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Von Kurt bis Kurt - die Ahnengalerie der SPD-Vorsitzenden (Podcast 13)

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Elf Parteichefs hat die SPD in Zeiten der Bundesrepublik gesehen. Von 1946 bis 1987 haben mit Kurt Schumacher, Erich Ollenhauer und Willy Brandt lediglich drei Vorsitzende die Geschicke der Partei bestimmt, seit Ende der 1980er-Jahre wurde die Verweildauer an der Parteispitze dann wesentlich kürzer ... Nicht weniger als acht Vorsitzende standen den Sozialdemokraten von 1987 bis 2008 mal länger, mal kürzer vor. Und jeder von Ihnen hat der Partei in gewisser Weise seinen persönlichen Stempel aufzudrücken versucht. Letzter Handtuchwerfer bisher war Kurt Beck, der Anfang September entnervt von parteiinternen Intrigen das Handtuch warf. Unseren Rückblick beginnen wir aber mit einem anderen Kurt, der wesentlich länger SPD-Chef war.
 

Kurt Schumacher  - kein Freund der SED
 

An ihm hätte sich Andrea Ypsilanti die hübschen Zähne ausgebissen, galt Kurt  Schumacher doch als strikter Gegner der SED, mit deren Nach-nach-Folgeorganisation Die Linke Ypsilanit kokettiert. Der promovierte Jurist Schumacher war zur NS-Zeit im KZ inhaftiert und eine der führenden Figuren in der deutschen Nachkriegspolitik, der die SPD wiedergründete. Seine schweren Kriegsverletzungen und die Zeit im KZ machten Schumacher auch äußerlich zu einer bemerkenswerten Gestalt. Er rauchte Kette und wirkte stets übermüdet und erschöpft. Aber ein wacher Geist und ein unbeugsamer Wille zeichneten ihn aus, der sich vor allem in scharfer Opposition zum wirtschaftlichen und außenpolitischen Kurs der Regierung Adenauer befand. Den SPD-Vorsitz hatte er von 1946 bis 1952 inne.
 

Erich Ollenhauer – der Parteisoldat
 

Von 1952 bis 1963 leitete Ollenhauer, der Mann mit den dicken Brillengläsern, die Geschicke der SPD, nicht nur als Parteivorsitzender, sondern auch als Oppositionsführer im Bundestag. Die Zeit des Nationalsozialismus verbrachte er in der Emigration, dort in Prag, Paris und London. Er prägte die Entwicklung der SPD hin zur großen Volkspartei entscheidend mit. Auch als Kanzlerkandidat trat Ollenhauer an, hatte aber in den 50er Jahren zweimal keine Chance gegen Konrad Adenauer.  In Ollenhauers Amtszeit wurde 1959 das Godesberger Programm verabschiedet, die SPD konnte hier ideologischen Ballast abwerfen und vom Marxismus geprägte theoretische Grundaussagen überwinden.
 

Willy Brandt – der Rekordhalter
 

So schnell wird ihn niemand mehr einholen – den einsamen Rekord als SPD-Vorsitzender. Von 1964 bis 1987 – also mehr als 20 Jahre hielt sich der erste sozialdemokratische Bundeskanzler auch an der Spitze seiner Partei. Die Westintegration wurde durch die „neue Ostpolitik“ ergänzt, für die Brandt 1971 den Friedensnobelpreis erhielt. Brandt, der aufgrund seiner Zeit im Exil immer wieder zur Zielscheibe ultrakonservativer Politiker wurde, suchte im Verhältnis zur DDR ein „geregeltes Nebeneinander“. Sein Rücktritt 1974 nach der Spionage-Affäre Guillaume beendete lediglich seine Kanzlerschaft, nicht jedoch sein lebenslanges Engagement für die SPD, der er auch nach 1987 noch als Ehrenvorsitzender nahestand. Wir hören Brandt in einem Ausschnitt aus seiner Rücktrittsrede als Bundeskanzler: [00303.mp3 einbinden]
 

Hans-Jochen Vogel – der Bodenständige
 

Vogel wurde im eher reifen Alter von 61 Vorsitzender der SPD und brachte seinen reichhaltigen Erfahrungsschatz als Münchner Oberbürgermeister und Bundesminister ein. Auch als Kanzlerkandidat trat er 1983 erfolglos an. Nach dem Charismatiker Brandt musste es ein eher bodenständiger Politiker und Mensch wie Vogel schwer haben. In die Zeit seines Parteivorsitzes von 1987-1991 fällt die Verschmelzung der SPD mit der ostdeutschen Schwesterpartei SDP. Außerdem wurde 1989 ein neues Grundsatzprogramm, das „Berliner Programm“ verabschiedet, das so die Internetseite spd.de, „die Ergebnisse der gesellschaftlichen und innerparteilichen Diskussion zur sozialen und ökologischen Erneuerung der Industriegesellschaft bündelt“.
 

Björn Engholm – der Künstler
 

Für knapp zwei Jahre, von 1991 bis 1993, stand der Pfeifenraucher aus Lübeck an der Spitze der Sozialdemokraten. Er galt nicht nur aufgrund seines Alters als aufregender Hoffnungsträger der Partei. Doch nach einer Falschaussage vor dem Barschel-Untersuchungsausschuss trat Engholm, der aufgrund seiner Position auch als designierter Kanzlerkandidat gehandelt wurde,  von allen politischen Ämtern zurück. Ein Schock für die Partei.
 

