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Rabelais' Gargantua und Pantagruel: Zwei Riesen auf Abwegen

Was wird im ersten Band erzählt?

Herkunft, Geburt, Erziehung und Waffentaten des riesenhaften Helden Pantagruel werden im 1532 erschienenen ersten Band von »Gargantua und Pantagruel« des François Rabelais geschildert. Der Name Pantagruel ist einem Teufelchen der spätmittelalterlichen Mysterienspiele entlehnt: Es streute Schlafenden Salz auf die Zunge, damit sie durstig erwachten. Ein kongenialer Gefährte erwächst Pantagruel in Panurge, einem »Tunichtgut, Falschspieler, Zechbruder … im Übrigen aber der beste Mensch auf der Welt«.

Was für ein Charakter ist Gargantua?

Die Geschichte von Pantagruels Vater Gargantua wird im zweiten Teil erzählt, der 1534 erschien und heutigen Ausgaben vorangestellt ist. Ob es daran liegt, dass er mit Wein statt mit Milch gesäugt wurde? Jedenfalls benimmt sich Gargantua gern daneben, ersinnt als Student unterhaltsame Spiele, tut sich im Krieg hervor und belohnt seinen besten Mitstreiter mit der Stiftung eines Klosters, in dem die Ordensregel »Tu, was du willst« gilt.

Wie geht es in den Bänden drei bis fünf weiter?

Der dritte Band (1546) beleuchtet in teils abstrusen Kommentaren die Schwierigkeit, die richtige Frau zu finden. Aussicht auf eine Problemlösung bietet das Orakel der »Göttlichen Flasche«, zu dem Pantagruel und seine Entourage sich im vierten Buch (1552) aufmachen. In der von zahlreichen Eskapaden und Exkursen unterbrochenen, letztlich erfolglosen Schiffsreise persifliert Rabelais das mittelalterliche Motiv der Gralssuche und gelangt dabei zu wahren Kabinettstücken der Erzählphantasie. Der postum nach Entwürfen des Verfassers vollendete fünfte Band (1564) vernachlässigt endgültig die Handlung zugunsten der Satire, ohne dabei an Rabelais' Brillanz anknüpfen zu können.

Mit welchen Einfällen verblüfft Rabelais?

Das Phantastische mancher Romanepisoden ergibt sich schon aus den gigantischen Körpermaßen Gargantuas und Pantagruels: Nach einer Schlacht streichen sie sich Kanonenkugeln aus dem Haar, sie verheeren mit einem Darmwind ganze Landstriche oder erledigen mit einem einzigen Schlag 600 Reiter.

Anatomisch exakt beschreibt der medizinisch beschlagene Autor aber auch die »Reparatur« eines Enthaupteten und geißelt in aberwitzigen Szenen Justizwillkür, etwa die Urteilsfindung durch Würfeln, und die Absurditäten scholastischer Gelehrsamkeit.

Zur Lieblingslektüre Pantagruels zählt der »Beschluss der Pariser Universität über die Busenfreiheit der Frauenzimmer« – nur ein Titel in einer Liste imaginärer Bücher, mit der Rabelais den Leser verblüfft, wie andernorts mit der detailierten Schilderung eines Narren oder der Auflistung dutzender Köche mit kuriosen Namen bei der Zubereitung einer Sau.

Worin zeigt sich das Sprachgenie Rabelais'?

Seine Sprachkunst besticht durch Wortschöpfungen und poetische Erfindungsgabe, wie in der Szene aus Pantagruels Schiffsreise, als man am Rande des Eismeers auf den gefrorenen Schlachtenlärm einer vergangenen Epoche stößt: »Pantagruel warf uns ein paar Hände voll gefrorener Worte aufs Deck. Sie sahen ganz wie bunt gefärbte Zuckerkügelchen aus. Es waren rote, grüne, azurblaue, sandfarbene, auch vergoldete Worte, und nachdem wir sie wie Schnee in den Händen hatten auftauen lassen, vernahmen wir sie auch, verstanden sie aber nicht, denn sie waren alle aus einer barbarischen Sprache.«

Wird in der Geschichte viel gegessen?

Die Gefräßigkeit der Riesen ist ebenso groß wie sie selbst. So verspeist Gargantua mit einem Salat versehentlich auch mehrere Pilger, einem »bauchmächtigen Gott« wird ein Opfer-Menü von hundert Gängen gebracht, eine Insel wird komplett von Würsten bewohnt.

Wie wurde Rabelais zum Geistesriesen der französischen Renaissance?

Der Advokatensohn François Rabelais – um 1494 geboren bei Chinon, 1553 gestorben in Paris – war zunächst Franziskanermönch, dann Benediktiner, später Weltgeistlicher. Er studierte Theologie in Paris und Medizin an der Universität von Montpellier. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit wirkte er als Arzt, unter anderem in Lyon. Erst in seinen letzten Lebensjahren kam er als Inhaber einer Pfarrei nahe Paris zur Ruhe. Denn wie viele Intellektuelle seiner Zeit pflegte Rabelais den unruhigen Lebensstil der Vaganten. Dank seiner losen Zunge und seines satirischen Werks stand es um den Ruf des hochgebildeten Humanisten nicht zum Besten. Mehrmals wurde er der Ketzerei bezichtigt. Doch sein königlicher Förderer Franz I. von Frankreich (Reg. 1515-1547) hielt seine schützende Hand über ihn.

Wussten Sie, dass …

noch heute maßloses Schlemmen als »gargantuesk« bezeichnet wird?

sich der Gourmet und Gourmand Balzac, der wie Rabelais der fruchtbaren Touraine entstammte, sich sicher nicht zufällig als Wesensverwandter Gargantuas empfand?

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