Wer Globalisierung, Lobbyismus und Networking für Phänomene der Neuzeit hält, der irrt. Tatsächlich hat bereits Ende des 15. Jahrhunderts ein Mann die Bühne der Handels- und Finanzmärkte betreten, der heute gern als Prototyp des Kapitalisten, Global Players und Königmachers bezeichnet wird: Jakob Fugger II. Am 6. März 1459 in Augsburg als Sohn einer Weber- und Tuchhändlerfamilie geboren, sollte Jakob, "der Reiche", noch im ausgehenden Mittelalter das moderne Unternehmertum begründen. So manches am Verhalten und Wirken des frühen Finanzgenies erscheint uns heute noch sehr vertraut - inklusive der Krise, in die das Fuggerimperium bereits Mitte des 16. Jahrhunderts stürzte.
Seine Heimatstadt Augsburg, die damals drittgrößte Stadt Deutschlands, machte Jakob Fugger dank seines kaufmännischen Weitblicks zum Ausgangspunkt eines Länder- und Kontinente umspannenden Handels- und Finanzwegenetzes. Unzählige kleine Filialen und an die 30 große Faktoreien über Europa verteilt, ließen das Fuggersche Handelshaus zu einem multinationalen Konzern anwachsen, wie es zuvor noch keinen gegeben hatte. Lange bevor es den Begriff der Globalisierung überhaupt gab, hatte sie der begnadetste Unternehmer der frühen Renaissance perfektioniert.
Silber und Blei, doch vor allem das Kupfer aus den Fuggerschen Erzgruben in Ungarn, Kärnten, Tirol und Spanien gingen in die ganze Welt: Über Antwerpen und Lissabon erreichten die Edelmetalle Afrika, Indien und den Fernen Osten. Da Kupfer damals die Ressource schlechthin war und Fuggers Produktions- und Handelsimperium das Montangeschäft uneingeschränkt dominierte, häufte der Augsburger Geld und Macht an, wie es heute nur den Erdölmagnaten gelingt.
Der Kredithai
Schnell hatte Jakob begriffen, in welchem Maße Geld die Welt bewegt. Der Adel, die Kurie, die Kaufleute - alle waren sie auf Darlehen, Kredite, Finanzspritzen angewiesen. Und wenn jemand Geld im großen Stil verleihen konnte, dann die betuchte Handelsfamilie aus der Freien Reichststadt Augsburg.
Zu den ersten einflussreichen Schuldnern Jakob Fuggers gehörte Erzherzog Sigismund von Tirol, der sich zwar mit dem Beinamen "der Münzreiche" schmückte, in Wirklichkeit aber dauerklamm war. Seine Schulden beliefen sich nach nur drei Jahren auf 268.000 Gulden, die er mit Silberlieferungen zu tilgen versucht.
Die adligen Schuldner des gewieften Finanziers, dessen Handelshaus der Rat der Stadt Augsburg 1486 zum ersten Mal als "Bank" bezeichnet, sollten über die Jahre immer zahlreicher werden, doch auch der Klerus ließ sich vom Reichtum Fuggers verführen. Während einzelne Bischöfe ihr Geld - gegen saftige Zinsen - bei ihm anlegten, ließ Rom sich gleich den gesamten Ablasshandel vom Finanzjongleur Jakob Fugger vorfinanzieren. Der Bankier des Vatikans erhielt im Gegenzug das Münzrecht: Jeder päpstlichen Münze drückte Jakob seit 1509 seine Prägung auf.
Der Wahlkämpfer
Wie das Geschäft läuft, hatte er bereits als 14-Jähriger gelernt. Damals war Kaiser Friedrich III mit seinem Sohn Maximilian Gast im Hause Fugger gewesen. Man befand sich auf Brautsuche für den Thronfolger. Jakobs älterer Bruder Ulrich erkannte seine Chance: Er kleidete den abgebrannten Kronprinzen in Samt und Seide, so dass der seine Brautschau angemessen gewandet fortführen konnte. Die Händlerfamilie wurde mit dem Lilienwappen entlohnt.
Im Jahre 1507 - die königlich-kaufmännische Interessengemeinschaft Maximilian/Jakob ist bereits seit Jahren etabliert - schießt Fugger dem König 50.000 Gulden vor, die der Habsburger bitter benötigt, um sich endlich zum Kaiser krönen lassen zu können. Seinen Finanzier bedenkt der frisch Gekrönte mit Ländereien und einem Adelstitel. Jakob sollte es noch bis zum Reichsgrafen schaffen.
Das beeindruckendste Exempel seines grenzenlosen Einflusses auf die europäische Politik statuierte der Strippenzieher aus Bayern im Jahre 1519, als er dem Enkel Maximilians, König Karl von Spanien, den Kampf um die Kaiserkrone finanzierte. Über 850.000 Gulden trieb der Wahlkämpfer ein, einen Großteil sponsorte er selbst. Der Deal ging auf: Die deutschen Kurfürsten setzten Jakob Fuggers Wunschkandidaten die Kaiserkrone auf.
Der Charity-Mensch
"Ich bin reich von Gottes Gnaden, jedermann ohne Schaden." Mit einer Nonchalance, wie sie heute noch so mancher Börsianer an den Tag legt, wenn er sich so richtig unbeliebt machen will, rechtfertigte sich Jakob der Reiche gegenüber Neidern und Feinden. Dennoch scheint den Katholiken das schlechte Gewissen oder gar die Furcht vor der großen Abrechnung nach dem Tode gepackt zu haben: Jakob ließ in Augsburg die erste Sozialbausiedlung der Welt errichten. Mit der Gründung der Fuggerei, in der die Wohnungsmiete noch heute lächerliche 88 Cent im Jahr beträgt, war der Unternehmer seiner Zeit weit voraus. Doch bewies er damit nicht nur eine sehr frühe Form von "Corporate Social Responsibility", sondern offenbarte auch, wie es um sein Seelenheil bestellt war: Denn wer in der Fuggerei lebt, muss bis heute drei Gebete am Tag für den seeligen Vermieter sprechen. Jakobs himmlische Bilanz verbessert sich also fast im Stundentakt.
Fast scheint es, als habe Fugger, der 1525 starb, vorausgeahnt, dass es mit der Anhäufung irdischern Reichtums nicht ewig weitergehen würde. Und tatsächlich ruinierte nur wenig später der spanische Staatsbankrott von 1557 etliche europäische Banken. Auch das Fuggerimperium sollte sich von der großen Finanzkrise des 16. Jahrhunderts nie wieder erholen. Der ewige Fugger-Schuldner, das Haus Habsburg, hatte seinen größten Gläubiger mit in den Abgrund gerissen.
Susanne Dreisbach, wissen.de-Redaktion