Sie war schön, sie war engagiert, und sie setzte sich für die Rechte der Frauen ein: Evita Perón, die Frau des argentinischen Staatspräsidenten. Bereits zu Lebzeiten bewundert und verklärt, aber auch angefeindet, erhob sie ihr früher Tod endgültig zur Legende – die bis heute fortlebt. Doch was steckt hinter der Musical- und Filmfigur, und wer war die wirkliche Evita Perón? wissen.de unternimmt einen Abstecher in die argentinische Geschichte.
Der junge Offizier und die Schauspielerin
Argentinien befand sich während der 1930er und 1940er Jahre in einer politisch instabilen Phase. Das wirtschaftlich erstarkte Land, das seit 1880 einen Modernisierungsschub durchgemacht hatte, schien konservativen Kräften noch nicht reif für die Demokratie zu sein, weswegen es zu Unregelmäßigkeiten von erheblichem Ausmaß kam. Wahlbetrug war an der Tagesordnung, und kaum eine Regierung jener Jahre kann von sich behaupten, mit wirklich legitimen Mitteln an die Macht gekommen zu sein. 1943 erfolgte ein weiterer Putsch, und das Militär übernahm die Macht. Zu diesem Zeitpunkt gelang es einem jungen Offizier, sich der Sympathie der Arbeiterschaft zu versichern: Der 1895 geborene Juan Perón nutzte seine Tätigkeit im Arbeitsministerium, um eine Reihe von sozialen Reformen auf den Weg zu bringen, die speziell den „Hemdlosen“ half – so nannte man jene, denen nicht einmal „das letzte Hemd“ geblieben war. Dies verlieh Perón schnell enorme Popularität. Da seine Maßnahmen geeignet waren, die Kommunisten und etablierte Gewerkschaften zurückzudrängen, waren zunächst auch die Generäle und Unternehmer zufrieden. Doch Perón fiel in Ungnade, wurde inhaftiert und schließlich nach einer beispiellosen Welle der öffentlichen Unterstützung am 17. Oktober 1945 wieder freigelassen. Damit war der Mythos um Juan Perón geboren.
Wenige Tage später heiratete Perón seine zweite Ehefrau, die eben diesen Mythos so nachhaltig befördern sollte. María Eva Duarte de Perón, genannt Evita, war Jahrgang 1919 und damit ein gutes Vierteljahrhundert jünger als ihr Mann. Sie entstammte einer unehelichen Verbindung, wurde aber von ihrem Vater bis zu dessen Tod finanziell unterstützt. Danach gerieten ihre Mutter, ihre Schwestern und sie selbst in Geldnot. Mit fünfzehn Jahren ging Eva nach Buenos Aires, wo sie als Model, als Radiomoderatorin und schließlich als Filmschauspielerin arbeitete. Auf Perón traf sie im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung und wurde zunächst seine Geliebte. Nach der Heirat, als ihr Mann 1946 für das Präsidentenamt kandidierte, nutzte sie ihre Möglichkeiten, um sich für ihn einzusetzen. So hielt sie mitreißende Reden in ihrer wöchentlichen Radiosendung. Nicht zuletzt dank einer fehlgegangenen Kampagne der USA, die von den Argentiniern als Einmischung bewertet wurden, erzielte er 52 Prozent der abgegebenen Stimmen. Damit war Juan Perón am Ziel – und Evita mit ihm.
Evitas schwierige Rolle
Perón setzte sich als Präsident für einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus ein und setzte seine bisherige Sozialpolitik fort, was half, gesellschaftliche Spannungen abzubauen. Dies konnte aber nicht verhindern, dass seine Regierung im Ausland mehr und mehr im Verdacht stand, faschistisch zu sein. Der Gedanke war alles andere als unberechtigt, hatte Perón doch in seiner Jugend Mussolini bewundert und noch 1943 geschrieben: „Hitlers Kampf im Frieden wie im Krieg wird unser Leitstern sein.“ Um hier ein Umdenken zu bewirken, ging Evita 1947 auf eine diplomatische Rundreise, die sogenannte „Regenbogentour“. Die hieß ganz offiziell so, weil es Evita darum ging, einen Regenbogen zwischen Argentinien und dem besuchten Land zu spannen. Die Reise dauerte vom 6. Juni bis zum 23. August 1947 und beinhaltete auch Besuche in Spanien und Portugal, die seinerzeit unter faschistischer Diktatur standen – ein möglicherweise weniger gelungenes Manöver. Immerhin: Papst Pius XII. empfing sie ebenfalls. Ob Evita europäischen Kriegsverbrechern half, nach Argentinien zu gelangen, konnte nie geklärt werden.
