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Warum Dachse gerade die Deutsche Bahn lahmlegen
Zwischen den nordrhein-westfälischen Städten Fröndenberg und Unna werden wahrscheinlich über Jahre hinweg keine Züge mehr fahren. Doch der Grund dafür sind nicht etwa anhaltende Bauarbeiten an den Gleisen oder Hochleitungen, sondern Dachse. Richtig gelesen: Die nachaktiven Tiere haben den elf Kilometer langen Bahndamm zwischen den beiden Orten mit einem weit verzweigten Tunnelsystem so stark durchlöchert und ausgehöhlt, dass die Strecke nun umfassend saniert werden muss. Die Deutsche Bahn schätzt, dass dafür Kosten in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro anfallen.
Bulldozer auf vier Beinen
Doch wie ist es den nicht einmal einen Meter langen Tieren überhaupt gelungen, derartige Schäden anzurichten? „Dachse sind bekannt für ihre architektonischen Meisterwerke unter Tage“, erklärt Andreas Kinser von der Deutschen Wildtier Stiftung. Ihre Bauwerke – auch Burgen genannt – bestehen häufig aus weit verzweigten Tunnelsystemen mit einem Durchmesser von bis zu 50 Metern.
Dieser großflächige Burgenbau gelingt den schwarz-weiß gezeichneten Tieren aus der Familie der Marder mithilfe verschiedener Anpassungen. So stellen ihre langen Krallen zum Beispiel ideale Grabwerkzeuge dar, während ihr kompakter, bis zu 20 Kilogramm schwerer Körper wiederum einem Bulldozer ähnelt, mit dem sich ausgegrabene Tunnelerde wunderbar aus der Burg herausschieben lässt.
Obwohl Dachse leidenschaftliche Tunnelgräber sind, erscheint ihr insgesamt 1,5 Kilometer langer Bau unter dem Bahndamm trotzdem ungewöhnlich riesig. Das könnte auch daran liegen, dass nicht etwa eine einzige Dachsfamilie daran gearbeitet hat, sondern wahrscheinlich mehrere Generationen. Denn wenn der Boden stabil und der umgebende Lebensraum gut geeignet sind, vererben Dachseltern ihre Burg an den Nachwuchs, berichtet die Wildtier Stiftung. Und jede nachfolgende Generation erweitert dann das ursprüngliche Gangsystem.
Zu Besuch im Hause Dachs
Zwar bereitet die Dachs-Burg in NRW nun Pendlern und Bahnmitarbeitern viel Ärger und Stress, doch das schmälert nicht die architektonische Meisterleistung, die die Dachse zwischen Fröndenberg und Unna abgeliefert haben. Werfen wir doch mal einen Blick in das Innere eines typischen Baus. Den Hauptraum bildet eine Art „Wohnzimmer“, in dem es sich die Tiere mit Moos, Blättern und Farnen warm und gemütlich machen, wie die Wildtier Stiftung erklärt. Diese Wohnkammer legen die Bauspezialisten in der Regel in bis zu fünf Metern Tiefe an.
Hinzu kommen ein paar kleinere Räume, die in verschiedenen „Etagen“ liegen und die Frischluftzufuhr gewährleisten. Die Toiletten der Dachse befinden sich wiederum außerhalb des Baus in speziell dafür gegrabenen Mulden.
Tierwelt versus Deutsche Bahn
Die Dachse leben aber selten allein in ihrem Bau. Durch die vielen Eingänge zu ihrer Burg – an der Bahnstrecke wurden circa 140 gezählt – verschaffen sich auch verschiedene Untermieter Zutritt. „Sie teilen sich ihre Baue mitunter mit anderen höhlenbewohnenden Wildtieren, etwa Füchsen“, so Kinser. Es waren also wahrscheinlich nicht allein die Dachse, die der Deutschen Bahn eine derart hohe Rechnung aufgebrummt haben.
Und auch sonst sind es längst nicht nur Dachse, die der Bahn Ärger bereiten. Auch Bisamratten, Nutrias und Wildkaninchen sind dafür bekannt, mit ihren Tunneln Dämme und Deiche zu schädigen. Mitte Oktober 2023 haben es in dieser Hinsicht außerdem ein paar bayrische Biber in die Schlagzeilen geschafft. Mit ihren Bauten hatten sie den Bahnverkehr in den beliebten Tourismus-Ort Oberstdorf für ein paar Wochen komplett lahmgelegt.