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Urlaubstrend Wwoofing – Farmer für einen Tag
„Meine Familie bewirtschaftete einen kleinen ökologischen Gemüsebauernhof, auf dem mehrmals in der Woche auch Programme für Demenzkranke und Schüler angeboten wurden. Vor allem mit letzteren hatte ich neben der Hofarbeit zu tun, da ich sie beim Kochen von Gerichten aus ökologischen Produkten beaufsichtigte. Hauptsächlich arbeitete ich jedoch im Garten und auf den Feldern, wo ich säte, pflanzte, Hecken und Gras beschnitt und jede Menge Unkraut jätete“, berichtet etwa der 20-jährige Roja aus Bingen über seinem Aufenthalt auf einem norwegischen Bauernhof.
Roja ist mit seinem abwechslungsreichen Abenteuer auf dem Bio-Bauernhof in Nordeuropa nicht allein – laut der Webseite Wwoof.net helfen jährlich etwa 75.000 Menschen aller Altersstufen auf Farmen in über 100 Ländern aus. Das Kürzel steht für „World-Wide Opportunities on Organic Farms”, zu Deutsch „Weltweite Möglichkeiten auf organischen Bauernhöfen“. Es beschreibt ein Netzwerk, das freiwillige Helfer mit Bio-Bauernhöfen oder Selbstvorsorgehöfen vermittelt. Diese jäten dann Unkraut in Sri Lanka, melken Kühe in Kanada oder scheren Alpakas in Österreich.
Londoner Sekretärin war erste Wwooferin
Die weltweit erste Wwooferin war die Londoner Sekretärin und Akkordeonspielerin Sue Coppard. 1971 wünschte sich die junge Frau nichts sehnlicher, als der Stadt zu entfliehen und zumindest zeitweise am Leben auf dem Land teilhaben zu können. Ihre Idee: Wenn sie auf einem Hof mithilft, kann sie in der Zeit vielleicht auch dort wohnen. Sie gibt eine Zeitungsannonce auf. „Mithilfe eines Kontakts am landwirtschaftlichen Emerson College organisierte ich ein Probewochenende, das ich in Time Out als „Working Weekends on Organic Farms“ ankündigte“, berichtet Coppard auf der Reisewebseite petergreenberg.
Und tatsächlich: Am Ende helfen sie und zwei weitere Leute ein Wochenende lang in Sussex an einer anthroposophischen Landbau-Schule – sie befreien dort ein Feld von rankenden Brombeeren und legen einen Bachlauf frei. „Nach einem brillanten Wochenende, an dem wir etwas taten, was ich nur als ländliche Hausarbeit beschreiben kann, sagten die Bauern zu uns: „Ja, das habt ihr gut gemacht, wollt ihr noch ein Wochenende machen?“ So begann alles“, erzählt die ehemalige Sekretärin weiter.
Mit der Zeit verbreitet sich die Idee dann auf der ganzen Welt – allein in Deutschland waren im Februar 2015 mehr als 400 Höfe der Organisation angeschlossen.

Füttern, Unkraut jäten oder Brotbacken
Was Coppard damals per Zeitungsanzeige klärte, regelt heute das Internet: Um sich eine Farm zum Mithelfen vermitteln zu lassen, schließt man auf der Webseite Wwoof.net eine Mitgliedschaft ab. Diese kostet etwa 25 Euro jährlich. Dann kann die Planung schon starten: Freiwillige können sich ein eigenes Profil anlegen und dann ganz bequem auf Arbeitsangebote von Farmen warten. Wer konkretere Vorstellungen oder Wünsche hat, also etwa Pferdeausflüge in der Mongolei machen will oder schon immer Wein in Italien ernten wollte, kann auf der Webseite außerdem explizit danach suchen.
