auch entzünden.

Welche Krankheiten werden durch Hefepilze verursacht?

Eine Infektion mit Hefepilzen kann verschiedene Krankheiten auslösen. Oberflächliche sog. Candida-Mykosen, manchmal auch als Soor bezeichnet, treten auf der Haut als hellrote, entzündliche Pusteln auf. Noch häufiger findet man sie auf den Schleimhäuten im Mund- und Rachenraum (als weiße Flecken in der Mundhöhle) sowie im Genitalbereich (als Rötung oder weißliche Beläge und Ausfluss), wo sie ein unangenehmes Jucken oder gar schmerzhafte Entzündungen hervorrufen. Hefepilze verursachen aber auch gefährliche Infektionen verschiedener innerer Organe wie Lunge, Herz, Niere oder Gehirn; außerdem kommt es durch Candida-Erreger manchmal zu einer Blutvergiftung.

Bis in die 1970er Jahre waren lebensbedrohliche Infektionen relativ selten, aber seit dieser Zeit nimmt ihre Zahl kontinuierlich zu. Ein Grund dafür könnte sein, dass heute immer mehr ältere und immunschwache Patienten operiert werden, die gegenüber solchen Mykosen besonders anfällig sind. Eine andere denkbare Ursache ist der zunehmende Einsatz von Prothesen und Transplantaten, da bei diesen Eingriffen das Immunsystem des Patienten unterdrückt wird, was das Wachstum der Pilze begünstigt. Förderlich für deren Wachstum ist darüber hinaus ein feuchtwarmes Milieu.

Wie werden Hefepilzinfektionen behandelt?

Sie müssen stets mit geeigneten Medikamenten behandelt werden, um die Ausbreitung möglichst schnell zu unterbinden. Um herauszufinden, welche Erreger die Infektion ausgelöst haben, untersucht der Hautarzt zunächst einige befallene Hauptpartikel und verordnet anschließend die passenden Pilzmittel (Antimykotika). Die wirksamsten Arzneien zur Behandlung dieser Hauterkrankungen sind Medikamente mit einer bestimmten chemischen Struktur, nämlich Imidazolderivate und Triazole oder Terbinafin, ein Allylamin-Derivat. Diese Medikamente verhindern, dass der Pilz einen wichtigen Bestandteil seiner Zellmembran, das sog. Ergosterol, bilden kann. Die Anwendung dieser Arzneimittel – beispielsweise in Form von Salben, Sprays, Tinkturen oder Spezialshampoos (bei Befall der Kopfhaut) – verursacht bei den Pilzen einen Ergosterolmangel, welcher die Pilzmembran schädigt und dazu führt, dass die Pilzzellen absterben.

Können Pilze Seuchen auslösen?

Ja, und zwar insbesondere der Mutterkornpilz (Claviceps purpurea). Antoniusfeuer, Gottesrache, Kribbelkrankheit, Höllenfeuer oder Heiliges Feuer – lat. ignis sacer – nannten die Menschen jene geheimnisvolle Seuche, die seit der Antike immer wieder und manchmal ganz unvermutet über sie hereinbrach und in Europa große Landstriche erfasste. Die ersten Anzeichen waren Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindelgefühl und Erbrechen, gefolgt von Hautkribbeln und Taubheitsgefühlen in Fingern, Zehen, Lippen oder Ohren, die in besonders schweren Fällen sogar regelrecht abstarben. Nicht selten war auch das Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen, viele Menschen trugen bleibende Schäden davon.

Erst 1630 entdeckte man, dass die ständig wiederkehrenden Seuchen mit dem Verzehr von Getreide zusammenhingen, das von einem eher unscheinbaren Schädling befallen war: dem Mutterkornpilz. Er lebt parasitisch auf verschiedenen Gräsern, darunter auch vielen Getreidearten. Zu erkennen ist der Befall an den typischen schwarzvioletten, bananenförmigen und bis zu fünf Zentimeter langen Dauerstadien (»Mutterkörner«), die wie zu groß geratene, dunkle Getreidekörner aus der Ähre herausragen. Sie fallen, falls sie nicht geerntet werden, im Spätsommer zu Boden, überwintern und keimen im Frühjahr wieder neu aus. Dieser Kreislauf wird durch die Bildung neuer Sporen geschlossen, die Getreidepflanzen infizieren können.

Was versteht man unter dem DHS-System?

