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Nordsee: Auf den Spuren der Vergangenheit

Bei Hügelgräbern und Steinzeit-Monumenten denken die meisten von uns eher an Stonehenge als an die Nordseeküste. Doch auch auf den dortigen Inseln finden sich überraschend viele Zeugnisse der Vergangenheit. Das Watt fördert zudem immer wieder Fundstücke zutage, die von einer versunkenen Insel stammen - Rungholt, dem Atlantis der Nordsee. Wer an Geschichte, Legenden und Mythen interessiert ist, der wird bei einem Besuch an der Küste reichlich fündig.
NPO / Nordsee-Tourismus-Service, 31.03.2022
Megalithanlage Harhoog in Keitum auf Sylt

GetttyImages, Lammeyer

Wenn es um die Attraktionen der deutschen Nordseeküste geht, denken viele zuerst an Strand, Badeurlaub oder vielleicht noch an Wattwanderungen. Doch die Küstenregion zwischen Borkum und Sylt hat einiges mehr zu bieten. Denn sie hat eine reiche Geschichte, die von der Steinzeit bis in die Gegenwart reicht. Spuren dieser Vergangenheit finden sich auch dort, wo man sie zunächst nicht vermuten würde.

Großsteingrab Denghoog - Weningstedt, Sylt
Der Denghoog auf Sylt stammt aus der jungsteinzeitlichen Periode und ist das besterhaltene Gangrgab Schleswig-Holsteins.

Sylt: Megalithgräber und Bronzezeit-Hügel

Die dauerhafte Besiedlung der nordfriesischen Inseln begann in der Jungsteinzeit vor ungefähr 5.500 Jahren. Damals wurden die in dieser Gegend lebenden Jäger und Sammler sesshaft und errichteten erste Siedlungen. Aber auch für ihre Toten sorgten sie: Sie bauten ihren Verstorbenen Großsteingräber, die gemeinschaftlich über Generationen als Totenkammer benutzt wurden. Fast 50 solcher Megalithgräber aus der Jungsteinzeit stehen allein auf der Insel Sylt, von ihnen sind acht noch vollständig erhalten.

Nicht alle dieser Gräber sind heute noch so deutlich zu erkennen wie zum Beispiel das Steingrab „Denghoog“ nördlich von Wenningstedt. „Doch wer auf der Braderuper Heide oder oberhalb des Morsum Kliff genau hinsieht“, sagt Maike Lappoehn von der Naturschutzgemeinschaft Sylt, „sieht viele Grabhügel aus der Vor-  und Frühgeschichte.“  Und diese Megalith-Bauten sind nicht die einzigen Zeugnisse eines frühen Totenkultes.

Auch die Leute der nachfolgenden Bronzezeit bestatteten ihre Toten in Hügeln, zuerst in Särgen und dann verbrannt in Urnen.  Auf Sylt sind mehr als 500 solcher Grabhügel aus der Bronze- und Wikingerzeit bekannt. In einem Grabhügel bei Morsum ließen sich beispielsweise 35 Gräber nachweisen. Kein Wunder: Der Sylter Osten ist von drei Seiten von Meer umgeben und entfaltet unter dem hohen Himmel eine fast mythische Wirkung.

Das findet auch Maike Lappoehn: „…für mich zum Beispiel bei einer Wanderung in der morgendlichen oder abendlichen Dämmerung, wenn dann noch leichter Nebel über der Heide liegt.“ Wer hier wandert und immer wieder auf die Gräber blickt, hat das Gefühl, auf einer der Brücke in die Unendlichkeit unterwegs zu sein – einsam, karg, weit weg vom Rest der Welt.

Als Rungholt im Meer versank

Vor knapp 700 Jahren überschwemmte eine Sintflut unvorstellbaren Ausmaßes fast die gesamte Nordseeküste. Drei Tage lang, vom 15. bis zum 17. Januar 1362, wütete die Zweite Marcellusflut, auch „Grote Manndränke“ genannt, an der Nordseeküste. Mehr als 100.000 Menschen sollen in den Fluten gestorben sein. Durch sie versanken ganze Landstriche oder wurden unbewohnbar, Kulturland und Siedlungen wurden aufgegeben und gingen im Laufe der Zeit in der Nordsee verloren.

