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Wahlsystem

das Verfahren, mittels dessen die Wähler bei Wahlen ihren politischen Willen in Wählerstimmen ausdrücken und Stimmenzahlen zur Herbeiführung einer Wahlentscheidung verwertet werden, bei Parlamentswahlen die Übertragung von Stimmen in Mandate. Wahlsysteme regeln den gesamten Wahlprozess von der Wahlbewerbung bis zum endgültigen Wahlergebnis. Sie umschließen die Form der Kandidatur (Listenwahl), das Stimmgebungsverfahren und das Stimmenverrechnungsverfahren.
Grundsätzlich lassen sich die Wahlsysteme nach Mehrheitswahl und Verhältniswahl unterscheiden. Es ist zu fragen, ob ein Wahlsystem eine möglichst spiegelbildliche Wiedergabe des politischen Willens der Wählerschaft anstrebt (Proportionalität) oder herbeiführt oder die Bildung (partei-)politischer Mehrheiten fördert oder gewährleistet. Die so gekennzeichneten Auswirkungen von Wahlsystemen betreffen die Repräsentationsprinzipien, die der Wahl von Parlamenten zugrunde liegen können.
Mehrheitswahlsysteme, in denen der Entscheidungsmaßstab der Mehrheit angewandt wird, sind: 1. die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, nach der namentlich im angelsächsischen Bereich (Großbritannien, USA) gewählt wird. Gewählt ist dabei, wer im Wahlkreis die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann. 2. die absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen mit Stichwahl zwischen den zwei stimmstärksten Kandidaten des ersten Wahlgangs (Wahlsystem Frankreichs bei der Wahl zur Nationalversammlung und des Präsidenten). Gewählt ist dabei, wer mehr als die Hälfte der Stimmen erhält. In der Regel führt die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen zur Konzentration des Wählerverhaltens, zum Zweiparteiensystem und zu stabilen Regierungsmehrheiten (Beispiel: Großbritannien), während die absolute Mehrheitswahl zumeist mit einer Parteienvielfalt und Regierungsinstabilität verbunden ist (Beispiel: Frankreich, III. Republik) und nicht notwendigerweise mehrheitsbildend wirkt. Diesen Wahlsystemen sind die sog. mehrheitsbildenden Wahlsysteme hinzuzufügen, die meist ähnliche Auswirkungen zeigen wie die relative Mehrheitswahl, jedoch den Entscheidungsmaßstab der Verhältniswahl anwenden (Wahl in kleinen Wahlkreisen).
Verhältniswahlsysteme führen in jedem Fall zu einem möglichst exakten Verhältnis von Stimmen und Mandaten; dies fördert in der Praxis die Repräsentation vieler Meinungen und Gruppen im Parlament, die Parteienvielfalt, woraus sich ein Vielparteiensystem und möglicherweise labile (oder immobile) Koalitionsregierungen ergeben (Beispiele: Weimarer Republik, Italien).
Das Wahlsystem zum deutschen Bundestag, die „personalisierte Verhältniswahl“, ist ein System der Verhältniswahl, in dem der Entscheidungsmaßstab der Mehrheitswahl mit dem Repräsentationsprinzip der Verhältniswahl verbunden ist; das ausschlaggebende Element bildet jedoch der Proporz. Der Bundestag hat eine Grundmandatszahl von 598 Abgeordneten; hinzu kommen mögliche Überhangmandate (2005 insgesamt 614 Mandate). Deutschland ist in 299 Einerwahlkreise eingeteilt; jeder Wähler verfügt über zwei Stimmen, eine Erststimme zur Wahl eines Kandidaten im Wahlkreis nach relativer Mehrheitswahl (Direkt-, auch Wahlkreismandat genannt) und eine Zweitstimme zur Wahl einer starren Parteiliste auf Länderebene. Maßgebend für die Mandatszahlen der Parteien im Bundestag ist unabhängig von der Wahl in den 299 Wahlkreisen das Ergebnis der abgegebenen gültigen Zweitstimmen, wobei die Gesamtzahl der 598 Bundestagsmandate den Parteien proportional zu ihrem Anteil an den Zweitstimmen zuerkannt wird. Berücksichtigt werden mit Ausnahme von Parteien nationaler Minderheiten aufgrund der Sperrklausel nur die Parteien, die im gesamten Wahlgebiet 5% der gültigen Zweitstimmen erhalten oder 3 Direktmandate gewonnen haben. Für die Wahl zum 12. Deutschen Bundestag galt eine getrennte 5%-Sperrklausel in Ost und West.
Die Mandatsvergabe an die Parteien erfolgt in zwei Phasen: Zunächst werden im Wahlgebiet alle auf die Landeslisten entfallenen Zweitstimmen addiert und nach dieser Gesamtstimmenzahl unter Verwendung des Verfahrens Hare-Niemeyer (bis 1983 des dHondtschen Verfahrens) die Mandatszahlen der Parteien im Bundestag ermittelt. Bei erneuter Verrechnung nach der Methode Hare-Niemeyer werden die den Parteien zugesprochenen Mandate auf deren einzelne Landeslisten verteilt. Sodann erfolgt die Mandatsverteilung auf die Kandidaten; die im Wahlkreis errungenen Mandate werden von der im Land erhaltenen Mandatszahl abgezogen, die restlichen Mandate den Bewerbern zuerkannt, die auf der Liste am besten platziert sind. Hat eine Partei mehr Direktmandate gewonnen, als ihr Mandate auf Länderebene zustehen, so bleiben ihr diese Überhangmandate erhalten; für die anderen Parteien findet dabei kein proportionaler Ausgleich statt (anders bei einigen Landtagswahlen).
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