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Die Eroberung des Südpols (Podcast 164)

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Kaum etwas fasziniert den Menschen so sehr wie das Erkunden unerforschter Gebiete. Neben den undurchdringlich erscheinenden Dschungeln des afrikanischen und südamerikanischen Kontinents waren es vor allem die Polregionen, die auf Entdecker wie Roald Amundsen, Fridtjof Nansen oder Robert Scott eine magische Anziehungskraft ausgeübt haben. Doch nur, wer sich perfekt vorbereitete und die Urkräfte der Natur respektierte, hatte eine Chance, zu seinem Ziel vorzustoßen. Und so gelang es dem norwegischen Polarforscher Roald Amundsen am 14. Dezember 1911 gemeinsam mit vier Begleitern den Südpol zu erreichen. wissen.de-Autor Kai Jürgens erzählt Amundsens erfolgreich endende Geschichte. Und die seines tragisch scheiternden Konkurrenten Robert Scott.

"Die Natur, stark und wild, ist wie eine alte, in Schnee gemeißelte Sage,
die manchmal in so feiner und zarter Stimmung ist wie ein Gedicht.
Aber die Natur ist auch wie kalter Stahl, in dem sich
das Licht der Farben im Licht der Sonne spiegelt.“
Fridtjof Nansen, 1861–1930, norwegischer Polarforscher
 

Ein Land aus Eis und Stein

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Als "Antarktis“ wird jene Region bezeichnet, die sich auf der südlichen Halbkugel der Erde befindet und aus einem Kontinent und dem ihn  umfassenden Meeresgebiet besteht. Die dortigen Lebensbedingungen schlicht unwirtlich zu nennen, wäre eine Untertreibung. "Ich hatte das Gefühl, als wäre ich auf einen anderen Planeten oder in ein anderes Erdzeitalter geraten“, so der amerikanische Polarforscher Richard E. Byrd im Jahr 1938. Der antarktische Kontinent, bisweilen auch "Antarktika“ genannt, ist beinahe vollständig von einem dichten Eispanzer besetzt, der sich über 14 Millionen Quadratkilometer erstreckt und eine Dicke von viereinhalb Kilometern erreichen kann. Nirgendwo auf der Erde ist mehr Wasser in Eisform gespeichert als hier. Die Temperaturen liegen landeinwärts bei durchschnittlich -55 °C, können jedoch noch tiefer absinken, vor allem während des antarktischen Winters. Dieser dauert von März bis September. Je nach Breitengrad scheint dann die Sonne nur wenige Stunden am Tag oder auch überhaupt nicht. Entsprechend ist das Landesinnere beinahe ohne Leben. Während in den angrenzenden Regionen, auf den Inseln und Packeisfeldern, eine vielfältige Flora und Fauna existiert, können auf Antarktika lediglich Mikroorganismen, Flechten und Moose sowie ein paar wirbellose Tiere gedeihen.

Es lässt sich kaum ein unwirtlicherer, gefährlicherer und menschenfeindlicherer Ort denken als die Antarktis. Und doch hat er die Menschen seit seiner Entdeckung im Jahr 1820 geradezu magisch angezogen. Der Grund hierfür ist der Pol – genau genommen: der geographische Südpol, der sich mitten auf dem antarktischen Kontinent befindet. Wer ihn als erster erreicht, der konnte sich zu den großen Entdeckern der Menschheit zählen. Dazu kam, dass man zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Welt als weitgehend erforscht empfand und den Eindruck hatte, mit der Antarktis das letzte unbekannte Gebiet des Planeten betreten zu können. Zwar meinte der britische Polarforscher Hugh Mill 1909: "Der Drang, die weißen Flecken von der Landkarte zu entfernen, entspringt eher gewissen menschlichen Urinstinkten als der Wissenschaft oder dem Geschäftssinn.“ Dennoch: Ruhm und Ehre waren in Greifweite, wenn es um die Eroberung des Südpols ging.

 

Auf dem Weg nach Süden

Im Zeitalter der Interkontinentalflüge erscheint es wenig nachvollziehbar, worin die Schwierigkeiten lagen, einen bestimmten Punkt auf der Erde zu erreichen. Tatsächlich waren die Hürden damals immens, da die heute selbstverständliche Technik noch nicht zur Verfügung stand. So war etwa eine Luftunterstützung kaum möglich - die Entdecker waren auf sich allein gestellt. Allerdings besaß man umfängliche Erfahrungen, was die Erkundung der Polregionen betraf, und so konnte 1895 auf dem 6. Internationalen Geographischen Kongress ausdrücklich dazu aufgefordert werden, die Region der Antarktis zu erforschen. Dies galt als "greatest piece of geographical exploration still to be undertaken“ – also als "größte geographische Erkundung, die noch unternommen werden muss“.