Auf den meisten Bauernhöfen helfen die Freiwilligen etwa vier bis sechs Stunden am Tag aus. Diese Aufgaben sind vielfältig: Die Freiwilligen helfen etwa beim Säen von Saatgut, bei der Gartenarbeit, beim Ernten, beim Füttern, beim Zäunen, der Weinherstellung, beim Käsen oder beim Brotbacken. Auch die Freizeit der Helfenden gestaltet sich unterschiedlich: Auf einigen Höfen gibt es noch andere Freiwillige, mit denen man viel Zeit verbringen kann. Andere Farmen stellen nur einzelne Leute an, aber geben viel Freiraum. „Mein Chef war in Sachen Arbeitszeit sehr kulant und hat mir auch mehrere Tage freigegeben. So hatte ich die Möglichkeit, die Umgebung zu erkunden und auch weitere Ausflüge zu unternehmen“, berichtet Michael auf der Seite TravelWorks.
Gute Absprachen für einen gelungenen Aufenthalt
Der Dank für den Arbeitseinsatz der hoffentlich motivierten Freiwilligen: Ein Dach über dem Kopf und kostenlose Verpflegung. Doch während einige Gäste über eine lustige Nacht im Heustall berichten, schlafen andere im bequemen Himmelbett. Alles kein Problem – solange man es vorher weiß. Aus genau diesem Grund lautet Tipp Nummer eins auf der offiziellen Wwoofing-Webseite vermutlich auch „Kommunikation“ - „Versucht im Vorfeld einige E-Mails auszutauschen. So könnt ihr euch ein genaueres Bild von dem Gastgeber machen.“
Und dieser Tipp gilt laut Webseite nicht nur für Unterkunft und Verpflegung, sondern auch für die konkreten Aufgaben, die man auf dem Bauernhof übernehmen will. Andernfalls können Erwartungen enttäuscht werden. „Ich wollte auf einer Alpaka-Farm helfen. Wirklich viel mit den Alpakas hatte ich jedoch nicht zu tun. Denn die Familie hielt die Tiere nur als Hobby und ganz ehrlich: Die sind pflegeleichter als ein Hund. Das heißt, meine Arbeitszeit habe ich mit viel Garten- und Hausarbeit verbracht“, berichtet beispielsweise Julian auf Projekt Neuseeland.de.

Wundervolle Erfahrungen, aber auch Risiken
Ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko beim Wwoofen ist die sexuelle Belästigung der Freiwilligen. „Von Mädchen, die in der Nacht aus abgeschlossenen Räumen ausbrechen mussten, im Funkloch festsaßen und Farmern, die damit geprahlt haben, wie viele Wwooferinnen sie schon ins Bett bekommen haben“ berichtet Julian die Schauergeschichten, die sie von Bekannten gehört hat. Deshalb ist laut den Veranstaltern vor allem für junge Frauen Vorsicht geboten.
Doch es gibt auch zahlreiche positive Erfahrungsberichte von jungen Frauen, die etwa auf dem Bauernhof von alleinstehenden Männern mitarbeiteten. So auch von Julian selber. Als ein Milchbauer ihr einen Job auf seiner Farm anbietet, zögert sie erst. „Die unzähligen, positiven Feedbacks des Farmers – wo von Pärchen, Freunden, bis zu Singles jeden Geschlechts alles dabei war – habe ich mich dazu entschlossen, es zu versuchen“, berichtet sie – und hat eine gute Zeit auf dem Bauernhof.
Kostenloses Reisen und kultureller Austausch
Doch wenn man weiß, was auf einen zukommt, was die Risiken sind und wie man sie umgeht, lassen sich die Sonnenseiten des Wwoofens in vollen Zügen genießen. Nicht nur ist der Aufenthalt kostenlos, er birgt auch Potenzial für vielseitigen kulturellen Austausch und neue Erfahrungen. Ähnlich wie Work and Travel, Au-Pair-Aufenthalte oder ein Freiwilliges Soziales Jahr lernen auch Woofende während ihren Aufenthalten viel dazu, erweitern ihren Horizont und lernen neue Perspektiven auf die Welt kennen.
„Neben der landwirtschaftlichen Erfahrung bietet Wwoof eine Ausbildung im ländlichen Leben, Kontakt mit Natur und Tieren, Zugang zu einer wunderschönen Landschaft, körperliche Betätigung, Freundschaften mit Menschen aus vielen verschiedenen Kulturen und Nationalitäten und die Möglichkeit, andere Lebensweisen, Regionen oder Kontinente kennenzulernen“, fasst die Gründerin Coppard gegenüber petergreenbergworldwide zusammen.