Bemerkenswert ist allerdings, dass Evita keine offizielle Funktion in Argentinien innehatte. Sie war nicht Bestandteil der Regierung, wirkte aber trotzdem massiv auf die Politik ein. Dazu gehört nicht nur ihr Engagement für die Armen – für die sie eine Stiftung gründete –, sondern auch für das Frauenwahlrecht, das es zu diesem Zeitpunkt in Argentinien noch nicht gab und das auf ihr Bestreben hin eingeführt wurde. Dies dürfte ihr wohl wichtigster Erfolg sein. 1949 gründete sie zudem die peronistische Frauenpartei, um Frauen die Gelegenheit zu geben, sich politisch zu betätigen. 1951 wurde ihr Mann wiedergewählt. Viele Beobachter schienen zu erwarten, dass Evita Vizepräsidentin werden könnte, doch dazu kam es nicht. Bei den Generälen war sie nicht zuletzt wegen ihres Einflusses und ihrer Selbstbestimmtheit ausgesprochen unpopulär, und es sollte offenbar ein offener Konflikt vermieden werden. Außerdem galt ihre Herkunft als anstößig. Entsprechend muss offen bleiben, was Evita noch hätte erreichen können – doch der Tod war schneller.
Tod und Nachleben der María Eva Duarte de Perón
Evita starb am 26. Juli 1952 an Gebärmutterhalskrebs. Sie wurde nur dreiunddreißig Jahre alt; die Trauerfeier war von dem gleichen ausufernden Prunk geprägt, den Evita als Präsidentengattin verkörpert hatte. Perón ließ die Leiche einbalsamieren, um den Kult um ihre Person auch weiterhin nutzen zu können, doch 1955 ging seine Herrschaft durch einen Putsch zu Ende. Erst 1973, nach Jahren des Exils und kurz vor seinem Tod 1974, wurde er noch einmal Präsident von Argentinien. – Evitas Leiche wurde heimlich nach Spanien gebracht und unter anderem Namen beerdigt, was ihrem Ruhm jedoch nichts anhaben konnte. 1971 gelangte der Körper nach Madrid und von dort aus 1974 nach Buenos Aires. Die Rückführung wurde von Peróns dritter Frau Isabel veranlasst, einer ehemaligen Nachtclubtanzerin, die nach dem Tod ihres Mannes die erste Staatspräsidentin Argentiniens werden konnte. Aufgrund einer Ironie der Geschichte erfolgte Evitas Beerdigung jedoch erst im Oktober 1976 – Isabel war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder abgesetzt.
1976 war auch das Jahr, in dem das Musical Evita seinen Siegeszug um die Welt antrat. Komponiert von Andrew Lloyd Webber und geschrieben von Tim Rice, die zuvor bereits bei Jesus Christ Superstar zusammengearbeitet hatten, machte das Doppelalbum nicht zuletzt dank des Hits Don’t Cry For Me, Argentina – gesungen von Julie Covington – von sich reden. Zahlreiche Inszenierungen des Musicals schlossen sich an. Zu einer Verfilmung kam es schließlich 1996 unter der Regie von Alan Parker, der bereits The Wall von Pink Floyd auf die Leinwand gebracht hatte. Hier spielte Madonna an der Seite von Antonio Banderas und Jonathan Pryce die Hauptrolle. Dass der Kult um María Eva Duarte de Perón nicht ohne makabre Züge ist, belegt der semidokumentrische Roman Santa Evita von Tomás Eloy Martinez, der 1995 in Argentinien die Bestsellerlisten anführte. Er zeichnet die verschlungenen Wege des Leichnams bis zu seiner letzten Ruhestätte nach – auch das gehört zum Mythos von Evita. Dass ihr Grab bis heute stark besucht wird, braucht schon beinahe nicht mehr erwähnt zu werden. Er strahlt eben noch immer – der Stern der María Eva Duarte de Perón. Und das wird sich so schnell wohl auch nicht ändern.
von wissen.de-Autor Kai Jürgens, Juli 2012