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Jemand, der dieser Aufforderung nur zu gern nachkam, war der 1868 geborene Brite Robert Falcon Scott. Er führte von 1901 bis 1904 eine Expedition durch, in deren Verlauf er mit seinen Begleitern bis auf 850 Kilometer an den Südpol herankam – ein beachtlicher Rekord. Allerdings wurde die Leistung mit fürchterlichen Strapazen erkauft, zu denen Schneeblindheit, Skorbut und Erfrierungen gehörten. Im Vorfeld waren auch Männer seiner Mannschaft gestorben. Als Scott und der Polarforscher Ernest Shackleton mit einem mitgebrachten Ballon aufstiegen, kommentierte ein Zuschauer das wie folgt: "Wenn einige dieser Experten da oben nicht verunglücken, so nur deswegen, weil Gott Mitleid mit den Verrückten hat.“ Dennoch, Scott ließ das Thema nicht los. Er war dem Südpol schon so nahe gekommen, dass ihm ein zweiter Versuch unumgänglich schien. Dies umso mehr, da ihn offenbar weniger wissenschaftliche Entdeckerfreude als vielmehr das Streben nach Ruhm und Ehre antrieb. Und so brach er 1910 zu einer zweiten Expedition auf – noch nicht ahnend, dass er bereits einen bemerkenswerten Konkurrenten hatte: Roald Amundsen.

 

Der Mann aus Norwegen

Der 1872 geborene Norweger Roald Amundsen hatte sich schon als Kind für Berichte von Polarforschern wie John Franklin begeistert, was sein weiteres Leben entscheidend prägte. Er war ein schlechter Schüler und studierte nicht zuletzt, weil ihn seine Mutter hierzu drängte. Erst nach ihrem Tod war er frei und notierte später dazu: "Mit großer Erleichterung verließ ich kurz darauf die Universität, um mich mit ganzer Seele in den Traum meines Lebens zu stürzen.“ Bereits Ende des 19. Jahrhunderts nahm er an einer Antarktis-Expedition teil und erkundete 1906 die Nordwestpassage; das ist jene Route nördlich des amerikanischen Kontinents, die den Atlantik mit dem Pazifik verbindet. Danach konzentrierte er sich auf den Nordpol, doch als dessen Bezwingung 1909 von gleich zwei Forschern beansprucht wurde, verwarf er das Vorhaben und nahm sich den Südpol vor. Dazu konnte er die Fram nutzen, jenes Schiff, das bislang Fridtjof Nansen eingesetzt hatte, der wegweisende Pionier der Polarforschung.

Amundsen wusste um Scotts Expedition, und ihm war klar, dass Zeit ein wesentlicher Faktor im Spiel um Sieg oder Niederlage war. Entsprechend belastete er sich allenfalls vordergründig mit Forschungsaufgaben – denn auch Amundsen ging es primär um das Erreichen des Pols, obwohl er gesagt haben soll: "Ich denke nicht, dass Gott uns auf diese Erde geschickt hat, damit wir Millionen scheffeln und alles andere ignorieren.“ Im Januar 1911 gelangte er in die "Bucht der Wale“ am Ross-Schelfeis und schlug sein Quartier auf – Cap Evans. Nun aber stand der antarktische Winter bevor. Depots wurden angelegt und Verbesserungen an der Ausrüstung vorgenommen; außerdem testete Amundsen erfolgreich die mitgebrachten Schlittenhunde. Frisches Robben- und Pinguinfleisch brachten ihn und seine Männer gut über den Winter. Doch Amundsen war nervös, er hatte gehört, dass sein Rivale Ponys aus der Mandschurei und drei benzingetriebene Motorschlitten einsetzen wollte. War Scott ihm vielleicht doch überlegen?

 

Gewinner und Verlierer

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Amundsen unternahm bereits im September 1911 einen ersten Versuch, den Pol zu erreichen, doch er musste bald wieder umkehren – er hatte den antarktischen Frühling überschätzt. Es war einfach noch zu kalt. Am 20. Oktober brachen er und seine vier Begleiter mit vier Schlitten und 52 Hunden erneut auf, und diesmal hatten sie Glück mit dem Wetter. Allerdings blieb der Trupp vorsichtig, und so wurden nicht nur weitere Lebensmitteldepots angelegt, sondern auch großflächige Markierungen für den Rückweg errichtet. Zu Amundsens Überraschung gelang es dem Trupp erstaunlich rasch, auf das 3000 m hohe Polarplateau in der Mitte des Kontinents zu gelangen, einer unwirtlichen Fläche von etwa tausend Kilometern Ausdehnung. Hier ist die Antarktis am kältesten, und das Team wurde prompt von schlechtem Wetter überrascht. Doch die Hundeschlitten hielten, was sich Amundsen von ihnen versprochen hatte, und am 14. Dezember 1911 erreichte er nach einem wahren Parforce-Ritt den Pol, wo die norwegische Flagge gehisst wurde: Amundsen war am Ziel. Er bemerkte: "Seit meiner Kindheit träume ich davon, den Nordpol zu erreichen, nun stehe ich auf dem Südpol.“ Das Telegramm, das er nach Erreichen eines australischen Hafens und daher erst Anfang März 1912 aufgeben konnte, war noch nüchterner abgefasst. Es lautete schlicht: "Pol erreicht 14.–17. Dezember. Alle wohlauf.“ – Genau dies ließ sich von seinem Konkurrenten nicht behaupten.