Eine Einteilung von Erregern, die Pilzerkrankungen verursachen. Man unterteilt sie in drei Hauptgruppen: Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze (DHS). Als Schädlinge für den Menschen sind Dermatophyten bekannt, die Haut, Haare und Nägel befallen und dementsprechend als Dermatomykosen, Trichomykosen und Onychomykosen bezeichnet werden. Hefen dagegen greifen zumeist Schleimhäute an. Besonders häufig und gefürchtet sind hier die Candida-Arten, etwa Candida albicans oder der Soorpilz, der die Mundschleimhaut besiedelt und schmerzhafte Bläschen hervorruft. Schimmelpilze verursachen dagegen oft Allergien, können aber auch lebensbedrohliche Lungenkrankheiten oder Infektionen an Ohr und Nasennebenhöhlen auslösen. Bei ungünstigen Bedingungen greifen sie sogar das Gehirn oder anderes Nervengewebe an, was unter Umständen zum Tode des Patienten führen kann.

Wussten Sie, dass …

Schimmelpilze Massenvergiftungen auslösen können? So vergifteten sich zwischen 1930 und 1940 in Russland Tausende von Menschen, als sie Getreide aßen, das den Winter über unter der Schneedecke gelegen hatte und verschimmelt war.

der Begriff »Schimmel« keine bestimmte Pilzgruppe bezeichnet? Er wird generell für Arten verwendet, die auf Nahrungsmitteln oder anderen Substraten einen watteartigen Überzug bilden.

Rost und Mehltau: Für Pflanzen gefährlich

Wie unterscheiden sich Echter und Falscher Mehltau?

Sie befallen Pflanzen auf unterschiedliche Weise. Das Myzel des Echten Mehltaus, der botanisch zu den Schlauchpilzen gehört, wächst auf der Oberseite der Blätter und lässt sich relativ leicht abreiben. Der zu den Cellulosepilzen gestellte Falsche Mehltau befällt dagegen die Blattunterseite, wo sich seine Sporenbehälter als graue oder grauviolette Beläge abzeichnen. Auf der Oberseite sind dagegen normalerweise nur kleine unscheinbare Verfärbungen sichtbar, die man nur bei genauem Hinsehen erkennt. In beiden Fällen sind die Pflanzenteile nach einiger Zeit so stark geschädigt, dass sie abfallen.

Echte Mehltaupilze befallen besonders häufig Rosen, Gurken, Kürbisse oder Möhren. Auch bei Landwirten sind Mehltaupilze gefürchtet, weil sie weder vor Getreide noch vor Weinreben Halt machen und erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen können. Zu zweifelhaftem Ruhm kam Phytophthora infestans, der Erreger der Kraut- und Knollenfäule bei Kartoffeln, im 19. Jahrhundert: Er vernichtete mehrere Jahre hintereinander in Irland fast die gesamte Kartoffelernte und verursachte eine verheerende Hungersnot, der mindestens eine Million Menschen zum Opfer fiel – und noch einmal so viele verließen die Insel und wanderten nach Amerika aus.

Woran kann man Rostpilze erkennen?

Sie bilden auf ihren Wirtspflanzen rötliche oder braune Lager, die aussehen, als würde die Pflanze regelrecht rosten. Das Wirtsspektrum dieser Parasiten reicht von vielen Zier- und Nutzpflanzen bis hin zu einigen Getreidearten. Viele Rostpilze sind sehr aktiv und zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf den unterschiedlichsten Wirtspflanzen bis zu fünf verschiedene Sporengenerationen ausbilden können.

Der Getreide-Schwarzrost (Puccinia graminis) beispielsweise ist für seine Vermehrung auf Berberitzen (Berberis vulgaris) oder Mahonien (Mahonia aquifolium) angewiesen, auf denen im Frühjahr die erste Sporengeneration entsteht. Insekten verschleppen diese Sporen auf andere Berberitzen, wo es zu einer gegenseitigen »Befruchtung« unterschiedlicher Pilzstämme kommt. Damit setzt die Bildung der nächsten Sporengeneration ein, die jetzt Getreidepflanzen infiziert. Dort entstehen zunächst Sommersporenlager, in denen sich innerhalb weniger Tage bis zu 400 Sporen entwickeln können, die immer neue Getreidepflanzen befallen. Gegen Ende der Vegetationsperiode, also im Herbst, erscheint dann auf den Getreidepflanzen die letzte Sporengeneration: die schwarzen, dickwandigen Wintersporen, die auf dem Acker überwintern und erst im nächsten Frühjahr auskeimen.

Welche Pilze können Bäumen gefährlich werden?

Beispielsweise die Porlinge, die auch als Baumschwämme bekannt sind. Unter ihnen gibt es gefürchtete Parasiten, die in Wäldern und Obstplantagen große Schäden anrichten können und u. a. die Braun- oder Weißfäule verursachen. Ihre harten korkigen oder ledrigen Fruchtkörper können sehr unterschiedlich geformt sein: flach und einer Kruste ähnlich, konsolenförmig am Stamm wachsend, schmal wie ein Blatt, mit einem Stiel versehen oder dachziegelartig übereinander stehend. Sie sitzen manchmal mehrere Jahre an einem Stamm.

