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Menzels Eisenwalzwerk: Tempel der Industrialisierung

Warum ist das »Eisenwalzwerk« von Menzel ein typisch realistisches Bild?

Weil die Forderung der Realisten, dass der Künstler seiner Zeit angehören und sie darstellen müsse, in Adolph von Menzels großartigem Gemälde auf präzise und eindrucksvolle Weise umgesetzt wird. Die Industrialisierung mit all ihren positiven und negativen Auswirkungen bestimmte die Lebenswelt vieler Menschen, der sich – so die Realisten – auch der Künstler nicht entziehen durfte. »Schauplatz des Bildes ist eine der großen Werkstätten für Eisenbahnschienen … Man blickt auf einen langen Walzenstrang, dessen erste Walze das aus einem Schweißofen geholte, weißglühende Eisenstück aufnehmen soll. Die beiden Arbeiter, welche es herangefahren haben, sind beschäftigt, es durch Hochdrängen der Deichsel des Handwagens unter die Walze gleiten zu machen, während ihm drei andere mit Sperrzangen die Richtung zu geben versuchen. Die Arbeiter jenseits der Walze halten sich fertig, es mit Zangen und Hebestangen in Empfang zu nehmen … Links fährt ein Arbeiter einen Eisenblock, dem der Dampfhammer die Form gegeben, zum Verkühlen hinweg … Der Schichtwechsel steht bevor: Während weiter im Mittelgrunde Arbeiter halbnackt beim Waschen sind, wird rechts Mittagbrot verzehrt, das ein junges Mädchen im Korbe gebracht hat.« So beschrieb Adolph von Menzel (1815–1905) selbst sein 1875 vollendetes »Eisenwalzwerk« für den Katalog der Berliner Nationalgalerie.

Im Zuge der nach der Reichsgründung des Jahres 1870 sich intensivierenden Industrialisierung zeigte sich auch in Deutschland ein vermehrtes Interesse an einer künstlerischen Darstellung der modernen industriellen Welt. In der Regel handelte es sich allerdings um repräsentative Fabrik-Ansichten im Auftrag von Industriellen. Produktionsanlagen und Akteure wurden dort ins Heroische überhöht, teils mit mythologischen Bezügen. Ein Berliner Beispiel sind die Monumentalbilder, auf denen Menzels Freund Paul Meyerheim für Borsig die »Geschichte der Lokomotive« verewigte.

Was war neu an Menzels Arbeitsweise?

Die intensiven Vorstudien. In der schlesischen »Königshütte« entstanden im Jahr 1872 über 100 Bleistiftskizzen, bei denen der Maler Gefahr lief, »mitverwalzt zu werden«. Mit dem damals noch ungewohnten Bildthema der – wie Menzel es nannte – »Cyclopenwelt der modernen Technik« und des Arbeitswesens war er bereits seit Mitte des Jahrhunderts konfrontiert worden, nämlich auf den Pariser Weltausstellungen durch Gustave Courbets »Steinklopfer« oder die Industriebilder François Bonhommés. In Deutschland aber hatte noch kein Künstler das Thema so realistisch-gründlich bearbeitet.

Was macht die soziale Brisanz des Werks aus?

Seine Härte. Menzel erinnert zwar mit seiner »Cyclopen«-Assoziation an den antiken Schmiedegott Vulkan und taucht seine Walzwerk-Szene in effektvolles Licht, stellt jedoch ungeschminkt die Brutalität von Schwerarbeit und Schichtbetrieb dar. Zudem erscheinen die Arbeiter nicht als anonyme Gestalten, sondern sind in Mimik und Gestik individuell erfasst: Man meint, verwoben mit der Dynamik der Bewegung, auch die soziale Sprengkraft der Verhältnisse im Frühkapitalismus zu spüren, als eine Humanisierung der Arbeitsbedingungen noch in weiter Ferne lag.

Entsprechend zwiespältige Reaktionen löste Menzels Bild seinerzeit bei Publikum und Kritik aus. Der damalige Direktor der Nationalgalerie vermochte dem zuständigen Ministerium den Ankauf nur unter Vorspiegelung falscher Tatsachen schmackhaft zu machen, nämlich dass es hier um »die ergreifende Schilderung des Heldenmutes der Pflicht« gehe.

Wussten Sie, dass …

der erste Besitzer des »Eisenwalzwerks« Adolph von Liebermann war, ein Onkel des Malers Max Liebermann? Er musste das Bild aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten noch im Jahr des Erwerbs (1875) wieder veräußern.

auch noch die sozialkritischen Frühwerke von Menzels Bewunderer und Nachfolger Max Liebermann (1847–1935) einen Sturm der Entrüstung auslösten?

Welche Sujets bevorzugte Menzel?

Adolph von Menzels malerische Meisterschaft entfaltete sich eigentlich bevorzugt bei Szenen des gesellschaftlichen und häuslichen Lebens, in Naturstudien oder Stadtansichten. Der Künstler, der im Jahr 1815 im schlesischen Breslau geboren wurde, lebte zwar in der Zeit der Industrialisierung und befasste sich häufiger mit dem Thema der körperlichen Arbeit. Als ein Werk von Rang zu diesem Sujet kann aber nur das »Eisenwalzwerk« gelten.

Große Beliebtheit errang er darüber hinaus mit seinen Darstellungen des Zeitalters des Preußenkönigs Friedrich II. (Reg. 1740–1786), die im Preußen des 19. Jahrhunderts nostalgische Sehnsüchte hervorriefen – und von Fontane als »Fritzen-Welt« verspottet wurden. Menzel schuf Illustrationen zu Franz Kuglers populärer »Geschichte Friedrichs des Großen« (1841) und zahlreiche Ölgemälde zum Thema, darunter das berühmte »Flötenkonzert« (1852).

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