Rudolf Scharping – der Pfälzer
 

Der bis dahin jüngste Vorsitzende in der Geschichte der Partei konnte nie die Zweifel an seinen Führungsqualitäten ausräumen, obwohl er sich 1993 im Kampf umd den Vorsitz immerhin gegen einen Gegenkandidaten namens Gerhard Schröder durchgesetzt hatte. Und so hielt er sich auch gerade einmal von 1993 bis 1995 an der Spitze der SPD, bevor ihn der Saarländer Oskar Lafontaine in einer Kampfabstimmung aus dem Amt drängte. Heute ist er Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer.
 

Oskar Lafontaine – der Aussteiger
 

Lafontaine ist nicht erst seit seiner Mitgliedschaft bei Die Linke ein umstrittener Politiker. Auch seine Zeit in der SPD – von 1966 bis 2005 – ist voller Episoden und Handlungen, die den saarländischen Politiker zur Zielscheibe politischer Gegner machten. 1995 gelangte er an die Spitze der SPD, wo es ihn gerade einmal vier Jahre hielt. Wie schon Engholm vor ihm verließ Lafontaine alle politischen Ämter abrupt und ohne Vorwarnung. Wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierung Schröder trat er im März 1999 überraschend von allen politischen Ämtern zurück. Heute treibt er als Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke seine alten sozialdemokratischen Weggefährten vor sich her.
 

Gerhard Schröder – der Nicht-Vorsitzende
 

Schröder war der Parteivorsitzende, der nie so recht mit seiner Partei konnte und eher als Bundeskanzler in Erinnerung bleiben wird. Aber immerhin fünf Jahre, von 1999 bis 2004, stand Schröder neben seiner Kanzlerschaft der Partei vor. Und hatte dort so manchen Straus auszufechten. Vor allem mit der Agenda 2010 bürdete er seiner Partei, die sich immer schon als Anwalt der kleinen Leute verstand, eine schwere ideologische Last auf.  Schröder wollte fördern und fordern und forderte wahrscheinlich zu viel von seiner SPD. 2004 trat er zurück. Wir hören ihn hier zum Bundeswehreinsatz in Jugoslawien.
 

Franz Müntefering – noch ein Parteisoldat
 

Er ist der Erich Ollenhauer der Gegenwart, ein Mann der wie kein zweiter sozialdemokratische Wurzeln an den Tag legt. Er spricht klar und deutlich und versteigt sich nicht in verschwurbeltes Diplomatendeutsch. Wenn Urgestein Münte etwas sagt, dann meint er es auch so. Er war und ist das totale Gegenteil seines Medienkanzlers Schröder, dem er in seiner ersten Amtsperiode als Vorsitzender von 2004 bis 2005 den Rücken für schwierige Entscheidungen in der Partei freihielt. Auch er trat nach parteiinternen Querelen überraschend zurück.
 

Matthias Platzeck – der Unglückliche
 

Nur ein halbes Jahr dauerte Platzecks Gastspiel als SPD-Vorsitzender. Auch ein Rekord. Der Ministerpräsident von Brandenburg galt als politischer Hoffnungsträger, der Blitzkarriere gemacht hatte: 1995 war er in die SPD eingetreten und 10 Jahre später bereits deren Vorsitzender. Und das mit einem Spitzenergebnis von nahezu 100 %. Das rasche Ende von Platzecks Vorsitz kam nach zwei Hörstürzen 2005 und 2006, die ihn zur Aufgabe zwangen.
 

Kurt Beck – der zweite Pfälzer
 

Dann kam er. Das Pfälzer Schwergewicht. Hatte er anfänglich die nach Platzecks Rücktritt vakante Position als Vorsitzender kommissarisch ausgefüllt, wurde er im Mai 2006 ordnungsgemäß gewählt. Becks Vorsitz ist geprägt von zahlreichen Flügelkämpfen innerhalb der Partei, von einem massiven Abschwung in der Wählergunst und von unglücklichen politischen Wendungen. Führungsschwäche hat man ihm vorgeworfen, Beliebigkeit in der Programmatik und Provinzialität.. In seine Amtsperiode fällt der Bundesparteitag in Hamburg 2007, auf dem ein neues Grundsatzprogramm (Hamburger Programm) angenommen wurde, in dem sich die SPD auf die Tradition des demokratischen Sozialismus berief und die Entwicklung des Sozialstaates zum vorsorgenden Sozialstaat als Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung bezeichnete. Gleichwohl konnte die durch die Agenda-2010-Reformen ausgelöste innerparteiliche Krise nicht überwunden werden. Diese eskalierte im September 2008 als Beck sich nach Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Nominierung des SPD-Kanzlerkandidaten überraschen wieder nach Rheinland-Pfalz verabschiedete.
 

Als neuer SPD-Vorsitzender ist einer alter nominiert: Franz Müntefering soll auf einem Sonderparteitag zum neuen alten Vorsitzenden gewählt werden.
 

Jörg Peter Urbach, wissen.de-Redaktion

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