Porlinge leben oft in einer engen Gemeinschaft mit bestimmten Baumarten. So wächst der Birkenporling (Piptoporus betulinus) nur an Birken. Er verursacht Braunfäule, die das Holz braun färbt und faulen lässt, bis die kranken Bäume schließlich brechen. Der Wurzelschichtporling (Heterobasidion annosum) ist ein gefürchteter Forstschädling, der Fichten befällt. Er dringt vom Boden aus in die Wurzeln der Bäume und wächst dann in den Stamm ein; schließlich stirbt die Fichte ab. In Monokulturen kann er großen Schaden anrichten. Lärchen, Tannen und Fichten sind die Wirtsbäume des Lärchenschwamms (Lariciformes officinalis). – Die Indianer Nordamerikas und die ersten weißen Siedler nutzten ihn medizinisch als Chininersatz.

Wussten Sie, dass …

es unter den Porlingen auch Speisepilze gibt? Beispielsweise kann man den Gelben Schwefelporling (Laetiporus sulphureus) und den Schuppigen Porling (Polyporus squamosus) essen, allerdings nur in jungem Zustand.

Was befallen Brandpilze?

Vor allem Gräser und damit auch Getreide. Brandpilze infizieren die jungen Pflänzchen ihrer Wirte, um dann deren gesamtes Gewebe zu durchwuchern. Die Hyphen wachsen dabei in bestimmte, für die jeweilige Brandpilz-Art typische Organe und bilden dort sehr schnell unzählige Brandsporen, die der befallenen Pflanze das typische »verbrannte« Aussehen verleihen. Die Poren der Brandpilze werden durch den Wind, ja sogar bei der Ernte verbreitet und können sehr viel später, wenn in ihrer Nähe wieder die richtige Wirtspflanze angebaut wird, erneut auskeimen und einen kleinen Sämling befallen.

Zu den bekanntesten Vertretern der Brandpilze gehören der Haferflugbrand (Ustilago avenae), der früher in den großen Monokulturen Nordamerikas manchmal Ernteeinbußen von bis zu 90 Prozent verursachte, und der Maisbeulenbrand (Ustilago maydis); gelangt er ins Viehfutter, soll er Aborte bei Rindern und Schweinen hervorrufen.

Flechten: Gemeinsam sind wir stark

Weshalb sind Flechten Doppelwesen?

Weil sie aus zwei verschiedenen Organismen bestehen – aus Pilz und Alge oder, seltener, Cyanobakterium. Ihre Doppelnatur sieht man der Flechte nicht an, dem Anschein nach hält man sie zweifelsfrei für einen neuen Organismus. Erst ein Blick durch das Mikroskop lässt die Pilzfäden und die darin eingelagerten Algen erkennen. Alge und Pilz bilden als Flechte eine Lebensgemeinschaft zum gegenseitigen Nutzen – Symbiose genannt –, die nicht zuletzt ob ihres perfekten Zusammenspiels im Tier- und Pflanzenreich ihresgleichen sucht.

Bei einer Symbiose aus so unterschiedlichen Lebewesen stellt sich die Frage nach der systematischen Zugehörigkeit des neuen Organismus. Da die symbiotische Lebensgemeinschaft mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist, hat man Flechten bis vor rund 100 Jahren für Pflanzen gehalten. Seit aber ihr Charakter als Doppelwesen aufgedeckt ist, werden Flechten als sog. lichenisierte Pilze (nach engl. »lichen«, Flechte) den Pilzen zugeordnet. Für die Form des Vegetationskörpers, der als Thallus bezeichnet wird, zeichnet einer der »Partner« verantwortlich: Bei den Gallertflechten beispielsweise bestimmt das Cyanobakterium die Form der Flechte. Ist dagegen eine Alge Partner des Pilzes, entscheidet der Pilz über die Form.

Wie wird das Alter einer Flechte bestimmt?

Mithilfe einer anderen Flechte der gleichen Art, die als Referenzorganismus dient. Deren Größenzunahme wird unter kontrollierten Bedingungen regelmäßig erfasst und aus den Werten mehrerer Jahre wird das durchschnittliche Wachstum berechnet. Jetzt weiß man, um wie viele Millimeter die Flechte zukünftig jedes Jahr wächst und auch in der Vergangenheit bereits gewachsen ist. Die Größe des Flechtenthallus gibt also Auskunft über das Alter der Flechte.

Wie alt können Flechten werden?

