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Cervantes' Don Quijote: Von der Parodie zum Sittengemälde

Warum schrieb Cervantes seinen Roman?

Cervantes hatte mit »Don Quijote« (1605/1616) zunächst nur eine Parodie der zeitgenössischen Ritterromane im Sinn, einer echten Unterhaltungsindustrie. Die bekanntesten Titel werden im Buch explizit genannt – als Lieblingslektüre des einfachen Landjunkers (Hidalgo).

Ist Quijote ein Ritter?

Er möchte jedenfalls einer sein. Unter dem Eindruck der Geschichten über kühne Recken, schöne Edelfräulein, Riesen und Drachen fasst er den Entschluss, selbst ein fahrender Ritter zu werden. Schon bei den Vorbereitungen wird das Lächerliche und Unzeitgemäße des Unterfangens offenbar: Als klangvollen Heldennamen wählt er das Wort für Beinharnisch (quijote), weitere Rüstungsutensilien bastelt er sich mühsam aus altem Plunder zusammen. Der Name seines Pferdes, Rosinante, ist von augenzwinkernder Bedeutung: »allen Rossen vorangehend« bzw. »vorher war's ein Gaul« (rocín, »Gaul«, antes, »vorher«). Als Knappen verpflichtet er den fresslustigen Bauern Sancho Pansa (panza, »Bauch«), den Ritterschlag erhält er von einem Burgfräulein, das in Wahrheit eine Prostituierte ist.

Dieser Widerspruch von verblendeter Weltsicht und tatsächlichen Verhältnissen verursacht die meisten Abenteuer des Don Quijote: Wie schon die Windmühlen hält er ein anderes Mal Weinschläuche für Riesen oder wütet mit dem Schwert in einer Schafherde, die in seiner Einbildung zum feindlichen Heer wird. Nach dem Muster der Ritterbücher verpflichtet er sich zum Dienst an einer Dame und stilisiert eine Dorfschöne zur Idealgeliebten. Die Gestalt der Dulcinea del Toboso wurde legendär.

Welche Rolle spielt Sancho Pansa?

Den entscheidenden Reiz gewinnt Miguel de Cervantes' Roman aus dem wunderbaren Kontrast der beiden Hauptfiguren in Physiognomie, Charakter und Sprache. Von den Prügeln, die sein Herr Don Quijote gewöhnlich als Quittung für seine irrwitzigen Aktionen bezieht, bekommt Sancho Pansa reichlich ab; im Ganzen erweist er sich als munterer Gefährte. Wie der »Ritter von der Traurigen Gestalt« vom Mutterwitz seines Knappen profitiert dieser von der Bildung des unglücklichen Titelhelden, eines im Grunde sanftmütigen, ehrbaren Mannes. Nach zahlreichen schmerzlichen Erfahrungen ist Don Quijote von seinem Wahn geheilt und beschließt, ein Dasein als Schäfer zu führen.

In welchem Umfeld spielt die Geschichte?

Cervantes entfaltete die opulente Ereignisfülle des Romans vor einem farbigen Panorama Spaniens an der Wende zum 17. Jahrhundert. Der geniale Erzähler erweiterte dabei die geplante Literatursatire zu einem Sittengemälde mit lebensechten Typen und Genreszenen. Vor allem das Milieu der einfachen Bevölkerung schilderte er mit großer Plastizität und zuweilen ziemlich drastischer Komik. Auch die Kulisse der teilweise wildromantischen, teilweise öden Landschaft der Mancha wird ungewohnt detailliert geschildert.

Wie erfolgreich war der Roman?

Der erste Teil des »Don Quijote« erschien 1605 und wurde ein triumphaler Erfolg. Noch im selben Jahr tauchten der Ritter und sein Knappe als Masken in einem Festumzug in Valladolid auf. Bei einer Fürstenhochzeit im Jahr 1613 in Heidelberg gab es einen Don Quijote als komischen Turnierritter. Das Buch wurde bald auch ins Englische und Französische übersetzt; der frühesten deutschen Fassung (»Don Kichote de la Mantscha. Das ist: Juncker Harnisch aus Fleckenland«, 1648) folgte allerdings erst 1799/1800 mit Ludwig Tiecks Version eine kongeniale Nachdichtung. Den Romantikern galt das Werk vor allem durch seinen Sprachwitz, seinen poetischen Gehalt und die Kombination verschiedener Erzählformen (beispielsweise eingestreute Novellen) als vorbildlich, später sah man in ihm den Beginn des modernen Prosaromans.

Wussten Sie, dass …

Cervantes bei seinem Kampf gegen die Türken die rechte Hand verlor?

der Schriftsteller während seiner algerischen Kriegsgefangenschaft drei erfolglose Fluchtversuche unternahm?

das von Don Quijote bewunderte Rittertum in der dargestellten Zeit des Romans bereits ein Anachronismus ist?

der wichtigste Literaturpreis der spanischsprachigen Welt Cervantes' Namen trägt?

Lebte der Schriftsteller ebenso abenteuerlich wie seine Figur?

Cervantes stammte wie der Held seines Romans aus dem niederen Landadel in der Nähe von Madrid und führte ein äußerst bewegtes Leben. Wegen eines blutigen Ehrenhandels zur Flucht ins Ausland gezwungen, wurde er 1571 in der berühmten Seeschlacht von Lepanto gegen die Türken schwer verwundet. Nach weiteren Kämpfen in spanischen Diensten war er später fünf Jahre in algerischer Gefangenschaft, bis ihn der Trinitarier-Orden freikaufen konnte.

Mit dem Schäferroman »Galatea« (1585) hatte Cervantes ersten literarischen und kommerziellen Erfolg, geriet jedoch bald wieder in Existenznöte. Als Steuereintreiber veruntreute er Staatsgelder und landete im Gefängnis. Dort begann er 1598 mit der Niederschrift des »Don Quijote«, der auch zum finanziellen Erfolg für den Autor wurde. Kluger Umgang mit Geld gehörte jedoch nicht zu den Talenten Cervantes' und so starb er 1616 in Madrid als armer Mann.

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