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Türkei-Beben: Die Hintergründe der Erdbebenkatastrophe

Am 6. Februar 2023 haben gleich zwei schwere Erdbeben den Südosten der Türkei erschüttert – sie sind die stärksten je in dieser Region dokumentierten. Die Erdstöße waren sogar in Bagdad, in Kairo und im gesamten Nahen Osten zu spüren. Doch warum waren diese Erdbeben so heftig? Was war der Auslöser? Und warum ist gerade die Türkei besonders erdbebengefährdet? Wir klären die Hintergründe der Katastrophe.
NPO, 08.02.2023
Symbolbild Gaziantep-Kahramanmaraş-Erdbeben 2023

© VoA (Erdbebenschäden / achivector, GettyImages (Seismogramm)

Den 6. Februar 2023 werden viele Menschen in der Türkei so schnell nicht vergessen. Denn an diesem Tag erschütterten gleich zweimal hintereinander schwere Erdbeben den Südosten des Landes. Gegen 02:00 Uhr nachts ereignete sich der erste Erdstoß der Magnitude 7,8 nahe der Millionenstadt Gaziantep, am Mittag desselben Tages folgte ein zweites Starkbeben der Magnitude 7,5. Als Folge stürzten zahlreiche Gebäude ein, mehrere tausend Menschen starben in den Trümmern, viele weitere sind noch verschüttet und werden vermisst. Doch wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?

Warum die Türkei tektonisch so anfällig ist

Die Türkei liegt in einer tektonischen Hochrisikozone – quasi einem Schleudersitz der Erdplatten. Denn in dieser Region stoßen gleich mehrere tektonische Platten aufeinander. Zum einen sind dies die große Afrikanische Platte im Südwesten und die Eurasische Platte im Norden. Beide kollidieren in Zeitlupe miteinander, weil Afrika nach Norden driftet. Ein kleineres Fragment der Afrikanischen Platte, die Arabische Platte wandert dabei besonders schnell nach Norden und zwängt dadurch die Anatolische Erdplatte zwischen sich und dem Eurasischen Kontinent ein.

Das hat Folgen: Die anatolische Platte wird seitlich aus dieser Zange herausgedrückt und verschiebt sich dadurch um zwei bis drei Zentimeter pro Jahr nach Westen. Auf dem Gebiet der Türkei entstehen dadurch gleich zwei große Bruchzonen, sogenannte Transformstörungen, an denen sich die Plattengrenzen seitlich gegeneinander verschieben. Im Norden zieht sich die nordanatolische Verwerfung von der Grenze des Iran bis nach Istanbul. Diese aktive Bruchzone war unter anderem für ein Erdbeben der Magnitude 7,6 verantwortlich, das im Jahr 1999 die nordtürkische Stadt Izmit in Trümmer legte.

Im Südosten der Türkei liegt die ostanatolische Verwerfungszone, an der sich die anatolische und die arabische Platte um rund 1,4 Zentimeter pro Jahr gegeneinander verschieben. Diese Bruchzone ist die Plattengrenze, an der sich gerade die schweren Erdbeben ereignet haben. Deren Epizentren liegen sogar an einem dreifach-Knotenpunkt, weil dort die ostanatolische Verwerfung auf die Ausläufer der Bruchzone des Toten Meeres und auf die des Zypernbogens trifft, einer im Mittelmeer verlaufenden Plattengrenze.

Tektonische Karte der Türkei
Auf der tektonische Karte ist gut zu erkennen, dass die durch den roten Punkt hervorgehobene Bebenzone an einem Knotenpunkt mehrerer Verwerfungen liegt.

© USGS

Wieso es zu den Erdbeben kam

Das Problem: Die Plattengrenzen in der Türkei gleiten nicht reibungslos aneinander vorbei, sondern verhaken sich immer wieder. Dadurch stockt die Bewegung der Erdplatten und in der Tiefe der Verwerfungen stauen sich enorme Spannungen auf. Irgendwann sind die dabei aufgestauten Kräfte so stark, dass das Gestein bricht und die Platten ruckartig in eine neue Position schnellen – ein Erdbeben ereignet sich. Dabei reißt die Erdkruste bis in die Tiefe auf.

