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Mendelssohns Sommernachtstraum: Liebeshändel im Elfenreich

Was inspirierte den »Sommernachtstraum«?

Die Fantasie des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847) entzündete sich an Shakespeares gleichnamigem romantisch-poetischen Märchenspiel, das drei völlig verschiedene Personenkreise genial miteinander verzahnt: die mythologisch-höfische Gesellschaft Athens mit ihren Liebesverstrickungen, die burleske Welt der Handwerker mit ihrem Rüpelspiel, das sich unfreiwillig als Persiflage auf das Pathos der Tragödie entpuppt und das Elfenreich des entzweiten Königspaars Oberon und Titania mitsamt dem Kobold Puck, von dem aus alle Irrungen und Wirrungen gesteuert werden, die den athenischen Liebespaaren und den täppischen Handwerkern zu schaffen machen.

Die Konzertouvertüre zu Shakespeares »Sommernachtstraum« von Mendelssohn-Bartholdy wurde am 20. Februar 1827 in Stettin uraufgeführt, komponiert hatte er sie zwischen dem 8. Juli und dem 6. August 1826.

Wie wird die romantische Zauberwelt in die Musik übertragen?

Die einleitenden vier Bläserakkorde geben dem Werk gleichsam die Fassung, denn sie durchziehen es als Leitmotiv, das später in den Elfen- und Rüpelszenen der Schauspielmusik wieder aufgenommen wird. Das Leitmotiv führt in jene flirrende Traumwelt des Elfenreichs, die in ihrer atmosphärischen Verdichtung Shakespeares Poesie zum Klingen bringt. Höfischer Festtagsglanz, Liebesleidenschaft und burleske Derbheit setzen dazu wirkungsvolle Kontraste. Alle Assoziationen, die sich mit einem romantischen Sommernachtstraum in Verbindung bringen lassen, werden in dieser Ouvertüre musikalisch eingelöst. Dies ist nicht nur der hohen Integrationskraft des Themenmaterials zu verdanken, sondern auch der ungemeinen Transparenz der Orchestrierung.

Ist die Umsetzung im Sinne Shakespeares?

Was die Leichtigkeit angeht sicherlich, aber Grazie, Humor und Ironie verdrängen auch das Abgründige, das in Shakespeares Komödie ebenso enthalten ist. Denn wo ein Labyrinth von Missverständnissen die Gefühle Kapriolen schlagen lässt, da ist auch der Zweifel nicht fern. Ist nicht dieses ganze Durcheinander der Liebe eine Narrheit? Shakespeare nimmt in seinem »Midsummer Night's Dream« den lächelnden Pessimismus vorweg, den Mozart später in seinem »Così fan tutte« auskomponieren wird. Dem jungen Mendelssohn freilich bleiben die Abgründe des Liebeswahns fremd. Im Kosmos seines »Sommernachtstraums« blitzt allenfalls Melancholie auf, doch nur für einen Augenblick, um rasch wieder in den magischen Charme der Heiterkeit zu wechseln.

War der »Sommernachtstraum« ein großer Erfolg?

Ja. Das Stück war ein Volltreffer, bald ein Welterfolg, dem auch Musiker den Beifall nicht versagten, die das jugendliche Genie mit Skepsis beobachteten. Als Felix Mendelssohn Bartholdy am 14. Oktober 1843 im Neuen Palais in Potsdam seine um zwölf Nummern erweiterte Schauspielmusik zum »Sommernachtstraum« vorstellte – der Komponist stand selbst am Dirigentenpult –, durfte man auf eine Fortsetzung dieser Erfolgsgeschichte gespannt sein. Das Publikum wurde nicht enttäuscht. Der 34-Jährige hatte sich den jugendlichen Elan des 17-Jährigen bewahrt.

Was sind die Highlights in der Ouvertüre?

Scherzo, Intermezzo, Nocturne, Hochzeitsmarsch und Rüpeltanz wurden rasch so populär, dass sie bald in allen möglichen und unmöglichen Bearbeitungen ein Eigenleben zu entwickeln begannen. Sie überzeugen als Stimmungsbilder der Szene gleichermaßen wie als autonome, für sich stehende Musikstücke. Unterstützt wird diese Autonomie durch die Geschlossenheit der Form. Dem Scherzo liegt die Sonatenform zugrunde; Nocturne und Hochzeitsmarsch orientieren sich an der dreiteiligen Liedform; der Rüpeltanz ist eine Bergamasca; das Intermezzo verarbeitet seine Motive in der Art von Echos, dem ein parodistischer Nachttanz folgt. Und der erste Elfenchor entzückt außerdem mit einer so delikaten Instrumentierung, dass man glauben könnte, der Komponist gäbe diesem Musikgemälde eine pointillistische Struktur.

Wussten Sie, dass …

kein Komponist – auch nicht das Wunderkind Mozart – je mit einem Orchesterwerk eine so frühreife Meisterschaft bewiesen hat wie der 17-jährige Felix Mendelssohn-Bartholdy mit seiner Ouvertüre zu Shakespeares »Sommernachtstraum«?

die Liste maßgeblicher Shakespeare-Übersetzer zu Mendelssohns Zeiten mit Lessing, Herder, Schiller, Wieland prominent besetzt war? Populär wurden Shakespeares Dramen in Deutschland aber erst durch August Wilhelm Schlegel und Ludwig Tieck – von deren sprachvirtuoser Übertragung sich auch Mendelssohn inspirieren ließ.

Wie verlief die Wunderkind-Karriere von Felix Mendelssohn-Bartholdy?

Der Erfolg blieb dem am 3. Februar 1809 in Hamburg geborenen Felix Mendelssohn-Bartholdy zeit seines kurzen Lebens treu. Seine Begabung wurde von seiner musisch gebildeten, großbürgerlichen Familie, die 1811 nach Berlin übersiedelte, früh gefördert. Bereits mit elf Jahren begann er zu komponieren. 1825 reiste er mit seinem Vater nach Paris, die erste seiner zahlreichen Reisen in die europäischen Musikzentren. 1826 komponiert er die Ouvertüre zum Sommernachtstraum. 1829 reiste er nach London, im Jahr darauf nach Rom und Paris, wo er engen Kontakt zu Chopin und Liszt hatte. 1841 berief ihn König Friedrich Wilhelm IV. als Kapellmeister nach Berlin, 1842 wurde er Preußischer Generalmusikdirektor. Er starb am 4. November 1847 in Leipzig, wo er dem Gewandhaus vorstand.

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