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Die Wannsee-Konferenz (Podcast 169)

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Auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 in Berlin beschließen fünfzehn ranghohe Nazis die “Endlösung der Judenfrage”. Ziel ist es, alle europäischen Juden systematisch zu ermorden. Im Speisezimmer einer großbürgerlichen Villa wird unter Führung des SS-Gruppenführers Reinhard Heydrich quasi beim Frühstück die Vernichtung der Juden vorangetrieben. Im Beamtendeutsch legt das Protokoll der Sitzung offen, mit welcher Eiseskälte und Unbarmherzigkeit vorgegangen wird. wissen.de-Autor Kai Jürgens erzählt die Geschichte der Wannseekonferenz.

 

Eine Villa in Berlin

Berlin im Januar 1942. Im Südwesten der Stadt, im vornehmen Stadtteil Wannsee, ist wenig davon zu spüren, dass Hitlerdeutschland seit September 1939 einen Angriffskrieg führt. Prachtvolle Villen inmitten parkartiger Anlagen künden von einem gehobenen Lebensstil. Die Adresse "Am Großen Wannsee 56–58“ ist ein besonders eindrucksvoller Bau. Entworfen von dem Architekten Paul Baumgarten, dient das repräsentative Gebäude seit 1941 als Gästehaus der Sicherheitspolizei und des "Sicherheitsdienstes“ SD, dem Geheimdienst der "Schutzstaffel“ SS. Am 20. Januar kommen im großbürgerlichen Ambiente des Speisezimmers fünfzehn hohe Beamte zusammen, darunter der Jurist Dr. Roland Freisler, der noch im gleichen Jahr zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt werden wird, und der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann. Der 1906 geborene Eichmann ist eine zentrale Figur. Gabriel Bach, der stellvertretende Ankläger im Eichmann-Prozess in Jerusalem wird später über ihn sagen: "Wenn ich ihm auf der Straße begegnet wäre, wäre er mir wohl nicht aufgefallen. Aber ein intelligenter Mann. Und wenn ihm etwas nicht passte, wurde sein Blick ungemein aggressiv." Seit März 1941 untersteht dem sprichwörtlich gewordenen "Schreibtischtäter“ im Reichssicherheitshauptamt ein eigenes Referat, das zur Gestapo gehört, und das sich mit der Deportation und Ermordung der Juden befasst. In den folgenden Jahren wird Eichmann als einer der Hauptverantwortlichen für die Shoah in die Geschichte eingehen. Dies gilt ebenso für Reinhard Heydrich, über den der Historiker Robert Gerwath sagt: "Abstoßend ist an der Figur Heydrichs nach 1931 eigentlich alles, vor allem aber seine antrainierte Kälte.“ Der SS-Obergruppenführer ist bereits im Juli 1941 von Hermann Göring beauftragt worden, "die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigsten Lösung zuzuführen“. Dazu gehört, alle erforderlichen Vorbereitungen "für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa" zu treffen. Und genau um diese Vorbereitungen geht es auf der Wannseekonferenz – bei der die Vernichtung der Juden nicht beschlossen, aber maßgeblich vorangetrieben wird.

 

Eine mörderische Ideologie

Nationalsozialismus und Antisemitismus sind voneinander nicht zu trennen. Adolf Hitler hat bereits in seiner Schrift Mein Kampf eindeutig dargelegt, wie er über diesen Punkt denkt. Am 31. Januar 1939 spricht er anlässlich des sechsten Jahrestages der sogenannten "Machtergreifung“: "Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“

Spätestens im Herbst 1941 muss es wohl zu jenen Entscheidungen kommen, die unmittelbar in die Katastrophe des Holocaust führen. So notiert Joseph Goebbels anlässlich einer Zusammenkunft im Dezember 1941: "Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlossen, reinen Tisch zu machen“ und Goebbels ergänzt: "Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein.“ Die fatalen Weichen zum Völkermord sind gestellt. Was nun fehlt, ist eine konkrete Ausgestaltung – genau hierin liegt die Absicht jenes Treffens, das nach dem II. Weltkrieg als "Wannseekonferenz“ bezeichnet werden wird. Eine erste Besprechung über die "Endlösung der Judenfrage“ muss kriegsbedingt kurzfristig abgesagt werden.  Doch da "die zur Erörterung stehenden Fragen keinen längeren Aufschub zulassen“, setzt Heydrich einen neuen Termin an und lädt kurz nach dem Jahresende 1941 – Zitat: "zu einer Besprechung mit anschließendem Frühstück zum 20. Januar 1942 um 12.00 Uhr“ ein; mit dem Zusatz: "Der in meinem letzten Einladungsschreiben angeführte Kreis der geladenen Herren bleibt unverändert.“ Dazu zählen Staatssekretäre, SS-Oberführer und SS-Gruppenführer; mehrere promovierte Juristen sind darunter. Das Protokoll obliegt Adolf Eichmann, der zuvor Heydrich mit Material aus seinem Ressort versorgt hat. Das Papier belegt detailliert, wie sich die nationalsozialistische Obrigkeit die "Endlösung“ vorstellt – und mit welcher Radikalität vorgegangen werden soll.