Je länger die Erdplatten blockiert waren und je mehr Spannung sich angesammelt hat, desto heftiger ist der Ruck und desto länger ist der entstehende Riss. Und genau dies war auch der Grund für die ungewöhnlich starken Erdstöße vom 6. Februar 2023: Anders als im Norden der Türkei war es an der ostanatolischen Verwerfung in den letzten 100 Jahren ungewöhnlich ruhig – es gab kaum seismische Aktivität. Das letzte schwere Erdbeben in diesem Gebiet ereignete am 4. Dezember 1905 und hatte eine Magnitude von 6,8.

"Die gesamte Zone hat also über diesen langen Zeitraum Spannungen aufgebaut, und es war nur eine Frage der Zeit bis es zu einem Erdbeben kommen würde", erklären Experten des GeoForschungsZentrums Potsdam (GFZ). Genau das ist nun passiert. Ohne große Vorwarnung oder auffällige Häufungen von vorangehenden schwächeren Beben entlud sich am frühen Morgen des 6. Februar die Spannung an der ostanatolischen Verwerfung.

Zuerst ereignete sich ein Erdstoß der Magnitude 7,7 bis 7,8, nahe der Stadt Gaziantep. Bei diesem Erdbeben riss die Verwerfung nach ersten Schätzungen der Seismologen auf einer Länge von mindestens 180 Kilometer und bis in 20 Kilometer Tiefe auf. Am Mittag desselben Tages folgte rund 100 Kilometer nördlich an einem benachbarten Strang der Verwerfung ein zweites Starkbeben der Magnitude 7,5. "Dieses war stark genug, um als eigenständiges Beben zu gelten, es ist aber wahrscheinlich, dass es durch das erste Erdbeben ausgelöst wurde", erklärt die Erdbebenforscherin Jenny Jenkins von der Durham University in England.

Eingestürztes Gebäude in der türkischen Stadt Diyarbakır
Eingestürztes Gebäude in der türkischen Stadt Diyarbakır, die über 200 Kilometer östlich der zentralen Katastrophenzone liegt.

© VoA

Warum waren die Erdbeben so verheerend?

Mit einer Magnitude von 7,8 war das Beben vom frühen Morgen des 6. Februar das stärkste je in dieser Region dokumentierte. Für die gesamte Türkei war es das stärkste Erdbeben seit 1939. Damals starben bei einem Beben ähnlicher Stärke 30.000 Menschen. Die Erschütterungen des aktuellen Erdbebens waren selbst im mehr als 80 Kilometer entfernten Istanbul, in Bagdad und im ägyptischen Kairo noch zu spüren. In den libanesischen Städten Beirut und Tripoli schwankte die Erde immerhin noch so stark, dass einige Menschen aus Angst vor einem Einsturz ihres Wohnhauses ins Freie flohen.

Der Grund dafür: Die bei den Erdstößen freigesetzte Energie war mehr als doppelt so hoch wie bei dem stärksten historischen Erdbeben an dieser Verwerfungszone, wie die Seismologin Jenkins erklärt.  Allein dies erklärt bereits, warum das Erdbeben so schwere Schäden anrichtete. Doch es kommt noch etwas hinzu: Der Bebenherd lag in nur rund elf Kilometer Tiefe – das ist relativ flach für ein Starkbeben. Dadurch verloren die Bebenwellen nur wenig Energie auf ihrem Weg an die Erdoberfläche und erzeugten dort entsprechend starke Oberflächenwellen. Der Untergrund in Gaziantep und den umliegenden Gebieten bewegte sich dadurch besonders heftig und führte zum Einsturz der Gebäude.

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