Die Gewalt der Flut veränderte die Gestalt der gesamten Nordseeküste. Meeresarme drangen weit ins Marschland vor, gewaltige Buchten entstanden, Inseln zerbrachen und gingen unter, Halbinseln wurden zu Inseln. 23 Ortschaften verschwanden damals in den Wassermassen, darunter auch eine legendäre Stadt: Rungholt – das Atlantis der Nordsee. Einigen Überlieferungen war das auf der einstigen Insel Strand gelegene Rungholt eine wichtige Hafenstadt für die Region.

Doch die Flut zerstörte die Insel Strand und ließ Rungholt untergehen. Aus den Resten von Strand entstanden die Inseln Pellworm und Nordstrand sowie die kleine Hallig Südfal. Sie könnte das Gebiet markieren, in dem die meisten Fachleute den Siedlungsschwerpunkt des legendären Rungholt vermuten.

Zeugnisse dieser Zeit – zum Beispiel Brunnenreste, Torfstiche, ehemalige Wohnhügel – kann man auf geführten Wattwanderungen noch heute sehen. Besonders spannend ist es, wenn Wattführer berichten, dass man nun das ehemalige Siedlungsgebiet des alten Obbenbüll oder Hersbüll betrete.

 In mehreren Museen an der Westküste sind Fundstücke wie beispielsweise Kacheln, Keramik oder altes Kircheninventar ausgestellt.

Westansicht der Insel Helgoland
Man nimmt an, das Helgoland vor etwa 6.000 Jahren zur Insel wurde. Wegen des Helgoländer Flints siedelten dort aber trotz der unfruchtbaren Böden weiterhin Menschen.

GettyImages, folgt

Helgoland – das "Heiligland" der Nordsee

Das "heilige Land" liegt auf offener See – und heißt heute Helgoland. „Alle Seefahrer, besonders die Piraten, meiden den Ort, daher hat er den Ort Heiligland erhalten“, schrieb der Kleriker und Chronist Adam von Bremen vor knapp tausend Jahren über den roten Felsen von Helgoland weit draußen in der Nordsee. Eremiten sollen damals dort gelebt haben, versorgt von Schiffen und mutigen Seeleuten, die sich dennoch her trauten.

Doch archäologische Funde belegen, dass die Insel Helgoland schon weit früher besiedelt war: Schon in der Steinzeit lebten Menschen auf dem damals noch nicht so weit vor der Küste liegenden Eiland. Denn zu jener Zeit lag der Meeresspiegel weit niedriger als heute, die Nordsee in der heutigen Form gab es noch nicht. Stattdessen konnte man trockenen Fußes bis nach England gehen. Die markanten Felsen Helgolands dürften sich allerdings schon damals deutlich über eine weite Landschaft erhoben haben.

Später, als Helgoland schon zur Insel geworden war, gründeten Menschen der Bronzezeit dort einen Handelsplatz, das zeigen archäologische Funde. Vermutlich trieben sie Handel mit dem einzigartigen roten Helgoländer Feuerstein. Ab dem siebten Jahrhundert übernahmen dann die Friesen die Insel. Sie könnten auf Helgoland einen Kultplatz errichtet haben, auch von einer heiligen Quelle ist in Überlieferungen die Rede. Die Friesen verehrten dort wahrscheinlich den Gott Forsite und nannten auch Helgoland zu ihrer Zeit nach dieser Gottheit.

Später könnte es auf Helgoland ein germanisches Zentralheiligtum gegeben haben, auch eine geheimnisvolle Bernstein-Insel soll die Insel gewesen sein. Wer oben auf den Felsen von Helgoland steht, kann sich eine solche mythische und bewegte Vergangenheit gut vorstellen.

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