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Warum Dachse gerade die Deutsche Bahn lahmlegen

Dass es bei der Deutschen Bahn zu Verspätungen und Komplettausfällen kommt, daran dürften sich Pendler längst gewöhnt haben. Doch statt Reparaturen und Bauarbeiten sind in Nordrhein-Westfalen nun Dachse daran schuld, dass eine Bahnstrecke über Jahre hinweg unbefahrbar sein könnte. Die Tiere haben das Erdreich unter der Strecke zu stark ausgehöhlt, heißt es. Doch wie genau sieht es dort nun unter Tage aus? Was macht Dachse zu so guten Tunnelbauern? Und welche anderen Tiere haben die Deutsche Bahn bereits in der Vergangenheit ausgebremst?
AMA, 27.11.2023
Europäischer Dachs (Meles meles)

© DamianKuzdak, GettyImages

Zwischen den nordrhein-westfälischen Städten Fröndenberg und Unna werden wahrscheinlich über Jahre hinweg keine Züge mehr fahren. Doch der Grund dafür sind nicht etwa anhaltende Bauarbeiten an den Gleisen oder Hochleitungen, sondern Dachse. Richtig gelesen: Die nachaktiven Tiere haben den elf Kilometer langen Bahndamm zwischen den beiden Orten mit einem weit verzweigten Tunnelsystem so stark durchlöchert und ausgehöhlt, dass die Strecke nun umfassend saniert werden muss. Die Deutsche Bahn schätzt, dass dafür Kosten in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro anfallen.

Vorderpfote eines Europäischen Dachses
Tatwerkzeuge: Die Vorderpfoten des Europäischen Dachses tragen lange, abwärts gebogene Krallen, die zum Graben gut geeignet und doppelt so lang wie die der Hinterpfoten sind.

Bulldozer auf vier Beinen

Doch wie ist es den nicht einmal einen Meter langen Tieren überhaupt gelungen, derartige Schäden anzurichten? „Dachse sind bekannt für ihre architektonischen Meisterwerke unter Tage“, erklärt Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung. Ihre Bauwerke – auch Burgen genannt – bestehen häufig aus weit verzweigten Tunnelsystemen mit einem Durchmesser von bis zu 50 Metern.

Dieser großflächige Burgenbau gelingt den schwarz-weiß gezeichneten Tieren aus der Familie der Marder mithilfe verschiedener Anpassungen. So stellen ihre langen Krallen zum Beispiel ideale Grabwerkzeuge dar, während ihr kompakter, bis zu 20 Kilogramm schwerer Körper wiederum einem Bulldozer ähnelt, mit dem sich ausgegrabene Tunnelerde wunderbar aus der Burg herausschieben lässt.

Obwohl Dachse leidenschaftliche Tunnelgräber sind, erscheint ihr insgesamt 1,5 Kilometer langer Bau unter dem Bahndamm trotzdem ungewöhnlich riesig. Das könnte auch daran liegen, dass nicht etwa eine einzige Dachsfamilie daran gearbeitet hat, sondern wahrscheinlich mehrere Generationen. Denn wenn der Boden stabil und der umgebende Lebensraum gut geeignet sind, vererben Dachseltern ihre Burg an den Nachwuchs, berichtet die Wildtier Stiftung. Und jede nachfolgende Generation erweitert dann das ursprüngliche Gangsystem.

Dachsbau an einem Reitweg
Nutzungskonflikt: Hier haben Dachse einen Reitweg unterminiert.

© PaulMaguire, GettyImages

Zu Besuch im Hause Dachs

Zwar bereitet die Dachs-Burg in NRW nun Pendlern und Bahnmitarbeitern viel Ärger und Stress, doch das schmälert nicht die architektonische Meisterleistung, die die Dachse zwischen Fröndenberg und Unna abgeliefert haben. Werfen wir doch mal einen Blick in das Innere eines typischen Baus. Den Hauptraum bildet eine Art „Wohnzimmer“, in dem es sich die Tiere mit Moos, Blättern und Farnen warm und gemütlich machen, wie die Wildtier Stiftung erklärt. Diese Wohnkammer legen die Bauspezialisten in der Regel in bis zu fünf Metern Tiefe an.

Hinzu kommen ein paar kleinere Räume, die in verschiedenen „Etagen“ liegen und die Frischluftzufuhr gewährleisten. Die Toiletten der Dachse befinden sich wiederum außerhalb des Baus in speziell dafür gegrabenen Mulden.

Querschnitt durch eine Dachsbrug
Dachse sind Familientypen. Eine Familie wohnt zusammen in ihrer Burg, die aus mehreren Zimmern, sogenannten Kammern besteht. Weil die Tiere teilweise über viele Generationen hinweg immer wieder neue Kammern anlegen, können die Burgen riesige Ausmaße erreichen.

© Peter Visscher, GettyImages

Tierwelt versus Deutsche Bahn

Die Dachse leben aber selten allein in ihrem Bau. Durch die vielen Eingänge zu ihrer Burg – an der Bahnstrecke wurden circa 140 gezählt – verschaffen sich auch verschiedene Untermieter Zutritt. „Sie teilen sich ihre Baue mitunter mit anderen höhlenbewohnenden Wildtieren, etwa Füchsen“, so Kinser. Es waren also wahrscheinlich nicht allein die Dachse, die der Deutschen Bahn eine derart hohe Rechnung aufgebrummt haben.

Und auch sonst sind es längst nicht nur Dachse, die der Bahn Ärger bereiten. Auch Bisamratten, Nutrias und Wildkaninchen sind dafür bekannt, mit ihren Tunneln Dämme und Deiche zu schädigen. Mitte Oktober 2023 haben es in dieser Hinsicht außerdem ein paar bayrische Biber in die Schlagzeilen geschafft. Mit ihren Bauten hatten sie den Bahnverkehr in den beliebten Tourismus-Ort Oberstdorf für ein paar Wochen komplett lahmgelegt.

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