Lexikon

Ideologie

[
griechisch, französisch
]
als politisches Schlagwort allgemein Bezeichnung für die Weltanschauungen von gesellschaftlichen Gruppen, Nationen oder Völkern, außerdem Bezeichnung für theoretische Konstrukte, die mit den Ansprüchen wissenschaftlicher Exaktheit und genereller Gültigkeit in politische Praxis umgesetzt werden sollen (z. B. Marxismus). Im heutigen Sprachgebrauch wird der Begriff nicht einheitlich verwendet. Obwohl versucht wurde, eine Vorgeschichte des Ideologiebegriffs zu konstruieren (z. B. mit dem Hinweis auf F. Bacons Idolenlehre), beginnt die eigentliche Begriffsgeschichte erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und findet ihre für die Folgezeit bedeutsame theoretische Grundlegung bei K. Marx. Zum ersten Mal verwendet wird der Begriff 1796 von A. L. C. Graf Destutt de Tracy, einem Vertreter einer französ. Philosophengruppe, die davon ausging, dass Ideen durch Sinneswahrnehmungen vermittelt sind, und von daher eine von metaphysischen (insbesonders theologischen ) Vorurteilen befreite Wissenschaft und Erziehung forderte. Napoleon I. verurteilte dieses Konzept als wirklichkeitsferne Gedankenspielerei und gab damit dem Ideologiebegriff einen negativen Akzent.
Die von Marx in unsystematischer Form begründete Ideologietheorie erwächst aus der Kritik der Hegelschen Philosophie, zu deren Grundprinzipien es gehört, Gedanken als von der gesellschaftlichen Praxis losgelöst zu betrachten. Marx versteht dagegen Bewusstseinsformen als abhängig von den materiellen Lebensprozessen und bezeichnet die gegenteilige Auffassung als Ideologie, die nach Marx dadurch möglich wird, dass es durch die gesellschaftliche Entwicklung zu einer Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit gekommen ist. Eine weitere Komponente des Marx'schen Ideologiebegriffs bildet die These, dass die herrschende Klasse ihr besonderes Klasseninteresse als Interesse von allgemeiner gesellschaftlicher Relevanz darstellt, um so ihre Herrschaft zu sichern. Aufgabe der Ideologiekritik ist es nach marxistischer Auffassung, die sich als Überbau von der materiellen Basis abhebenden Gedankengebäude wie Moral, Religion und Recht auf ihre die wahren gesellschaftlichen Verhältnisse verschleiernden Funktionen hin zu untersuchen.
Der Ideologiebegriff wurde in der Folgezeit sowohl in den marxistischen als auch in den nichtmarxistischen Sozialwissenschaften mit unterschiedlicher Gewichtung weiter behandelt. So wird seit Lenin der Begriff auch positiv für das Gedankengut des Marxismus-Leninismus verwendet. In den 1920er Jahren waren es in der deutschen Wissenssoziologie K. Mannheim und M. Scheler, die die Diskussion fortsetzten. Dabei entwarf Mannheim den Begriff der totalen Ideologie, der die Beziehungen zwischen Denken und Sein verallgemeinert und damit die kritische Komponente weitgehend aufgibt. Die kritische Theorie (vor allem T. W. Adorno) sieht in der modernen Gesellschaft Ideologie und Realität eng verknüpft. Von daher verliert nach J. Habermas die materielle Basis als Parameter für die Ideologiekritik ihre Funktion. Im Zuge der Abkehr von umfassenden gesellschaftlichen Theoriegebäuden nach dem Zusammenbruch des Kommunismus verloren ideologische Fragestellungen zunächst ihre sozialwissenschaftliche Relevanz. In jüngster Zeit finden sich aber wieder ideologiekritische Ansätze vor allem in den Diskussionen über Neoliberalismus und Globalisierung.
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