Flechten wachsen sehr langsam, dafür können jedoch einige von ihnen, insbesondere bestimmte Krustenflechten, ein ungewöhnlich hohes Alter erreichen. In der Negev-Wüste in Israel wurden 500 Jahre alte Exemplare der Schönflechte Caloplaca aurantia gefunden. Wahrscheinlich sind sie die ältesten lebenden Organismen in diesem Gebiet. In Europa leben die ältesten Krustenflechten in den Alpen. Auf hartem Silikatgestein und in ungestörter Lage konnten sie schon weit über 1000 Jahre lang wachsen. Besonders alte Exemplare entdeckte man in den Polregionen. Einige Thalli von Krustenflechten in der Antarktis sind 4500 Jahre alt. Im schwedischen Lappland soll ein Thallus der Art Rhizocarpon alpicola sogar 9000 Jahre alt gewesen sein. Unschlagbar ist jedoch die Rentierflechte, gilt sie doch als unsterblich, da ihre Flechtenspitzen ständig weiterwachsen, während der untere Teil abstirbt und verrottet.

Wie zeigen Flechten die Luftgüte an?

Durch ihre Verbreitung, die außer von klimatischen Bedingungen auch von der Schadstoffbelastung der Luft abhängig ist. Auf Letztere reagieren Flechten mit einer eindeutigen Veränderung ihrer Lebensfunktionen. Seit mehr als 100 Jahren werden deshalb Flechten, die auf Rinden siedeln, als sog. Zeiger bzw. Bioindikatoren für Luftverunreinigungen in einem bestimmten Gebiet genutzt.

Die symbiotische Lebensgemeinschaft von Pilz und Alge basiert auf einem fein eingestellten Gleichgewicht verschiedener Faktoren, das für Störungen äußerst anfällig ist. So decken Flechten beispielsweise ihren Nährsalzbedarf dadurch, dass sie die im Regenwasser in geringer Konzentration enthaltenen Nährsalzionen anreichern; dabei verbleiben auch giftige Spurenelemente im Flechtenkörper. Im Laufe eines langen Flechtenlebens häufen sich auf diese Weise immer mehr Giftstoffe an, bis der Organismus schließlich daran zugrunde geht.

Nicht alle Flechten sind gleich empfindlich gegenüber Luftschadstoffen. Diese Erkenntnis machen sich zwei unterschiedliche Bioindikationsverfahren zunutze, die helfen sollen, die Luftqualität etwa in Städten zu beurteilen. Grundlage des Flechten-Kartierungsverfahrens ist der natürliche Flechtenbewuchs von Bäumen im untersuchten Gebiet. Ausgewertet werden Flechten, die in Mitteleuropa noch relativ häufig sind: die sehr empfindliche Evernia prunastri sowie die mittelempfindlichen Parmelia exasperatula und Hypogymnia physodes. Bei sehr geringer Luftbelastung sind diese Flechtenarten in einem konstanten Verhältnis zueinander vertreten. Mit zunehmender Belastung gehen die unterschiedlichen Arten verschieden stark zurück bzw. verschwinden nacheinander ganz. Beim Flechten-Expositionsverfahren wird eine mittelempfindliche Flechtenart aus einem Gebiet mit geringer Schadstoffbelastung entnommen und im untersuchten Gebiet ausgesetzt. Nach einer gewissen Zeit werden dann die Art und das Ausmaß der Schädigung bestimmt und daraus wird auf die Luftbelastung dieser Region geschlossen.

Wussten Sie, dass …

Flechten als Heilmittel dienen? Seit alters her ist Isländisch Moos (Cetraria islandica) ein wirksames Mittel gegen Atemwegserkrankungen, denn es enthält viele Schleimstoffe und fördert die Durchblutung der Schleimhäute.

man mit Flechten färben kann? Schon um 1500 v. Chr. gewannen die Phönizier aus Färberflechten der Gattung Roccella den purpurfarbenen Farbstoff »Orseille«; bis ins 19. Jahrhundert handelte man weltweit mit Färberflechten.

Wer ernährt sich hauptsächlich von Flechten?

Die frei lebenden Rentiere, für die Rentierflechten – insbesondere die Arten Cladonia rangiferina, Cladonia stellaris und Cladonia arbuscula – die wichtigste Nahrungsquelle darstellen und die vor allem in den Wintermonaten unersetzlich sind. Die Tiere nutzen die Samen und weiden nur die obersten drei Zentimeter ab, so dass die Flechten sich wieder regenerieren können. Zwar ist der Nährwert der Flechten recht gering, doch werden die Kohlenhydrate mithilfe des Enzyms Lichenase im Magen und im Pansen der Rentiere optimal aufgespalten, so dass sie gut verwertbar sind. Ein Rentier benötigt pro Tag rund zwei Kilogramm Trockenmasse an Flechten, das entspricht einer Fläche von zwölf Quadratmetern, weswegen die Tiere ständig auf der Wanderschaft sind und riesige Strecken zurücklegen.

Übrigens: Die Bartflechte Bryoria fuscescens kann auch der Mensch essen. Sie wurde früher zu Brot und Zwieback oder auch Suppe verarbeitet.

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