Daten der Weltgeschichte

Der Zerfall des Kommunismus und Folgen19811999

1989 brach in Mittel- und Osteuropa der Kommunismus zusammen. Dieses Jahr wird in der Geschichte gleichrangig neben den Revolutionsjahren 1789, 1848 und 1918 stehen. Zwar erfolgte der Einsturz des Systems plötzlich, überraschend und weitestgehend gewaltfrei, aber ein langer Zerfallsprozess war ihm vorangegangen, als dessen größter Nutznießer Deutschland schließlich die staatliche Einheit wieder erlangte. Der Selbstauflösung des globalen kommunistischen Blocks folgte eine Neuorientierung nicht nur der ehemals sozialistischen Staaten. Während sich die USA als konkurrenzlose Supermacht etablierten, begann die Volksrepublik China, sich als ihr Widerpart des 21. Jahrhunderts zu profilieren. Unterdessen verfolgte Europa sein widerspruchsvolles Ziel weiter, über die wirtschaftliche zur politischen Einheit zu gelangen.

Systemmängel

Das kommunistische Herrschaftssystem in den Ländern, die bis 1989 den „Ostblock“ bildeten, war aus drei Gründen zum Untergang verurteilt: Es war von außen aufgezwungen worden, es war totalitär und es war wirtschaftlich unfähig. Die führenden Vertreter des „realen Sozialismus“ hatten angesichts der Schwierigkeit, die marxistische Wirtschaftstheorie für die ökonomische Praxis fruchtbar zu machen, bürokratische Überwachungsstaaten im Sinne ihres persönlichen Regimes geschaffen. Von der Mehrheit der Bevölkerung wurde es als Fremdherrschaft empfunden; die Verlautbarungen der einheimischen Parteiführer klangen wie aus dem Russischen übersetzt. Die Parteidiktatur verbreitete lähmende Furcht und ließ das geistige Leben erstarren. Paradox war, dass ein System, das theoretisch die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellte, gerade auf diesem Gebiet völlig versagte. Freilich war die marxistische Theorie schon vor Lenin dogmatisch eingeengt, unter Stalin zur beliebig manipulierbaren Rechtfertigungsideologie seines Gewaltregimes verkommen. Während Karl Marx in der spontanen Entwicklung der Produktivkräfte den Motor aller gesellschaftlichen Prozesse gesehen hatte, entschied nun ein Diktator oder ein Politbüro willkürlich, welche Produktivkräfte sich entwickeln durften und welche nicht. Chaos, Mangel, Rückständigkeit waren die Folgen. Den Regimen blieb das nicht verborgen, aber jeder zaghafte Reformversuch wurde alsbald zurückgenommen, weil er die Parteimacht gefährdete; jedes Aufbegehren in den Satellitenstaaten wurde von Moskau brutal unterdrückt.

Wirtschaftlicher Verfall

In der internationalen Politik stand das kommunistische Herrschaftssystem in direkter Konkurrenz zum westlichen Bündnis. Da schon in den fünfziger Jahren deutlich wurde, dass Europa sich als neuerlicher Kriegsschauplatz nicht eignen würde, weil ein dritter Weltkrieg unweigerlich die substanzielle Bedrohung der Supermächte bedeutete, verlagerten beide ihre Rivalität auf die Nebenkriegsschauplätze der Dritten Welt. Zugleich rüsteten sie mit modernster Technologie und stellten eine Overkill-Kapazität neben die andere. In den Staaten des Ostblocks gefährdete dieser Rüstungswettlauf die wirtschaftliche Existenz. Wichtige Investitionen mussten zugunsten der Entwicklung von Rüstungstechnologie immer wieder aufgeschoben werden. Nach dem Zusammenbruch zeigte sich, wie marode die Industrieanlagen der ehemaligen sozialistischen „Bruderländer“ waren.

Der Untergang des Kommunismus

Das erste Anzeichen des Wandels war die Entstehung einer unabhängigen Gewerkschaftsbewegung 1980 in Polen. sie wurde zwar verboten, konnte aber nicht endgültig vernichtet werden, wie das noch 1968 bei den Reformkräften des „Prager Frühlings“ der Fall gewesen war. Auch in Ungarn lockerten sich die Machtstrukturen. 1985, mit Gorbatschows Machtantritt in Moskau, gewann der Zerfallsprozess an Dynamik. Immer offener wurde Kritik am System geäußert; schließlich gingen die Massen auf die Straße. Trotz der Erinnerung an die Volksaufstände von 17. Juni 1953 in der DDR und 1968 in der Tschechoslowakei klagten die Menschen in den Ostblockstaaten offen die Verwirklichung der Menschenrechte ein, wie sie z.B. in der KSZE-Vereinbarung von 1975 verbrieft waren. Entscheidend war, dass sich die Politbüros jetzt nicht mehr auf sowjetische Rückendeckung verlassen konnten. In einer Art Kettenreaktion gab ein kommunistisches Regime nach dem andern erst den Führungsanspruch und dann die Macht selbst auf.