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Scott war am 1. November mit mehreren Teams gestartet, doch er hatte sich verkalkuliert. Die Ponys vertrugen die Kälte nicht und brachen mit ihren zierlichen Hufen immer wieder im Eis ein. Auch die Motorschlitten fielen rasch nacheinander aus. Hunde besaß Scott zwar ebenfalls, aber seine Mannschaft beherrschte den Umgang mit ihnen nur mangelhaft. Ein Umstand, der tödliche Folgen haben sollte. Die Männer mussten ihre Schlichten  selber ziehen. "Men Hauling“. Dadurch verloren die Engländer viel Zeit und vor allem Kraft. Als Scott und seine Männer den Pol am 17. Januar 1912 und damit einen Monat nach den Norwegern erreichten, erblickten sie Amundsens Ersatzzelt mit der norwegischen Fahne. Ein totaler psychischer Schock für die Engländer. Als Scott sich auf den mehr als 1300 km langen Rückweg machte, fielen die Temperaturen bereits rapide, und es wurde immer schwieriger, die Nahrungsdepots zu finden. Das Wetter verschlechterte sich weiter, und es fehlte an Nahrung und Brennstoff. Die Katastrophe nahm ihren Lauf. Mitte Februar starb mit Edgar Evans der erste Mann nach einem Sturz. Doch obwohl damit mehr Vorräte für die verbleibenden vier Kameraden vorhanden waren, sollten auch diese nicht ausreichen.

Etwa einen Monat später verließ der stark geschwächte Lawrence Oates das Zelt mit den Worten "I am just going outside and I may be some time“, was etwa soviel heißt wie "Ich gehe nur mal eben raus vielleicht dauert es eine Weile“. Ein Gang in den sicheren Tod. Scott notierte in seinem Tagebuch: “We knew that poor Oates was walking to his death, but though we tried to dissuade him, we knew it was the act of a brave man and an English gentleman. We all hope to meet the end with a similar spirit, and assuredly the end is not far.”  "Es war die Tat eines mutigen Mannes und eines englischen Gentleman. Wir alle hoffen, dem Ende mit gleicher Haltung zu begegnen, und das Ende ist sicherlich nicht fern.“ Dass Oates’ Opfer die Kameraden nicht zu retten vermochte, war diesen offenbar bewusst. Von einem gewaltigen Schneesturm am Weitergehen gehindert, starben Scott und seine Begleiter Edwar Wilson und Henry Bowers Ende März 1912, nur etwa 18 Kilometer von einem rettenden Depot entfernt. Scotts letzte Eintragung in sein Tagebuch lautet: “It seems a pity, but I do not think I can write more. For God's sake look after our people.” "Um Gottes Willen, kümmert Euch um unsere Hinterbliebenen.“ Acht Monate später wurde das Zelt gefunden. Amundsen kehrte wohlbehalten und unverletzt zu seinem Ausgangspunkt im Schelfeis zurück. Mit 11 überlebenden Schlittenhunden.

 

Der Südpol nach Amundsen und Scott

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Nachdem Scotts Tod bekannt geworden war, wurde der Brite zum Nationalhelden. Zum tragischen Helden. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Neubewertung seiner Person, mit einem wenig schmeichelhaften Urteil. Hiernach haben Scotts unkluge, ja dilettantische und amateurhafte Entscheidungen fast zwangsläufig in die Katastrophe führen müssen. Amundsen hingegen war der strahlende Sieger, der Star. Er erkundete die Nordostpassage und machte weitere Expeditionen, bis er im Sommer 1928 bei einer Rettungsmission ums Leben kam. Bei der Suche nach dem verunglückten Luftschiffer Umberto Nobile, der auf einer Eisscholle abgestürzt war, verschwanden Amundsens Flugzeug und er selbst unter ungeklärten Umständen. Selbst das Wrack konnte bislang nicht gefunden werden.

Der Südpol hingegen blieb auf Jahrzehnte dem Wind und dem Eis überlassen. Nachdem er 1929 erstmals überflogen worden war, wurde 1956 der Bau einer permanent bewohnten Forschungsstation begonnen, die – mehrfach umgebaut und erneuert – bis heute existiert. Ihr Name erinnert auch weiterhin an den denkwürdigen Wettlauf um die Ehre, als erstes den Südpol erreicht zu haben. Er lautet: Amundsen-Scott-Südpolstation.

 

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