Lexikon
Neoliberalịsmus
wirtschaftspolitische und sozialphilosophische Lehre, die zur Steuerung von Wirtschaftsprozessen auf den Markt und seine Mechanismen verweist. Mit dem Ideal eines ungehemmten Marktes verbindet sich eine Absage an Staatsinterventionen und Planwirtschaft. Idealtypisch betont der Neoliberalismus den Handlungsspielraum des Individuums und seinen Eigennutz als Wirtschaftssubjekt gegenüber dem Staat. Allerdings zeigte sich bereits im Laufe des späteren 19. Jahrhunderts eine Abwendung von diesen Idealen, für die Zeitgenossen auf den Begriff Manchester-Liberalismus zurückgriffen. Mit den zunehmenden Einschränkungen des freien Wettbewerbs durch Schutzzölle und Protektionismus aber auch durch die Reaktionen auf die Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre geriet das Konzept eines reinen Spiels der Marktkräfte unter Druck.
Diese historischen Entwicklungen erklären die unterschiedlichen konzeptionellen Reaktionen seit den 1930er Jahren, die sich anhand von zwei unterschiedlichen Schulen charakterisieren lassen: Die sog. Freiburger Schule entwickelte das Konzept des Ordoliberalismus, das der für die Bundesrepublik Deutschland kennzeichnenden sozialen Marktwirtschaft wichtige theoretische Impulse lieferte. Hier geht es um die Bestimmung günstiger Rahmenbedingungen für freien Wettbewerb durch den Staat. Im Schlüsselbegriff der Ordnungspolitik, der jene wirtschaftspolitischen Maßnahmen zusammenfasst, mit denen der rechtliche Ordnungsrahmen definiert wird, innerhalb dessen sich Wirschaftsprozesse entfalten, wird die Zielrichtung deutlich: Durch Wirtschaftsrecht und –verfassung und in den Bereichen der Wettbewerbssicherung, Eigentumssicherung, Unternehmensverfassung und Geldordnung, aber auch durch den Schutz der im Marktgeschehen strukturell schwächeren Akteure, etwa durch Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Verbraucherschutz, kommt dem Staat eine wichtige Rolle zu. Vor allem W. Eucken hat die Sicherung freier Preisbildung, Geldwertstabilität, Vertragsfreiheit, Sicherung des Privateigentums, konstante staatliche Wirtschaftspolitik, aber auch eine aktive Wettbewerbspolitik und mögliche Regulierung der Einkommensverteilung mit sozialpolitischen Zielsetzungen durch den Staat gefordert. Das schließt im Hinblick auf den Arbeitsmarkt auch die Nutzung der Steuer- und Abgabepolitik als Instrumente mit ein. Die Vertreter dieser Schule (W. Eucken, W. Röpke, A. Rüstow, A. Müller-Armack) betonen ausdrücklich auch soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit als Zielhorizonte, woraus sich notwendige staatliche Maßnahmen zur Sicherung der Chancengleichheit in der Bildungspolitik und auf den Gebieten der Vermögensbildung sowie sozialen Grundsicherung ableiten lassen.
Dagegen konzentriert sich die angloamerikanische Bestimmung des Neoliberalismus, vor allem bei M. Friedman, weniger auf den Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen und die Förderung von Chancengleichheit auf dem Markt, sondern kritisiert die prinzipielle Gefahr durch staatliche Eingriffe in das Wirtschaftsgeschehen. Der vor allem in den USA stark von F. A. von Hayek geprägte Neoliberalismus vertraut auf die Selbststeuerungskräfte des Marktes und erkennt nicht in Nachfragekrisen, sondern in der staatlichen Rahmensetzung eine gefährliche Einflussnahme auf den freien Markt. Dieser Schule lassen sich mit den Begriffen Monetarismus und Angebotsorientierung zwei aufschließende Konzepte zuordnen. Der Monetarismus betont den engen Zusammenhang zwischen Geldmenge und Bruttosozialprodukt. Im Gegensatz zum Keynesianismus setzt man dabei auf eine längerfristige Betrachtung der grundsätzlich als stabil angesehenen Wirtschaftsprozesse. Den Notenbanken kommt die Funktion zu, die Geldwertstabilität zu sichern, während sich der Staat mit Interventionen zurückhalten soll. Nicht in der Stärkung der Nachfrage, sondern im Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes erschließt sich das angloamerikanische Konzept des Monetarismus. Instabilität entsteht demnach nicht durch Nachfragekrisen, sondern gerade erst durch Staatsinterventionen. Massenarbeitslosigkeit und Wachstumsschwäche sollen nicht durch Verbesserung der Nachfrage bekämpft werden, sondern durch die stetige Verbesserung der Produktionsbedingungen und eine weitgehende Flexibilisierung des privatwirtschaftlichen Sektors. Insbesondere in den 1980er Jahren kam es in Großbritannien unter Premierministerin Margaret Thatcher und in den USA unter Präsident Ronald Reagan zur partiellen Umsetzung dieser Prinzipien (Thatcherismus, Reaganomics). Im Zuge der Finanzmarkt- und Eurostaatschuldenkrise seit 2008 wurden diese neoliberalen Vorstellungen zunehmend kritisch betrachtet.
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