Neuer Nationalismus

Für die internationale Staatengemeinschaft bedeutete der Kollaps des sozialistischen Blocks eine völlige Umorientierung. Die westlichen Mächte offerierten nach dem Umbruch wirtschaftliche und politische Hilfe, auch wenn offenkundig war, dass der Aufbau dieser Staaten gemessen an westlichen Standards Jahrzehnte dauern würde. Innenpolitisch blieben viele ehemals sozialistische Staaten instabil. Die Bevölkerung setzte vielfach auf konservative Kräfte, um sich schon wenige Jahre später wieder den Nachfolgeorganisationen der früheren Staatsparteien zuzuwenden. Die Jahre des Mangels und der Unfreiheit und die Enttäuschung darüber, dass der Wandel zunächst nur geringe Veränderungen des Alltags mit sich brachte, ließen vielen Menschen den notwendigen „langen Atem“ ausgehen. Die Wahl neuer konservativ-demokratischer Führungen in Rumänien und Bulgarien 1996/97, der unter chaotischen Umständen zustande gekommene Machtwechsel in Albanien (1997) und das mit Neuwahlen zum Parlament und zur Präsidentschaft besiegelte Ende der Tudjman-Ära (Frühjahr 2000) hinterließen Slobodan Milošević - bis zu seinem Sturz im Oktober 2000 - als einzig bedeutenden autoritären Erben der kommunistischen Regime auf dem Balkan. In der ehemaligen Sowjetunion traten nach der Auflösung der Zentralmacht ethnische Gegensätze zu Tage, die auch durch 75 Jahre Sozialismus nicht beseitigt worden waren. Ähnlich wie im Vielvölkerstaat Jugoslawien gingen Volks- und Religionsgruppen mit Waffengewalt aufeinander los, entfesselten blutige Kämpfe um Grenzen und die Vorherrschaft von Gebieten. Fanatischer Nationalismus verwandelte diese Länder in Kriegsschauplätze. Der Wunsch der Tschetschenen nach staatlicher Unabhängigkeit und Loslösung der Kaukasusrepublik von Moskau wurde in zwei Kriegen - 1994 bis 1996 und 1999/2000 - blutig unterdrückt. Für den Ex-Geheimdienstler Wladimir Putin, im August 1999 zum russischen Premierminister ernannt, wurde der Kaukasuskrieg zum Karrieresprung: Als der russische Präsident Boris Jelzin am 31. Dezember 1999 wenige Stunden vor dem in aller Welt überschwänglich gefeierten Millenniumswechsel seinen Rücktritt verkündete, trat Putin sein Erbe als Herr im Kreml an. Vor allem die westeuropäischen Staaten bemühten sich um eine Integration der Staaten des früheren Warschauer Paktes. Wirtschaftsverträge, Kulturabkommen und die Aufnahme in überstaatliche Bündnisse wie die NATO sollen diese Länder einbinden und die Integration Europas voranbringen. Entgegen der Euphorie des Jahres 1989 erweisen sich die Gräben, die der Eiserne Vorhang und der Kalte Krieg in politischer, wirtschaftlicher und auch gesellschaftlicher Hinsicht in Europa hinterlassen hatten, als sehr tief. Hierzu gehören auch die langwierigen, mörderischen und unlösbar scheinenden Konflikte im Kaukasus und auf dem Balkan. Im Kosovokrieg (1999) präsentierte sich die NATO 50 Jahre zuvor als Verteidigungsallianz gegen den Osten gegründet erstmals (unter der Vormundschaft der USA) als Krieg führende Ordnungsmacht im selbsterteilten Auftrag, um im Namen humanitärer Werte einen Regionalkonflikt zu entscheiden, an dem NATO-Staaten selbst nicht direkt beteiligt waren. Als nach 79 Tagen Luftkrieg an Himmel über Jugoslawien am 10. Juni 1999 endlich wieder Frieden herrschte, stand die NATO vor der schwierigen Aufgabe, nach dem Krieg nun auch den Frieden zu gewinnen und das Pulverfass Balkan, das im Sommer 1914 sogar schon einmal einen Weltenbrand entzündet hatte, zu entschärfen.

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