 

Das Protokoll der Wannseekonferenz   

Die Konferenz beginnt mit einem kurzen Referat durch Heydrich, der zunächst seine Zuständigkeit im "Kampf gegen diesen Gegner“ betont und die bisherigen "Bestrebungen“ solchermaßen zusammenfasst, dass es bislang darum gegangen wäre, "auf legale Weise den deutschen Lebensraum von Juden zu säubern“. Dies sei vor allem durch "Auswanderungsforcierung“ geschehen. Doch weiter heißt es: "Anstelle der Auswanderung ist nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten“ – ein Modell, das für rund elf Millionen Juden in Frage kommen soll. Geplant sind harte Arbeitseinsätze. Das Protokoll: "In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“ Überlebende sind nicht eingeplant. Im Zuge der "praktischen Durchführung der Endlösung“ sei es hierbei nötig, Europa vom Westen nach Osten zu 'durchkämmen’; als erste Zwischenstation seien dabei "Durchgangsghettos“ geplant. Juden, die älter als 65 Jahre sind, sollen in ein "Altersghetto“ kommen; hierfür wäre Theresienstadt vorgesehen. Damit nimmt der Plan, alle europäischen Juden zu ermorden, konkrete Gestalt an – und der nationalsozialistische Staatsapparat ist an diesem Vorhaben maßgeblich beteiligt. Nach Debatte verschiedener Detailfragen endet die Besprechung nach rund neunzig Minuten, wobei Heydrich ausdrücklich an die Teilnehmer appelliert, "bei der Durchführung der Lösungsarbeiten entsprechende Unterstützung zu gewähren.“

 

Wannsee und die Folgen

Das Protokoll der Wannseekonferenz umfasst fünfzehn maschinenschriftliche Seiten, wird in einer Auflage von dreißig Exemplaren hergestellt und an Teilnehmer und verschiedene Ministerien versendet. Erhalten bleiben wird nur ein Exemplar, dass der deutsche Jurist Reinhard Kempner 1947 im Zusammenhang mit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen auffindet. 1992 erinnert er sich: "Ich war damals Hauptankläger im so genannten Wilhelmstraßen-Prozeß gegen Minister und Staatssekretäre des Hitler-Regimes. Wie mir aus dem US-Dokumentenzentrum aus Berlin tags zuvor telegraphiert worden war, hatte ich eine Sendung von Akten des Auswärtigen Amts zu erwarten, dessen letzter Chef unter Hitler Joachim von Ribbentrop gewesen war.“ Kempner nimmt mit seinen Mitarbeitern ein "Riesenpaket“ entgegen – und entdeckt das Protokoll. Er erzählt: "Die Übersetzung ins Englische dauerte bis in die Nacht hinein, denn ich mußte den Text meinem Chefankläger, General Telford Taylor vorlegen. 'Ist das denn echt?’ fragte er mich bestürzt, denn er hatte ein solches Protokoll über die Vernichtung der Juden Europas noch nie gesehen.“ Nun gilt es, die Teilnehmer der Konferenz – ihre Namen sind schließlich säuberlich aufgelistet – ausfindig zu machen und zu verhören. Kempner berichtet: "Viele waren in Haft, andere waren ins Ausland geflüchtet, wieder andere hatten Selbstmord begangen“. Doch belangt werden kann kaum einer der Teilnehmer – wo Strafen ausgesprochen werden, haben sie primär mit anderen Verbrechen zu tun. Ein Drittel der Betroffenen hatte den Krieg ohnehin nicht überlebt. Reinhard Heydrich, der auch "Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren“ ist, stirbt noch 1942 an den Folgen eines Attentats, das in der Prager Vorstadt auf ihn verübt wird. Roland Freisler entwickelt sich aufgrund seiner Schauprozesse zum berüchtigtsten Strafrichter im nationalsozialistischen Deutschland, kommt aber wenige Monate vor Kriegsende während eines Bombenangriffs auf Berlin ums Leben. Ausgerechnet Adolf Eichmann jedoch, der an zentraler Stelle für die Ermordung von sechs Millionen Menschen mitverantwortlich ist, kann sich nach dem Untergang des Regimes nach Argentinien absetzen. Im Mai 1960 wird er von Agenten des israelischen Geheimdienstes Mossad aufgespürt und nach Jerusalem gebracht, wo er in einem aufsehenerregenden Prozess zum Tode verurteilt wird. Er stirbt am 31. Mai 1962 durch den Strang.

 

Am Großen Wannsee 56–58 heute

Nach umfangreichen historischen Rekonstruktionsarbeiten kann zum 50. Jahrestag der Wannseekonferenz im Jahr 1992 die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz eröffnet werden, die neben einer Dauerausstellung zu den Ereignissen am 20. Januar 1942 auch eine Bibliothek unterhält, eigene Publikationen herausgibt und Sonderschauen veranstaltet. Ein Trägerverein und ein wissenschaftlicher Beirat unterstützen das Vorhaben. Auf der Homepage heißt es zum Nebeneinander von Architektur und Historie: Die "Rekonstruktion gärtnerischer Idylle steht in einem starken Gegensatz zur historischen Bedeutung des Ortes zu Beginn des Völkermords an den europäischen Juden. Der Gegensatz von Idylle und Horror wird von den Besuchern stark empfunden und oft angesprochen."

 

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